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Bearbeitung, zuletzt am 15.03.2020, durch: DFR-Server (automatisch) | |||
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1. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 20. Januar 1986 i.S. Y gegen Bezirksanwaltschaft X und Direktion der Justiz des Kantons Zürich (staatsrechtliche Beschwerde) | |
Regeste |
Art. 4 BV, rechtliches Gehör. | |
Sachverhalt | |
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Aus den Erwägungen: | |
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a) Soweit sich der Beschwerdeführer auf die Ungültigkeit des telegraphisch eingereichten Rekurses beruft, ist ihm nicht beizupflichten. Wer bei der Einreichung eines Rechtsmittels einen formellen Fehler begeht, kann sich nach Treu und Glauben nicht darüber beklagen, dass die Rechtsmittelinstanz über den Fehler hinwegsieht und das Rechtsmittel gleichwohl behandelt.
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b) Wie es sich mit der Zustellung des Entscheides vom 24. Juni 1985 verhält, kann dahingestellt bleiben. Eine allfällige Nichtzustellung könnte jedenfalls nicht zur Aufhebung des Entscheides als solchen führen; übrigens scheint der Anwalt des Beschwerdeführers dessen Inhalt zu kennen. Entscheidend ist die Frage, ob die Justizdirektion den am 22. Juni 1985 telegraphisch angemeldeten Rekurs sofort materiell behandeln und ihren Entscheid dem fristgerecht eingereichten schriftlichen Rekurs vom 8. Juni 1985 entgegenhalten durfte.
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c) Der Umfang des rechtlichen Gehörs bestimmt sich in erster Linie nach den kantonalen Verfahrensvorschriften. Wo sich jedoch der kantonale Rechtsschutz als ungenügend erweist, greifen die unmittelbar aus Art. 4 BV folgenden Verfahrensregeln zur Sicherung des rechtlichen Gehörs Platz. Im vorliegenden Fall behauptet der Beschwerdeführer nicht, das Vorgehen der Justizdirektion verletze irgendwelche kantonalen Verfahrensvorschriften. Es ist daher einzig - und zwar mit freier Kognition - zu prüfen, ![]() | 5 |
Das rechtliche Gehör dient einerseits der Sachaufklärung, andererseits stellt es ein persönlichkeitsbezogenes Mitwirkungsrecht beim Erlass eines Entscheides dar, der in die Rechtsstellung des Einzelnen eingreift (BGE 111 Ia 104 E. 2b mit Hinweis; vgl. auch THOMAS COTTIER, Der Anspruch auf rechtliches Gehör, Art. 4 BV, in recht 1984, S. 1 ff.).
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Dieses Normprogramm verwirklicht sich nur, wenn die Behörde die Vorbringen des Betroffenen auch tatsächlich hört, sorgfältig und ernsthaft prüft und in der Entscheidfindung berücksichtigt. Der Anspruch bezieht sich auf alle form- und fristgerechten Äusserungen, Eingaben und Anträge des Betroffenen, die zur Klärung der konkreten Streitfrage geeignet und erheblich sind (JÖRG PAUL MÜLLER/STEFAN MÜLLER, Grundrechte, Besonderer Teil, Bern 1985, S. 239 ff.; vgl. auch THOMAS COTTIER, a.a.O. S. 10; ARTHUR HAEFLIGER, Alle Schweizer sind vor dem Gesetze gleich, Bern 1985, S. 129). In diesem Sinn verlangt auch das Bundesgesetz über das Verwaltungsverfahren vom 20. Dezember 1968 in Art. 32 Abs. 1, dass die Behörde alle erheblichen und rechtzeitigen Vorbringen der Parteien würdigt, bevor sie verfügt (vgl. dazu BGE 99 V 188; PETER SALADIN, Das Verwaltungsverfahrensrecht des Bundes, Basel/Stuttgart 1978, S. 141).
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Aufgrund dieses allgemeinen verfassungsrechtlichen Anspruches lässt sich allerdings keine generelle Regel darüber aufstellen, ob über ein Rechtsmittel vor Ablauf der Rechtsmittelfrist entschieden werden darf oder nicht. Diese Frage ist vielmehr im Blick auf den genannten Zweck des rechtlichen Gehörs und seinen allgemeinen Gehalt unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und der Interessen der Beteiligten zu beantworten. Es sind durchaus Fälle denkbar, in denen ein rasches Vorgehen berechtigt ist und sogar im Interesse des Rechtsmittelklägers liegt. Immer aber ist sorgfältig zu prüfen, ob eine als abschliessend verstandene Rechtsmitteleingabe vorliegt oder ob mit einer Ergänzung zu rechnen ist. Trifft das zweite zu, so läuft eine vorweggenommene Erledigung auf eine unzulässige Verkürzung der gesetzlich zwingend geregelten Rechtsmittelfrist hinaus und verletzt damit das rechtliche Gehör. Dies jedenfalls dann, wenn die Rechtsmittelinstanz nicht bereit ist, ihren Entscheid ohne weiteres in Wiedererwägung zu ziehen, falls der Einleger des Rechtsmittels noch frist- und formgerecht eine Ergänzung nachliefert.
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