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37. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 2. Oktober 1985 i.S. Heinz Wyss u. Mitbeteiligte gegen Grosser Rat des Kantons Bern (staatsrechtliche Beschwerde) | |
Regeste |
Art. 6 Ziff. 4 und Art. 26 Ziff. 12 bern. StV; Art. 85 lit. a OG; Finanzreferendum, öffentliche Bauten. |
Referendumsvorlagen für öffentliche Bauten müssen die Gesamtkosten (inkl. Landerwerb) umfassen (E. 3-7). | |
Sachverhalt | |
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Aus den Erwägungen: | |
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"Art. 6
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Der Volksabstimmung unterliegen:
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...
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4. Diejenigen Beschlüsse des Grossen Rates, welche für den gleichen Gegenstand eine neue, nicht gebundene Gesamtausgabe von mehr als 10 Millionen Franken zur Folge haben; jährlich wiederkehrende Ausgaben, die einer fortgesetzten Aufgabe oder einer ständigen Einrichtung dienen, werden nicht zusammengerechnet."
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"Art. 26
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Dem Grossen Rat, als der höchsten Staatsbehörde, sind folgende Verrichtungen übertragen:
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...
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12. Die endgültige Bestätigung aller Verträge, durch welche der Staat Grundeigentum für einen 200'000 Franken übersteigenden Preis erwirbt oder veräussert."
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Der Regierungsrat hält dafür, Art. 26 Ziff. 12 StV gehe als Ausnahmevorschrift der allgemeinen Bestimmung von Art. 6 Ziff. 4 StV vor und sei daher allein anwendbar; dies habe zur Folge, dass die Kosten des Baues der Schulanlage und diejenigen für den Landerwerb nicht zusammengerechnet werden dürften. Demgegenüber vertreten die Beschwerdeführer den Standpunkt. Art. 26 Ziff. 12 StV gelte nur für den Kauf von Liegenschaften, die vorsorglich auf weitere Sicht erworben würden, nicht jedoch dann, wenn der Erwerb in unmittelbarem Zusammenhang mit einem öffentlichen Bauvorhaben erfolge.
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b) Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtes ist es unzulässig, die in der Verfassung für das obligatorische und das fakultative Referendum gegen Kreditbeschlüsse festgesetzten Grenzen durch Aufteilung zusammengehörender Vorlagen zu umgehen (vgl. nachstehende E. 5a). Geht man hiervon aus, so scheint auf den ersten Blick zwischen Art. 6 Ziff. 4 und Art. 26 Ziff. 12 StV ein nur schwer lösbarer Widerspruch zu bestehen; denn es lässt sich nicht in Abrede stellen, dass der Landerwerb notwendige Voraussetzung eines öffentlichen Bauvorhabens bildet.
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Das Bundesgericht hatte sich bereits im Jahre 1950 mit diesem Problem zu befassen, wobei der Umstand, dass seither die für das Referendum massgebenden Wertgrenzen erhöht wurden und in Art. 26 Ziff. 12 StV das Wort "endgültig" eingefügt worden ist, in diesem Zusammenhang keine wesentliche Bedeutung hat.
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c) Die dem erwähnten Entscheid zugrundeliegende bernische Praxis ist in der Literatur durchwegs auf Kritik gestossen. Schon ERNST BLUMENSTEIN vertrat im Jahre 1943 die Auffassung, die Aufwendungen zum Erwerb von Liegenschaften unterlägen grundsätzlich dem Ausgabenreferendum, sofern damit - direkt oder indirekt - ein Zweck verfolgt werde, der zu den Aufgaben der Verwaltung gehört, ohne Rücksicht auf eine etwaige wirtschaftliche Rendite des Objekts (Das Ausgabenreferendum bei Erwerbung oder Erstellung von Gebäuden durch den Staat, in: MBVR 41/1943, S. 1 ff., insbesondere S. 8). In der Dissertation von HANS ESCHER wird auf ein Urteil des Bundesgerichtes aus dem Jahre 1899 betreffend den Bau der Berner Hochschule verwiesen, in dem - allerdings bei komplizierterem Sachverhalt - die bernische Praxis ebenfalls geschützt worden war (BGE 25 I 459ff.). Der Autor führt aus, einmal müsse das Volk über eine Ausgabe befragt werden. Es gehe nicht an, den Liegenschaftenkauf zuerst dem Referendum zu entziehen mit der Begründung, die Liegenschaft stelle einen realisierbaren Wert dar, und dann nochmals unter Hinweis darauf, sie befinde sich bereits im Eigentum des Staates. Er bemerkt, das Urteil des Bundesgerichts über den Hochschul-Baukredit ![]() ![]() | 16 |
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a) Dem erwähnten Urteil liegt die frühere Rechtsprechung des Bundesgerichtes zugrunde, wonach in Stimmrechtssachen der Auslegung kantonaler Verfassungs- und Gesetzesvorschriften durch die oberste kantonale Behörde besonderes Gewicht zukomme und das Bundesgericht ohne Not von dieser Auslegung nicht abweichen dürfe (sogenannte "Ohne-Not"-Praxis; vgl. BGE 81 I 196 E. 3 mit Hinweisen; BGE 83 I 176 E. 2; BGE 89 I 44 E. 3c, 454 E. 3). Ab 1963 begann indessen das Bundesgericht von dieser Formel abzugehen und in Stimmrechtsfragen eine erweiterte Prüfungsbefugnis für sich in Anspruch zu nehmen. Bereits in BGE 89 I 375 E. 2 wurde - unter grundsätzlicher Aufrechterhaltung der "Ohne-Not"-Regel - betont, diese bedeute nicht, dass das Bundesgericht die entsprechenden Normen des kantonalen Rechts nur unter dem Gesichtswinkel der Willkür prüfe. BGE 91 I 319 E. 3 enthält eine die Kognition etwas ausdehnende Präzisierung; in BGE 92 I 355 E. 3 wird bereits von freier Prüfung des das Stimmrecht betreffenden kantonalen Verfassungsrechtes gesprochen. In BGE 94 I 531 E. 7 verwendet das Bundesgericht eine für die damalige Übergangsphase kennzeichnende Formulierung, die Elemente beider Auffassungen enthält. In BGE 96 I 61 E. 3 erklärt das Bundesgericht soweit ersichtlich erstmals klar, nicht nur die Auslegung des kantonalen Verfassungsrechts sei frei zu prüfen, sondern auch diejenige anderer kantonaler Vorschriften, welche das vom Bundesrecht gewährleistete Stimmrecht näher normierten oder damit eng zusammenhingen. In BGE 97 I 32 /33 E. 4a wurde beigefügt, nur bei Zweifeln über zwei mögliche Auslegungen weiche das Bundesgericht nicht von derjenigen der obersten kantonalen Instanz ab. Bei dieser ![]() | 18 |
Es ist offensichtlich, dass diese Entwicklung der Rechtsprechung in den letzten 25 Jahren von erheblicher materieller Tragweite ist. Zu Recht führt WALTER KÄLIN aus, die "Zweifelsfall"-Praxis beschränke die Prüfungsdichte des Bundesgerichtes weit weniger als die frühere "Ohne-Not"-Formel, welche sich im Ergebnis der Willkürprüfung stark angenähert habe (Das Verfahren der staatsrechtlichen Beschwerde, Bern 1984, S. 206). Ein Entscheid wie derjenige betreffend die Bergbauernschule Hondrich (MBVR 48/1950 S. 315 ff.) könnte heute somit jedenfalls mit der damals gegebenen Begründung nicht mehr ergehen.
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b) Hinzu kommt, dass sich der Blick für die Bedeutung der unmittelbar auszuübenden Volksrechte in den letzten Jahrzehnten geschärft hat und das Bundesgericht strenger als früher darüber wacht, dass sie nicht durch gewagte Interpretationen von Verfassung und Gesetz ausgehöhlt werden. Es hat in verschiedenen Urteilen betont, die unbehinderte Ausübung des Stimm- und Wahlrechtes auf der Ebene des Bundes, des Kantons und der Gemeinde bilde eine unabdingbare Grundlage des demokratischen Staatswesens; es sei deshalb darauf zu achten, dass auf diesem Gebiet die Rechte der Bürger genau gewahrt würden, und es sei im Zweifelsfall eher zugunsten der weitherzigeren Lösung zu entscheiden (BGE 108 Ia 3 /4 E. 3a; BGE 104 Ia 421 mit Hinweisen).
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c) Kann somit das Urteil aus dem Jahre 1950 betreffend die Bergbauernschule Hondrich heute nicht mehr wegleitend sein, so verliert auch die kantonale Praxis der letzten 35 Jahre viel von dem ihr nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung (BGE 105 Ia 388 E. 2; BGE 100 Ia 373) an sich durchaus zukommenden Gewicht. Auf Grund der Erwähnung des genannten Urteils in der Vernehmlassung des Regierungsrates darf davon ausgegangen werden, dass dieses die seitherige kantonale Praxis stark beeinflusst hat. Kann aber die Rechtsauffassung, welche diesem Entscheid zugrunde lag, heute nicht mehr übernommen werden, sondern ist eine neue Prüfung der Auslegung der massgebenden kantonalen Verfassungsbestimmungen im Lichte der erweiterten Kognition des Bundesgerichtes ![]() | 21 |
5. a) Betrachtet man die Referendumsklausel von Art. 6 Ziff. 4 StV für sich allein, so ergibt sich aus dem bundesrechtlich geltenden Grundsatz der Einheit der Materie, dass eine Kreditvorlage mit den Gesamtkosten dem obligatorischen Referendum unterstellt werden muss. Die Kosten dürfen nicht aufgespaltet werden, um eine Volksabstimmung zu vermeiden (vgl. die in E. 3c angeführte Literatur sowie BGE 105 Ia 88 /89 E. 7c; BGE 104 Ia 427 E. 5a, mit Hinweisen). Die innere Rechtfertigung dieses Grundsatzes liegt darin, dass die Stimmberechtigten in der Lage sein müssen, die Tragweite eines Projektes in seiner Gesamtheit zu überblicken. Nur so können sie sich ein Urteil darüber bilden, ob sie das Bauvorhaben als wünschbar erachten, insbesondere auch unter Mitberücksichtigung der allgemeinen Lage der Staatsfinanzen und der möglichen Auswirkungen auf die sie künftig treffende Steuerbelastung. Dass ein Bauvorhaben ohne Bauland nicht verwirklicht werden kann, bedarf keiner Begründung. Die Angabe der blossen Baukosten kann somit bei den Stimmberechtigten zu einer durchaus falschen Vorstellung führen. Es ergibt sich daher aus dem bundesrechtlichen Begriff des politischen Stimmrechts, dass Referendumsvorlagen für öffentliche Bauten die Gesamtkosten (einschliesslich des Landerwerbes) zu umfassen haben. Ob das Baugrundstück sich bereits im Besitze der öffentlichen Hand befindet oder gerade für den vorgesehenen Zweck erworben wird, ist in diesem Zusammenhang ohne wesentliche Bedeutung. Im einen Fall ist einfach der Kaufpreis in die Rechnung einzusetzen, im anderen derjenige Wert, zu dem das Baugrundstück von den realisierbaren zu den nicht realisierbaren Aktiven des Staates übertragen wird (vgl. dazu BLUMENSTEIN (a.a.O. S. 5), ESCHER (a.a.O. S. 45 ff.), RÖTHELI (a.a.O. S. 71), LAUR (a.a.O. S. 63 ff.), JÉQUIER (a.a.O. S. 213 ff.), HALLER (a.a.O. S. 484 f.), SCHÄR (a.a.O. S. 100 ff.) und PAUL-DIETER KLINGENBERG, Das Finanzreferendum im Kanton Schaffhausen, Diss. Zürich 1957, S. 124 sowie HANS CHRISTIAN OESTER, Das Finanzreferendum im Kanton St. Gallen, Diss. St. Gallen 1962, S. 38/39). Die einhellige Lehre stützt sich ![]() | 22 |
b) Für den Kanton Bern fällt nun allerdings in Betracht, dass Art. 26 Ziff. 12 StV die endgültige Genehmigung von Grunderwerbsverträgen im Betrage von mehr als Fr. 200'000.-- dem Grossen Rat vorbehält, diesbezüglich also sowohl das obligatorische als auch das fakultative Referendum ausschliesst. Sollte sich ergeben, dass zwischen dieser Bestimmung und Art. 6 Ziff. 4 StV in der vorstehend dargelegten bundesrechtskonformen Auslegung ein echter Widerspruch besteht, so wäre es für das Bundesgericht äusserst schwierig, einen Entscheid zu treffen; um so mehr, als sich dieses nach einer auf beinahe 100 Jahre zurückgehenden Rechtsprechung aus Gründen der Gewaltentrennung nicht für befugt erachtet, von der Bundesversammlung gewährleistete Bestimmungen der kantonalen Verfassungen zu überprüfen (BGE 104 Ia 219 ff. mit zahlreichen Hinweisen; vgl. ferner WALTER KÄLIN, a.a.O. S. 62 ff.). Allein dieser Fall liegt nicht vor. Vielmehr lässt sich aus Art. 26 Ziff. 12 StV durch Auslegung ein Sinn gewinnen, der mit Art. 6 Ziff. 4 StV durchaus vereinbar ist.
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6. a) Nach seinem Wortlaut bezieht sich Art. 26 Ziff. 12 StV ausschliesslich auf den Erwerb und die Veräusserung von Grundeigentum. Die Inanspruchnahme von Grundstücken für öffentliche Bauten wird nicht erwähnt. Vom Wortlaut her ist es daher keineswegs ausgeschlossen, die Übertragung von Grundeigentum ![]() | 24 |
b) Der Regierungsrat des Kantons Bern legt in seiner Vernehmlassung grosses Gewicht auf die Entstehungsgeschichte von Art. 26 Ziff. 12 StV. Er weist darauf hin, anlässlich der Vorbereitung der Verfassungsrevision vom 27. September 1970, welche die Referendumsbestimmungen betraf, sei die Finanzdirektion zum Schlusse gekommen, es bestehe tatsächlich ein Spannungsverhältnis zwischen der allgemeinen Vorschrift von Art. 6 Ziff. 4 und der speziellen von Art. 26 Ziff. 12 StV; sie habe deshalb beantragt, die zweite dieser Bestimmungen aufzuheben. Über den Verlauf der Beratungen der zuständigen grossrätlichen Kommission wird auf das Protokoll verwiesen. Aus diesem ergibt sich, dass Grossrat Haltiner erklärte, es solle an der bisherigen Praxis festgehalten und "Liegenschaftskaüfe in der endgültigen Zuständigkeit des Grossen Rates belassen" werden. Dem Grossen Rat solle kein ihm bisher zustehendes Recht entzogen werden. Haltiner wurde von mehreren Kommissionsmitgliedern unterstützt, während der Sekretär der Finanzdirektion rechtliche Bedenken vorbrachte. Schliesslich beantragte der damalige Regierungspräsident und Finanzdirektor Moser, der Wille des Grossen Rates, kein bisheriges Recht preiszugeben, sei zu respektieren und in Art. 26 Ziff. 12 StV "endgültig" einzufügen, so dass diese Bestimmung wie folgt laute:
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"(Dem Grossen Rat, als der höchsten Staatsbehörde, sind folgende Verrichtungen übertragen):
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...
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In der Folge wurde dieser Formulierung mit allen Stimmen bei einer Enthaltung zugestimmt. Die spätere Erhöhung der Wertgrenze auf Fr. 200'000.-- ändert am Sachverhalt in grundsätzlicher Hinsicht nichts.
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Am 10. und 11. November 1969 gelangte die Vorlage betreffend Verfassungsänderung auf dem Gebiet des Finanzreferendums im Plenum des Grossen Rates zur Beratung. Zu Art. 26 Ziff. 12 äusserte sich der Kommissionspräsident, Grossrat Dr. Meyer, wie folgt:
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"Die Ergänzung von Ziffer 12 ist hauptsächlich damit zu begründen, dass wir nach der Annahme der eidgenössischen Verfassungsbestimmungen über die Landesplanung Verpflichtungen haben. Eine wirkungsvolle Planungstätigkeit im kantonalen Raum wird nur möglich sein, wenn wir, Regierung und Parlament, ein entsprechendes Instrument in der Hand haben. Dazu gehört in erster Linie die Straffung der Kompetenzordnung für den Erwerb von Grundstücken. Eine wirkungsvolle Kontrolle wird sich aus der politischen Kraft und Wirksamkeit des Grossen Rates und schliesslich aus Artikel 43 des Gesetzes über den Finanzhaushalt ergeben, der stipuliert, dass der Staat Grundstücke nur erwerben soll, wenn sie einem öffentlichen Zweck dienen oder ein öffentliches Interesse zu wahren ist."
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Von einer gewissen Bedeutung ist sodann eine Stelle des Votums des Finanzdirektors, Regierungsrat Moser, der - allerdings nicht in unmittelbarem Zusammenhang mit Art. 26 Ziff. 12 StV - zum finanzrechtlichen Begriff der staatsrechtlichen Ausgabe ausführte:
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"Ausgabe ist jede Aufwendung des Staates aus eigenen Mitteln ohne entsprechende Mehrung des Vermögens. Eine entsprechende Mehrung fehlt insbesondere dann, wenn kein Gegenwert entsteht, der jederzeit frei realisierbar ist. Das also ist die Definition des Begriffes 'Ausgabe'."
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In der Detailberatung wurde lediglich noch darüber diskutiert, ob die Zuständigkeit des Regierungsrates für den Erwerb von Grundstücken statt auf Fr. 100'000.-- gleich auf Fr. 200'000.-- erhöht werden solle: im übrigen finden sich keine Voten zur Neufassung von Art. 26 Ziff. 12 StV.
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Die Protokolle der vorberatenden Kommission und des Grossen Rates beweisen also nichts anderes, als dass das Parlament seine Zuständigkeit für Grundstückkäufe nicht aus der Hand geben, entsprechende Verträge demnach weder dem obligatorischen noch dem fakultativen Referendum unterstellen wollte. Diese Frage liegt aber gar nicht im Streit: Der Beschluss des Grossen Rates vom 7. Februar 1985 über den Erwerb einer Parzelle von 146,17 Aren für den Bau der Französischsprachigen Schule zum Preise von Fr. 4'475'100.-- (unter Ausschluss des fakultativen Referendums) ![]() | 35 |
c) Prüft man schliesslich, welcher Zweck der Sonderbestimmung von Art. 26 Ziff. 12 StV zukomme, so ergibt sich vor allem aus dem erwähnten Votum des Kommissionspräsidenten im Grossen Rat, dass es die Behörden des Kantons Bern wie diejenigen anderer Kantone (vgl. statt vieler: ALFRED RÖTHELI, a.a.O. S. 71/72) als wünschbar erachteten, den Grundstückerwerb durch den Staat nicht allzu schwerfällig zu gestalten. Würde er wie andere Staatsausgaben dem obligatorischen oder dem fakultativen Referendum unterstellt, so bestünde die Gefahr, dass planerisch oder im Hinblick auf einen bestimmten künftigen Verwendungszweck wünschbare Grundstückkäufe nicht zustande kämen, sei es aus rein zeitlichen Gründen, sei es, weil die Verkäuferschaft die mit einer volksabstimmung notwendigerweise verbundene Publizität scheut. Diese Zielsetzung vermag voll zu überzeugen und die fragliche Verfassungsbestimmung, in diesem Sinn verstanden, zu rechtfertigen. Dafür, dass daneben auch eine Einschränkung der Volksrechte auf dem Gebiet der öffentlichen Bauten beabsichtigt gewesen wäre, fehlt, wie dargelegt, in den Materialien jeder Anhaltspunkt. Eine derartige Absicht widerspräche dem aus dem Bundesrecht abzuleitenden Grundsatz der Einheit der Materie (vgl. vorstehend E. 5a). Auch praktisch würde diese Auslegung zu ![]() | 36 |
d) Art. 26 Ziff. 12 StV kann somit nach allen anerkannten Auslegungsmethoden ein Sinn beigemessen werden, der keinen Widerspruch zu Art. 6 StV ergibt. Damit kann nur dieser Sinn der massgebende sein. Das Vorgehen des Grossen Rates im hier streitigen Fall war demnach unrichtig. Dies muss zur Gutheissung der Beschwerde führen.
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7. Findet das Bundesgericht, ein kantonales Parlament habe einen Kreditbeschluss zu Unrecht nicht dem obligatorischen oder dem fakultativen Referendum unterstellt, so bleibt in der Regel der Parlamentsentscheid an sich bestehen, und es wird einzig die Klausel betreffend Nichtunterstellung aufgehoben (vgl. das nicht publizierte Dispositiv zum Urteil BGE 108 Ia 234 ff.). Hier führt dieses Vorgehen jedoch nicht zum Ziel; denn es muss noch festgelegt werden, über welchen genauen Kreditbetrag die Volksabstimmung zu erfolgen hat. Diese Festlegung kann mit Rücksicht auf die rein kassatorische Wirkung des bundesgerichtlichen Urteils und auch deshalb, weil für die Bemessung des Landwertes verschiedene Methoden denkbar sind (Kaufpreis oder Zeitwert), nicht durch das Bundesgericht erfolgen. Demnach bleibt einzig die Lösung, den angefochtenen Beschluss des Grossen Rates des Kantons Bern vom 14. November 1984 als Ganzes aufzuheben.
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