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Bearbeitung, zuletzt am 15.03.2020, durch: DFR-Server (automatisch) | |||
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2. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 11. Februar 1987 i.S. E. gegen Staatsanwaltschaft und Appellationsgericht des Kantons Basel-Stadt (staatsrechtliche Beschwerde) | |
Regeste |
Art. 4 BV; § 10 Abs. 3 lit. a StPO/BS, Anspruch auf einen amtlichen Verteidiger. | |
Sachverhalt | |
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Gegen das Urteil des Appellationsgerichts reichte E. staatsrechtliche Beschwerde wegen Verletzung von Art. 4 BV ein. Das Bundesgericht heisst die Beschwerde gut, soweit es auf sie eintreten kann.
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Aus den Erwägungen: | |
2. Der Anspruch eines Angeschuldigten auf Beigabe eines Verteidigers von Amtes wegen beurteilt sich in erster Linie nach ![]() | 3 |
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"Ist ein Angeschuldigter unvermögend, so wird ihm auf sein Begehren
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von Amtes wegen ein Advokat als Verteidiger beigegeben,
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a) sofern der gesetzliche Strafrahmen eine Höchststrafe von fünf Jahren
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Zuchthaus überschreitet."
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Das Recht des Kantons Basel-Stadt stellt somit klarerweise für die Beurteilung der Frage nach der notwendigen Verteidigung nicht auf die im konkreten Einzelfall in Aussicht stehende, sondern auf die vom Gesetzgeber in abstrakter Form angedrohte Freiheitsstrafe ab. Es unterscheidet sich in diesem Punkte von den analogen Gesetzen der meisten anderen Kantone und auch von der dargelegten bundesgerichtlichen, lediglich die Minimalanforderungen umschreibenden Rechtsprechung. Es bedarf keiner weiteren Ausführungen, dass eine solche, für den Angeschuldigten günstigere Lösung der Verteidigungsfrage nicht gegen eidgenössisches Verfassungsrecht verstossen kann.
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b) Das Appellationsgericht des Kantons Basel-Stadt macht geltend, die vorstehend wiedergegebene Bestimmung sei "unglücklich abgefasst", das Abstellen auf den abstrakten Strafrahmen führe dazu, dass z.B. ein kleiner Ladendieb nach zwei Diebstählen ![]() | 10 |
Der Beschwerdeführer hält den angefochtenen Entscheid und die erwähnte Begründung für willkürlich. Zur Stützung seines Standpunktes verweist er auf den Gesetzeswortlaut, auf die Entstehungsgeschichte der Norm sowie darauf, dass die erstinstanzlichen Gerichtspräsidenten im Kanton Basel-Stadt § 10 Abs. 3 lit. a StPO teils nach seinem Wortlaut, teils nach der engeren Praxis des Appellationsgerichtes anwendeten, was zu einer Rechtsungleichheit führe.
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c) Der Wortlaut der vorstehend angeführten Norm ist an sich unzweideutig, was das Gericht sinngemäss selbst anerkennt. Auch kann er nicht gegen eidgenössisches Verfassungsrecht verstossen, da er den Angeschuldigten nicht weniger, sondern mehr Rechte einräumt als die vom Bundesgericht aus Art. 4 BV abgeleiteten Minimalansprüche.
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Dies bedeutet noch nicht, dass die Auslegung der Norm gegen ihren Wortlaut von vornherein ausgeschlossen wäre. Nach ständiger Rechtsprechung ist ein solches Abweichen vom Text vielmehr dann zulässig, wenn triftige Gründe zur Annahme bestehen, dass der Wortlaut nicht den wahren Sinn der Bestimmung wiedergibt. Solche Gründe können sich aus der Entstehungsgeschichte, aus Sinn und Zweck der Vorschrift und aus dem Zusammenhang mit anderen Gesetzesbestimmungen ergeben (BGE 108 Ia 297 E. 2a; BGE 106 Ia 211 E. 5 mit Hinweis; ferner BERNHARD SCHNYDER, "Entgegen dem Wortlaut...", in: Erhaltung und Entfaltung des Rechts in der Rechtsprechung des Schweizerischen Bundesgerichts, ![]() | 13 |
Es lässt sich auch nicht sagen, Sinn und Zweck der Vorschrift stünden einer wortgetreuen Anwendung entgegen. Wohl führt diese dazu, dass gelegentlich Angeklagte in den Genuss der Offizialverteidigung gelangen, bei denen dies, gemessen an den Minimalgarantien gemäss Art. 4 BV, nicht unbedingt erforderlich wäre; es ist jedoch nicht ersichtlich, weshalb ein Kanton in dieser Hinsicht nicht weitherziger sein dürfte (vgl. Art. 64bis Abs. 2 BV). Beispiele für das Gegenteil, nämlich dafür, dass nach dem Wortlaut der fraglichen Bestimmung Offizialverteidigung in bestimmten Fällen nicht gewährt werden könnte, wo sie von der Sache her erforderlich oder mindestens wünschenswert wäre, führt das Appellationsgericht nicht an. Schliesslich ist auch nicht ersichtlich, dass andere Gesetzesbestimmungen bestünden, deren Heranziehung eine Auslegung des Gesetzes entgegen seinem Wortlaut geböten.
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"Da die StPO auf den gesetzlichen Strafrahmen abstellt, wäre zu
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berücksichtigen, dass die Straftaten, welche das Strafgericht dem
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Beschwerdeführer zur Last legt, alle mit Zuchthaus bis zu fünf Jahren als
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Höchststrafe bedroht sind (...). Man kann sich fragen, ob nicht im
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Hinblick auf Art. 68 StGB anzunehmen wäre, der gesetzliche Strafrahmen
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aller Delikte überschreite die Grenze von fünf Jahren Zuchthaus. Die Frage
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kann indessen offen bleiben."
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In der Folge gelangte das Bundesgericht zum Ergebnis, die Verweigerung eines Offizialverteidigers sei im konkreten Falle schon wegen der Schwierigkeit der Sache weder mit dem einschlägigen § 10 Abs. 3 lit. c StPO noch mit den sich unmittelbar aus Art. 4 BV ergebenden Minimalanforderungen vereinbar gewesen. Verhielt es sich aber so, dann kann daraus, dass das Bundesgericht zur Anwendbarkeit von § 10 Abs. 3 lit. a StPO in diesem Urteil bewusst nicht Stellung genommen hat, nichts zugunsten der Auslegung gegen den Wortlaut abgeleitet werden; die vorstehend wiedergegebenen beiden Sätze sprechen eher für die gegenteilige Auffassung.
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Sodann ist auch der vom Beschwerdeführer erwähnte, im Urteil des Appellationsgerichtes nicht in Abrede gestellte Umstand zu berücksichtigen, dass die Praxis der erstinstanzlichen Strafgerichtspräsidenten in der hier streitigen Frage uneinheitlich ist und dass es dem Appellationsgericht - da bei Gewährung der Offizialverteidigung durch die erste Instanz keine beschwerdelegitimierte Partei vorhanden sein dürfte - praktisch nicht möglich ist, seine Auffassung innerhalb des Kantons durchzusetzen. Die sich hieraus notwendigerweise ergebende Rechtsungleichheit und Rechtsunsicherheit bildet einen zusätzlichen Grund, um hier die Notwendigkeit der Auslegung einer gesetzlichen Bestimmung gegen ihren Wortlaut nicht als berechtigt anzuerkennen.
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Abschliessend darf darauf hingewiesen werden, dass eine zurückhaltende Anwendung der "Auslegung gegen den Wortlaut" auch in der neuesten einschlägigen wissenschaftlichen Literatur gefordert wird (ULRICH HÄFELIN, a.a.O., Schlussbetrachtung, S. 138/139).
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Nach dem Gesagten lässt sich die Auffassung des Appellationsgerichts, bei der Auslegung von § 10 Abs. 3 lit. a StPO dürfe vom Wortlaut der Vorschrift abgewichen werden, mit sachlichen ![]() | 26 |
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