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Bearbeitung, zuletzt am 15.03.2020, durch: DFR-Server (automatisch) | |||
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5. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 8. April 1986 i.S. X. gegen Generalprokurator des Kantons Bern und Obergericht des Kantons Bern (staatsrechtliche Beschwerde) | |
Regeste |
1. Telefonüberwachung. |
2. Einsatz von V-Leuten. |
a) Der Einsatz von V-Leuten ist grundsätzlich auch ohne ausdrückliche gesetzliche Grundlage zulässig, sofern die Eigenart der Delikte die verdeckte Fahndung zu rechtfertigen vermag und der V-Mann vorwiegend passiv die deliktische Tätigkeit untersucht, ohne durch eigene Einflussnahme die Tatbereitschaft zu wecken und zu strafbarem Verhalten zu verleiten (E. 3). In casu geht es um die Abklärung des Verdachts von Rauschgiftdelikten (vgl. E. 4). |
b) Es verstösst weder gegen strafprozessuale Prinzipien noch gegen verfassungsmässige Rechte, wenn der V-Mann aus Geheimhaltungsgründen nicht als Zeuge vor Gericht vorgeladen und persönlich einvernommen wird (E. 5). | |
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2. Am 15. März 1984 wurde den Strafverfolgungsbehörden des Kantons Bern aus Deutschland mitgeteilt, dass nach den Angaben des in Freiburg BRD inhaftierten Schweizers Y. der in A. ansässige X. ein grösseres Kokaingeschäft - es war von 5 kg die Rede - plane und dafür Y. um Vermittlung von Fr. 200'000.-- ersucht ![]() | 1 |
a) Gegen die Anordnung der Telefonüberwachung werden in der staatsrechtlichen Beschwerde zwei Einwendungen erhoben. Einerseits wird geltend gemacht, es sei im Stadium der "allgemeinen erkundenden polizeilichen Fahndung" eine für dieses Stadium gesetzlich nicht vorgesehene Abhörmassnahme angeordnet worden. Bloss pro forma habe man eine Voruntersuchung eingeleitet. Anderseits rügt der Beschwerdeführer, das bernische Strafverfahrensrecht kenne keine präventive Telefonüberwachung; im konkreten Fall habe es sich aber nicht um die Abklärung eines begangenen Deliktes gehandelt, sondern um die Feststellung bevorstehender Verfehlungen.
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b) Gemäss Art. 171b des bernischen Gesetzes über das Strafverfahren (StrV) kann der Untersuchungsrichter den Post-, Telefon- und Telegrafenverkehr eines Angeschuldigten überwachen lassen, "wenn ein Verbrechen oder Vergehen, dessen Schwere oder Eigenart den Eingriff rechtfertigt, oder wenn eine mit Hilfe des Telefons begangene Straftat verfolgt wird". Dass die Anordnung der Telefonüberwachung im vorliegenden Fall durch die zuständige Instanz und unter Einhaltung der Verfahrensvorschriften von Art. 171c StrV erfolgte, ist unbestritten. Dass das kantonale Recht die Telefonüberwachung für die Anfangsphase der Ermittlungen ausschliesse, lässt sich dem Strafverfahrensgesetz nicht entnehmen und wird vom Beschwerdeführer nicht dargetan. Oft ist je nach den Umständen die Telefonüberwachung gerade zu Beginn der Untersuchung angezeigt. Unter diesem Aspekt fehlt jeder Anhaltspunkt dafür, dass die beanstandete Anordnung gegen die Verfassung verstossen könnte bzw. in willkürlicher Auslegung des kantonalen Rechts erfolgte.
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c) Ob mit dem Wortlaut von Art. 171b StrV die Telefonüberwachung sowie die andern dort geregelten Massnahmen strikte auf die Abklärung begangener Delikte beschränkt sein sollen, unter Ausschluss einer präventiven Überwachung beim dringenden Verdacht ![]() | 4 |
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b) In der vorliegenden staatsrechtlichen Beschwerde wird die rechtsstaatliche Zulässigkeit verdeckter Fahndung nicht prinzipiell und allgemein bestritten, jedoch die Auffassung vertreten, der V-Mann-Einsatz stelle einen schweren Eingriff in die Privatsphäre und die persönliche Freiheit des Betroffenen dar und ein solcher Eingriff sei im Rechtsstaat nur gestützt auf eine genügend bestimmte gesetzliche Grundlage möglich (vgl. dazu JÜRGEN MEYER in ZStW 95/1983 S. 857, Forderung gesetzlicher Regelung).
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Die verdeckte Fahndung greift nicht in ein durch die Verfassung (oder die EMRK) geschütztes Grundrecht ein. Der Betroffene ist in seinen Entschlüssen und seinem Verhalten gegenüber dem V-Mann frei; er wird jedoch über die Identität des Verhandlungspartners und über dessen Verbindung zur Polizei getäuscht. Der Straftäter ist verfassungsrechtlich nicht davor geschützt, bei seinem rechtswidrigen Verhalten von einem für ihn nicht erkennbaren Polizeifunktionär beobachtet zu werden. Auch aus der EMRK (Art. 8) lässt sich kein Schutz des Delinquenten vor verdeckter Fahndung ableiten.
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c) Besteht somit de constitutione lata das Erfordernis einer gesetzlichen Grundlage für den V-Mann-Einsatz nicht, so erübrigt sich eine Untersuchung darüber, ob Art. 23 Abs. 2 BetmG bei Fehlen einer entsprechenden Bestimmung im kantonalen Verfahrensrecht als genügende gesetzliche Basis betrachtet werden könnte. Nach dem Wortlaut der Vorschrift handelt es sich nicht um eine strafprozessuale Ermächtigungsnorm, sondern um eine materiell-rechtliche Bestimmung über die hier nicht zu erörternde Frage, unter welchen Voraussetzungen objektiv vom V-Mann erfüllte Straftatbestände straflos bleiben.
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a) Die Abklärung des Verdachts von Rauschgiftdelikten ist wegen der Art dieser Verfehlungen oft nur durch einen V-Mann möglich. Gerade in diesem Bereich erweist sich diese Methode als notwendig und wirksam (vgl. dazu WALDER in Kriminalistik 1970 S. 41 ff.). Dass nach der Meldung eines konkreten Verdachtes, der Beschwerdeführer möchte ein grösseres Kokaingeschäft durchführen, ein Polizeifunktionär als Scheinkäufer eingesetzt wurde, war nicht unverhältnismässig. Es wurde damit weder kantonales Verfahrensrecht willkürlich ausgelegt, noch gegen ein Grundrecht oder gegen ein durch die EMRK geschütztes Menschenrecht verstossen.
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b) Aufgrund der Angaben der verschiedenen Beteiligten und in vertretbarer, nicht willkürlicher Beweiswürdigung stellte die Vorinstanz fest, dass X. zuerst gegenüber Y. von einem Kokaingeschäft ![]() | 13 |
5. Mit längern Ausführungen wird in der Beschwerdeschrift geltend gemacht, auf die Angaben des V-Mannes "Toni" dürfe auch deswegen weder direkt noch indirekt abgestellt werden, weil er nicht als Zeuge vorgeladen und einvernommen worden sei (vgl. zur Diskussion in der BRD: JÜRGEN MEYER a.a.O. S. 855 f.). Wird anerkannt, dass im öffentlichen Interesse an einer möglichst wirksamen Bekämpfung des Drogenhandels der Einsatz von V-Leuten gerechtfertigt ist, so folgt daraus, dass die Identität und die Ermittlungsmethoden solcher Fahndungshelfer im Strafverfahren nicht leichthin bekannt zu geben sind; denn dadurch würde ihr weiterer Einsatz praktisch weitgehend vereitelt. Die Geheimhaltung der V-Leute verstösst an sich weder gegen strafprozessuale Prinzipien noch gegen verfassungsmässige Rechte. Es ist Sache der richterlichen Beweiswürdigung, festzustellen, welches Gewicht den schriftlichen Angaben eines nicht vor Gericht erscheinenden V-Mannes im konkreten Fall zukommen kann, soweit rechtlich relevante Tatsachen umstritten sind. Die dem Beschwerdeführer als strafbares Anstaltentreffen zur Last gelegten Handlungen sind durch das Ergebnis der Telefonabhörung, durch seine eigenen Angaben sowie Aussagen der übrigen Beteiligten belegt. Dass die Vorinstanz dem V-Mann eine etwas weniger aktive Rolle zuschreibt als der Beschwerdeführer in seinen Sachverhaltsschilderungen, beruht nicht auf Willkür, sondern auf einer haltbaren Würdigung der Beweise.
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