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37. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 17. Januar 1989 i.S. B. gegen Schulgemeinde Urdorf und Regierungsrat des Kantons Zürich (staatsrechtliche Beschwerde) | |
Regeste |
Antragsrecht der Stimmbürger in der Gemeindeversammlung. |
2. Aus dem bundesrechtlich garantierten Anspruch auf freie, zuverlässige und unverfälschte Willenskundgabe ergibt sich kein unbeschränktes Antragsrecht des Stimmbürgers an der Gemeindeversammlung (E. 4). | |
Sachverhalt | |
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In der Gemeindeversammlung widersetzte sich B. dem Antrag und erklärte, es sei sinnvoller, weiterbildungswilligen Schülern von Urdorf den Besuch eines zehnten Schuljahres anderswo durch einen angemessenen Gemeindebeitrag zu ermöglichen. Er stellte daher einen Rückweisungsantrag.
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Der Versammlungsleiter lehnte es ab, über den Antrag von B. gesondert abstimmen zu lassen, und unterbreitete den Stimmbürgern ausschliesslich den Antrag der Schulpflege zur Abstimmung. Dieser Antrag ist angenommen worden.
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In der Folge erhob B. beim Bezirksrat Beschwerde gegen den Beschluss der Gemeindeversammlung und machte geltend, der Versammlungsleiter hätte seinen Rückweisungsantrag vor der ![]() | 4 |
Gegen den Entscheid des Regierungsrates reichte B. beim Bundesgericht staatsrechtliche Beschwerde im Sinne von Art. 85 lit. a OG ein. Er rügt eine Verletzung des kantonal- und bundesrechtlich garantierten Stimmrechts. Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab.
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Auszug aus den Erwägungen: | |
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Im folgenden ist vorerst zu prüfen, wie es sich mit der Rüge der Verletzung des kantonalen Rechts verhält (E. 3); hernach ist die Beschwerde auf die bundesrechtlichen Garantien des politischen Stimmrechts hin zu untersuchen (E. 4).
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3. a) Nach § 48 Abs. 1 GG beschliesst die Gemeindeversammlung in der Regel auf Antrag der Gemeindebehörden hin; die Anträge sind den Stimmberechtigten vor der Versammlung zur Einsicht aufzulegen. § 48 Abs. 2 GG gestattet es jedem anwesenden ![]() | 8 |
Die Zulässigkeit eines Vorschlages aus den Reihen der Stimmbürger ergibt sich aus dem Vergleich zwischen diesem und dem von den Gemeindebehörden eingebrachten Antrag. Im folgenden ist zu prüfen, wie es sich damit verhält.
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b) Mit dem Antrag der Schulpflege sollte in Urdorf mit einer gemeindeeigenen Schule ein freiwilliges zehntes Schuljahr angeboten werden. Auch der Beschwerdeführer wollte mit seinem Vorstoss ein freiwilliges zehntes Schuljahr ermöglichen. Indessen unterscheidet sich sein Vorstoss schon im Ziel von demjenigen der Schulpflege. Die Schulpflege wollte diese Schule nicht nur Jugendlichen von Urdorf, sondern auch solchen von der Region offen halten; der Vorschlag des Beschwerdeführers aber zielte lediglich auf eine finanzielle Unterstützung von Jugendlichen von Urdorf selber und damit die Ermöglichung eines zehnten Schuljahres anderswo. Auch die Art und Weise der Realisierung ist bei den Vorschlägen des Beschwerdeführers bzw. der Schulpflege wesentlich anders. Die Schulpflege strebte eine gemeindeeigene Schule in den vorhandenen Gebäulichkeiten in Urdorf selber an, während der Beschwerdeführer auf die bestehenden Schulen in andern Gemeinden und insbesondere in Zürich abstellte. Darüber hinaus waren die Grundlagen betreffend die Höhe der auszurichtenden Schulgelder bei der Variante von B. nicht hinreichend geklärt.
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c) Damit stellt sich die Frage, ob der Antrag des Beschwerdeführers als Rückweisungsantrag im Sinne von § 52 GG hätte betrachtet werden sollen und ob demnach gesondert darüber hätte abgestimmt werden müssen. Der Regierungsrat unterscheidet im angefochtenen Entscheid zwischen echten und unechten Rückweisungsanträgen. Als echten Rückweisungsantrag bezeichnet er jenen Antrag, mit dem der Antragsteller eine nochmalige Überprüfung der Vorlage an die Exekutive verlangt, weil sie ihm noch nicht genügend ausgereift erscheint und er zusätzliche Abklärungen oder Änderungen für nötig hält, die aus irgendwelchen Gründen in der Versammlung selbst nicht vorgenommen werden können. Ergibt sich indessen aus der Begründung des Antrages, dass der Antragsteller etwas anderes verlangt, das weiter geht, sei es, dass der Vorlage grundsätzlich nicht zu folgen sei oder ein anderer Vorschlag an ihre Stelle tritt, so liege kein Rückweisungsantrag vor (vgl. THALMANN, a.a.O., N. 1 zu § 52).
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Der Vorschlag des Beschwerdeführers unterschied sich wesentlich vom Antrag der Schulpflege. Er verlangte nicht weitere Abklärungen zum offiziellen Antrag, wie er der Gemeindeversammlung vorlag. Insbesondere machte er zur Begründung nicht geltend, die offizielle Vorlage sei nicht entscheidungsreif und weise Mängel auf, die im Rahmen einer neuen Vorbereitung durch die Schulpflege zu prüfen wären. Es ging dem Beschwerdeführer vielmehr darum, ein grundlegend anderes Modell für die Ermöglichung eines zehnten Schuljahres vorzuschlagen. Bei dieser Sachlage aber kam dem Antrag des Beschwerdeführers nicht der Charakter eines echten Rückweisungsantrages zu. Es stellt daher keine Verletzung von § 52 GG dar, dass über den Antrag des Beschwerdeführers nicht im Sinne eines Rückweisungsantrages abgestimmt worden ist.
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Angesichts des Umstandes, dass sich der Vorschlag des Beschwerdeführers vom Antrag der Schulpflege so wesentlich unterschied, kam ihm die Bedeutung zu, dass der offizielle Antrag abzulehnen sei und damit der Weg für eine Alternative geöffnet werde. Die Realisierung der Alternative des Beschwerdeführers ![]() | 14 |
d) Nach dem Gesagten ist der Beschwerdeführer für die Realisierung seiner Vorstellungen auf das Initiativrecht nach § 50 GG zu verweisen. Das ist in dem Fall nicht weiter problematisch, wenn der Beschwerdeführer die Mehrheit der Gemeindeversammlung von seiner Lösung hätte überzeugen und damit zu einer Ablehnung des Antrages der Schulpflege hätte gelangen können. Nachdem dieser offizielle Antrag nun aber angenommen worden ist, kann einer Initiative die Bestimmung von § 50 Abs. 4 GG entgegenstehen. Diese Regelung ist indessen im Gemeindegesetz so vorgesehen, sodass die eingeschränkte Initiativmöglichkeit keine Verletzung von kantonalem Recht darstellt.
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Das vom Verfassungsrecht des Bundes gewährleistete politische Stimmrecht gibt dem Bürger allgemein den Anspruch darauf, dass kein Abstimmungsergebnis anerkannt wird, das nicht den freien Willen der Stimmbürger zuverlässig und unverfälscht zum Ausdruck bringt (BGE 114 Ia 43, BGE 113 Ia 52 E. 4a, mit Hinweisen). Das bedeutet, dass möglichst alle Argumente mit gleicher Chance geäussert, verbreitet, diskutiert und nach Vor- und Nachteilen abgewogen werden können, bevor entschieden wird (vgl. BGE 113 Ia 295 E. 3a). Aus dem bundesrechtlichen Grundsatz auf freie, zuverlässige und unverfälschte Willenskundgabe kann indessen nicht abgeleitet werden, dass das Antragsrecht der Versammlungsteilnehmer unbeschränkt gewährt werden müsste. Bei Urnenabstimmungen ist es denn auch regelmässig so, dass andere Vorstellungen ![]() | 17 |
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