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Bearbeitung, zuletzt am 15.03.2020, durch: Sabiha Akagündüz, A. Tschentscher | |||
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21. Urteil der II. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 19. Februar 1988 i.S. M. R. gegen Regierungsrat des Kantons Zürich (staatsrechtliche Beschwerde) | |
Regeste |
Art. 49 und 50 BV, Art. 9 EMRK; Schuldispensation für Laubhüttenfest der Weltweiten Kirche Gottes. |
Benötigen Angehörige einer stark auf dem Alten Testament basierenden Religionsgemeinschaft pro Jahr insgesamt nicht mehr Tage Schuldispensation, als der Kanton Zürich den - meistbegünstigten - Angehörigen der jüdischen Religion zugesteht, so wird das Verhältnismässigkeitsgebot verletzt, wenn die Schuldispensation für 5 (oder, je nach Jahr, 6) aufeinanderfolgende Tage mit der Begründung verweigert wird, dass Schüler jüdischen Glaubens nie mehr als 4 aufeinanderfolgende Tage Schuldispensation beanspruchen müssen (E. 5). | |
Sachverhalt | |
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Rekurse wurden sowohl von der Bezirksschulpflege als auch vom Erziehungsrat des Kantons Zürich abgewiesen. Der Erziehungsrat führte in seinem Entscheid vom 10. März 1987 aus, da die Mitglieder der Weltweiten Kirche Gottes die gleichen Festtage feierten wie die Angehörigen des jüdischen Glaubens, sei § 58 Abs. 2 der Verordnung betreffend das Volksschulwesen des Kantons Zürich vom 31. März 1900 (Schulverordnung) analog anzuwenden; unter diesen Umständen sei eine Dispensation von 4 Tagen für das Laubhüttenfest angemessen.
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Am 3. und 5. April 1987 erhob M. R. Rekurs an den Regierungsrat des Kantons Zürich. Er machte geltend, die Weltweite Kirche Gottes sei eine christliche und keine jüdische Glaubensgemeinschaft; die Mitglieder dieser Kirche müssten das Laubhüttenfest und anschliessend den Letzten Grossen Tag für eine Dauer von 8 Tagen an einem gemeinsamen Ort feiern.
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Am 10. Juni 1987 wies der Regierungsrat den Rekurs kostenfällig ab.
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Mit rechtzeitiger staatsrechtlicher Beschwerde vom 17. August 1987 beantragt M. R., der Beschluss des Regierungsrats sei aufzuheben, unter Kosten- und Entschädigungsfolgen zu Lasten des Beschwerdegegners.
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Erwägungen: | |
1. a) Gemäss Art. 88 OG steht das Recht zur Beschwerdeführung einem Privaten bezüglich solcher Rechtsverletzungen zu, die er durch allgemein verbindliche oder ihn persönlich treffende behördliche Anordnungen erlitten hat. Die Beschränkung der Schuldispensation für das Laubhüttenfest auf 4 Tage stellt offensichtlich eine den Beschwerdeführer im Sinne dieser Bestimmung ![]() | 6 |
b) Wie bereits der Regierungsrat feststellte, war das aktuelle Interesse an einem Entscheid über die Gewährung der Schuldispensation für das Laubhüttenfest des Jahres 1986 schon zum Zeitpunkt seines Beschlusses nicht mehr gegeben. Da aber die Frage sich alle Jahre für den Beschwerdeführer wieder stellen kann und die Gefahr besteht, dass nie rechtzeitig sämtliche Instanzen durchlaufen werden könnten, ist der Regierungsrat trotzdem auf die Beschwerde eingetreten. Dasselbe gilt für die Legitimation zur staatsrechtlichen Beschwerde. Im Blick auf künftige Wiederholungen der gleichen Fragestellung kann also auch auf die staatsrechtliche Beschwerde eingetreten werden, wobei sich aber der Entscheid auf das konkrete Dispensationsbegehren für das Jahr 1986 zu beschränken hat. Es ist zu prüfen, ob die Gewährung einer Dispensation von bloss 4 Tagen anstelle einer solchen von 5 Tagen verfassungswidrig war.
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Trotzdem ist - um auch die Tragweite für die Zukunft zu erfassen - zu beachten, dass der Bedarf an Schuldispensation für das Laubhüttenfest, das bis und mit dem Letzten Grossen Tag jeweils 8 Tage dauert, von Jahr zu Jahr verschieden sein kann. So bestand 1987 überhaupt kein Bedarf, da das Fest in die Herbstferien fiel. 1988 dauert das Fest von Montag dem 26. September bis Montag den 3. Oktober, so dass - unter Berücksichtigung des bereits frei gegebenen Samstags - 6 schulfreie Tage benötigt werden. 1989 (Samstag 14. Oktober bis Samstag 21. Oktober) werden es wiederum - wie 1986 - 5 Tage sein. Mehr als 6 Tage werden nie benötigt, weil in den Zeitraum von 8 Tagen stets ein Wochenende (mit dem bereits bewilligten schulfreien Samstag) fällt.
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a) Gemäss Art. 49 BV ist die Glaubens- und Gewissensfreiheit unverletzlich (Abs. 1); die Ausübung bürgerlicher oder politischer Rechte darf aber durch keinerlei Vorschriften oder Bedingungen ![]() | 10 |
b) Gemäss Art. 27 Abs. 2 BV haben die Kantone für genügenden Primarunterricht zu sorgen, welcher ausschliesslich unter staatlicher Leitung steht; derselbe ist obligatorisch und in den öffentlichen Schulen unentgeltlich; die öffentlichen Schulen sollen von den Angehörigen aller Bekenntnisse ohne Beeinträchtigung ihrer Glaubens- und Gewissensfreiheit besucht werden können (Abs. 3). Die Verfassung selber statuiert in Art. 27 somit eine Bürgerpflicht und schränkt insofern die von ihr selber garantierte Glaubens- und Gewissensfreiheit ein; die gleiche Bestimmung selbst wiederholt aber den Grundsatz, dass dieses Grundrecht durch das Schulobligatorium nicht beeinträchtigt werden darf. Es ![]() | 11 |
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Die Vorschrift in Art. 27 Abs. 3 BV, wonach die öffentlichen Schulen von den Angehörigen aller Bekenntnisse ohne Beeinträchtigung ihrer Glaubens- und Gewissensfreiheit sollen besucht ![]() | 13 |
b) In BGE 66 I 158 wurde gestützt auf die Bestimmung in Art. 49 Abs. 4 BV, wonach Glaubensansichten nicht von der Erfüllung bürgerlicher Pflichten entbinden, ausgeführt: Eine bürgerliche Pflicht sei der obligatorische Schulbesuch im Rahmen der staatlichen Gesetzgebung, und damit auch der Schulbesuch am Samstag; sofern das kantonale Schulgesetz keine Ausnahme vom Schulbesuch am Samstag vorsehe, dürfe daher das Gesuch eines Adventisten um Bewilligung einer Ausnahme abgelehnt werden; dieser Entscheid verstosse auch nicht gegen die Kultusfreiheit, denn die Ausübung gottesdienstlicher Handlungen sei nur gewährleistet innerhalb der Schranken der öffentlichen Ordnung (Art. 50 Abs. 1 BV), womit die staatliche Schulgesetzgebung ebenfalls vorbehalten sei.
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Hinsichtlich des Schulbesuchs am Samstag sieht § 59 Schulverordnung für den Kanton Zürich - anders als die gesetzliche Ordnung im erwähnten Urteil - eine grosszügige Lösung vor. Aus den Erwägungen jenes Urteils ist jedoch auch für den vorliegenden Fall festzuhalten, dass für die Frage, in welchem Ausmass für Feiertage der Religionsgemeinschaft, der der Beschwerdeführer angehört, Dispensation zu erteilen sei, vorab auf die konkrete Regelung in den kantonalen schulrechtlichen Erlassen abzustellen ist. Unmittelbar gestützt auf die Verfassung lässt sich jedenfalls ein Anspruch auf die beantragte Schuldispensation nach dem bisher Gesagten nicht herleiten, wenn die zürcherischen Normen über die Schuldispensation grundsätzlich der Glaubens-, Gewissens- und Kultusfreiheit in genügendem Ausmass Rechnung tragen.
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Diese Regelung ist grundsätzlich geeignet, den religionsrelevanten Grundrechten im Rahmen des Schulobligatoriums gerecht zu werden. Der Regierungsrat hat seinen Entscheid denn auch auf diese Verordnungsbestimmungen gestützt und darin eine gesetzliche Grundlage für die Grundrechtsbeschränkung erblickt. Im folgenden ist seine Anwendung und Auslegung der kantonalen Normen zu prüfen.
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b) Da die Schulverordnung keine ausdrückliche Regelung für die Angehörigen der Weltweiten Kirche Gottes enthält, ist von § 58 Abs. 3 auszugehen, wonach Schüler anderer Bekenntnisse auf Verlangen des Besorgers an Hohen Feiertagen zu dispensieren sind. Der Regierungsrat hat dies nicht verkannt, vertritt aber die Auffassung, dass die für Schüler jüdischen Glaubens gemäss § 58 Abs. 2 und § 59 Abs. 1 möglichen Dispensationen - die am weitesten gehen - die absolute oberste Grenze bei der Bewilligungspraxis hinsichtlich der Befreiung vom Unterricht aus religiösen Gründen bildeten. Geht man davon aus, dass hinsichtlich der Ausnahmen von der Verpflichtung, den Unterricht zu besuchen, Schranken gesetzt werden müssen (vgl. E. 3), ist diese Auslegung des Regierungsrats auch bei freier Prüfung grundsätzlich nicht zu beanstanden. Es entspricht dem Legalitätsprinzip am besten, wenn die Grenze für Schuldispensationen bspw. bezüglich Anzahl Tage bei der in der Verordnung selbst enthaltenen grosszügigsten Regelung angesetzt wird. Die Freistellung von Kindern anderer Bekenntnisse soll dann keinen grösseren Umfang annehmen, aber entsprechend dem Bekenntnis andere Tage erfassen.
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Ob § 58 Abs. 3 Schulverordnung, der immerhin für Schüler anderer Bekenntnisse eine gesonderte Dispensationsregelung vorsieht, auch bloss hinsichtlich der Anzahl zusammenhängender schulfreier Tage nicht über das für jüdische Schüler geltende Mass um nur einen oder zwei Tage hinauszugehen erlaubt, ist letztlich nicht mehr eine Frage der gesetzlichen Grundlage, sondern eine Frage der Verhältnismässigkeit.
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Das öffentliche Interesse an der Einhaltung des Schulobligatoriums ist unter dem Gesichtspunkt der öffentlichen Ordnung (geregelter ![]() | 22 |
b) Im vorliegenden Fall ist davon auszugehen, dass das kantonale Recht Schuldispensationen zur Begehung religiöser Feste in grosszügiger Weise gewährt, indem der Kanton dafür nebst den schulfreien Samstagen bis zu 13 Tage vorsieht, entsprechend der Regelung für jüdische Kinder. Im hier fraglichen Jahr 1986 beanspruchte der Beschwerdeführer für seine Tochter bloss 12 Tage Schuldispensation, im Maximum sind im einzelnen Jahr 13 Tage erforderlich.
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Es mag zutreffen, dass die Beeinträchtigung des Schulbetriebes - eher wohl des Lernerfolges für den betreffenden Schüler - grösser ist, wenn sich die Dispensationen nicht auf einzelne bzw. je auf wenige zusammenhängende Tage verteilen, sondern jeweils grössere Zeitabschnitte erfassen. Es ist jedoch schwer vorstellbar, dass diese Beeinträchtigung wesentlich stärker ist, wenn - nicht jedes Jahr - zusammenhängende Abwesenheiten von 5 bis 6 Tagen anstelle von bloss 4 Tagen anfallen.
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Dagegen ist zu berücksichtigen, dass die an sich grosszügige Gewährung von 4 Tagen Dispensation dem Beschwerdeführer praktisch nichts nützt, da es ihm dadurch nicht ermöglicht wird, mit seiner Tochter dem Gebot seiner Religionsgemeinschaft nachzuleben, das Laubhüttenfest an allen 8 Tagen in der Gemeinschaft zu feiern, was regelmässig im Ausland - normalerweise in Bonndorf in der Bundesrepublik Deutschland - geschieht. Um dies tun zu können, bedurfte er für das - hier streitige - Jahr 1986 eines zusätzlichen Tages, in späteren Jahren würden es höchstens 2 Tage sein. Für den Beschwerdeführer stellt es damit einen entscheidenden Unterschied dar, ob bloss für 4 oder für 5 Tage (1986) Dispensation erteilt wird. Wegen eines einzigen zusätzlichen Tages, für den nicht Dispensation erteilt wird, steht die Einhaltung des 8tägigen Laubhüttenfestes als Ganzes in Frage. Der Beschwerdeführer wird in seiner Glaubens-, Gewissens- und Kultusfreiheit in schwerwiegender Weise getroffen. Zu berücksichtigen ist vor allem auch, ![]() | 25 |
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