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9. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 18. Februar 1987 i.S. Landesring der Unabhängigen des Kantons Zürich und Mitbeteiligte gegen Kanton Zürich und Regierungsrat des Kantons Zürich (staatsrechtliche Beschwerde) | |
Regeste |
Art. 85 lit. a OG: Stimm- und Initiativrecht. |
2. Grundsatz und Tragweite des Prinzips der Einheit der Materie namentlich auf dem Gebiet von Initiative und Gegenvorschlag; im vorliegenden Fall verletzt der Gegenvorschlag als solcher das Prinzip der Einheit der Materie nicht (E. 4 und 5). |
3. Die gleichzeitige und gekoppelte Abstimmung über zwei Initiativen und einen Gegenvorschlag verunmöglicht im vorliegenden Fall eine unverfälschte und freie Willensäusserung der Stimmbürger und verletzt den Grundsatz der Einheit der Materie und das Initiativrecht (E. 6). |
4. Grundsätze zur Aufhebung von Volksabstimmungen wegen Verfahrensmängeln; Kassation der Volksabstimmung im vorliegenden Fall; provisorische Aufrechterhaltung des in der Volksabstimmung angenommenen Steuergesetzes (E. 7). | |
Sachverhalt | |
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Auf Antrag des Regierungsrates des Kantons Zürich lehnte der Kantonsrat des Kantons Zürich die beiden Initiativen ab und beschloss als Gegenvorschlag eine umfassende Änderung des zürcherischen Gesetzes über die direkten Steuern (Steuergesetz). Diese Änderung bezieht sich auf verschiedene Materien, so insbesondere auf die Familienbesteuerung (§ 8-10), die subjektive Steuerpflicht (§ 16), das Objekt der Einkommenssteuer (§ 19, 24 und 25), die Steuerberechnung (§ 31 und 32), die Steuern der juristischen Personen (§ 46, 48, 51), verschiedene Verfahrensfragen (§ 53, 58bis, 73 und 74 sowie 84 und 85), den Ausgleich der kalten Progression (§ 200bis) sowie die Übergangsbestimmungen (§ 202bis ff.).
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Mit Beschluss vom 5. März 1986 ordnete der Regierungsrat des Kantons Zürich die Volksabstimmung über die beiden Initiativen und den Gegenvorschlag für den 8. Juni 1986 an und formulierte die Abstimmungsfragen für die drei Steuervorlagen wie folgt:
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"Wollen Sie folgende Vorlagen annehmen?
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A. Volksinitiative für eine gerechte Besteuerung von Familien und Alleinstehenden
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B. Volksinitiative für die Ausschaltung von Steuerverschärfungen infolge Teuerung (Ausgleich der kalten Progression)
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C. Gegenvorschlag des Kantonsrates: Gesetz über die direkten Steuern
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(Steuergesetz) (Änderung)"
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Gemäss dem Gesetz über das Vorschlagsrecht des Volkes gilt für das Abstimmungsverfahren, dass alle drei Fragen mit Ja beantwortet werden können. Erhalten zwei oder alle drei Vorlagen mehr Ja-Stimmen als Nein-Stimmen, so gilt allein diejenige als angenommen, welche die grösste Zahl an Ja-Stimmen aufweist.
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B.- Gegen diesen Beschluss des Regierungsrates vom 5. März 1986 reichten der Landesring der Unabhängigen des Kantons Zürich sowie drei Stimmbürger beim Bundesgericht am 19. März 1986 staatsrechtliche Beschwerde im Sinne von Art. 85 lit. a OG ein. Sie verlangen die Aufhebung des regierungsrätlichen Beschlusses und machen hierfür eine Verletzung der Einheit der Materie ![]() | 10 |
C.- Mit prozessleitender Verfügung vom 8. April 1986 wurde das Gesuch der Beschwerdeführer abgewiesen, es sei der Beschwerde aufschiebende Wirkung beizulegen bzw. die Volksabstimmung sei abzusetzen. In der Folge wurde die Volksabstimmung über die drei Steuervorlagen am 8. Juni 1986 durchgeführt. Alle drei Vorlagen wurden mit den folgenden Stimmenverhältnissen angenommen:
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- die Volksinitiative für eine gerechte Besteuerung von Familien und Alleinstehenden mit 98 362 Ja gegen 84 395 Nein,
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- die Volksinitiative für den Ausgleich der kalten Progression mit 93 263 Ja gegen 86 768 Nein,
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- der Gegenvorschlag des Kantonsrates mit 99 073 Ja gegen 80 086 Nein.
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Als Vorlage mit der höchsten Anzahl Ja-Stimmen galt demnach der Gegenvorschlag des Kantonsrates auf Änderung des zürcherischen Steuergesetzes als angenommen.
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Auszug aus den Erwägungen: | |
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b) Beschwerden betreffend die politische Stimmberechtigung der Bürger und betreffend kantonale Wahlen und Abstimmungen sind gemäss Art. 86 Abs. 1 OG nur gegen letztinstanzliche kantonale Entscheide zulässig. Das zürcherische Wahlgesetz vom 4. September 1983 (WG) sieht in § 123 grundsätzlich eine Beschwerde wegen Unregelmässigkeiten bei der Vorbereitung und Durchführung von Wahlen und Abstimmungen vor, erklärt diese nach Abs. 2 dieser Bestimmung jedoch gegen Beschlüsse der ![]() | 17 |
c) Mit dem angefochtenen Beschluss des Regierungsrates wurde die Volksabstimmung über die drei Steuervorlagen angeordnet und die Abstimmungsfrage festgesetzt. Er stellt damit eine Vorbereitungshandlung zu einer Abstimmung dar, welche nach der Rechtsprechung gemäss Art. 89 OG innert dreissig Tagen mit staatsrechtlicher Beschwerde beim Bundesgericht angefochten werden muss (BGE 110 Ia 178 E. a). Die vorliegende Beschwerde erweist sich in dieser Hinsicht als rechtzeitig. Wird eine Abstimmung indessen wegen Abweisung des Gesuches um aufschiebende Wirkung aufgrund der beanstandeten Vorbereitungshandlung durchgeführt, so ist die dagegen gerichtete Beschwerde so zu verstehen, dass sinngemäss auch der Antrag auf Aufhebung der Abstimmung selber gestellt wird (BGE 110 Ia 180, BGE 105 Ia 150). So verhält es sich im vorliegenden Fall. Der Hauptantrag der Beschwerdeführer ist daher als Antrag um Aufhebung der Volksabstimmung vom 8. Juni 1986 zu verstehen.
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Die Einzelheiten des Verfahrens bei Volksinitiativen sind im Gesetz über das Vorschlagsrecht des Volkes vom 1. Juni 1969 ![]() | 20 |
"§ 6. Stimmt der Kantonsrat einer Initiative, die zur Volksabstimmung gebracht werden muss, nicht oder nur teilweise zu, so kann er einen formulierten Gegenvorschlag aufstellen.
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Stellt der Kantonsrat einer oder mehreren, den gleichen Gegenstand betreffenden Initiativen einen Gegenvorschlag gegenüber, so ist dieser gleichzeitig der Volksabstimmung zu unterbreiten."
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Ferner regelt das Initiativgesetz das Abstimmungsverfahren bei gleichzeitiger Abstimmung über mehrere, den gleichen Gegenstand betreffende Vorlagen mit folgender Bestimmung:
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"§ 7. Erfolgt eine gleichzeitige Abstimmung über eine oder mehrere, den gleichen Gegenstand betreffende Initiativen mit oder ohne Gegenvorschlag des Kantonsrates, so werden den Stimmberechtigten einfache Alternativfragen vorgelegt. Die Bejahung mehr als einer dieser Fragen ist zulässig.
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Erhalten mehrere Vorlagen mehr bejahende als verneinende Stimmen, so gilt diejenige als angenommen, für welche die grössere Zahl von bejahenden Stimmen abgegeben worden ist. Weisen mehrere Vorlagen, auf die mehr bejahende als verneinende Stimmen entfallen sind, die gleiche Zahl von bejahenden Stimmen auf, so gilt diejenige als angenommen, welche die kleinere Zahl von verneinenden Stimmen erhalten hat."
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b) Bei Stimmrechtsbeschwerden prüft das Bundesgericht nicht nur die Auslegung von Bundesrecht und kantonalem Verfassungsrecht frei, sondern auch diejenige anderer kantonaler Vorschriften, welche den Inhalt des Stimmrechts umschreiben oder mit diesem in engem Zusammenhang stehen (BGE 111 Ia 194 E. 4a, 197 E. 2a; BGE 110 Ia 181 E. 5a; BGE 108 Ia 167 E. a, mit Hinweisen). Zu diesen Vorschriften gehören auch die Bestimmungen des Initiativgesetzes.
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Die Beschwerdeführer machen nicht geltend, dieses vom zürcherischen Recht vorgesehene Abstimmungsverfahren verstosse an sich gegen die politischen Rechte oder das Initiativrecht und sei aus diesem Grunde verfassungswidrig. Das Bundesgericht hat die Zulässigkeit dieses Abstimmungsverfahrens nicht in Zweifel ![]() | 28 |
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a) Der Grundsatz der Einheit der Materie ist im zürcherischen Recht nur hinsichtlich der Volksinitiative ausdrücklich verankert; nach § 4 Abs. 1 Ziff. 4 des Initiativgesetzes sind Initiativen ungültig, welche Begehren verschiedener Art enthalten, die keinen inneren Zusammenhang aufweisen, es sei denn, es handle sich um eine Initiative auf Gesamtrevision der Verfassung. Der Grundsatz der Einheit der Materie gilt indessen generell auch von Bundesrechts wegen. Das vom Verfassungsrecht des Bundes gewährleistete politische Stimmrecht gibt dem Bürger allgemein den Anspruch darauf, dass kein Abstimmungsergebnis anerkannt wird, das nicht den freien Willen der Stimmbürger zuverlässig und unverfälscht zum Ausdruck bringt (BGE 111 Ia 198; BGE 108 Ia 157 E. 3b; BGE 106 Ia 22 E. 4; BGE 105 Ia 153 E. 3a, mit Hinweisen). Daraus wird unter anderem das generell gültige Prinzip der Einheit der Materie abgeleitet, wonach verschiedene Materien nicht zu einer Abstimmungsfrage verbunden werden dürfen (BGE 111 Ia 198; BGE 105 Ia 14, 376; BGE 104 Ia 223 E. b; BGE 99 Ia 183, 645, 731 E. 3; BGE 96 I 652 E. 7; BGE 90 I 73 E. a). Der Grundsatz der Einheit der Materie ist bei allen Vorlagen zu beachten, die auf Initiative hin oder aufgrund eines (obligatorischen oder fakultativen) Referendums dem Volk einzeln zur Abstimmung unterbreitet werden (BGE 105 Ia 376; BGE 104 Ia 223 E. 2b; BGE 99 Ia 182, 646; BGE 97 I 673, mit Hinweisen).
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Die Tragweite des Grundsatzes der Einheit der Materie im einzelnen wird in der Praxis differenziert gewichtet (vgl. unveröffentlichtes Urteil i.S. Hentsch vom 18. Dezember 1984, E. 5). So werden höhere Anforderungen an Partialrevisionen der Verfassung gestellt als an Gesetzesvorlagen (BGE 111 Ia 198; BGE 99 Ia 646). Der Grundsatz wird bei Initiativen strenger gehandhabt als bei behördlichen Vorlagen, da es neben der Gewährleistung des politischen Stimmrechts bei den Initiativen zusätzlich darum geht, die missbräuchliche Ausübung des Initiativrechts und eine unzulässige Erleichterung der Unterschriftensammlung zu verhindern (BGE 111 Ia 198; BGE 99 Ia 182 E. 3b; vgl. Z. GIACOMETTI, Das Staatsrecht der schweizerischen Kantone, Zürich 1941, S. 423 ff.; vgl. ferner die Kritik bei ALFRED KÖLZ, Die kantonale Volksinitiative in der ![]() | 31 |
b) Die Beschwerdeführer machen nicht geltend, der Gegenvorschlag des Kantonsrates zu den beiden genannten Steuerinitiativen verletze, für sich allein betrachtet, den Grundsatz der Einheit der Materie. Es ist denn auch unbestritten, dass der Gegenvorschlag die umgrenzte Materie des kantonalen Steuerrechts neu ordnet und dass die einzelnen, zu diesem Zweck aufgestellten Vorschriften zueinander in einer sachlichen Beziehung stehen. Dies trifft auch für die Bereiche der Familienbesteuerung und des Ausgleichs der kalten Progression zu, wie sie von den genannten Initiativen (in weitergehendem Masse) verlangt worden sind. Nach der erwähnten Rechtsprechung hat der Stimmbürger keinen Anspruch darauf, dass ihm diese Fragen gesondert zur Abstimmung vorgelegt werden. Demnach ist im folgenden davon auszugehen, dass der Gegenvorschlag als solcher den Grundsatz der Einheit der Materie nicht verletzt.
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5. a) Nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung sind die Kantone befugt, einer Initiative - auch ohne ausdrückliche Rechtsgrundlage - einen Gegenvorschlag gegenüberzustellen (BGE 104 Ia 245; BGE 101 Ia 495 E. 4a; BGE 100 Ia 57; BGE 91 I 193 E. 2; vgl. KÖLZ, a.a.O., S. 30 f.; ETIENNE GRISEL, Initiative et référendum populaires, Lausanne/Dorigny 1987, S. 218 f.); der Gegenvorschlag kann je nach der Ausgestaltung des kantonalen Rechts ![]() ![]() | 33 |
b) Die Beschwerdeführer machen in dieser Hinsicht eine Verletzung der Einheit der Materie geltend. Sie verkennen zwar nicht, dass die beiden Steuerinitiativen und der Gegenvorschlag des Kantonsrates eine enge Beziehung haben und dieselbe Materie betreffen. Doch erachten sie es als grundsätzlich unzulässig, einer Gesetzesinitiative mit einer eng umgrenzten Fragestellung als Gegenvorschlag eine weitgefasste Gesetzesrevision gegenüberzustellen, welche eine grosse Zahl von anderen Bereichen ohne Zusammenhang mit den Initiativbegehren neu regelt. Dies treffe auf beide Initiativen in ihrem Verhältnis zum Gegenvorschlag des Kantonsrates zu.
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Das Bundesgericht hat in seiner Praxis anerkannt, dass ein Gegenvorschlag des Parlaments, der die gleiche Materie und den gleichen Zweck betrifft wie die Initiative, in der Realisierung der Anliegen leicht über diese hinausgehen dürfe (BGE 100 Ia 59 f.). Es ist nicht zu verkennen, dass dadurch über den Umstand hinaus, dass überhaupt ein Gegenvorschlag erarbeitet wird, die Aussichten der Initiative, in der Volksabstimmung angenommen zu werden, zusätzlich vermindert werden. Es ist bei dieser Sachlage nicht auszuschliessen, dass die Stimmbürger den Gegenvorschlag gerade wegen der weitergehenden Vorschläge annehmen. Diese Gefahr kann sich insbesondere bei einem Gegenvorschlag auf umfassende Revision des Steuergesetzes ergeben, mit dem Steuererleichterungen gewährt werden sollen, die mit dem auf einen Teilbereich beschränkten Initiativbegehren in keinem Zusammenhang stehen; eigentliche Missbräuche sind in dieser Hinsicht nicht auszuschliessen.
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Es ist den Beschwerdeführern zuzugestehen, dass der hier streitige Gegenvorschlag des zürcherischen Kantonsrates wohl in vermehrtem Masse über die Initiativen hinausgeht als in dem vom Bundesgericht im Jahre 1974 beurteilten Fall betreffend eine genferische Vorlage über den Schutz von Fauna und Flora bzw. ein Jagdverbot (BGE 100 Ia 59 f.; vgl. hierzu die vollständige ![]() | 36 |
Im Umstand allein, dass einer auf einen engen Sachbereich beschränkten Initiative ein über diesen Bereich hinausgehender Gegenvorschlag gegenübergestellt wird, kann demnach keine Verletzung des Grundsatzes der Einheit der Materie bzw. des Initiativrechts erblickt werden. Dem Kantonsrat kann im vorliegenden Fall auch nicht vorgeworfen werden, seinen weitergehenden Gegenvorschlag aus sachwidrigen und damit rechtsmissbräuchlichen Gründen ausgearbeitet zu haben; denn es galt, das zürcherische Steuergesetz an die Erfordernisse des Bundesgesetzes über die berufliche Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenvorsorge (BVG), des bundesgerichtlichen Entscheides BGE 110 Ia 7 sowie von Art. 4 Abs. 2 BV anzupassen. Bei dieser Sachlage erweist sich die Beschwerde als unbegründet, soweit mit ihr Umfang und ![]() | 37 |
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a) Im Falle einer Volksabstimmung über eine einzige Vorlage muss sich der Stimmbürger auch dann für die Gutheissung oder Ablehnung der ganzen Vorlage entscheiden, wenn er mit einzelnen Punkten nicht einverstanden ist und andere befürwortet (BGE 111 Ia 198; BGE 99 Ia 646 E. 5b). Stehen sich zwei Vorlagen direkt gegenüber, die den Grundsatz der Einheit der Materie wahren, so verhält es sich grundsätzlich gleich: Der einzelne Stimmbürger kann zwar nach zürcherischem Recht beide Vorlagen bejahen, doch kann gesamthaft nur eine angenommen werden; das Bundesgericht hat dies als verfassungsgemäss bezeichnet (ZBl 87/1986 S. 172 ff.).
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b) Im vorliegenden Fall, in dem gleichzeitig über die beiden Steuerinitiativen und den Gegenvorschlag abgestimmt worden ist, ergeben sich indessen Bedenken. Diese rühren daher, dass die beiden Initiativen nicht den gleichen Gegenstand betreffen. Die Volksinitiative "Für eine gerechte Besteuerung von Familien und Alleinstehenden" zum einen hat eine erhöhte Steuergerechtigkeit im Sinne der Gleichbehandlung insbesondere zwischen gesamthaft veranlagten Ehepaaren und getrennt veranlagten Konkubinatspaaren zum Ziel. Zum andern bezweckt die Initiative "Für die Ausschaltung von Steuerverschärfungen infolge Teuerung (Ausgleich der kalten Progression)" die Vermeidung teuerungsbedingter, durch das Wesen der Steuerprogression bewirkter Mehrbelastungen der Steuerpflichtigen. Damit beschlagen zwar beide Initiativen den Bereich des kantonalen Steuerrechts, haben aber im übrigen keinen Zusammenhang. Vielmehr lassen sich beide Initiativpostulate ohne weiteres nebeneinander verwirklichen. Sie schliessen sich daher nicht gegenseitig aus, stehen zueinander nicht im Verhältnis der Alternativität und betreffen schliesslich auch nicht ein "Mehr" oder "Weniger" zu derselben Frage (vgl. ZBl 87/1986 S. 174 und redaktionelle Anmerkung auf S. 175).
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c) Die Beschwerdeführer erblicken in der gleichzeitigen und sich gegenseitig bedingenden Abstimmung über alle drei Steuervorlagen zudem eine Verletzung des Initiativrechts. Auch diese Rüge erweist sich als begründet. Wie oben dargelegt worden ist (E. 6b), können die Initiative "Für eine gerechte Besteuerung von Familien und Alleinstehenden" und das Begehren "Für die Ausschaltung von Steuerverschärfungen infolge Teuerung (Ausgleich der kalten Progression)" nebeneinander bestehen und verwirklicht werden und weisen keinen inneren Zusammenhang auf. Nach dem vom Regierungsrat angeordneten Abstimmungsmodus kann aufgrund von § 7 Abs. 2 des Initiativgesetzes indessen höchstens die eine der beiden Initiativen angenommen werden. Eine kumulative Annahme beider Vorlagen ist ausgeschlossen. Damit werden die beiden Initiativen, je für sich allein genommen, zum vornherein benachteiligt. Darin liegt eine Verletzung des Initiativrechts, wie es von Bundesrechts wegen garantiert ist, und zudem eine Missachtung von § 6 Abs. 2 und § 7 Abs. 1 des Initiativgesetzes, wonach eine gleichzeitig und sich bedingende Volksabstimmung nur bei mehreren, den gleichen Gegenstand betreffenden Volksbegehren zulässig ist. Die Beschwerde erweist sich daher auch unter diesem Gesichtswinkel als begründet.
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Im vorliegenden Fall ist vorerst festzuhalten, dass der festgestellte Mangel schwer wiegt; der Abstimmungsmodus erlaubte keine ![]() | 45 |
Gesamthaft gesehen ergibt sich damit, dass der Mangel in der Durchführung der Volksabstimmung so schwer wiegt, dass von einer Kassation nicht Umgang genommen werden kann. Daher ist die Volksabstimmung vom 8. Juni 1986 als ganze aufzuheben. Die zuständigen Behörden werden demnach eine neue Volksabstimmung ansetzen und ein Abstimmungsverfahren wählen müssen, welches den Anforderungen an das Stimm- und Initiativrecht genügt. Bei diesem Ausgang des Verfahrens braucht auf die Eventualanträge sowie die weitern Rügen der Beschwerdeführer nicht mehr näher eingegangen zu werden.
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b) Es ist nicht zu übersehen, dass die Aufhebung der Volksabstimmung vom 8. Juni 1986 schwerwiegende Auswirkungen zur Folge hat. Zum einen ergeben sich praktische Schwierigkeiten für die Steuerperiode 1987/88. Mit erheblichem Aufwand müssten den Steuerpflichtigen neue Steuerformulare zugestellt und die Veranlagungen mit einiger Verzögerung nach altem Recht vorgenommen werden. Die Kassation der Abstimmung hat weiter zur Konsequenz, dass das zürcherische Steuergesetz, das vom Bundesgericht ![]() | 47 |
Im einzelnen bedeutet dies, dass das Steuergesetz in der Fassung vom 8. Juni 1986 aus Praktikabilitätsüberlegungen für die Steuerperiode 1987/88 ohne weiteres in Kraft bleiben kann. Wird in der Folge eine neue Abstimmung durchgeführt, so kann eine allfällige Änderung des Steuergesetzes für den Beginn der Steuerperiode 1989/90 in Kraft treten. Falls im Jahre 1987 oder 1988 jegliche Steuervorlage in der Volksabstimmung scheitern sollte, müsste ab 1989 wieder das Steuergesetz in der alten Fassung angewendet werden. Sollte in der Volksabstimmung allerdings die unformulierte Initiative "Für eine gerechte Besteuerung von Familien und Alleinstehenden" angenommen werden, hätte der Kantonsrat seinerseits eine Vorlage auszuarbeiten und diese erneut dem Volk vorzulegen. Da für diesen Fall mit einem Inkrafttreten einer allfälligen Steuergesetzrevision auf Anfang 1989 nicht gerechnet werden kann, kann das Steuergesetz in der Fassung vom 8. Juni 1986 auch noch für die Steuerperiode 1989/90 gelten. Kommt bis Ende 1990 keine neue Vorlage zustande, die auf den 1. Januar 1991 in Kraft gesetzt werden kann, so gilt auf jeden Fall ab diesem Datum wieder das Steuergesetz in der bisherigen Fassung. Den zürcherischen ![]() | 48 |
Angesichts des aussergewöhnlichen Vorgehens, die Auswirkungen der Aufhebung der Volksabstimmung erst auf einen späteren Zeitpunkt eintreten zu lassen, sind die zürcherischen Behörden einzuladen, unverzüglich eine neue Volksabstimmung anzusetzen.
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Demnach erkennt das Bundesgericht:
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1. Die staatsrechtliche Beschwerde wird gutgeheissen, und die Volksabstimmung im Kanton Zürich vom 8. Juni 1986 über drei Steuervorlagen wird aufgehoben.
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2. Im Sinne einer vorläufigen Massnahme bleibt das Steuergesetz des Kantons Zürich in der Fassung vom 8. Juni 1986 in Kraft für die Steuerperiode 1987/88 bzw. bis zum Inkrafttreten allfälliger im Zusammenhang mit der Abstimmung über die Volksinitiativen "Für eine gerechte Besteuerung von Familien und Alleinstehenden" sowie "Für die Ausschaltung von Steuerverschärfungen infolge Teuerung (Ausgleich der kalten Progression)" beschlossener Änderungen des Steuergesetzes des Kantons Zürich, längstens aber bis zum Abschluss der Steuerperiode 1989/90.
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