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32. Auszug aus dem Urteil der II. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 4. Oktober 1985 i.S. Toni Keller gegen Regierungsrat des Kantons Thurgau (staatsrechtliche Beschwerde) | |
Regeste |
Unfallversicherung; Willkür (Art. 4 BV). |
2. Der Vorbehalt abweichender Abreden gemäss Art. 91 Abs. 2 UVG betreffend Prämienzahlungspflicht für die obligatorische Versicherung gegen Nichtberufsunfälle gilt auch für generell-abstrakte Normen des kantonalen Rechts (E. 3c/aa). | |
Sachverhalt | |
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Mit rechtzeitiger staatsrechtlicher Beschwerde vom 1. November 1984 gelangt Toni Keller wegen Verletzung von Art. 4 BV ans Bundesgericht mit folgenden Anträgen:
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"1. Es sei der angefochtene Entscheid des Regierungsrates des Kantons Thurgau Nr. 1587 vom 2.10.1984 aufzuheben.
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2. a. Es sei der Regierungsrat des Kantons Thurgau anzuweisen, § 60 Abs. 1 und 2 des thurgauischen Gesetzes über das Unterrichtswesen (Unterrichtsgesetz) vom 15.11.1978 in Kraft zu setzen;
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b. Es sei die Schulgemeinde Amriswil zu verpflichten, auch die Prämie der Versicherung des Beschwerdeführers für Nichtberufsunfälle vollständig zu tragen;
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unter Kosten- und Entschädigungsfolgen."
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In seiner Vernehmlassung vom 11. Januar 1985 beantragt das Finanz-, Forst- und Militärdepartement namens des Regierungsrates des Kantons Thurgau die kostenfällige Abweisung der Beschwerde.
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Das Bundesgericht heisst die Beschwerde gut, soweit es darauf eintritt.
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Aus den Erwägungen: | |
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"1 Die Schulträger haben ihre Lehrer für die Folgen von Betriebs- und Nichtbetriebsunfällen sowie für die Berufshaftpflicht zu versichern oder sich einer vom Kanton abgeschlossenen Kollektiv-Versicherung anzuschliessen.
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2 Die Versicherungsprämien sind durch den Schulträger zu bezahlen.
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3 Der unfallbedingte Erwerbsausfall und die Heilungskosten sind für mindestens zwei Jahre voll zu decken."
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Das gleiche Gesetz (§§ 59 und 69 Ziff. 5 lit. b und c) sowie das revidierte Lehrerbesoldungsgesetz (§ 6) legen fest, dass die Regelung der finanziellen Seite des Anstellungsverhältnisses der Lehrer ausschliesslich Sache des Kantons sei. Zur Vermeidung einer unerwünschten Lohnkonkurrenz unter den Schulgemeinden sollten sog. "Ortszulagen" in die vom Kanton einheitlich festzulegenden Lehrergrundbesoldungen einbezogen werden.
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Der Regierungsrat setzte das Unterrichtsgesetz auf den 1. März 1980 in Kraft, mit Ausnahme des erwähnten § 60, da diese Bestimmung erst zusammen mit der entsprechenden Vollziehungsverordnung wirksam werden sollte.
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Die ins Auge gefasste spätere Inkraftsetzung von § 60 UG hat sich nach Auffassung des Regierungsrates durch Art. 116 Abs. 2 UVG erübrigt, da durch diese Bestimmung § 60 UG - als (wenn auch sehr rudimentärer) kantonaler Erlass über die obligatorische Unfallversicherung - ebenfalls aufgehoben worden sei. Das UVG enthalte darüber hinaus keinen ausdrücklichen Vorbehalt zugunsten weitergehender, für die Arbeitnehmer günstigerer kantonaler Vorschriften. Auch aus Art. 91 Abs. 2 Satz 2 UVG ergebe sich nichts anderes, da abweichende Abreden nur zulässig seien, sofern sie nicht gegen das kantonale Recht verstiessen; da § 6 des Lehrerbesoldungsgesetzes aber Ortszulagen verbiete, die Übernahme von Prämien für die Nichtbetriebsunfallversicherung durch die Schulgemeinde jedoch eine solche Ortszulage darstelle, würden solche vom UVG abweichenden Abreden gegen kantonales Recht verstossen.
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b) Ein Entscheid ist willkürlich, wenn er offensichtlich unhaltbar ist, mit der tatsächlichen Situation in klarem Widerspruch steht, eine Norm oder einen unumstrittenen Rechtsgrundsatz krass verletzt oder in stossender Weise dem Gerechtigkeitsgedanken zuwiderläuft (BGE 109 Ia 22).
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c) Der Entscheid des Regierungsrates hält fest, dass § 60 UG endgültig nicht in Kraft gesetzt werde. Wenn der Regierungsrat als Exekutive ermächtigt ist, über die Inkraftsetzung eines Gesetzes oder einzelner Gesetzesbestimmungen zu befinden, so liegt die Entscheidung darüber nicht in seinem (freien) Belieben. Auf Dauer ![]() | 20 |
Ob § 60 UG dem UVG widerspricht, wie der Regierungsrat im angefochtenen Entscheid behauptet, hat das Bundesgericht - weil es um den Vorrang des Bundesrechts geht - frei und umfassend zu prüfen.
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aa) Nach Art. 116 Abs. 2 UVG sind mit dessen Inkrafttreten kantonale Erlasse über die obligatorische Unfallversicherung der Arbeitnehmer dahingefallen. Die Bestimmung nimmt vor allem Bezug auf die obligatorischen Unfallversicherungen, die in den Kantonen Genf und Tessin schon im damaligen Zeitpunkt bestanden hatten (Bericht der Expertenkommission für die Revision der Unfallversicherung vom 14. September 1973, S. 42 ff.). Ob § 60 UG ein Erlass im Sinne von Art. 116 Abs. 2 UVG sei, kann hier offenbleiben. Fest steht jedenfalls, dass kantonale Erlasse durch Art. 116 Abs. 2 UVG insoweit nicht aufgehoben werden, als das UVG für kantonale Regelungen ausdrücklich Raum lässt. Wenn in Art. 91 Abs. 2 Satz 2 UVG von abweichenden "Abreden" und nicht von Rechtssätzen die Rede ist, so hat dies seinen Grund allein darin, dass das UVG auch auf die Arbeitnehmer der Privatwirtschaft anwendbar ist und daher in erster Linie abweichende Abreden (gesamt-)arbeitsvertraglicher Natur im Auge hat. Daraus darf indessen nicht gefolgert werden, abweichende Regelungen im Sinne von Art. 91 Abs. 2 Satz 2 UVG müssten in jedem Fall in einer individuell-konkreten Norm, d.h. in einem privatrechtlichen Arbeitsvertrag oder einer Anstellungsverfügung enthalten sein. Da finanzielle Ansprüche im Rahmen öffentlichrechtlicher Anstellungsverhältnisse normalerweise durch generell-abstrakte Normen geregelt werden, ergäbe sich aus der regierungsrätlichen Auslegung von Art. 91 Abs. 2 Satz 2 UVG, dass Beamten und öffentlichrechtlich Angestellten das in jener Bestimmung vorausgesetzte Privileg gar nie zugestanden werden könnte. Unter abweichenden "Abreden" im Sinne der erwähnten Bestimmung sind daher auch Rechtssätze zu verstehen, die das Anstellungsverhältnis des Personals der öffentlichen Hand generell regeln. Um eine solche Norm handelt es sich bei § 60 UG.
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d) Der angefochtene Entscheid liesse sich auch nicht mit der vom Regierungsrat weiter angeführten Begründung aufrechterhalten, die Übernahme der Prämien der Nichtbetriebsunfallversicherung der Lehrer durch die Schulgemeinden verstosse gegen § 6 des Lehrerbesoldungsgesetzes (Ortszulagenverbot).
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Wie sich aus der Botschaft zur Volksabstimmung vom 24. Juni 1979 ergibt, bezweckte das im Lehrerbesoldungsgesetz enthaltene Verbot von Ortszulagen der Schulgemeinden, die finanziellen Leistungen an die Lehrer innerhalb des Kantons zu vereinheitlichen und damit der Konkurrenz zwischen den Schulgemeinden bezüglich der Anwerbung von Lehrkräften entgegenzuwirken. Dem Regierungsrat kann insoweit zugestimmt werden, als die neue Regelung Konzessionen einzelner Schulgemeinden bezüglich der Übernahme der Prämien der Nichtbetriebsunfallversicherung ausschliesst. Nun sieht aber gerade § 60 Abs. 2 UG vor, dass sämtliche Schulgemeinden die Prämien der Nichtbetriebsunfallversicherung der Lehrer zu übernehmen haben. Der Einwand des Beschwerdeführers, durch diese Regelung würden in dieser Hinsicht alle Lehrer bzw. Schulgemeinden gleichgestellt, ist berechtigt: Ein Widerspruch zum Ortszulagenverbot (§ 6 des Lehrerbesoldungsgesetzes) ist nicht zu erkennen. Läge ein solcher vor, so wäre es doch eigenartig, wenn weder beim Erlass des UG noch des Lehrerbesoldungsgesetzes auf diesen Umstand hingewiesen worden wäre - besonders ![]() | 25 |
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