BGE 114 Ia 466 - Legitimation kraft Gemeindeautonomie | |||
| |||
Bearbeitung, zuletzt am 15.03.2020, durch: DFR-Server, A. Tschentscher | |||
73. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 16. November 1988 i.S. Einwohnergemeinde Luterbach gegen Einwohnergemeinde Deitingen, Vigier Cement AG und Regierungsrat des Kantons Solothurn (staatsrechtliche Beschwerde) | |
Regeste |
Art. 88 OG; Legitimation der Gemeinde zur Anfechtung der Genehmigung der Nutzungsplanung der Nachbargemeinde. | |
Sachverhalt | |
Einige Kilometer vom Kerngebiet der Solothurner Gemeinde Deitingen entfernt liegt im Schnittpunkt der drei solothurnischen Gemeinden Deitingen, Luterbach und Riedholz am rechten Aareufer auf Deitinger Boden das Gebiet "Wilihof". Dort ist seit dem vergangenen Jahrhundert die Vigier Cement AG angesiedelt. Damals entstand in Anlehnung an einen schon bestehenden Herrensitz eine Industrieanlage, in der die Vigier Cement AG während Jahrzehnten ein Zementwerk betrieb. Nach der Verlegung der Zementproduktion nach Reuchenette verblieb im "Wilihof" ein Gewerbe mit Lagerung und Umschlag von Futtermitteln, die Verwaltung sowie ein Zwischenlager für Baumaterialien einer Tochtergesellschaft. An den "Wilihof" grenzt am rechten Aareufer auf dem Gebiet der benachbarten Gemeinde Luterbach eine ausgedehnte Industriezone. Etwa 500 m flussaufwärts liegt auf dem linken Aareufer die Industriezone der Gemeinde Riedholz.
| 1 |
Im Rahmen einer umfassenden Revision der Ortsplanung der Einwohnergemeinde Deitingen legte der Gemeinderat Deitingen die Pläne sowie das neue Bau- und Zonenreglement vom 28. Februar bis 29. März 1985 öffentlich auf. Der Teilzonen- und Gestaltungsplan "Wilihof" enthält die Einzonung des ungefähr 3 ha umfassenden Gebietes in Industriezonen A, B und C. Gegen den Teilzonen- und Gestaltungsplan "Wilihof" erhob die benachbarte Einwohnergemeinde Luterbach Einsprache, die der Gemeinderat Deitingen am 26. Februar 1986 abwies.
| 2 |
Gegen den Einspracheentscheid gelangte die Gemeinde Luterbach mit Beschwerde an den Regierungsrat des Kantons Solothurn. Im Zuge des Beschwerde- und Genehmigungsverfahrens wurden verschiedene Verbesserungen am Gestaltungsplan angebracht. Am 27. Oktober 1987 genehmigte der Regierungsrat den Teilzonen- und Gestaltungsplan in der Fassung vom 21. Januar 1985/13. Februar 1986/7. Januar 1987 und wies gleichzeitig die Beschwerde der Gemeinde Luterbach ab. Eine von der Gemeinde Luterbach gegen diesen Entscheid erhobene staatsrechtliche Beschwerde weist das Bundesgericht ab, soweit es auf sie eintreten kann.
| 3 |
Aus den Erwägungen: | |
4 | |
a) Die Legitimation von Gemeinden zur staatsrechtlichen Beschwerde wegen Verletzung ihrer Autonomie ist nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung immer dann zu bejahen, wenn eine Gemeinde durch den angefochtenen Entscheid in ihren hoheitlichen Befugnissen berührt wird. Ob sie im betreffenden Bereich auch tatsächlich Autonomie geniesst, ist nicht mehr eine Frage des Eintretens, sondern eine solche der materiellen Beurteilung (BGE 114 Ia 76 E. 1 mit Hinweisen).
| 5 |
Im vorliegenden Fall wäre somit auf die Beschwerde ohne weiteres einzutreten, wenn die Beschwerdeführerin sich mit ihr gegen einen Entscheid des Regierungsrats über ihre eigene Ortsplanung zur Wehr setzte. Die Beschwerdeführerin wendet sich indessen mit ihrer staatsrechtlichen Beschwerde nicht gegen einen ihre eigene Ortsplanung betreffenden Genehmigungsbeschluss des Regierungsrats, sondern gegen einen die Ortsplanung ihrer Nachbargemeinde betreffenden Genehmigungsbeschluss. Es erhebt sich daher die Frage, ob die Beschwerdeführerin durch den angefochtenen Entscheid in ihren eigenen hoheitlichen Befugnissen berührt ist.
| 6 |
b) Gemäss § 9 Abs. 1 des Baugesetzes des Kantons Solothurn vom 3. Dezember 1978 (BauG) ist die Ortsplanung Aufgabe der Gemeinden. Die Beschwerdeführerin ist demnach zur Ausarbeitung einer Ortsplanung sowohl berechtigt als auch verpflichtet; sie ist für den Sachbereich der Ortsplanung Trägerin der staatlichen Planungshoheit. Art. 2 Abs. 1 RPG bestimmt, dass Bund, Kantone und Gemeinden ihre Planungen aufeinander abzustimmen, d.h. insbesondere gegenseitige Behinderungen und Widersprüche zwischen Planungen für benachbarte Gebiete vermeiden müssen (EJPD/BRP, Erläuterungen zum Bundesgesetz über die Raumplanung, Bern 1981, Art. 2 N 4 i.V.m. Art. 1 N 18). Diese Abstimmungspflicht, die für das solothurnische Recht in § 9 Abs. 4 lit. c BauG ausgeführt wird, hat zur Folge, dass die vom Regierungsrat genehmigte Ortsplanung der Beschwerdegegnerin die Ortsplanung der Beschwerdeführerin in einem gewissen Umfang präjudiziert, da diese bei der Ausarbeitung ihrer eigenen Planung auf die genehmigte Planung der benachbarten Beschwerdegegnerin Rücksicht nehmen muss. Damit ist die Beschwerdeführerin durch den Genehmigungsbeschluss in ihrer hoheitlichen Befugnis als Trägerin der Planungshoheit für die Ortsplanung betroffen und zur staatsrechtlichen Beschwerde wegen Verletzung ihrer Gemeindeautonomie legitimiert. Ob eine die Legitimation begründende genügende Berührtheit auch dann gegeben wäre, wenn die Möglichkeit der Präjudizierung der Planung einer nicht unmittelbar benachbarten Gemeinde wegen der Entfernung zwischen den Gemeinden als wenig wahrscheinlich erschiene, kann dabei offenbleiben, da die Territorien der Parteien des vorliegenden Beschwerdeverfahrens unmittelbar aneinander grenzen.
| 7 |
© 1994-2020 Das Fallrecht (DFR). |