BGE 114 Ia 335 | |||
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Bearbeitung, zuletzt am 15.03.2020, durch: DFR-Server (automatisch) | |||
56. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 10. November 1988 i.S. Erbengemeinschaft G. gegen Munizipalgemeinde Romanshorn, Baudepartement und Verwaltungsgericht des Kantons Thurgau (staatsrechtliche Beschwerde) | |
Regeste |
Art. 22ter BV, Zone für öffentliche Bauten und Anlagen, öffentliches Interesse, Art. 21 Abs. 2 RPG. |
2. Der Wegfall des Interesses des Kantons an einer Zone für öffentliche Bauten und Anlagen schliesst deren Zulässigkeit nicht aus, wenn die Gemeinde ein genügendes Interesse für ihre öffentlichen Bedürfnisse ausweist (E. 2b). |
3. Das auf weite Sicht für Sportanlagen benötigte Land darf mit einer Zone für öffentliche Bauten und Anlagen entsprechend den Planungsgrundsätzen gesichert werden (E. 2c), doch muss der Bedarf genügend ausgewiesen und die Errichtung der Anlagen mit einiger Sicherheit zu erwarten sein (E. 2d). | |
Sachverhalt | |
Die Erbengemeinschaft G. ist Eigentümerin der ungefähr 13 000 m2 umfassenden Parzelle Nr. 828 im Gebiet "Untere Weitenzelg" in Romanshorn. Diese Liegenschaft bildet Teil einer grösseren Zone für öffentliche Bauten und Anlagen (Reservezone), welche im Zonenplan von 1975, dessen Rechtskraft im Jahre 1979 eintrat, festgesetzt worden war. Bei der Teilrevision des Zonenplanes von 1986 beantragte die Erbengemeinschaft G. mit Einsprache und Beschwerde die Umzonung ihrer Parzelle in eine mehrgeschossige Wohnzone, nachdem sie bereits zuvor mit entsprechenden Begehren an den Gemeinderat Romanshorn und den Regierungsrat des Kantons Thurgau gelangt waren. Sowohl die Gemeinde und das kantonale Baudepartement als auch das Verwaltungsgericht des Kantons Thurgau lehnten jedoch ihre Begehren ab, im wesentlichen mit der Begründung, die Liegenschaft werde gemäss der Sportstättenplanung der Gemeinde für Sportanlagen benötigt, was aufgrund des Bedarfes mit genügender Sicherheit feststehe.
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Gegen den Entscheid des Verwaltungsgerichts vom 5. Juli 1988 gelangte die Erbengemeinschaft G. mit staatsrechtlicher Beschwerde an das Bundesgericht. Sie ist der Meinung, die Zone für öffentliche Bauten und Anlagen verstosse gegen die gemäss Art. 22ter BV gewährleistete Eigentumsgarantie. Zwar anerkennt sie, dass sich die Festsetzung dieser Zone auf eine genügende gesetzliche Grundlage und an sich auch auf ausreichende öffentliche Interessen zu stützen vermag. Sie rügt jedoch eine geradezu willkürliche Interessenabwägung zwischen den öffentlichen und ihren privaten Interessen. Die Zone sei ursprünglich für Kantonsschulbauten vorgesehen gewesen, von welchen man seit 1972 gesprochen habe. Seit 1984 stehe fest, dass das Grundstück vom Kanton nicht benötigt werde, doch bestünde seit dreizehn Jahren auch die Absicht, auf der Parzelle Nr. 828 Sportstätten zu errichten. Den Bürgern seien jedoch keine Detailpläne vorgelegt worden. Ein so vages öffentliches Interesse, welches die Beschwerdeführer jahrelang an einer baulichen Nutzung ihres Landes hindere, überwiege das private Interesse nicht.
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Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab
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aus folgenden Erwägungen: | |
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2. Die Zone für öffentliche Bauten und Anlagen führt zu einer öffentlichrechtlichen Eigentumsbeschränkung, die mit der Eigentumsgarantie vereinbar ist, wenn sie sich auf eine klare gesetzliche Grundlage stützt, im überwiegenden öffentlichen Interesse liegt, verhältnismässig ist und voll entschädigt wird, sofern sie einer Enteignung gleichkommt (BGE 113 Ia 132 E. 7, 364 E. 2, BGE 111 Ia 26 f. E. 3, 96 E. 2 je mit Hinweisen). Die gesetzliche Grundlage ist nicht bestritten. Desgleichen anerkennen die Beschwerdeführer, dass an sich ein öffentliches Interesse an der Festsetzung einer Zone für öffentliche Bauten und Anlagen besteht. Sie verneinen jedoch ein ausreichend konkretisiertes öffentliches Interesse für die Inanspruchnahme ihrer Parzelle Nr. 828. Nach dem Wegfall des Interesses des Kantons für die Inanspruchnahme ihrer Liegenschaft für Anlagen der Kantonsschule sei das geltend gemachte Interesse der Gemeinde für Sportanlagen zu vage; es vermöge daher ihr privates Interesse an einer baulichen Nutzung ihrer Liegenschaft nicht zu überwiegen.
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a) Ob eine Eigentumsbeschränkung im öffentlichen Interesse liegt und ob dieses das entgegenstehende private Interesse überwiegt, prüft das Bundesgericht grundsätzlich frei. Es auferlegt sich jedoch Zurückhaltung, soweit die Beurteilung von einer Würdigung der örtlichen Verhältnisse abhängt, welche die kantonalen Behörden besser kennen und überblicken als das Bundesgericht (BGE 113 Ia 33 E. 2, BGE 112 Ia 316 f. E. 3b; BGE 110 Ia 172 E. 7b aa, je mit Hinweisen).
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b) Die Beschwerdeführer stellen nicht in Abrede, dass sich im Gebiet "Untere Weitenzelg" in unmittelbarer Nähe ihrer Liegenschaft sowohl Schulbauten als auch Sportanlagen befinden. Bei der von der Gemeinde im Jahre 1975 eingeleiteten Totalrevision des Zonenplanes stand noch nicht fest, ob die Parzelle der Beschwerdeführer vom Kanton für Bauten und Anlagen der Kantonsschule beansprucht werde. Seit 1984 besteht Klarheit darüber, dass dies nicht zutrifft. Es war jedoch stets auch von einer allfälligen Inanspruchnahme für Sportanlagen der Gemeinde die Rede. Wie die Beschwerdeführer selbst darlegen, werde doch schon seit dreizehn Jahren hiervon gesprochen. Der Wegfall des Interesses des Kantons an einem Liegenschaftserwerb steht dem geltend gemachten Interesse der Gemeinde nicht entgegen. Dass sich Interessen des übergeordneten Gemeinwesens mit Interessen der Gemeinde überschneiden können, ist keineswegs aussergewöhnlich. Der Wegfall des einen Interesses ändert an der Zulässigkeit der Eigentumsbeschränkung nichts, sofern das zweite Interesse genügend ausgewiesen ist.
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c) Dass ein öffentliches Werk, für welches die Zone für öffentliche Bauten und Anlagen festgesetzt wird, erst nach Jahren realisiert wird, schliesst das öffentliche Interesse an der Landsicherung nicht aus. Es entspricht vielmehr der Aufgabe der Raumplanung, auf weite Sicht die zweckmässige Nutzung des Bodens festzulegen, um zu einer den Bedürfnissen der Bevölkerung entsprechenden Gestaltung der Siedlungen zu gelangen (Art. 22quater BV; Art. 1 und 3 RPG). Insbesondere sollen für die öffentlichen oder im öffentlichen Interesse liegenden Bauten und Anlagen sachgerechte Standorte bestimmt werden. Dabei ist darauf zu achten, dass Einrichtungen wie Schulen und Freizeitanlagen für die Bevölkerung gut erreichbar sind (Art. 3 Abs. 4 RPG).
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Die Beschwerdeführer ziehen aus den von ihnen angeführten Bundesgerichtsentscheiden 88 I 295 f., 94 I 136 ff. und 102 Ia 369 ff. unzutreffende Folgerungen. Die bundesgerichtliche Rechtsprechung hat seit jeher anerkannt, dass das Gemeinwesen die für öffentliche Anlagen benötigten Flächen auf weite Sicht mit entsprechenden Zonenfestsetzungen sichern darf. Im Entscheid 88 I 295 f. hat es festgestellt, dass eine Gemeinde die Flächen, welche sie für Spielplätze, Promenaden, Parkplätze und für grössere Veranstaltungen benötigt, nach dem voraussichtlichen Bevölkerungswachstum der nächsten 30 Jahre berechnen darf (S. 296). Wenn das Raumplanungsgesetz in Art. 15 die Festsetzung der Bauzonen u.a. nach dem voraussichtlichen Bedarf der kommenden fünfzehn Jahre verlangt, so heisst dies nicht, dass die zu planenden öffentlichen Bauten und Anlagen nicht nach den Bedürfnissen einer längeren Periode bemessen werden dürfen. Art. 18 RPG erlaubt den Kantonen ausdrücklich, weitere Nutzungszonen vorzusehen und Vorschriften aufzustellen über Gebiete, in denen eine bestimmte Nutzung erst später zugelassen wird. Reservezonen oder Zonen zweiter Etappe stellen solche Zonen dar. Man beachte, dass das Bundesrecht für die künftige Erweiterung eines bestehenden öffentlichen Werkes sogar die Enteignung von Land erlaubt, das innert 25 Jahren zu diesem Zwecke verwendet werden muss (Art. 102 Abs. 1 lit. b EntG). Dass im vorliegenden Falle gemäss der Darstellung der Beschwerdeführer seit 1972 vom Landbedarf für die Kantonsschule und seit dreizehn Jahren vom Bedarf für Sportstätten geredet wird, obschon bis heute die entsprechenden Anlagen noch nicht realisiert wurden, steht daher der Festsetzung der Zone für öffentliche Bauten und Anlagen (Reservezone) nicht entgegen.
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d) Voraussetzung zur Festsetzung einer Zone für öffentliche Bauten und Anlagen ist freilich, dass das geltend gemachte zukünftige Bedürfnis genügend konkretisiert ist. Das Bedürfnis ist vom Gemeinwesen so genau wie möglich anzugeben, und die Errichtung der öffentlichen Baute bzw. Anlage muss mit einiger Sicherheit zu erwarten sein (BGE 94 I 136 E. 7b; 102 Ia 369 f. E. 3; nicht publ. Urteil des Bundesgerichts vom 16. Dezember 1987, P., wo gesagt wird, das Bedürfnis sei "mit der grösstmöglichen Genauigkeit" anzugeben). Als unzulässig müsste die Schaffung von Zonen für öffentliche Bauten und Anlagen bezeichnet werden, wenn diese Zonenfestsetzung einzig ein Vorwand dafür wäre, dass sich das Gemeinwesen ausgedehnte Landflächen sichern wollte, um über eine möglichst grosse Handlungsfreiheit für die raumplanerische Gestaltung des Gemeindegebietes zu verfügen (BGE 88 I 295). Steht jedoch aufgrund sorgfältiger Analysen und Prognosen, welche gemäss den heute anerkannten Methoden der Raumplanung durchgeführt werden (siehe hiezu MARTIN LENDI/HANS ELSASSER, Raumplanung in der Schweiz, eine Einführung, 2. Aufl. 1986, insbesondere S. 243 ff.), fest, dass der geltend gemachte Landbedarf für bestimmte öffentliche Bedürfnisse ausgewiesen ist, so ist die Festsetzung der Zone für öffentliche Bauten und Anlagen nicht zu beanstanden.
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e) Im vorliegenden Fall ergibt sich entgegen der Auffassung der Beschwerdeführer aus den Akten mit genügender Deutlichkeit, dass die von der Gemeinde Romanshorn durchgeführte Sportstättenplanung den gesetzlichen Anforderungen, welche an die Raumplanung zu stellen sind, entspricht. Zu verweisen ist namentlich auf den Bericht des Sportamtes des Kantons Thurgau vom 25. Juni 1985. Die vom Sportamt vorgenommene Überprüfung der von der Gemeinde bereits im Jahre 1975 durchgeführten Sportstättenplanung gelangte zur Bestätigung der richtigen Bemessung des Gesamtflächenbedarfs sowie auch zur Feststellung, dass diese Fläche mit den zur Verfügung stehenden Grundstücken nicht vollumfänglich erreicht wird. Die Gemeinde hat in der Folge ihre Sportstättenplanung für die Ortsplanungsrevision 1987 überarbeitet und dabei sowohl die vorhandenen als auch die noch fehlenden Anlagen möglichst genau genannt. Dass diese Anlagen vorzugsweise in Zentren zusammengefasst werden sollen, liegt auf der Hand. Das Gebiet "Untere Weitenzelg" eignet sich diesbezüglich besonders gut, da es zentral gelegen ist und somit dem raumplanerischen Grundsatz entspricht, dass entsprechende Einrichtungen für die Bevölkerung gut erreichbar sein sollen (Art. 3 Abs. 4 lit. b RPG).
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