BGE 112 Ia 18 | |||
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5. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 8. April 1986 i.S. X. gegen Generalprokurator des Kantons Bern und Obergericht des Kantons Bern (staatsrechtliche Beschwerde) | |
Regeste |
1. Telefonüberwachung. |
2. Einsatz von V-Leuten. |
a) Der Einsatz von V-Leuten ist grundsätzlich auch ohne ausdrückliche gesetzliche Grundlage zulässig, sofern die Eigenart der Delikte die verdeckte Fahndung zu rechtfertigen vermag und der V-Mann vorwiegend passiv die deliktische Tätigkeit untersucht, ohne durch eigene Einflussnahme die Tatbereitschaft zu wecken und zu strafbarem Verhalten zu verleiten (E. 3). In casu geht es um die Abklärung des Verdachts von Rauschgiftdelikten (vgl. E. 4). |
b) Es verstösst weder gegen strafprozessuale Prinzipien noch gegen verfassungsmässige Rechte, wenn der V-Mann aus Geheimhaltungsgründen nicht als Zeuge vor Gericht vorgeladen und persönlich einvernommen wird (E. 5). | |
Aus den Erwägungen: | |
2. Am 15. März 1984 wurde den Strafverfolgungsbehörden des Kantons Bern aus Deutschland mitgeteilt, dass nach den Angaben des in Freiburg BRD inhaftierten Schweizers Y. der in A. ansässige X. ein grösseres Kokaingeschäft - es war von 5 kg die Rede - plane und dafür Y. um Vermittlung von Fr. 200'000.-- ersucht habe. Der Untersuchungsrichter von A. eröffnete darauf die Strafverfolgung gegen X. und ordnete eine Telefonkontrolle an. Gleichzeitig wurde beschlossen, einen Polizeifunktionär unter dem Decknamen "Toni" als Scheinkäufer einzusetzen. "Toni" nahm durch Vermittlung von Y. mit X. Verbindung auf. Gestützt auf den Bericht des V-Mannes "Toni" über den Verlauf der Verhandlungen und auf die Protokolle der Telefonabhörung gab X. im Strafverfahren nach anfänglichem Bestreiten seine Bemühungen um Abwicklung eines Kokaingeschäftes zu.
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a) Gegen die Anordnung der Telefonüberwachung werden in der staatsrechtlichen Beschwerde zwei Einwendungen erhoben. Einerseits wird geltend gemacht, es sei im Stadium der "allgemeinen erkundenden polizeilichen Fahndung" eine für dieses Stadium gesetzlich nicht vorgesehene Abhörmassnahme angeordnet worden. Bloss pro forma habe man eine Voruntersuchung eingeleitet. Anderseits rügt der Beschwerdeführer, das bernische Strafverfahrensrecht kenne keine präventive Telefonüberwachung; im konkreten Fall habe es sich aber nicht um die Abklärung eines begangenen Deliktes gehandelt, sondern um die Feststellung bevorstehender Verfehlungen.
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b) Gemäss Art. 171b des bernischen Gesetzes über das Strafverfahren (StrV) kann der Untersuchungsrichter den Post-, Telefon- und Telegrafenverkehr eines Angeschuldigten überwachen lassen, "wenn ein Verbrechen oder Vergehen, dessen Schwere oder Eigenart den Eingriff rechtfertigt, oder wenn eine mit Hilfe des Telefons begangene Straftat verfolgt wird". Dass die Anordnung der Telefonüberwachung im vorliegenden Fall durch die zuständige Instanz und unter Einhaltung der Verfahrensvorschriften von Art. 171c StrV erfolgte, ist unbestritten. Dass das kantonale Recht die Telefonüberwachung für die Anfangsphase der Ermittlungen ausschliesse, lässt sich dem Strafverfahrensgesetz nicht entnehmen und wird vom Beschwerdeführer nicht dargetan. Oft ist je nach den Umständen die Telefonüberwachung gerade zu Beginn der Untersuchung angezeigt. Unter diesem Aspekt fehlt jeder Anhaltspunkt dafür, dass die beanstandete Anordnung gegen die Verfassung verstossen könnte bzw. in willkürlicher Auslegung des kantonalen Rechts erfolgte.
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c) Ob mit dem Wortlaut von Art. 171b StrV die Telefonüberwachung sowie die andern dort geregelten Massnahmen strikte auf die Abklärung begangener Delikte beschränkt sein sollen, unter Ausschluss einer präventiven Überwachung beim dringenden Verdacht bevorstehender Straftaten, ist hier nicht zu untersuchen. Gemäss Art. 19 Ziff. 1 Abs. 6 BetmG begeht bereits eine Widerhandlung, wer Anstalten trifft, um sich irgendwie an Handel, Transport oder Lagerung von Betäubungsmitteln zu beteiligen. Durch das Verhalten des X., welches aus Deutschland gemeldet wurde, d.h. durch das Suchen von finanziellen Mitteln für ein Kokaingeschäft, hatte X. im erwähnten Sinne Anstalten getroffen, es war also gegebenenfalls bereits ein Straftatbestand erfüllt, und es ging bei der angeordneten Telefonüberwachung nicht nur um das Aufdecken geplanter Delikte, sondern auch um die Untersuchung bereits begangenen strafbaren Verhaltens. Im übrigen wäre es nicht unhaltbar, wenn Art. 171b StrV in sinngemässer Auslegung auch als gesetzliche Grundlage für präventive Massnahmen verstanden würde, sofern Schwere oder Eigenart des befürchteten Deliktes den Eingriff rechtfertigen. Die hier aufgrund dringenden Tatverdachts angeordnete Telefonüberwachung war sicher nicht rechtsmissbräuchlich.
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b) In der vorliegenden staatsrechtlichen Beschwerde wird die rechtsstaatliche Zulässigkeit verdeckter Fahndung nicht prinzipiell und allgemein bestritten, jedoch die Auffassung vertreten, der V-Mann-Einsatz stelle einen schweren Eingriff in die Privatsphäre und die persönliche Freiheit des Betroffenen dar und ein solcher Eingriff sei im Rechtsstaat nur gestützt auf eine genügend bestimmte gesetzliche Grundlage möglich (vgl. dazu JÜRGEN MEYER in ZStW 95/1983 S. 857, Forderung gesetzlicher Regelung).
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Ein solches Erfordernis einer gesetzlichen Basis für den V-Mann-Einsatz ist bisher in der schweizerischen Rechtsprechung und Doktrin weder diskutiert noch als rechtsstaatliche Schranke ausdrücklich anerkannt worden. Es ginge dabei um eine Weiterführung und Ausdehnung der gesetzgeberischen Motive, welche dem Erfordernis einer gesetzlichen Regelung für die Telefonabhörung und ähnliche Untersuchungsmassnahmen zugrunde liegen. Während die strafprozessualen Zwangsmassnahmen (wie Haft, Hausdurchsuchung usw.) klarerweise gegen den Willen der Betroffenen in eine geschützte Rechtssphäre eingreifen und die Überwachung des Telephon-, Post- und Telegrafenverkehrs - ohne Wissen der Betroffenen - im Interesse der Strafverfolgung gesetzlich geschützte Geheimbereiche verletzt, liegt die Problematik des V-Mann-Einsatzes auf einer etwas andern Ebene: Der Betroffene wird weder in seiner persönlichen Freiheit beschränkt, noch muss er irgendwelche andern Zwangsmassnahmen dulden, sondern er tritt mit einem ihm unbekannten Partner in Kontakt, mit welchem er aber nicht verhandeln würde, wenn er wüsste, dass dieser im Dienste der Fahndung steht. Soweit der V-Mann durch seine Kontakte lediglich ein strafbares Verhalten feststellt, das sich auch ohne sein Auftreten in gleicher oder ähnlicher Weise abgespielt hätte, dürfte der V-Mann-Einsatz unbedenklich sein. Unzulässig wäre es, wenn der V-Mann gewissermassen als Initiant eine deliktische Tätigkeit auslösen würde, zu der es sonst gar nicht gekommen wäre; denn die Strafverfolgungsorgane sollen nicht Kriminalität provozieren, um Täter verfolgen zu können, deren möglicherweise latent vorhandene Tatbereitschaft sonst nicht manifest geworden wäre. Fördert der V-Mann die Delinquenz des Betroffenen, ohne dass er direkt als Initiant oder gar Anstifter bezeichnet werden könnte, aber doch so, dass man annehmen muss, Umfang und Schwere der Taten wären ohne V-Mann-"Beteiligung" geringer, so ist dies bei der Strafzumessung zu berücksichtigen.
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Die verdeckte Fahndung greift nicht in ein durch die Verfassung (oder die EMRK) geschütztes Grundrecht ein. Der Betroffene ist in seinen Entschlüssen und seinem Verhalten gegenüber dem V-Mann frei; er wird jedoch über die Identität des Verhandlungspartners und über dessen Verbindung zur Polizei getäuscht. Der Straftäter ist verfassungsrechtlich nicht davor geschützt, bei seinem rechtswidrigen Verhalten von einem für ihn nicht erkennbaren Polizeifunktionär beobachtet zu werden. Auch aus der EMRK (Art. 8) lässt sich kein Schutz des Delinquenten vor verdeckter Fahndung ableiten.
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Ob die Fahndungsmethode des V-Mannes wegen gewisser Missbrauchsgefahren gesetzlich geregelt werden sollte und ob eine Normierung geeignet wäre, allfälligen Missbräuchen besser entgegenzutreten, als dies heute bereits durch die Rechtsprechung geschieht, hat der Gesetzgeber zu entscheiden. Nach geltendem Verfassungs- und Gesetzesrecht ist der V-Mann-Einsatz im Rahmen allgemeiner rechtsstaatlicher Schranken zulässig, ohne dass es einer ausdrücklichen gesetzlichen Grundlage bedürfte. Auch andere Ermittlungshandlungen - wie etwa die ständige Überwachung einer verdächtigen Person - können die Persönlichkeitssphäre erheblich tangieren und zu Feststellungen führen, welche für den Betroffenen nicht erwünscht sind, ohne dass je für derartige Massnahmen eine gesetzliche Basis für notwendig gehalten worden wäre.
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c) Besteht somit de constitutione lata das Erfordernis einer gesetzlichen Grundlage für den V-Mann-Einsatz nicht, so erübrigt sich eine Untersuchung darüber, ob Art. 23 Abs. 2 BetmG bei Fehlen einer entsprechenden Bestimmung im kantonalen Verfahrensrecht als genügende gesetzliche Basis betrachtet werden könnte. Nach dem Wortlaut der Vorschrift handelt es sich nicht um eine strafprozessuale Ermächtigungsnorm, sondern um eine materiell-rechtliche Bestimmung über die hier nicht zu erörternde Frage, unter welchen Voraussetzungen objektiv vom V-Mann erfüllte Straftatbestände straflos bleiben.
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a) Die Abklärung des Verdachts von Rauschgiftdelikten ist wegen der Art dieser Verfehlungen oft nur durch einen V-Mann möglich. Gerade in diesem Bereich erweist sich diese Methode als notwendig und wirksam (vgl. dazu WALDER in Kriminalistik 1970 S. 41 ff.). Dass nach der Meldung eines konkreten Verdachtes, der Beschwerdeführer möchte ein grösseres Kokaingeschäft durchführen, ein Polizeifunktionär als Scheinkäufer eingesetzt wurde, war nicht unverhältnismässig. Es wurde damit weder kantonales Verfahrensrecht willkürlich ausgelegt, noch gegen ein Grundrecht oder gegen ein durch die EMRK geschütztes Menschenrecht verstossen.
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b) Aufgrund der Angaben der verschiedenen Beteiligten und in vertretbarer, nicht willkürlicher Beweiswürdigung stellte die Vorinstanz fest, dass X. zuerst gegenüber Y. von einem Kokaingeschäft sprach und dann auch dem Interessenten "Toni" spontan "Stoff" anbot. Wenn es in der Folge auch stets "Toni" war, der den X. kontaktierte, um sich nach dem Stand der Dinge zu erkundigen, so kann daraus nicht die Straflosigkeit des Beschwerdeführers abgeleitet werden. X. hat von sich aus mit möglichen Lieferanten Verbindung aufgenommen und zudem auch anderwärts Geld für Rauschgifthandel gesucht. Weil er von "Toni" keine Telefonnummer besass, musste er zwangsläufig dessen Anrufe abwarten. Wesentlich ist, dass "Toni" nicht als Anstifter aufgetreten ist, sondern als Scheinkäufer lediglich die Ermittlungen über die auf ein grösseres Kokaingeschäft abzielende Aktivität des Beschwerdeführers ermöglichte.
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5. Mit längern Ausführungen wird in der Beschwerdeschrift geltend gemacht, auf die Angaben des V-Mannes "Toni" dürfe auch deswegen weder direkt noch indirekt abgestellt werden, weil er nicht als Zeuge vorgeladen und einvernommen worden sei (vgl. zur Diskussion in der BRD: JÜRGEN MEYER a.a.O. S. 855 f.). Wird anerkannt, dass im öffentlichen Interesse an einer möglichst wirksamen Bekämpfung des Drogenhandels der Einsatz von V-Leuten gerechtfertigt ist, so folgt daraus, dass die Identität und die Ermittlungsmethoden solcher Fahndungshelfer im Strafverfahren nicht leichthin bekannt zu geben sind; denn dadurch würde ihr weiterer Einsatz praktisch weitgehend vereitelt. Die Geheimhaltung der V-Leute verstösst an sich weder gegen strafprozessuale Prinzipien noch gegen verfassungsmässige Rechte. Es ist Sache der richterlichen Beweiswürdigung, festzustellen, welches Gewicht den schriftlichen Angaben eines nicht vor Gericht erscheinenden V-Mannes im konkreten Fall zukommen kann, soweit rechtlich relevante Tatsachen umstritten sind. Die dem Beschwerdeführer als strafbares Anstaltentreffen zur Last gelegten Handlungen sind durch das Ergebnis der Telefonabhörung, durch seine eigenen Angaben sowie Aussagen der übrigen Beteiligten belegt. Dass die Vorinstanz dem V-Mann eine etwas weniger aktive Rolle zuschreibt als der Beschwerdeführer in seinen Sachverhaltsschilderungen, beruht nicht auf Willkür, sondern auf einer haltbaren Würdigung der Beweise.
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