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59. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 18. Dezember 1986 i.S. X. gegen Z. sowie Obergericht (I. Strafkammer) und Kassationsgericht des Kantons Zürich (staatsrechtliche Beschwerde) | |
Regeste |
Art. 4 BV, Art. 6 Ziff. 2 EMRK (Unschuldsvermutung); Kostenauflage und Parteientschädigung bei Freispruch wegen Zurechnungsunfähigkeit. |
Es ist nicht willkürlich, den wegen Zurechnungsunfähigkeit freigesprochenen Angeklagten in sinngemässer Anwendung von Art. 54 Abs. 1 OR aus Billigkeitserwägungen mit Gerichtskosten und einer Parteientschädigung zu belasten. | |
Sachverhalt | |
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X. erklärte Berufung an das Obergericht des Kantons Zürich. Gestützt auf ein psychiatrisches Gutachten billigte ihm das Gericht Zurechnungsunfähigkeit im Sinne von Art. 10 StGB zu, erklärte ihn demgemäss der eingeklagten Ehrverletzung nicht schuldig und sprach ihn frei. Hinsichtlich der Kosten- und Entschädigungsfolgen verwies das Gericht auf die §§ 293 und 189 Abs. 2 der Strafprozessordnung des Kantons Zürich (StPO). Demnach ist ein Abweichen vom Grundsatz, wonach für die Regelung der Kosten- und Entschädigungsfolgen der Prozessausgang massgebend ist, dann zulässig, wenn besondere Verhältnisse dies rechtfertigen. Es ging davon aus, X. habe durch objektiv ehrverletzende Äusserungen zur Klage Anlass gegeben, wie auch immer seine Aussagen rechtlich zu würdigen seien. Entsprechend seien ihm die Kosten beider ![]() | 2 |
Eine von X. erhobene Nichtigkeitsbeschwerde wies das Kassationsgericht des Kantons Zürich mit Beschluss vom 24. Juni 1986 ab.
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Mit staatsrechtlicher Beschwerde rügt X., der Entscheid, ihn mit Prozesskosten zu belasten, verletze Art. 6 Ziff. 2 EMRK und Art. 4 BV.
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Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab, soweit es darauf eintritt.
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Aus den Erwägungen: | |
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In dem die Schweiz betreffenden Urteil i.S. Minelli vom 25. März 1983 hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte ausgeführt, diese Regelung als solche sei von ihm nicht zu überprüfen und scheine an sich auch Art. 6 Ziff. 2 EMRK nicht zu verletzen; jedoch sei hierüber nicht zu befinden, sondern nur über die Art und Weise, wie die Bestimmung im gegebenen Falle angewendet worden sei. Er hat in diesem ebenfalls die zürcherische Gerichtsbarkeit betreffenden Ehrverletzungsprozess, der infolge Verjährung eingestellt wurde, die gegenüber dem Angeklagten ausgesprochene Kostenauflage aufgehoben, weil sie damit begründet worden war, der Beschwerdeführer wäre bei Fortführung des Prozesses sehr wahrscheinlich verurteilt worden (Publications de la Cour européenne des Droits de l'homme, Série A, vol. 62, S. 17, N. 34 und 35; deutsche Übersetzung in: EuGRZ 1983, S. 479). Das Bundesgericht betrachtet seit diesem Urteil Kostenauflagen bei Freispruch, die sich auf § 189 StPO oder auf analoge Bestimmungen anderer kantonaler Strafprozessgesetze stützen, nur unter bestimmten Voraussetzungen als zulässig. Es muss dem Beschuldigten ein schuldhaftes Verhalten zur Last gelegt werden können, ![]() | 7 |
b) Im vorliegenden Fall ist heute unbestritten, dass der Beschwerdeführer im Zusammenhang mit den ihm zur Last gelegten Ehrverletzungen nicht zurechnungsfähig und damit nicht schuldfähig war. Das Bundesgericht hat somit hier ein etwas anderes Problem zu lösen als in den vorstehend angeführten Fällen. Es kann dabei davon ausgehen, dass es den Organen der EMRK bei der Auslegung von Art. 6 Ziff. 2 EMRK einzig darauf ankommt, den guten Ruf des nicht verurteilten Angeschuldigten zu schützen; weder im Urteilsdispositiv noch in den Erwägungen darf der Eindruck erweckt werden, der Angeschuldigte könnte allenfalls eben doch im Sinne des Strafrechtes schuldig sein. Die Kostenverlegung als solche dagegen wird unter dem Gesichtswinkel der Konvention als weniger erheblich betrachtet (vgl. dazu FROWEIN/PEUKERT, EMRK-Kommentar 1985, N. 115/116 zu Art. 6, und VOGLER, Internationaler Kommentar zur EMRK, N. 440 ff. zu Art. 6; ferner die Zusammenstellung der in dieser Richtung nach dem Urteil i.S. Minelli ergangenen Entscheide der Europäischen Kommission für Menschenrechte bei ROBERT LEVI, Schwerpunkte der strafprozessualen Rechtsprechung des Bundesgerichtes und der Organe der Europäischen Menschenrechtskonvention, in: ZStrR 1985 S. 365/366). Es rechtfertigt sich daher, sich auch bei der Behandlung der vorliegenden Frage von diesen Gesichtspunkten leiten zu lassen.
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Prüft man demnach, ob das angefochtene Urteil des Kassationsgerichtes den Eindruck zu erwecken vermöge, der Beschwerdeführer sei - ungeachtet seiner Freisprechung durch das Obergericht - der Ehrverletzung (in der Form der Verleumdung oder in derjenigen der üblen Nachrede) schuldig, so muss diese Frage klarerweise verneint werden. In Erwägung 3b betont das Kassationsgericht, dass in Fällen der vorliegenden Art an Stelle des Verschuldensprinzips Billigkeitserwägungen zu treten hätten. Anschliessend verweist es zwar auf eine durch das Urteil i.S. Minelli und die seither verschärfte bundesgerichtliche Rechtsprechung ![]() | 9 |
Etwas anders wäre die Rechtslage wohl, wenn das obergerichtliche Urteil zu überprüfen wäre. Zwar enthält auch dieses keinen Hinweis auf ein Verschulden des Beschwerdeführers, doch wird im letzten Absatz die Herabsetzung der Prozessentschädigung damit begründet, dass die Anklägerin "nicht mit allen ihren Anträgen obsiegt hätte". Es wäre allenfalls denkbar gewesen, hieraus zu folgern, das Obergericht habe mittelbar zum Ausdruck gebracht, dass der Beschwerdeführer bei gegebener Zurechnungsfähigkeit hinsichtlich des grösseren Teiles der Anklage schuldig gesprochen worden wäre. Allein eine solche Rüge hat der Beschwerdeführer vor Kassationsgericht nicht vorgebracht und damit den kantonalen Instanzenzug nicht erschöpft; im übrigen wird dieser Punkt auch in der staatsrechtlichen Beschwerde nicht aufgegriffen, und er hätte im Hinblick auf die neue Praxis zur Eintretensfrage (BGE 111 Ia 353 ff.) auch nicht aufgegriffen werden können.
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3. Der Schwerpunkt des Urteils des Kassationsgerichtes liegt darin, dass nach schweizerischem Recht auch der Urteilsunfähige nach Billigkeit dazu verurteilt werden kann, von ihm verursachten Schaden ganz oder teilweise zu ersetzen (Art. 54 Abs. 1 OR). Der Beschwerdeführer beanstandet zwar auch diese Erwägung, jedoch nicht mit einer im staatsrechtlichen Beschwerdeverfahren zulässigen, sich auf die Bundesverfassung oder die EMRK stützenden Begründung (vgl. Art. 90 Abs. 1 lit. b OG). Wenn er hier und an anderer Stelle ausführt, es wäre nicht zu einer Kostenauflage ![]() | 11 |
Von der Sache her liesse sich übrigens die sinngemässe Anwendung von Art. 54 Abs. 1 OR auf einen Sachverhalt der vorliegenden Art im staatsrechtlichen Beschwerdeverfahren nicht beanstanden. Der Hinweis des Kassationsgerichtes auf diese Bestimmung beweist gerade, dass es der These, wonach der Beschwerdeführer nicht schuldfähig gewesen sei, beipflichtete, so dass ein Verstoss gegen Art. 6 Ziff. 2 EMRK auch aus diesem Grunde nicht vorliegen kann. Unter dem sonst einzig noch denkbaren Gesichtswinkel der Willkür ist die fragliche Rüge nicht hinlänglich begründet worden (vgl. BGE 110 Ia 3 /4 E. 2a). Übrigens wäre Willkür aus folgenden Gründen zu verneinen:
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Die objektiv ehrverletzende Natur der Gegenstand des Prozesses bildenden Äusserungen ist im kantonalen Verfahren nicht bestritten worden, wie das Kassationsgericht zutreffend festgestellt hat. Sie liegt übrigens so klar auf der Hand, dass auch eine Bestreitung dem Beschwerdeführer nichts hätte zu helfen vermögen. Weiter ist unbestritten, dass der zürcherische Ehrverletzungsprozess ein reines Privatstrafklageverfahren darstellt, so dass eine völlige oder teilweise Kostenübernahme durch den Staat ausser Betracht fällt (§ 293 StPO; vgl. auch ROBERT HAUSER, Kurzlehrbuch des schweizerischen Strafprozessrechts, 2. Auflage, S. 252 oben mit Hinweisen). Der Beschwerdeführer anerkennt dies vor Bundesgericht sinngemäss, indem er in Ziff. 2 seiner Anträge eine Abänderung der Kosten- und Entschädigungsentscheide nicht zulasten des Kantons Zürich, sondern ausschliesslich zulasten der Beschwerdegegnerin verlangt. Die Rechtslage ist somit so, dass die entstandenen Gerichts- und Anwaltskosten entweder vom Beschwerdeführer oder von der Beschwerdegegnerin zu tragen sind. Gestützt darauf sind die zürcherischen Gerichte zum Schlusse gelangt, es wäre unbillig, eine Person, die von einer anderen, zurechnungsunfähigen Person mit objektiv ehrverletzenden Äusserungen belegt worden ist, mangels Verschuldens dieser Person mit den ![]() | 13 |
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