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11. Urteil der II. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 19. April 1985 i.S. X. gegen Kanton Solothurn und Kantonale Rekurskommission Solothurn (staatsrechtliche Beschwerde) | |
Regeste |
Art. 46 Abs. 2 BV; doppelbesteuerungsrechtliche Abgrenzung zwischen Kapitalgewinn- und Mehrwertbesteuerung auf beweglichem Privatvermögen. |
2. Der Wohnsitzkanton ist zur Besteuerung der Veräusserungsgewinne auf beweglichem Privatvermögen zuständig (Bestätigung der Rechtsprechung, E. 3a). |
Er ist doppelbesteuerungsrechtlich nicht gehalten, der Gewinnermittlung einen Einstandswert zugrunde zu legen, der in einem anderen Kanton anlässlich der Besteuerung eines nicht geldwert realisierten Mehrwertes für die Mehrwertermittlung herangezogen wurde (E. 3b und c). | |
Sachverhalt | |
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Am 15. August 1973 schenkte Frau Y. ihrem Sohn X. 30 dieser Aktien und 30 dieser Genussscheine. Der zwischen dem Erbanfall und der Schenkung entstandene Kapitalverlust auf diesen Wertpapieren konnte im Kanton Basel-Stadt steuerlich mangels anderweitiger Kapitalgewinne von Frau Y. in den Jahren 1973 und 1974 nicht verrechnet werden.
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X. veräusserte im Jahre 1980 vier Aktien und zwei Genussscheine der Hoffmann-La Roche & Co. AG. Der Kanton Solothurn, in dem X. Wohnsitz hat, bezog in die Veranlagung zu den Staats- und Gemeindesteuern 1981 einen bei der Veräusserung der Wertpapiere realisierten Kapitalgewinn ein. Dabei wurde der Kapitalgewinnberechnung als Einstandspreis der Wertpapiere deren - im vorliegenden Fall extrem tiefer - Wert vor 25 Jahren zugrunde gelegt.
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X. führt staatsrechtliche Beschwerde, mit der er unter anderem beantragt:
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"1. ...
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2. Es sei festzustellen, dass der Kanton Solothurn nicht berechtigt sei, den Wertzuwachs auf den vom Beschwerdeführer am 5.2.1980 verkauften Aktien und Genussscheinen Hoffmann-La Roche & Co. AG der solothurnischen Kapitalgewinnsteuer zu unterwerfen, soweit dieser Wertzuwachs bereits bei der Rechtsvorgängerin des Beschwerdeführers im Kanton Basel-Stadt der baselstädtischen Kapitalgewinnbesteuerung unterlag, und es sei demgemäss festzustellen, dass die massgebenden Anlagekosten i.S. von § 37 Abs. 1 des solothurnischen Steuergesetzes für die erwähnten Aktien Fr. ... und für die Genussscheine Fr. ... pro Titel betragen (Wert der Titel bei der Schenkung per 15.8.1973).
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3. ..."
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Der Beschwerdeführer macht eine Verletzung von Art. 46 Abs. 2 BV sowie hinsichtlich der ihm von der Kantonalen Rekurskommission auferlegten Gerichtsgebühr Willkür geltend.
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Das Bundesgericht weist die Beschwerde in der Hauptsache ab und tritt auf die Rüge gegen die Gerichtsgebühr nicht ein aus den folgenden
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Erwägungen: | |
1. a) Eine staatsrechtliche Beschwerde wegen Verletzung von Art. 46 Abs. 2 BV ist spätestens im Anschluss an die Geltendmachung des zweiten der einander ausschliessenden Steueransprüche ![]() | 10 |
Anders verhält es sich dagegen mit der vom Beschwerdeführer gegen die Kostenauflage erhobenen Willkürrüge. Eine staatsrechtliche Beschwerde wegen Verletzung von Art. 4 BV ist nur gegen letztinstanzliche Entscheide zulässig (Art. 87 OG). Im solothurnischen Steuerjustizverfahren bildet auch die besondere Revision nach § 121bis des Steuergesetzes (StG) einen Bestandteil des Instanzenzuges im Sinne von Art. 87 OG (vgl. dazu einlässlich BGE 110 Ia 136 ff.). Auf die Willkürrüge kann daher nicht eingetreten werden. Dem Beschwerdeführer ist es anheimgestellt, allenfalls binnen 10 Tagen seit Zustellung des vorliegenden Urteils ein Gesuch um Restitution der Frist für die Einlegung der besonderen Revision bei der Kantonalen Rekurskommission zu stellen (BGE 110 Ia 139 /140 E. 5).
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b) Das Bundesgericht prüft in Doppelbesteuerungssachen nach seiner früheren und in neueren Urteilen wieder aufgenommenen Rechtsprechung nicht von Amtes wegen, ob die vom Beschwerdeführer nicht angefochtene konkurrierende Veranlagung das Verbot der Doppelbesteuerung verletzt (BGE 93 I 241 E. 1; LOCHER, a.a.O., § 12, III A, 1 Nr. 22; nicht publiziertes Urteil vom 14. September 1984 i.S. Oe./Kanton Solothurn). Da der Beschwerdeführer keinen Antrag gegen eine Steuerveranlagung des Kantons Basel-Stadt stellt, ist nur zu prüfen, ob der Kanton Solothurn mit der angefochtenen Besteuerung des Kapitalgewinnes Art. 46 Abs. 2 BV verletzt hat.
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c) Die staatsrechtliche Beschwerde ist grundsätzlich kassatorischer Natur (BGE 108 Ia 199 E. 1, 288, je mit Nachweisen). Eine Ausnahme macht das Bundesgericht bei den Fällen, in denen die ![]() | 13 |
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3. Eine gegen Art. 46 Abs. 2 BV verstossende Doppelbesteuerung liegt vor, wenn ein Steuerpflichtiger von zwei oder mehreren Kantonen für das nämliche Steuerobjekt und für die gleiche Zeit zu Steuern herangezogen wird (aktuelle Doppelbesteuerung) oder wenn ein Kanton in Verletzung der geltenden Kollisionsnormen seine Steuerhoheit überschreitet und eine Steuer erhebt, zu deren Erhebung ein anderer Kanton zuständig wäre (virtuelle Doppelbesteuerung). Ausserdem hat das Bundesgericht aus Art. 46 Abs. 2 BV abgeleitet, ein Kanton dürfe einen Steuerpflichtigen nicht deshalb stärker belasten, weil er nicht in vollem Umfang seiner Steuerhoheit unterstehe, sondern zufolge seiner territorialen Beziehungen auch noch in einem anderen Kanton steuerpflichtig sei (BGE 107 Ia 42 E. 1a; ASA 52, 171/2 E. 2a). Der ![]() | 15 |
a) Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtes unterliegen Veräusserungsgewinne auf beweglichem Privatvermögen der Steuerhoheit desjenigen Kantons, in dem der Veräusserer im Zeitpunkt der Realisierung sein Hauptsteuerdomizil hat (BGE 78 I 421ff.; ASA 39, 180 E. 2; 28, 182/3 E. 3; LOCHER, a.a.O., § 6, I D; HÖHN, Interkantonales Steuerrecht, S. 204). Steuerobjekt ist dabei nicht ein Wertzuwachs auf dem veräusserten Gegenstand des Privatvermögens, sondern der im eingegangenen Erlös in Erscheinung tretende Gewinn, auch wenn dieser regelmässig auf einer latenten Wertsteigerung beruhen mag (BGE 78 I 421/2 E. 1; ASA 28, 182/3 E. 3). Das Bundesgericht hat es aus diesem Grund abgelehnt, die interkantonale Steuerhoheit etwa in dem Sinne abzugrenzen, dass ein im Veräusserungserlös in Erscheinung tretender Gewinn vom Domizilkanton nur insoweit erfasst werden dürfe, als die Wertsteigerung seit dem Zuzug des Steuerpflichtigen in den Kanton eingetreten ist (BGE 78 I 417ff.). Daran ist festzuhalten. Denn im Unterschied zum Geschäftsvermögen werden die Wertveränderungen im Privatvermögen steuerlich nicht buchmässig und periodisch erfasst. Diejenigen Kantone, welche Kapitalgewinne auf beweglichem Privatvermögen der - allgemeinen oder einer besonderen - Einkommenssteuer unterwerfen (vgl. dazu ZUPPINGER/BÖCKLI/LOCHER/REICH, Steuerharmonisierung, S. 95 ff.), machen die Besteuerung vielmehr von einem Realisierungstatbestand abhängig (DORMOND, L'imposition des gains en capital sur la fortune mobilière privée, Diss. Lausanne 1974, S. 66 ff.; CHRISTEN, Kapitalgewinne auf beweglichem Privatvermögen im basellandschaftlichen und baselstädtischen Steuerrecht, Diss. Basel 1983, S. 12 f.; zum Begriff der Realisierung vgl. OESCH, Die steuerliche Behandlung der Wertzuwachsgewinne auf dem beweglichen Privatvermögen, Diss. Bern 1975, S. 108 f.). Sind aber blosse Wertveränderungen auf beweglichem Privatvermögen einkommenssteuerrechtlich unbeachtlich, solange keine Realisierung stattfindet, so erscheint es folgerichtig, dass der Wohnsitzkanton im Zeitpunkt der Realisierung einen allfälligen Gewinn vollumfänglich besteuern kann.
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b) Von den Steuersystemen, die als Steuerobjekt den im Zeitpunkt einer entgeltlichen Veräusserung (und damit einer Realisierung im Sinne von OESCH, a.a.O., S. 108 f.) erzielten Kapitalgewinn umschreiben, sind diejenigen Steuergesetze zu unterscheiden, die (auch) den auf beweglichem Privatvermögen angewachsenen Mehrwert besteuern, ohne dass es einer entgeltlichen Veräusserung bedarf. Es sind dies beispielsweise die - in der Zwischenzeit durch eine Revision des Steuergesetzes wieder weggefallene - baselstädtische Steuer auf dem Mehrwert, der sich in der Nachlassinventur niederschlägt (§ 55 Abs. 1 lit. a des baselstädtischen Steuergesetzes in der bis zur Revision vom 30. September 1976 geltenden Fassung; BGE 89 I 364; GRÜNINGER/STUDER, Kommentar zum Basler Steuergesetz, S. 344; ZUPPINGER/BÖCKLI/LOCHER/REICH, a.a.O., S. 99), und die sanktgallische Beteiligungsgewinnsteuer im Zeitpunkt des Wegzuges aus dem Kanton (Art. 35 Abs. 1 lit. b und Abs. 2, Art. 36 Abs. 2 des sanktgallischen Steuergesetzes; vgl. dazu auch DAVID, Die sanktgallische Beteiligungsgewinnsteuer, Diss. Zürich 1974, S. 219 ff.). Bei der sogenannten Mehrwertbesteuerung handelt es sich juristisch um ein anderes Steuerobjekt als bei der auf eine Realisierung abstellenden Kapitalgewinnbesteuerung (HÖHN, Die Besteuerung der privaten Gewinne (Kapitalgewinnbesteuerung), Diss. Zürich 1955, S. 253). In der Literatur wird indessen das Bedürfnis nach interkantonalen Kollisionsregeln für Fälle ![]() | 18 |
In der Tat können sich bei der Bemessung der Kapitalgewinne bzw. Mehrwerte zeitliche Überschneidungen ergeben, die nach einer kollisionsrechtlichen Abgrenzung der Steuerhoheiten rufen würden. Allerdings vermag keine der denkbaren und in der Literatur diskutierten Kollisionsregeln vollständig zu befriedigen und zu einer sowohl theoretisch als auch praktisch akzeptablen Lösung zu führen (vgl. dazu eingehend HÖHN, a.a.O., S. 253 ff.). Insbesondere die vom Beschwerdeführer vorgeschlagene Abgrenzungsnorm (befürwortet etwa von DORMOND, a.a.O., S. 155 Fn. 14), die zu einer Aufteilung der Steuerhoheit zwischen denjenigen Kantonen, die (auch) nicht realisierte Mehrwerte auf beweglichem Privatvermögen besteuern, und solchen, die nur effektiv realisierte Kapitalgewinne der Besteuerung unterwerfen, führen würde, brächte etliche Unzukömmlichkeiten mit sich (vgl. dazu HÖHN, a.a.O., S. 254 f.). Eine solche Kollisionsregel, die unter dem Gesichtspunkt der aktuellen Doppelbesteuerung allenfalls einleuchten könnte, erscheint unter demjenigen der virtuellen Doppelbesteuerung problematisch. Sie müsste bei konsequenter Anwendung eben doch dazu führen, dass sich sämtliche Kantone, die Gewinne auf dem beweglichen Privatvermögen besteuern, auf die Erfassung derjenigen Gewinne zu beschränken hätten, welche auf dem Mehrwert beruhen, der ausschliesslich unter ihrer Steuerhoheit entstanden ist. Damit wäre, nur weil vereinzelte Kantone wie früher Basel-Stadt oder heute noch St. Gallen in gewissen Fällen einen nicht geldwert realisierten Mehrwert besteuern, die bisherige bundesgerichtliche Kollisionsnorm (vgl. oben E. 3a), die sich als folgerichtig, einfach und praktikabel erwiesen hat, nicht mehr haltbar. HÖHN (a.a.O., S. 254 f.) neigt denn auch dazu, der Gewinnbesteuerung absoluten Vorrang einzuräumen, was im Falle eines Doppelbesteuerungskonfliktes die Besteuerung eines nicht realisierten Mehrwertes vollständig ausschliessen würde (ähnlich CHRISTEN, a.a.O., S. 177, sowie DAVID, a.a.O., S. 228).
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Im vorliegenden Fall würde indessen eine derartige Kollisionsregel nicht zur Gutheissung der Beschwerde führen, da kein Antrag gegen eine Steuerveranlagung des Kantons Basel-Stadt gerichtet wurde (vgl. dazu vorne E. 1b).
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c) Unter diesen Umständen besteht kein Anlass, dem Kanton Solothurn eine Verletzung des Doppelbesteuerungsverbotes vorzuwerfen.
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