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Bearbeitung, zuletzt am 15.03.2020, durch: Michelle Ammann, A. Tschentscher | |||
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70. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 20. Dezember 1988 i.S. Heinz Aebi und Mitb. gegen den Grossen Rat des Kantons Bern (staatsrechtliche Beschwerde) | |
Regeste |
Art. 85 lit. a OG; Volksabstimmung über die politische Zukunft des Laufentals vom 11. September 1983, behördliche Intervention. |
2. Eine Intervention einer übergeordneten Körperschaft in den Abstimmungskampf einer ihr untergeordneten Körperschaft ist grundsätzlich unzulässig. Unter Berücksichtigung der Besonderheiten des vorliegenden Falles und der Komplexität der die Laufentalfrage betreffenden Verhältnisse durften indes die Voraussetzungen für eine zusätzliche, die Abstimmungserläuterungen der Bezirkskommission ergänzende kantonal-bernische Information zur Wiederherstellung der Chancengleichheit im Meinungsbildungsprozess als grundsätzlich gegeben erachtet werden (E. 4 und 5). |
3. Aufhebung des die Abstimmung schützenden Entscheides des Grossen Rates des Kantons Bern, da von seiten des Regierungsrates in rechtswidriger Weise - klare Werbung durch ein privates Abstimmungskomitee anstatt objektive und sachliche Information, ohne gesetzliche Grundlage, heimlich und in unverhältnismässigem Umfang - öffentliche Gelder in den Abstimmungskampf eingesetzt wurden und da nicht gesagt werden kann, die strittige Abstimmung wäre ohne Mangel nicht anders ausgefallen (E. 6 und 7). |
4. Gründe - namentlich auch solche der Rechtssicherheit -, die erforderten, von einer Wiederholung der Abstimmung über einen Anschlussvertrag des Laufentals mit dem Kanton Basel-Landschaft abzusehen, fehlen (E. 8). | |
Sachverhalt | |
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Am 3. September 1985 erhoben Heinz Aebi, Konrad Düblin, Alfred Jeker, Ernst Mani und Walter Schmidlin als Stimmberechtigte des Amtsbezirks Laufen Abstimmungsbeschwerde "an die Staatskanzlei zuhanden des zuständigen Entscheidsorgans" des Kantons Bern. Sie beantragten, die Laufentalabstimmung sei nichtig zu erklären, eventuell aufzuheben, und es sei über die gleiche Abstimmungsvorlage eine neue Abstimmung durchzuführen. Zur Begründung wiesen sie darauf hin, dass sich aus dem dem Grossen Rat des Kantons Bern am 2. September 1985 eröffneten Untersuchungsbericht der Besonderen Untersuchungskommission (BUK) zum Bericht Hafner ergebe, dass der Regierungsrat des Kantons Bern dem Propaganda-Komitee "Aktion Bernisches Laufental" (ABL) heimlich und ohne gesetzliche Grundlage nebst einem im Jahre 1980 aus allgemeinen Staatsmitteln entrichteten Betrag von Fr. 60'000.-- weitere Fr. 273'281.-- aus den SEVA-Lotteriegeldern für Abstimmungspropaganda bezahlt habe. Durch diese massive pro-bernische Propaganda sei das Abstimmungsergebnis wesentlich verfälscht worden.
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Nachdem der Grosse Rat des Kantons Bern auf die Beschwerde nicht eingetreten war, gelangten Heinz Aebi, Konrad Düblin, Alfred Jeker, Ernst Mani und Walter Schmidlin mit staatsrechtlicher Beschwerde an das Bundesgericht. Dieses stellte fest, dass der Grosse Rat wegen der Erheblichkeit der neuentdeckten Tatsachen auf das Wiedererwägungsbegehren hätte eintreten müssen, und es hiess die staatsrechtliche Beschwerde mit Urteil vom 18. März 1987 im Sinne der Erwägungen gut, soweit es darauf eintreten konnte (s. BGE 113 Ia 146 ff.).
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Gestützt auf das Bundesgerichtsurteil vom 18. März 1987 trat der Grosse Rat des Kantons Bern auf die von Heinz Aebi, Konrad Düblin, Alfred Jeker, Ernst Mani und Walter Schmidlin erhobene ![]() | 4 |
Hiergegen erhoben Heinz Aebi, Konrad Düblin, Alfred Jeker, Ernst Mani und Walter Schmidlin am 18. Dezember 1987 staatsrechtliche Beschwerde beim Bundesgericht im wesentlichen wegen Verletzung des Stimmrechts (Art. 85 lit. a OG) und wegen Verletzung von Art. 4 BV (Verstoss gegen das Willkürverbot und Missachtung des Rechtsgleichheitsgebotes). Sie stellen folgende Anträge:
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"1. Der Beschluss des Grossen Rates des Kantons Bern vom 3. November 1987 über die Abstimmungsbeschwerde der Beschwerdeführer vom 3. September 1985 sei aufzuheben.
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2. Eventuell sei die Vorinstanz anzuweisen, das Verfahren über die Abstimmungsbeschwerde vom 3. September 1985 wieder aufzunehmen.
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3. Subeventuell sei die Vorinstanz anzuweisen, Vorkehren zu treffen, damit im Amtsbezirk Laufen nochmals über den Anschlussvertrag mit dem Kanton Basel-Landschaft abgestimmt werden kann.
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4. Unter Kosten- und Entschädigungsfolgen zulasten des Kantons Bern."
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Das Bundesgericht heisst die Beschwerde im Sinne der Erwägungen gut, soweit darauf eingetreten werden kann, und hebt den angefochtenen Entscheid auf.
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Aus den Erwägungen: | |
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c) Ein aktuelles praktisches Interesse (s. hiezu BGE 111 Ib 59 E. 2a mit Hinweisen) an der Aufhebung des angefochtenen Entscheides und damit der Wiederholung der in Frage stehenden Abstimmung steht den Beschwerdeführern zu, auch wenn die Verhältnisse im Falle einer Wiederholung der Abstimmung nicht mehr dieselben sein können wie im Jahre 1983. Selbst wenn eine neue Abstimmung das Ergebnis der früheren bestätigen sollte, so würde die Wiederholung jedenfalls die aufgrund der Streitgegenstand bildenden regierungsrätlichen Intervention verbliebenen Zweifel daran, ob das damalige Ergebnis korrekt zustande gekommen sei, beseitigen können. Schon dies für sich alleine begründet ein hinreichendes praktisches Interesse an der Beschwerdeführung.
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3. Die Beschwerdeführer machen im wesentlichen geltend, der Kanton Bern habe als übergeordnete Behörde überhaupt kein Recht gehabt, in die Meinungs- und Willensbildung der Stimmberechtigten des Laufentals direkt oder indirekt einzugreifen. Er habe zudem das durch Art. 1 Zusatz KV garantierte Selbstbestimmungsrecht des Laufentals und auch seine Neutralitätsverpflichtung verletzt. Auf triftige Gründe für ein Eingreifen von seiten der kantonalen ![]() | 14 |
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Als verwerflich gilt unter anderem, wenn eine Behörde mit unverhältnismässigem Einsatz öffentlicher Mittel in den Abstimmungskampf eingreift (s. BGE 108 Ia 157 E. 3b mit Hinweis; ferner nicht veröffentlichtes Urteil vom 20. November 1985 i.S. Ausfeld E. 2b/aa; BGE vom 19. Oktober 1983 i.S. Reist in BVR 1984, S. 102 E. 4a; BGE vom 24. November 1982 i.S. Pfenninger in BVR 1983, S. 4 E. 3; BGE vom 5. Januar 1982 i.S. Umfahrung Uster in ZBl 83/1982, S. 206; BGE vom 11. Mai 1979 i.S. Bauert, in der amtlichen Sammlung [BGE 105 Ia 243 ff.] nicht veröffentlichte E. 3, publiziert in ZBl 81/1980, S. 21; BGE vom 8. Juli 1964 i.S. Beuttner in ZBl 66/1965, S. 251).
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c) Das Bundesgericht hat in seiner Rechtsprechung zu Fällen behördlichen Eingreifens im Abstimmungskampf über eigene Vorlagen wie auch zu solchen betreffend Interventionen einer Gemeinde in einen kantonalen Abstimmungskampf Stellung genommen. Es hat dabei solches behördliches Eingreifen nur als Ausnahme zugelassen und auf Fälle beschränkt, in denen triftige Gründe für eine Tätigkeit der Behörden sprechen (BGE 113 Ia 296; BGE 112 Ia 335 ff. E. 4d mit Hinweisen). Für den Fall des Eingreifens von Gemeindebehörden in den kantonalen Abstimmungskampf hat es angenommen, dass triftige Gründe jedenfalls dann vorliegen, wenn eine Gemeinde und ihre Stimmbürger am Ausgang der Abstimmung ein unmittelbares und besonderes Interesse haben, das jenes der übrigen Gemeinden des Kantons bei weitem übersteigt (BGE 112 Ia 336 mit Hinweisen). Beim Eingreifen der Behörden in den Abstimmungskampf über eigene Vorlagen gelten nach bundesgerichtlicher Rechtsprechung strengere Massstäbe (BGE 112 Ia 337; BGE 108 Ia 159 E. 4b). Triftig sind Gründe für eine zusätzliche Information, Klarstellung usw. dann, wenn sie im Interesse einer unverfälschten Willensbildung und Willensbetätigung der Stimmbürger als notwendig erscheinen und so gewichtig sind, dass sie die Interessen an der freien, unbeeinflussten Meinungsbildung überwiegen (BGE 113 Ia 296; BGE 112 Ia 337 mit Hinweisen). Kein triftiger Grund kann in der Absicht gesehen werden, die Stimmbürger zur Annahme einer Abstimmungsvorlage zu bewegen (s. die soeben zitierten Urteile).
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Das Vorliegen triftiger Gründe ist vom Bundesgericht etwa im erwähnten Urteil vom 24. November 1982 i.S. Pfenninger (BVR 1983, S. 6 f.) angenommen worden. In jenem Urteil hat es eine Plakataktion der Behörden noch als Information gewertet und darin im Gegensatz zur Propaganda keine unzulässige Beeinflussung des Stimmbürgers gesehen, und angesichts der Komplexität ![]() | 19 |
d) Bei der hier zur Diskussion stehenden Abstimmung im bernischen Amtsbezirk Laufen handelt es sich um eine solche einer dem Kanton Bern untergeordneten Körperschaft. Die Frage der Zulässigkeit der Intervention einer übergeordneten Körperschaft in den Abstimmungskampf einer ihr untergeordneten Körperschaft war vom Bundesgericht - soweit ersichtlich - bis heute nicht zu beurteilen. In der Literatur wird ein solcher Eingriff als grundsätzlich unzulässig betrachtet (ETIENNE GRISEL, L'information des citoyens avant les votations, in Festschrift für Hans Nef, Zürich 1981, S. 61; ULRICH WEDER, Die innenpolitische Neutralität des Staates, Diss. Zürich 1981, S. 78; ANDREAS AUER, L'intervention des collectivités publiques dans les campagnes référendaires, in Revue de droit administratif et de droit fiscal [RDAF] 41/1985, S. 192; vgl. auch GEORG MÜLLER, Die innenpolitische Neutralität der kantonalen öffentlichen Unternehmen, in ZBl 88/1987, S. 435; ferner ALFRED KÖLZ, Gutachten an die Besondere Untersuchungskommission [BUK] des Grossen Rates des Kantons Bern vom 20. März 1985, S. 8), ebenso vom Regierungsrat des Kantons Zürich, der mit Entscheid vom 15. November 1978 i.S. Bauert feststellte (ZBl 80/1979, S. 160), dass es unzulässig wäre, wenn der Kanton zur Beeinflussung einer Gemeindeabstimmung staatliche Mittel einsetzen würde (diese Feststellung bildete nicht Gegenstand des anschliessenden bundesgerichtlichen Verfahrens i.S. Bauert, BGE 105 Ia 243 ff. bzw. ZBl 81/1980, S. 20 ff.). GRISEL ![]() | 20 |
Allerdings ist unbestreitbar, dass die in Frage stehende Abstimmungsvorlage den Kanton Bern in seiner Existenz betroffen hat, ging es doch um die Ablösung eines Teils seines Gebietes. Der Kanton Bern ist somit ähnlich wie im Falle einer eigenen Vorlage betroffen gewesen.
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5. Es stellt sich demnach zunächst die Frage, ob der Kanton Bern als übergeordnetes Gemeinwesen unter den damaligen besonderen Verhältnissen in den direktdemokratischen Prozess des ihm untergeordneten Amtsbezirks eingreifen durfte. Der Grosse Rat des Kantons Bern hat diese Frage im angefochtenen Entscheid bejaht im wesentlichen mit der Begründung, mit der zur Diskussion stehenden finanziellen Intervention des Regierungsrates hätten die ungleichlangen Spiesse im Laufental wiederhergestellt werden müssen. Bei der damals gegebenen Situation einerseits aufgrund des jahrelangen Abseitsstehens des Kantons Bern im Auswahlverfahren und anderseits aufgrund der Mitfinanzierung einer öffentlichrechtlichen Körperschaft [der Bezirkskommission Laufental, BKL], die vor allem im Hinblick auf den Anschluss an den Kanton Basel-Landschaft tätig gewesen sei - sei der Kanton Bern gegenüber dem Kanton Basel-Landschaft in einer weit ungünstigeren Ausgangslage gewesen. Es habe durchaus im Interesse des Stimmbürgers gelegen, wenn sich der Kanton Bern aus stark ![]() | 22 |
a) Der Amtsbezirk Laufen ist als öffentlichrechtliche Körperschaft organisiert, sinngemäss wie ein Gemeindeverband (Art. 2 des vom 19. November 1975 datierten Gesetzes über die Einleitung und Durchführung des Anschlussverfahrens des Amtsbezirks Laufen an einen benachbarten Kanton, Anschlussverfahrensgesetz). Der Kanton muss sich daher mit der Rolle der Aufsichtsbehörde begnügen (Art. 19 f. des Anschlussverfahrensgesetzes), dies selbst bei den Verhandlungen mit dem Anschlusskanton (Art. 12 Abs. 2 und Art. 15 Abs. 2 des Anschlussverfahrensgesetzes). Der Amtsbezirk Laufen ist - als eigene politische Einheit - von Verfassungs wegen ermächtigt worden, in einer Volksbefragung über den Anschluss an einen Nachbarkanton zu entscheiden (Art. 1, 5 und 12 Zusatz KV). Es ist ihm in dieser Beziehung eingeräumt worden, einen eigenen Willen zu bilden und ihn durchzusetzen, dies selbst für den Fall, dass das Ergebnis den Vorstellungen des Kantons zuwiderlaufen oder diesem gar Nachteile bringen würde. Durch die Billigung der Zusatzbestimmungen zur Staatsverfassung überliessen es die Stimmbürger des Kantons Bern den Jurassiern einerseits und den Laufentalern anderseits, selbst über ihre Zukunft zu entscheiden; es sollte somit allein vom Willen der Bevölkerung des jurassischen Landesteils abhängen, ihren politischen Status zu bestimmen, ohne dass dem Kanton Bern Einwirkungsmöglichkeiten oder gar ein Veto vorbehalten worden wäre (DANIEL THÜRER, Das Selbstbestimmungsrecht der Völker, mit einem Exkurs zur Jurafrage, Diss. Zürich 1976, S. 213). Damit wurde der Bevölkerung des jurassischen Landesteils und entsprechend auch dem Laufental ein eigentliches Selbstbestimmungsrecht eingeräumt (THÜRER, a.a.O., S. 211 ff.), wie dies der Grosse Rat des Kantons Bern in seiner Botschaft an die Stimmbürger betreffend den Verfassungszusatz hinsichtlich des jurassischen Landesteils im Dezember 1969 ausdrücklich festgehalten hatte. Entsprechend lautete denn auch der Kommentar des vom 7. September 1971 datierten Berichtes der Kommission der guten Dienste für den Jura: "Es rechtfertigt sich..., festzuhalten, dass sie (die neuen Verfassungsbestimmungen) den Jurassiern das Maximum dessen geben, was sie anstreben können, indem sie das bedingungslose Recht auf Selbstbestimmung gewähren... Man kann sich keine grosszügigere Anwendung des Rechts auf Selbstbestimmung vorstellen." Nebstdem bekräftigten die Verhandlungsdelegationen der Regierungsräte der ![]() | 23 |
b) Vom Grundsatz der Trennung der verschiedenen Ebenen der Willensbildung macht die bundesgerichtliche Rechtsprechung - wie ausgeführt worden ist (s. oben E. 4c) - im Falle von Gemeinden eine Ausnahme, die von einer kantonalen Abstimmungsvorlage besonders betroffen sind (s. BGE vom 5. Januar 1982 in ZBl 83/1982, S. 206 f.; BGE 108 Ia 160 f.; BGE 105 Ia 244 ff.). Eine solche Ausnahme ist also nur dort gerechtfertigt, wo es um die Erfüllung spezifischer örtlicher Anliegen, um die Sachnähe der Aufgabenerfüllung oder um die Gewährleistung direkter, örtlicher Demokratie geht (vgl. die soeben zitierten Urteile), wo die Gemeinde eben wirklich "besonders" betroffen ist. Sie lässt sich indes nicht ohne weiteres auf das Verhältnis des Kantons zur Gemeinde ausdehnen. Unvorstellbar erscheint, dass der Kanton generell auf das politische Zustandekommen der Gemeindebeschlüsse hin einwirken und diese nicht nur von Aufsichts wegen kontrollieren würde.
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Ob im allgemeinen Ausnahmefälle als zulässig zu erachten sind, in denen der Kanton vor einer Gemeindeabstimmung über seinen Standpunkt informieren darf - man denke etwa an die sehr aktuellen Fälle von kantonalen Infrastrukturanlagen (z.B. zur Abfallbeseitigung), zu deren Erstellung der Kanton unter Umständen von Gesetzes wegen verpflichtet ist (Art. 31 f. USG), deren Realisierung aber einer Zonenplanänderung bedarf, kann hier offenbleiben, denn im vorliegenden Fall liegen die Dinge speziell. Hier lässt sich von einer besonderen Betroffenheit des Kantons (Bern) sprechen, da es um den Bestand seines Gebietes und seines Volkes und damit um den Bestand der klassischen Merkmale eines Staates schlechthin geht (s. in diesem Zusammenhang etwa HÄFELIN/ ![]() | 25 |
c) Nach dem Ausgeführten soll jeder Stimmbürger seinen Entscheid gestützt auf einen möglichst freien und umfassenden Prozess der Meinungsbildung treffen können. Das bedeutet, dass möglichst alle Argumente mit gleicher Chance geäussert, verbreitet, diskutiert sowie nach Vor- und Nachteilen abgewogen werden können, bevor entschieden wird (BGE 113 Ia 295 E. 3a).
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Gerade diese Zielsetzung bedingt in der Regel, dass die Behörde über ihre Stellungnahme informiert und ihre Auffassung der öffentlichen Interessen wahrt (vgl. BGE 113 Ia 296), was sie namentlich mit ihren Abstimmungserläuterungen macht. In diesem Sinne gab die Bezirkskommission Laufental im Mai 1983 ihre "Erläuterungen zur Volksabstimmung vom 11. September 1983 betreffend den Vertrag vom 2. Februar 1983 über die Aufnahme des Amtsbezirks Laufen in den Kanton Basel-Landschaft" heraus. Im Juni 1983 veröffentlichte sie zudem den "Kommentar zum Anschlussvertrag", der allerdings nicht von ihr selber, sondern vom Kanton Basel-Landschaft zuhanden des Landrates Baselland und "weiterer interessierter Kreise" erstellt worden war. Gemäss seiner Einleitung wurde dieser "Kommentar" den Laufentaler Behörden und allen anderen daran interessierten Stellen abgegeben, womit er der Öffentlichkeit zur Verfügung gestellt wurde. Schliesslich bestand eine vom August 1983 datierte "Vergleichende Darstellung der Kantone Bern und Basel-Landschaft", die ebenfalls von der Bezirkskommission Laufental herausgegeben wurde. Im Vorwort der "Erläuterungen" vom Mai 1983 wurden die Stimmberechtigten auf die beiden soeben genannten zusätzlichen Dokumente verwiesen und darüber orientiert, wie diese beschafft werden könnten.
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Es fragt sich, ob diese Information der Bezirkskommission Laufental der für amtliche Erläuterungen geltenden Pflicht zu objektiver Information und zur Orientierung über Zweck und Tragweite der Vorlage (s. BGE 108 Ia 157) entspricht. Nach bernischem Recht muss die Erläuterung - jedenfalls auf kantonaler Ebene - aus "einer kurzen sachlichen Erläuterung" bestehen, "die auch den Gegenargumenten Rechnung trägt" (Art. 77 Abs. 1 lit. b des bernischen Gesetzes über die politischen Rechte vom ![]() | 28 |
Nach dem Gesagten erscheint die Behauptung des Berner Regierungsrates in seiner Vernehmlassung vom 24. Februar 1988, es habe der Eindruck entstehen können, die Bezirkskommission Laufental stehe einseitig hinter der Vorlage, jedenfalls nicht als völlig unbegründet.
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Unter diesen Umständen spricht einiges dafür, das Vorliegen triftiger Gründe für eine zusätzliche, über die Abstimmungserläuterungen der Bezirkskommission Laufental hinausgehende kantonal-bernische Information über die Gegenargumente zu bejahen. Eine solche zusätzliche Information wäre im Interesse einer unverfälschten Willensbildung und Willensbetätigung der Stimmbürger durchaus zumindest wünschbar gewesen.
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d) Eine andere Frage ist indes, ob ein so gewichtiges Interesse daran bestand, dass es das Anliegen an der freien, unbeeinflussten Meinungsbildung überwog (vgl. BGE 113 Ia 296).
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aa) Um das Anschlussverfahren an sich auf Berner Seite zu ermöglichen, wendete der Kanton Bern für die Arbeiten der Bezirkskommission Laufental aus öffentlichen Geldern insgesamt Fr. 1'365'000.-- auf (dies also unabhängig von den Beträgen, die der Regierungsrat der "Aktion Bernisches Laufental" hatte ![]() | 32 |
Der basellandschaftliche Regierungsrat beziffert die kantonalen Ausgaben, die für die Vorbereitung und die Durchführung der Volksabstimmung im eigenen Kanton - hauptsächlich für die Abstimmungserläuterungen an die eigenen Stimmberechtigten - ausgegeben worden seien, auf rund Fr. 117'000.--. Die restlichen Zahlungen bis auf rund Fr. 239'000.-- hätten sich auf die vorangehenden Phasen, namentlich auf die Auswahl unter den verschiedenen Kantonen, verteilt.
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Beizufügen ist, dass das "Baselbieter Laufental-Komitee" nach Ausweis des Regierungsrates des Kantons Basel-Landschaft über einen Kredit von Fr. 50'000.-- verfügte, welchen es im Verlaufe seiner Tätigkeit praktisch voll ausschöpfte, so dass ihm nach der entscheidenden Abstimmung ein Fehlbetrag in der Höhe von rund Fr. 50'000.-- verblieb. An diesen Fehlbetrag leistete die Basellandschaftliche Kantonalbank dem Komitee auf Beschluss ihres Bankrates hin einen Beitrag von Fr. 25'000.--, dies allerdings erst nach der Abstimmung von 1983 (s. die bereits erwähnte, vom 8. März 1988 datierte Vorlage des Regierungsrates des Kantons ![]() | 34 |
Wie es sich mit den soeben genannten, im Kanton Basel-Landschaft im Hinblick auf die Abstimmung von 1983 geleisteten Zahlungen im einzelnen verhält, ist im vorliegenden Verfahren nicht zu beurteilen. Immerhin kann festgestellt werden, dass keinerlei Hinweis dafür besteht, dass diese Zahlungen in irgendeiner Weise unkorrekt erfolgt wären.
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bb) Ebenfalls am 11. September 1983, an dem im Laufental entschieden wurde, fand die Abstimmung im Kanton Basel-Landschaft statt. Auch in diesem Kanton war - wie erwähnt - eine Abstimmungskampagne durchgeführt worden. Es wurden nicht nur Abstimmungserläuterungen verteilt, sondern wie üblich öffentliche Diskussionen durchgeführt, unter Beteiligung der Medien. Wird in Betracht gezogen, dass das Laufental und das Baselbiet aneinander angrenzen und der gleichen Region angehören, in der die Bürger hin- und herpendeln, dieselben Zeitungen und Medien konsultieren usw., so lässt sich ein erheblicher tatsächlicher Einfluss - eine Fernwirkung - von der Meinungsbildung im Kanton Basel-Landschaft auf diejenige im Laufental nicht ausschliessen.
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Dies spricht wiederum eher für die bernische These von einem gewissen Ungleichgewicht zu Gunsten des Kantons Basel-Landschaft.
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cc) Im vorliegenden Fall gibt es also nicht nur interne Gründe für eine die Abstimmungserläuterungen der Bezirkskommission ergänzende Zusatzinformation seitens der kantonal-bernischen Behörden. Gründe hiefür sind ausserdem zu bejahen, wenn sie - wie hier - von aussen gesetzt wurden. Die Besonderheit liegt im vorliegenden Fall darin, dass das Abstimmungsobjekt ein Vertrag mit einem Partner ist, der ebenfalls in einer Volksabstimmung entschied, und zwar am gleichen Tag, am 11. September 1983. Dieser Besonderheit wird man allein mit dem Hinweis auf das Selbstbestimmungsrecht nach der bernischen Kantonsverfassung nicht gerecht, bezieht sich doch dieses nur auf das interne Verhältnis zwischen dem Laufental und dem Kanton Bern. Der Aussenaspekt der Beziehungen zum Nachbarkanton Baselland wird durch das Selbstbestimmungsrecht nicht erfasst. Die Natur des ![]() | 38 |
e) Unter Berücksichtigung aller dieser Besonderheiten des vorliegenden Falles und der Komplexität der damaligen Verhältnisse, wie sie vorstehend aufgezeigt worden sind, durften die Voraussetzungen für eine zusätzliche, die Erläuterungen der Bezirkskommission ergänzende kantonal-bernische Information zur Wiederherstellung der Chancengleichheit im Meinungsbildungsprozess als grundsätzlich gegeben erachtet werden. Dies gilt um so mehr, wenn man sich die starke Stellung in Erinnerung ruft, welche die schweizerischen Kantone unter der bundesstaatsrechtlichen Bestandes- und Gebietsgarantie besitzen (vgl. HÄFELIN/HALLER, a.a.O., S. 63 ff. N. 203 ff.).
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Eine ganz andere Frage ist dagegen, auf welche Art, mit welchen Mitteln und in welchem Umfang eine solche Intervention durch die kantonalen Behörden erfolgen durfte. Diese Frage braucht indes hier nicht im einzelnen abschliessend beantwortet zu werden, da die Gegenstand des vorliegenden Verfahrens bildenden Zahlungen von rund Fr. 330'000.--, die der bernische Regierungsrat der "Aktion Bernisches Laufental" geleistet hatte, jedenfalls in unzulässiger Weise erfolgt waren, wie nachfolgend aufzuzeigen ist.
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6. a) Bei der "Aktion Bernisches Laufental" handelt es sich um ein privates Abstimmungskomitee. Es stellt sich daher vorerst die Frage, ob es zulässig ist, ein solches Komitee mit öffentlichen Geldern zu unterstützen. Das Bundesgericht hatte im schon erwähnten Urteil vom 19. Oktober 1983 i.S. Reist (BVR 1984 S. 97 ff., insbesondere S. 102 ff. E. 4) zur Frage der Leistung öffentlicher Mittel durch verschiedene Gemeinden an ein Abstimmungskomitee in einem kantonalen Abstimmungskampf Stellung zu nehmen. Es erklärte die Grundsätze der bundesgerichtlichen Rechtsprechung bezüglich anderer Fälle des Eingreifens einer Gemeinde in einen kantonalen Abstimmungskampf als auf den Fall anwendbar. Zur Tatsache der mittelbaren Beteiligung am Abstimmungskampf führte es lediglich aus, der Umstand, dass die Abstimmungspropaganda ![]() | 41 |
Bei der Intervention des Regierungsrates des Kantons Bern handelte es sich nun aber keinesfalls mehr um objektive und sachliche Information, sondern um klare Werbung. Es wurden nicht nur objektiv und sachlich Grundlagen geliefert und mit der ![]() | 42 |
b) Eine verdeckte Einflussnahme ist in besonderem Masse verpönt (s. BGE 113 Ia 296).
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Die zur Diskussion stehenden Mittel, die der bernische Regierungsrat der "Aktion Bernisches Laufental" hatte zukommen lassen, wurden zum grössten Teil (ungefähr Fr. 270'000.-- der der ABL insgesamt bezahlten Summe von rund Fr. 330'000.--) der SEVA-Kasse entnommen. Sie stammten somit aus einer Quelle, über deren Mittel nicht öffentlich abgerechnet wurde. Die Geldentnahme wurde in der Öffentlichkeit nicht nur nicht zugegeben, sondern sogar noch abgestritten. Eine derartige Unterstützung ist jedenfalls verwerflich, weil sie heimlich, d.h. für die Stimmbürger nicht erkennbar und ohne demokratische Kontrolle erfolgt.
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Dazu kommt, dass auch finanzielle Leistungen an Abstimmungskämpfe im allgemeinen einer gesetzlichen Grundlage bedürfen, weil nur so die demokratische Legitimation gewährleistet ist und auch die Minderheiten entsprechend zum Wort kommen (vgl. BGE 108 Ia 164; in diesem Sinne auch KÖLZ, a.a.O., S. 24 ff.). Deshalb hat das Bundesgericht verschiedentlich - unausgesprochen - vorausgesetzt, dass sich die Kreditbewilligung auf einen Gemeindeversammlungs- oder Parlamentsbeschluss stützen müsse (BGE 113 Ia 291 ff.; BGE 108 Ia 155 ff.; BGE 105 Ia 243 ff.; im bereits erwähnten Urteil vom 24. November 1982 i.S. Pfenninger [BVR 1983, S. 1 ff.] brauchte die Frage, ob es einer gesetzlichen Ermächtigung für behördliche Information ausserhalb der Abstimmungsbotschaft bedürfe, nicht entschieden zu werden, nachdem GRISEL [a.a.O., S. 59/60] die Feststellung im Urteil Beuttner vom 8. Juli 1964 [ZBl 66/1965, S. 247], dass der Erlass von Abstimmungsempfehlungen wie jedes Verwaltungshandeln eine gesetzliche Ermächtigung voraussetze, kritisiert hatte, doch standen eben im letztgenannten Urteil anders als im vorliegenden Verfahren blosse behördliche Abstimmungsempfehlungen und nicht von einer Behörde über die üblichen amtlichen Empfehlungen oder Erläuterungen hinausgehend erbrachte finanzielle Leistungen zur Diskussion).
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Für die Zahlungen in der Höhe von rund Fr. 330'000.--, die der Regierungsrat der "Aktion Bernisches Laufental" verdeckt überwiesen hatte, fehlt eine gesetzliche Grundlage. Auch die Motion Mast, die beim Grossen Rat des Kantons Bern zwischen der ersten und der zweiten der regierungsrätlichen Zahlungen an die ABL eingereicht wurde, vermag die gesetzliche Grundlage nicht zu ersetzen; sie war in dieser Hinsicht zu unbestimmt formuliert, hatte sie doch - soweit hier wesentlich - lediglich folgenden Wortlaut:
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"Der Grosse Rat des Kantons Bern bezeugt den Laufentalern seine Verbundenheit und Freundschaft... Der Regierungsrat wird beauftragt, die Öffentlichkeit in diesem Sinn zu informieren und dafür die nötigen Mittel zur Verfügung zu stellen." Im übrigen handelte es sich bei rund Fr. 270'000.-- der der "Aktion Bernisches Laufental" zur Verfügung gestellten Gelder - wie erwähnt - um solche des SEVA-Fonds, die nicht für die Zwecke bestimmt waren, für die sie dann tatsächlich eingesetzt wurden. Der Regierungsrat war somit ebenfalls aus diesem Grunde zu den betreffenden Ausgaben nicht befugt.
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a) Die Auswirkungen der unzulässigen Unterstützung der "Aktion Bernisches Laufental" mit öffentlichen Mitteln lassen sich zwar nicht ziffernmässig feststellen. Dies bedeutet indes nicht, dass der Mangel schon deswegen als erheblich zu erachten und der angefochtene Entscheid aufzuheben bzw. die Abstimmung neu durchzuführen sei. Vielmehr ist nach den gesamten Umständen zu beurteilen, ob eine Beeinflussung des Abstimmungsergebnisses möglich gewesen ist. Dabei ist namentlich auf die Grösse des ![]() | 51 |
b) Die Abstimmung ergab 3575 Ja-Stimmen (43,33%) und 4675 Nein-Stimmen (56,67%). Die Differenz betrug somit 1100 Stimmen oder 13,34%. Diese Differenz ist relativ gross. Damit bei gleicher Zahl der Stimmberechtigten eine die Vorlage annehmende Mehrheit zustande gekommen wäre, hätten mindestens 551 der mit Nein stimmenden - also 6,68% der an der Abstimmung teilnehmenden - Stimmbürger anders stimmen müssen. Die Stimmbeteiligung zeigte ein Rekordergebnis von 92,9%. Es lässt sich dabei nicht mit Sicherheit feststellen, ob und auf welcher Seite die Stimmbeteiligung ohne Mangel geringer gewesen wäre. Auch darf nicht unbeachtet gelassen werden, dass die Abstimmung vom 18. Juni 1978 über die Initiative auf Einleitung des Trennungsverfahrens bei einer Stimmbeteiligung von 79% 4164 Ja-Stimmen (65,08%) und 2234 Nein-Stimmen (34,92%) ergeben hatte. Allerdings muss bei der Beurteilung des letztgenannten Resultats berücksichtigt werden, dass eine Zustimmung zur Einleitung des Trennungsverfahrens noch nicht notwendigerweise eine Zustimmung zum tatsächlichen Anschluss an den Kanton Basel-Landschaft bedeutete, welches Argument übrigens auch die Befürworter eines Anschlusses an einen andern Kanton bei jener Abstimmung vorgebracht hatten. Dazu kommen ebenfalls der lange Zeitablauf (fünf Jahre) und die um rund 13,9% höhere Stimmbeteiligung. Welches schliesslich die Motive für den Stimmungswandel waren, ist nicht leicht feststellbar. Allerdings kann aufgrund der von der angefochtenen Abstimmung vorhandenen Zahlen nicht schon zum vornherein gesagt werden, dass bei Fehlen des Mangels ein anderes Abstimmungsresultat nicht ernsthaft in Betracht gekommen wäre. In einem Falle einer Abstimmung im Rahmen einer Gemeindeversammlung nahm das Bundesgericht im Jahre 1986 bei einem Ergebnis von 156 Ja-Stimmen und 131 Nein-Stimmen und bei einem notwendigen Meinungsumschwung von 13 Stimmberechtigten (4,3% der 300 Anwesenden) an, dass ein anderes Abstimmungsergebnis nicht zum vornherein ausgeschlossen gewesen wäre (BGE 112 Ia 134 f. E. 3b). Und im ![]() | 52 |
Entsprechend hängt auch der hier zu treffende Entscheid von einer qualitativen Würdigung der gesamten Umstände des Falles ab.
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Nach dem Gesagten wiegt die im vorliegenden Fall zur Diskussion stehende Intervention durch den bernischen Regierungsrat schwer. Er hat als kantonale Behörde in rechtswidriger Weise in die den Anschlussvertrag mit dem Kanton Basel-Landschaft betreffende Abstimmung des Amtsbezirks Laufen eingegriffen, indem er sich nicht nur eines zu eigentlicher politischer Propaganda eingesetzten privaten Abstimmungskomitees bediente, sondern diesem auch heimlich und im Verhältnis zu seinen Mitteln unverhältnismässig hohe Beträge aus öffentlichen Geldern zukommen liess und dabei diese grossenteils mit Geldern aus dem SEVA-Fonds erbrachte Unterstützung kurze Zeit vor der Abstimmung noch offen in Abrede stellte. Es liegt somit eine Kumulation von schweren Fehlern vor, angesichts derer eine Beeinflussung der Stimmberechtigten als durchaus möglich erscheint. Auch ist nicht zu übersehen, dass es der "Aktion Bernisches Laufental" ohne die massive finanzielle Unterstützung durch den bernischen Regierungsrat gar nicht möglich gewesen wäre, die aufwendige Abstimmungspropaganda durchzuführen. Ebenso kann nicht ausgeschlossen werden, dass eine beträchtliche Anzahl von Stimmbürgern der Abstimmungspropaganda der ABL nicht gefolgt wäre, wenn sie gewusst hätten, dass diese vorwiegend aus öffentlichen Mitteln des Kantons Bern finanziert wurde.
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Unter diesen Umständen, in Anbetracht der Schwere der vorgefallenen Fehler, die durchaus geeignet waren, das Abstimmungsergebnis zu verfälschen, ist es in Nachachtung der aufgezeigten bundesgerichtlichen Rechtsprechung nicht zu umgehen, die Beschwerde gutzuheissen und den Entscheid des Grossen Rates des Kantons Bern vom 3. November 1987 aufzuheben.
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8. Der Regierungsrat des Kantons Bern wendet gegen eine Aufhebung der Abstimmung allerdings auch ein, es stehe nicht ![]() | 56 |
a) Dem bernischen Regierungsrat ist insoweit beizupflichten, als eine Aufhebung der Abstimmung dann zu unterbleiben hätte, wenn eine Wiederholung ausgeschlossen wäre. Zwar muss davon ausgegangen werden, dass der Anschlussvertrag den Stimmberechtigten nicht mehr in genau derselben Form, in der er der zur Diskussion stehenden Abstimmung zugrunde lag, wird vorgelegt werden können, da sich die Verhältnisse in der Zwischenzeit verändert haben. Dieser Umstand vermag jedoch nicht zu bewirken, dass eine neue Volksabstimmung undurchführbar wäre. Vielmehr ist das bisherige Ergebnis der Anschlussverhandlungen den veränderten Verhältnissen im Rahmen neuer Verhandlungen zwischen den Betroffenen anzupassen. Zu diesem Zweck wird allenfalls zunächst eine neue Bezirkskommission zu wählen sein (s. Art. 4 ff., insbesondere auch Art. 7, 10 und 14 ff. des Anschlussverfahrensgesetzes).
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Dabei ist nicht zu übersehen, dass Art. 18 Abs. 4 des bereits genannten Anschlussverfahrensgesetzes vom 19. November 1975 bestimmt, dass das Anschlussverfahren abgeschlossen ist, wenn binnen vier Jahren seit der Ermittlung des Anschlusskantons kein Anschlussvertrag zustande gekommen ist. Es ist jedoch auch vorgesehen, dass diese Frist durch den Regierungsrat auf ein entsprechendes Ersuchen der Bezirkskommission hin um zwei Jahre verlängert wird. Schliesslich sieht die genannte Bestimmung in ihrem letzten Satz vor, dass die Frist im Falle höherer Gewalt unterbrochen wird. Der Regierungsrat hat sich in seiner Vernehmlassung zu Recht nicht auf den Abschluss des Verfahrens infolge Zeitablaufs berufen, obwohl seit der Ermittlung des Anschlusskantons mehr als sechs Jahre vergangen sind. Art. 18 Abs. 4 letzter Satz des Anschlussverfahrensgesetzes kann im vorliegenden Fall analog angewendet werden. Wie bei höherer Gewalt, so ist auch bei einem rechtswidrigen behördlichen Eingreifen in den Abstimmungskampf davon auszugehen, dass eine Frist, wie sie hier zur Diskussion ![]() | 58 |
b) Der bernische Regierungsrat macht geltend, dass das Interesse an einer erneuten Volksabstimmung und das Rechtssicherheitsinteresse gegeneinander abzuwägen seien. Für die Rechtssicherheit und gegen eine neue Abstimmung spreche, dass der politische Alltag im Laufental als Amtsbezirk des Kantons Bern inzwischen wieder eingetreten sei, die Mitwirkungsrechte durch den Bezirksrat genutzt würden und ein erneutes Abstimmungsverfahren die Bevölkerung der Talschaft tief spalten würde.
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Diesem Einwand kann nicht gefolgt werden. Zwar besteht aus der Natur der Sache ein erhebliches Interesse an der Aufrechterhaltung des bisherigen Zustandes und des Einvernehmens unter den Kantonen und soll ganz allgemein ein einmal gefällter Volksentscheid möglichst aufrechterhalten werden (s. VITO PICENONI, Die Kassation von Volkswahlen und Volksabstimmungen in Bund, Kantonen und Gemeinden, Aarau 1945, S. 139 ff.); Nichtigkeit eines Staatsaktes darf dann nicht angenommen werden, wenn überwiegende Rechtssicherheitsinteressen bestehen (vgl. etwa BGE 104 Ia 176 und BGE 102 Ib 298, s. auch BGE 113 Ia 154; FRITZ GYGI, Zur Rechtsbeständigkeit von Verwaltungsverfügungen, in ZBl 83/1982, S. 154 ff.; ferner IMBODEN/RHINOW, Schweizerische Verwaltungsrechtsprechung, 6. Auflage [1986], Band I, S. 241 f.; ![]() | 60 |
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