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Bearbeitung, zuletzt am 15.03.2020, durch: DFR-Server (automatisch) | |||
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45. Auszug aus dem Urteil der II. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 21. Dezember 1987 i.S. X. gegen Obergericht des Kantons Schaffhausen (staatsrechtliche Beschwerde) | |
Regeste |
Anwaltsprüfung; rechtliches Gehör, Zusammensetzung der Prüfungskommission, Prüfungsanforderungen (Art. 4 und 31 BV). |
2. Der Anspruch auf Unabhängigkeit und Unbefangenheit ist nicht verletzt, wenn bei einer Anwaltsprüfung praktizierende Anwälte als Experten beigezogen werden (E. 3a). |
3. Zulässige Anforderungen an eine Anwaltsprüfung im Lichte der Handels- und Gewerbefreiheit (E. 4 und 5). | |
Sachverhalt | |
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Mit staatsrechtlicher Beschwerde macht X. geltend, sein Anspruch auf rechtliches Gehör sei verletzt, weil er keine Gelegenheit erhalten habe, vor dem Entscheid des Obergerichts zum Bericht der Prüfungskommission Stellung zu nehmen. Die Unabhängigkeit der Prüfungskommission sei nicht sichergestellt, weil sie sich mehrheitlich aus Anwälten zusammensetze. Die Prüfungsfälle eigneten sich für eine objektive Feststellung der für den Anwaltsberuf erforderlichen Fähigkeiten nicht, und die gestellten Anforderungen seien zu hoch, was mit dem Grundsatz der Verhältnismässigkeit unvereinbar erscheine und vor der Handels- und Gewerbefreiheit nicht standhalte. Schliesslich erachtet der Beschwerdeführer die Bewertung seiner Arbeiten als willkürlich.
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Das Bundesgericht weist die staatsrechtliche Beschwerde ab, soweit es darauf eintritt.
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Aus den Erwägungen: | |
2. a) Der Beschwerdeführer macht geltend, das Obergericht habe seinen Anspruch auf rechtliches Gehör dadurch verletzt, dass es ihm keine Möglichkeit gegeben habe, zum Bericht der Prüfungskommission ![]() | 4 |
b) Art. 4 BV gibt dem Bürger grundsätzlich Anspruch auf Akteneinsicht und auf Äusserung, bevor ein für ihn nachteiliger Entscheid gefällt wird. Die Tragweite des Anspruchs auf rechtliches Gehör bestimmt sich indessen nach der konkreten Situation und Interessenlage im Einzelfall (BGE 111 Ia 103 E. 2b, 274 E. 2b). Einerseits dient das rechtliche Gehör der Sachaufklärung, anderseits stellt es ein persönlichkeitsbezogenes Mitwirkungsrecht dar.
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c) Die Frage ist, ob der Anspruch auf rechtliches Gehör gebietet, dem Prüfling vor Erlass eines negativen Examensentscheides die Möglichkeit zu geben, sich zu seiner Prüfungsleistung zu äussern. In Betracht fällt hiebei, dass der Prüfling selber ein Gesuch um Erteilung des Fähigkeitsausweises stellt und mit der Prüfung, die auf sein Begehren durchgeführt wird, seine Befähigung nachzuweisen versucht. Er schafft also sämtliche Unterlagen selber, auf Grund derer über die Erteilung des Fähigkeitsausweises entschieden wird. Der Anspruch auf rechtliches Gehör in seiner Funktion als persönlichkeitsbezogenes Mitwirkungsrecht ist damit gewahrt. Einer erweiterten Sachaufklärung bedarf es nach abgelegtem Examen sodann regelmässig nicht, weil die Leistung ohne nähere Erklärung des Prüflings durch den Experten im Lichte der Prüfungskriterien bewertet werden kann. Die konkrete Situation und Interessenlage nach Ablegung eines Examens gebietet also im Lichte des bundesgerichtlichen Gehörsanspruchs im allgemeinen nicht, den Betroffenen vor Erlass eines negativen Examensentscheides zu seiner Leistung anzuhören.
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d) Im vorliegenden Fall stellt sich nun allerdings insofern ein spezielles Problem, als nicht die Prüfungskommission selber, sondern auf deren Antrag und Bericht hin das Obergericht über die Erteilung des Fähigkeitsausweises entschieden hat (§ 9 des Dekretes betreffend das Anwaltswesen vom 30. Juni 1930, Anwaltsdekret). Fraglich ist, ob der Bericht der Prüfungskommission dem Beschwerdeführer zu unterbreiten sei. Das Akteneinsichtsrecht besteht dann, wenn es sich bei diesem Bericht um ein beweiserhebliches Dokument und nicht bloss um ein verwaltungsinternes Papier handelt (BGE 103 Ia 492). Wie das Bundesgericht bereits im ![]() | 7 |
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Die Rüge ist unbegründet. Wohl leitet sich aus Art. 4 BV ein Mindestanspruch auf Unabhängigkeit und Unbefangenheit der Behörde ab (BGE 112 Ia 147; BGE 107 Ia 137). Dieser Anspruch wird aber durch den Beizug praktizierender Anwälte als Prüfungsexperten nicht verletzt. Die blosse Möglichkeit, dass ein Kandidat, der die Prüfung besteht, später in ein Konkurrenzverhältnis zu den ihn prüfenden Anwälten treten könnte, führt noch nicht zu einer Interessenkollision und lässt nicht generell auf eine Befangenheit schliessen.
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a) Bei der Festlegung der Anforderungen für das Bestehen einer Prüfung kommt den kantonalen Behörden ein weiter Gestaltungsspielraum zu. Die Prüfungsanforderungen haben jedoch den zu schützenden polizeilichen Rechtsgütern zu dienen. Unter dem Gesichtspunkt des Verhältnismässigkeitsgrundsatzes müssen sie geeignet sein, den mit der Prüfung verfolgten Zweck zu erreichen. Die Prüfungsordnung darf nicht unnötige oder übertriebene Erfordernisse aufstellen, muss anderseits aber den Schutzbedürfnissen des Publikums ausreichend Rechnung tragen (vgl. BGE 112 Ia 325).
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Die Frage hingegen, ob der Beschwerdeführer mit seiner Lösung der Prüfungsfälle seine Befähigung zum Anwaltsberuf nachgewiesen hat, ist im Lichte der konkreten Aufgabenstellung und der dort gemachten Sachverhaltsangaben zu beurteilen. Dies ist Gegenstand der Bewertung der Examensleistung, die vom Bundesgericht auf Willkür hin überprüft wird (E. 6).
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c) Der Beschwerdeführer trägt vor, die Anwaltsprüfung dürfe keine höheren Anforderungen stellen, als dies die Universität Zurich für das juristische Lizentiat tue. Diese Auffassung ist verfehlt. Ein Hochschulabschluss stellt keine Polizeibewilligung für eine Tätigkeit dar, bei der Schutzbedürfnisse des Publikums zu beachten wären. Der Vergleich des Beschwerdeführers mit seinen Leistungen an der Universität entbehrt damit zum vornherein der Grundlage. Im übrigen behauptet der Beschwerdeführer mit Recht nicht, der Prüfungsstoff habe übertriebene Anforderungen - etwa auf einem Spezialgebiet - gestellt, die von einem Anwalt nicht erwartet werden könnten. Ob die Prüfungskommission und das Obergericht die erbrachten Leistungen gemessen an der Aufgabenstellung zu streng beurteilt haben, ist wiederum Frage der Bewertung (E. 6) und nicht der Verhältnismässigkeit.
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5. Unter dem Gesichtspunkt des aus Art. 31 BV folgenden Anspruchs auf Gleichbehandlung der Gewerbegenossen kann der Beschwerdeführer nichts zu seinen Gunsten ableiten. Wenn gemäss § 4 Abs. 2 Anwaltsdekret Bewerbern mit langjähriger praktischer juristischer Tätigkeit die Prüfung ganz oder teilweise erlassen ![]() | 15 |
Der Beschwerdeführer wirft den kantonalen Behörden weiter vor, sie würden mit der Anwaltsprüfung wirtschaftspolitische Zielsetzungen verfolgen, indem sie die praktizierenden Anwälte vor Konkurrenz zu schützen suchten. Aus der Tatsache allein, dass heute mehr Kandidaten als früher die Prüfung nicht bestehen, kann dieser Schluss allerdings nicht gezogen werden. Das Obergericht führt diesbezüglich mit Recht an, die Anforderungen der Praxis an die beruflichen Fähigkeiten der Anwälte seien zufolge einer vielfältigeren und differenzierteren Gesetzgebung heute höher als früher. Die Rüge erweist sich damit, soweit sie in einer Art. 90 Abs. 1 lit. b OG genügenden Weise vorgetragen wird, als unbegründet.
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