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12. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 6. Februar 1985 i.S. Staat Italien gegen X. und Appellationsgericht des Kantons Basel-Stadt (staatsrechtliche Beschwerde) | |
Regeste |
Völkerrechtliche Immunität; Zivilprozess gegen einen fremden Staat. |
Voraussetzungen der Zulässigkeit eines Zivilprozesses gegen einen fremden Staat. |
1. Grundsatz der begrenzten Immunität; Natur des fremdstaatlichen Anspruchs als Abgrenzungskriterium (E. 4a). Beizug, nicht aber Anwendung ausländischen öffentlichen Rechts zur Ermittlung der Natur dieses Anspruchs (E. 4b). |
2. Treu und Glauben als Schranke der Berufung auf völkerrechtliche Immunität. Verneinung des Verstosses gegen eine staatsvertragliche Pflicht zur Rückgabe des Prozessgegenstandes (E. 5a, b und c); Folgen (E. 5d). | |
Sachverhalt | |
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Aus den Erwägungen: | |
I. Formelle Fragen
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a) Der Staat Italien rügt mit der staatsrechtlichen Beschwerde eine Verletzung seiner völkerrechtlichen Immunität sowie "der Zuständigkeit". Einem als Völkerrechtssubjekt auftretenden fremden Staat steht die staatsrechtliche Beschwerde grundsätzlich nicht offen. Vielmehr ergibt sich aus Art. 113 Abs. 1 Ziff. 3 BV, der die verfassungsmässige Grundlage für Art. 84 OG bildet, dass das Bundesgericht nur über "Beschwerden betreffend verfassungsmässige Rechte der Bürger sowie über solche von Privaten wegen Verletzung von Konkordaten und Staatsverträgen" zu urteilen hat. Der fremde Staat, der die Verletzung der Vorschriften eines Staatsvertrags oder der Regeln des Völkerrechts rügen will, kann das nur mit einer Aufsichtsbeschwerde im Sinne von Art. 71 VwVG an den Bundesrat tun, der gegebenenfalls gestützt auf ![]() | 4 |
b) Anders verhält es sich, wenn in der Schweiz liegende Vermögensgegenstände eines fremden Staates mit Arrest belegt werden sollen. In diesem Fall ist der fremde Staat - selbst wenn er als Völkerrechtssubjekt auftritt - betroffen wie ein Privater. Das Bundesgericht hat denn auch seit Jahrzehnten staatsrechtliche Beschwerden fremder Staaten gegen solche Zwangsvollstreckungsmassnahmen zugelassen (BGE 106 Ia 142 ff.; BGE 104 Ia 367 ff. und in diesen Urteilen zitierte ältere Entscheide bis zurück zu BGE 44 I 49 ff.). Soweit ersichtlich, ist denn auch die Legitimation fremder Staaten zur staatsrechtlichen Beschwerde in diesem Umfang in der Literatur der letzten Jahrzehnte nie mehr in Frage gestellt worden.
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Im vorliegenden Fall geht es allerdings nicht um eine Arrestnahme. Auch steht keine Zwangsvollstreckungsmassnahme des kantonalen Rechts in Frage, die für das Gebiet des Sachenrechts wohl als einem Arrest gleichwertig betrachtet werden müsste; eine solche Zwangsvollstreckung käme indessen erst dann in Frage, wenn ein Sachurteil zugunsten der Beschwerdegegnerin vorläge und sich zudem die vom Urteilsdispositiv erfassten Sachen im örtlichen Zugriffsbereich der schweizerischen Behörden befänden. Zu prüfen ist somit, ob die staatsrechtliche Beschwerde wegen Verletzung der völkerrechtlichen Immunität eines fremden Staates auch dann zulässig ist, wenn dieser lediglich veranlasst werden soll, sich auf eine Zivilklage einzulassen, Zwangsmassnahmen jedoch noch nicht in Aussicht stehen.
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c) Sämtliche veröffentlichten Urteile des Bundesgerichts zur Frage der völkerrechtlichen Immunität fremder Staaten hängen mit Arrestverfahren nach dem Schuldbetreibungs- und Konkursrecht zusammen. Daraus lässt sich indessen nicht schliessen, die staatsrechtliche Beschwerde wegen Verletzung der Immunität sei ausschliesslich in diesem Fall zulässig. Sieht man vom Bereich des Familienrechts ab, so geht es bei der überwiegenden Zahl der Zivilprozesse um Geldforderungen. Für Prozesse dieser Art gegen einen ausländischen Staat wird aber in der Regel kein schweizerischer Gerichtsstand gegeben sein, es sei denn, die klagende Partei begründe ihn durch Arrestierung von Vermögenswerten. Es dürfte weitgehend an diesem äusseren Umstand liegen, dass die veröffentlichten Urteile des Bundesgerichts zur Frage der Staatenimmunität durchwegs mit einem solchen Arrest zusammenhängen.
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Verhält es sich so, ist nicht ersichtlich, weshalb ein fremder Staat zum Schutz seiner Immunität das Bundesgericht im Erkenntnisverfahren nicht ebenso mit staatsrechtlicher Beschwerde anrufen können sollte wie im Vollstreckungsverfahren. Es hätte wenig praktischen Sinn, den ausländischen Staat zu verpflichten, als Partei in einem Erkenntnisverfahren bis zum rechtskräftigen Urteil mitzuwirken, bevor feststeht, ob er sich nicht im späteren Vollstreckungsverfahren auf seine Immunität berufen könne. Wenn das Bundesgericht im genannten Entscheid ausgeführt hat, das Urteil liefe in einem solchen Fall auf ein blosses Rechtsgutachten ![]() | 9 |
d) Seit die beiden erwähnten Urteile ergingen, sind zwei Rechtsänderungen von Bedeutung eingetreten. In materieller Hinsicht ist zu beachten, dass die Schweiz mit Wirkung ab 7. Oktober 1982 dem Europäischen Übereinkommen über Staatenimmunität vom 16. Mai 1972 beigetreten ist. In formeller Hinsicht ist auf die am 1. Oktober 1969 in Kraft getretene Änderung des Bundesgesetzes über die Organisation der Bundesrechtspflege zu verweisen.
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Was das Übereinkommen betrifft, so geht dieses zwar in der Frage, unter welchen Voraussetzungen die Immunität der Vertragsstaaten im Vollstreckungsverfahren anzuerkennen sei, weiter als die schweizerische Praxis, wie sie in der zitierten Rechtsprechung des Bundesgerichts zum Ausdruck kommt (vgl. Art. 23 des Übereinkommens und Botschaft des Bundesrates vom 27. Mai 1981, BBl 1981 II 990/991). Die erweiterte Vollstreckungsimmunität unter den Mitgliedstaaten bildet jedoch kein entscheidendes Argument dagegen, dass die staatsrechtliche Beschwerde wie bisher bereits im Erkenntnisverfahren zugelassen wird. Allerdings müssen dabei im Verhältnis zwischen den Mitgliedstaaten nunmehr materiell andere Gesichtspunkte wegleitend sein als für den Entscheid über die Vollstreckungsimmunität.
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Die Änderung des Bundesgesetzes über die Organisation der Bundesrechtspflege hat für das Gebiet der staatsrechtlichen Beschwerde keine unmittelbaren Neuerungen gebracht und generell die Zuständigkeit des Bundesgerichts jedenfalls nicht eingeschränkt (BGE 99 Ia 84 E. 1c). Die staatsrechtliche Beschwerde könnte auf einem Gebiet, wo sie vorher zulässig war, durch die Revision nur ausgeschlossen worden sein, wenn ein anderes Verfahren zur Verfügung gestellt worden wäre, in dem die nämlichen Rügen erhoben werden können (Art. 84 Abs. 2 OG). Das trifft im vorliegenden Fall nicht zu; namentlich kann der fremde Staat nicht mit Beschwerde gemäss Art. 73 VwVG an den Bundesrat gelangen (BGE 101 Ia 166 E. 3; die hier vorbehaltene ![]() | 12 |
e) Der Staat Italien stützt seine Beschwerde auf Art. 84 Abs. 1 lit. c und d OG. Staatsrechtliche Beschwerden dieser Art setzen die Erschöpfung des kantonalen Instanzenzugs nicht voraus, sondern können unmittelbar im Anschluss an den Hoheitsakt erhoben werden, der Anlass zur Beschwerdeführung gibt (Art. 86 Abs. 3 OG; BGE 106 Ia 145 /146 E. 2b mit Hinweisen). Die vorliegende, im Anschluss an einen Rückweisungsentscheid erhobene Beschwerde erweist sich somit auch unter diesem Gesichtswinkel als zulässig.
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f) Auf die staatsrechtliche Beschwerde ist demnach einzutreten, soweit mit ihr eine Verletzung der völkerrechtlichen Immunität des Staates Italien gerügt wird. Nicht völlig klar ist, ob der daneben erhobenen Rüge der Verletzung von Bestimmungen über die örtliche Zuständigkeit selbständige Bedeutung zukommt. Soweit das zutreffen sollte, ist auf die Beschwerde nicht einzutreten (vgl. E. 2a). Die Rüge ist jedoch in jedem Fall zulässig, soweit sie sich unmittelbar aus der Anrufung der völkerrechtlichen Immunität ergibt (BGE 107 Ia 174 E. 4 mit Hinweis).
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II. Materielle Fragen
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4. a) Es kann heute als unbestritten gelten, dass im Erkenntnisverfahren dem ausländischen Staat jedenfalls dann Immunität zukommt, wenn sich der Rechtsstreit auf seine hoheitliche Tätigkeit (ius imperii) bezieht. Ist er dagegen als Träger von Privatrechten ![]() | 17 |
Im vorliegenden Fall stützt der Staat Italien seinen Eigentumsanspruch nicht auf rechtsgeschäftliches Handeln (ius gestionis); er leitet ihn vielmehr aus seiner öffentlichrechtlichen Gesetzgebung über den Schutz von Gegenständen von historischem und archäologischem Wert ab (Art. 826 Abs. 2 des italienischen codice civile). Das war nie ernsthaft bestritten und liegt auf der Hand (vgl. BGE 101 Ia 165 E. 1 i.V.m. VPB 40/1976 Nr. 88). Geht es aber um einen Anspruch an einer beweglichen Sache, den der Staat Italien als Hoheitsträger (iure imperii) geltend macht, so kann er sich grundsätzlich auf seine völkerrechtliche Immunität berufen. Dabei kommt es nicht darauf an, ob dieser Anspruch sich im Prozess auch als begründet erwiese. Über die Immunität ist vorfrageweise zu entscheiden. Dieses Institut verlöre seinen Sinn, wenn nicht auf die Natur des Anspruchs abgestellt würde, sondern wenn der Staat die Berechtigung dieses Anspruchs zunächst im Prozess unter Beweis stellen müsste.
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b) Nicht geteilt werden kann die Auffassung des Appellationsgerichts, wonach die Zuerkennung der Immunität an den Staat Italien unter den hier gegebenen Voraussetzungen auf die Anerkennung ausländischen öffentlichen Rechts hinauslaufen würde, was nicht zulässig sei. Das Gericht folgt dabei dem von der Beschwerdegegnerin im kantonalen Verfahren eingeholten Privatgutachten von Professor Pierre Lalive. Der Gutachter stützt seine Auffassung auf einen Entscheid des Bundesgerichts aus dem Jahre 1956 (BGE 82 I 196 ff.). In jenem Urteil ging es um die Frage, ob ein ausländischer Enteignungsakt in der Schweiz anzuerkennen sei. Das Bundesgericht führte dazu aus, ausländisches öffentliches Recht könne in der Schweiz weder angewendet noch vollzogen werden, es sei denn, die schweizerische Rechtsordnung verlange ![]() | 19 |
5. a) Das Appellationsgericht verneinte die Immunität des Beschwerdeführers allerdings im wesentlichen aus einem andern Grund. Es stellte fest, die umstrittenen Grabplatten seien einzig zur Beweissicherung in einer Strafuntersuchung nach Italien verbracht worden. Die italienischen Behörden wären nach Art. 6 Ziff. 2 des Europäischen Übereinkommens über Rechtshilfe in Strafsachen vom 20. April 1959 (EÜR) verpflichtet gewesen, die Platten nach der Untersuchung sofort wieder in die Schweiz zurückzubringen. Es bezeichnet das Verhalten des Staates Italien als "unkorrekt". Aus einem solchen Verhalten dürfe er keinen Vorteil ziehen; er könne sich deshalb nicht auf seine völkerrechtliche Immunität berufen. Der Beschwerdeführer hält dem in tatsächlicher Hinsicht entgegen, es lägen keine Akten dafür vor, dass er durch die in Rechtshilfesachen zuständigen schweizerischen Behörden aufgefordert worden sei, die Platten in die Schweiz zurückzubringen. Die Feststellung des Appellationsgerichts, er habe konventionswidrig gehandelt, beruhe deshalb auf einer unzulässigen antizipierten Beweiswürdigung. In rechtlicher Hinsicht macht der Beschwerdeführer geltend, das Appellationsgericht habe seine ![]() | 20 |
b) Der Standpunkt des Appellationsgerichts läuft im Ergebnis auf eine Übernahme der im Privatgutachten Lalive vertretenen These hinaus, das italienische Rechtshilfebegehren bilde Teil eines raffinierten Gesamtplans ("manoeuvre astucieuse"), mit dem sich der Staat Italien aus der Rolle eines Klägers in jene eines Beklagten manövriert habe. Ein solches Verhalten verstosse gegen Treu und Glauben und müsse daher unbeachtet bleiben. Dem Beschwerdeführer könne deshalb die Immunität so wenig zuerkannt werden, wie wenn er im Zivilprozess in Basel als Kläger aufgetreten wäre. Diese Erwägung erweckt Bedenken. Das Appellationsgericht hat nicht dargelegt, auf welche tatsächlichen Umstände es seine Auffassung stützt, wonach das Rechtshilfebegehren Teil eines derartigen Manövers gebildet habe und daher zweckwidrig verwendet worden sei. Dem angefochtenen Urteil lässt sich einzig entnehmen, dass die Grabplatten im August 1980 zu Beweiszwecken nach Italien verbracht wurden und dass sie seither noch nicht in die Schweiz zurückgeführt worden sind. Indessen ist zunächst festzustellen, dass der Staat Italien sich den Besitz an den Platten nicht eigenmächtig verschafft hat; diese wurden ihm vielmehr nach Durchführung eines Rechtshilfeverfahrens von den zuständigen schweizerischen Behörden ordnungsgemäss zur Verfügung gestellt. Ob diese Behörden die ihnen in solchen Fällen zustehende Prüfungsbefugnis richtig ausgeübt haben, war nicht vom Appellationsgericht zu beurteilen. Jedenfalls kann die Stellung eines Rechtshilfebegehrens an sich nicht als unlautere Handlung betrachtet werden, weil den zuständigen Behörden des ersuchten Staates eine weitgehende Prüfungsbefugnis zusteht.
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Das Appellationsgericht legt denn auch das Hauptgewicht weniger darauf, dass sich der Staat Italien die Verfügungsgewalt über die Grabplatten überhaupt verschafft habe; es stützt sich vor allem darauf, dass er diese Platten seither nicht zurückerstattet habe. Es trifft zu, dass auf dem Rechtshilfeweg übergebene Beweismittel dem ersuchenden Staat "so bald wie möglich" zurückzugeben sind, sofern dieser nicht darauf verzichtet (Art. 6 Ziff. 2 EÜR). Der Begriff "so bald wie möglich" ist unbestimmt; er ist im Einzelfall zu konkretisieren. Wie die Bedingung hier im Zeitpunkt der Rechtshilfe gegenüber dem Staat Italien formuliert wurde, geht ![]() | 22 |
c) Hinzu kommt, dass der Zeitpunkt für die Rückgabe nach Art. 6 Ziff. 2 EÜR unbestimmt ist ("so bald wie möglich"); dieser Umstand lässt die Annahme nicht zu, der ersuchende Staat gerate nach Ablauf einer bestimmten Frist automatisch in Verzug. Im Gegenteil ist anzunehmen, der ersuchte Staat habe nach angemessener Zeit zu mahnen und die Rückerstattung zu verlangen. Erst wenn der ersuchende Staat einem solchen Begehren innert Frist nicht entspricht, kann von einer Verletzung des Völkerrechts gesprochen werden. Diese Folgerung drängt sich um so mehr auf, als übergebene Gegenstände, Akten oder Schriftstücke nicht notwendigerweise in jedem Fall zurückzuerstatten sind; Art. 6 Ziff. 2 EÜR sieht ausdrücklich die Möglichkeit vor, dass der ersuchte Staat auf eine Rückerstattung verzichtet. Reagiert der ersuchende Staat auf ein Rückerstattungsbegehren zulässigerweise mit einem Gesuch um Verzicht im Sinne dieser Bestimmung, kann solange, als die zuständige Behörde des ersuchten Staates ihren Entscheid nicht gefällt hat, ebenfalls noch nicht von einer Rechtsverletzung gesprochen werden (vgl. VPB 40/1976 Nr. 88). Im vorliegenden Fall ist indessen nicht dargetan worden, dass die italienischen Behörden zur Rückerstattung der Platten aufgefordert worden seien.
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d) Wie sich aus den vorstehenden Erwägungen 4a und 5c ergibt, hat dieser Entscheid nicht den Sinn, dass nunmehr Beweise zu erheben wären; vielmehr ist die Immunität des Beschwerdeführers zu bejahen. Das kantonale Verfahren wird daher durch Prozessurteil zu erledigen sein. Das hat zur Folge, dass der Rechtsstreit nicht materiell rechtskräftig entschieden ist. Er kann nach Erfüllung der in Art. 6 Ziff. 2 EÜR enthaltenen Rückgabepflicht durch den Beschwerdeführer von diesem als Kläger in der Schweiz wieder angehoben werden; auch könnte einer Klage der Beschwerdegegnerin in Italien die Einrede der abgeurteilten Sache nicht entgegengehalten werden.
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