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40. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 15. November 1989 i.S. B. gegen A. und Mitbeteiligte, Bezirksrichter H. und Verwaltungskommission des Obergerichts des Kantons Zürich (staatsrechtliche Beschwerde) | |
Regeste |
Art. 58 Abs. 1 BV, Art. 6 Ziff. 1 EMRK: Personalunion von Untersuchungsrichter und erkennendem Strafrichter im Privatklageverfahren. |
2. Rechtsprechung zur Personalunion von Untersuchungsrichter und erkennendem Strafrichter im allgemeinen (E. 4c). |
3. Derjenige Bezirksrichter, der im zürcherischen Verfahren der Ehrverletzung durch die Presse bereits die Untersuchung geführt hat, genügt den Anforderungen von Art. 58 Abs. 1 BV und Art. 6 Ziff. 1 EMRK nicht (E. 6). | |
Sachverhalt | |
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Der Präsident des Bezirksgerichts Winterthur liess die Anklage provisorisch zu und bestimmte Bezirksrichter H. als Untersuchungsrichter. Dieser nahm eine Reihe von Abklärungen vor, vernahm den Angeklagten, die Ankläger sowie Zeugen.
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Zu Beginn der Hauptverhandlung vor dem Bezirksgericht Winterthur stellte der Angeklagte B. das Gesuch um Ausstand von Bezirksrichter H. In der Folge wies die für die Beurteilung zuständige Verwaltungskommission des Obergerichts des Kantons Zürich das Ausstandsbegehren am 7. Dezember 1988 ab (publiziert in: ZR 87/1988 Nr. 105).
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Gegen diesen Entscheid reichte B. beim Bundesgericht staatsrechtliche Beschwerde wegen Verletzung von Art. 58 Abs. 1 BV und Art. 6 Ziff. 1 EMRK ein. Das Bundesgericht heisst die Beschwerde gut.
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Auszug aus den Erwägungen: | |
4. a) Es steht im vorliegenden Fall ausser Zweifel, dass Art. 58 Abs. 1 BV auf das bezirksgerichtliche Verfahren Anwendung findet. Trotz des Umstandes, dass es sich um ein Privatklageverfahren handelt, steht eine strafrechtliche Angelegenheit im Sinne von Art. 6 Ziff. 1 EMRK in Frage, da die Ehrverletzungstatbestände im Strafgesetzbuch umschrieben sind und deren Verletzung ![]() | 5 |
b) (Zur Tragweite des Anspruchs auf den verfassungsmässigen Richter siehe BGE 114 Ia 53 E. 3b, 144 E. 3b, mit Hinweisen.)
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c) Eine gewisse Besorgnis der Voreingenommenheit und damit Misstrauen in das Gericht kann bei den Parteien immer dann entstehen, wenn der Richter bereits in einem früheren Zeitpunkt in amtlicher (richterlicher oder nichtrichterlicher) Funktion mit der konkreten Streitsache schon einmal zu tun hatte. Das Bundesgericht hat zu solchen, als sog. Vorbefassung bezeichneten Fällen unter dem Gesichtswinkel von Art. 58 Abs. 1 BV und Art. 6 Ziff. 1 EMRK schon mehrmals Stellung genommen (vgl. BGE 114 Ia 57 E. d, 140 E. 4, 148 E. 5 und 7). Insbesondere hat es in mehreren Fällen die Personalunion von Untersuchungsrichter und erkennendem Strafrichter (für die Kantone Wallis, Freiburg, Graubünden, Bern und Jura) beurteilt und diese Personalunion als verfassungs- und konventionswidrig erklärt (BGE 112 Ia 290 und EuGRZ 1986 S. 670; BGE 113 Ia 72; BGE 114 Ia 275; nicht veröffentlichte Urteile vom 9. Januar 1987 betreffend den Kanton Bern und i.S. B. vom 10. Juni 1987 betreffend den Kanton Jura). - In einem Entscheid aus dem Jahre 1988 ist schliesslich auch die Personalunion von Untersuchungsrichter und erkennendem Strafrichter in einem nach bündnerischem Verfahrensrecht geführten Ehrverletzungsprozess als verfassungswidrig befunden worden (BGE 114 Ia 275).
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In den Entscheiden, mit denen das Bundesgericht die Personalunion von Untersuchungsrichter und erkennendem Strafrichter als verfassungswidrig bezeichnet hat, ist darauf abgestellt worden, dass der Untersuchungsrichter die Untersuchung selber und zum Teil geheim führe und dabei grundsätzlich über ausgedehnte strafprozessuale Kompetenzen inklusive der Befugnis zur Anordnung von Untersuchungshaft verfüge. Es könnten zwischen dem Angeklagten und dem Untersuchungsrichter bei längeren und auch einfacheren Untersuchungen Spannungen auftreten, welche das Misstrauen in die Befangenheit objektiv zu begründen vermögen.
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b) Im Kanton Zürich sind Ehrverletzungsklagen vom Antragsberechtigten auf dem Wege der (prinzipalen) Privatstrafklage zu betreiben (§ 287 StPO). Dabei unterscheidet sich das Verfahren danach, ob es sich um gewissermassen gewöhnliche Ehrverletzungen (§ 309 ff. StPO) oder um Ehrverletzungen durch die Presse (§ 294 ff. StPO) handelt. Zuständig für die Beurteilung von Klagen wegen Ehrverletzungen durch die Presse ist entweder das ![]() | 11 |
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Im vorliegenden Fall hat Bezirksrichter H. als gerichtlicher Untersuchungsrichter die Untersuchung durchgeführt. Zweck der Untersuchung ist es, den Sachverhalt abzuklären und die Voraussetzungen für die definitive Anklagezulassung und die ![]() | 13 |
Es ist der Verwaltungskommission einzuräumen, dass der Untersuchungsrichter im Ehrverletzungsverfahren nur wenig auf den Verfahrensablauf Einfluss nehmen kann. Er ist an der Einleitung des Verfahrens nicht beteiligt. Nach Abschluss der Untersuchung ist es insbesondere Sache der Ankläger, das Verfahren fortzusetzen; der Untersuchungsrichter kann die Untersuchung nicht mit einer Verfügung einstellen (vgl. FRANK, Ehrverletzungsprozess, S. 71; BAUMANN, a.a.O., S. 202 f.). Der Umstand, dass der Untersuchungsrichter nach Abschluss der Untersuchung den Fortgang des Verfahrens nicht bestimmt, ist indessen unter dem ![]() | 14 |
Weiter ist zu berücksichtigen, dass die Abnahme von Beweisen durch das urteilende Gericht oder einen delegierten Richter mit den Verfassungs- und Konventionsgarantien durchaus vereinbar sein kann (nicht veröffentlichtes Urteil vom 24. März 1988 i.S. Joris). So sieht etwa auch § 285 StPO vor, dass nach begonnener Hauptverhandlung die Ergänzung der Untersuchung einem Mitglied des Gerichts übertragen werden kann. Dabei handelt es sich indessen lediglich um Ergänzungen in einem einheitlichen Verfahren, während im Ehrverletzungsverfahren wie im vorliegenden Fall vor der definitiven Anklagezulassung die ganze Untersuchung einem gerichtlichen Untersuchungsrichter übertragen wird und damit mit der Situation von § 285 StPO nicht verglichen werden kann.
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Gesamthaft gesehen ergibt sich, dass sich die Untersuchung des gerichtlichen Untersuchungsrichters im Verfahren der Ehrverletzung durch die Presse von einem ordentlichen Untersuchungsverfahren nicht entscheidend unterscheidet und ihr im vorliegenden Fall eine zentrale Bedeutung für die materielle Beurteilung der Anklage zukommt. Die Besonderheiten des zürcherischen Verfahrens der Ehrverletzung durch die Presse vermögen daher eine Abweichung von der bundesgerichtlichen Beurteilung der Personalunion von Untersuchungsrichter und erkennendem Strafrichter nicht zu rechtfertigen. In der Literatur zum zürcherischen Ehrverletzungsverfahren wird denn zum Teil auch auf die Gleichartigkeit der Untersuchung und damit auf die Fragwürdigkeit der Mitwirkung des Untersuchungsrichters hingewiesen (vgl. FRANK, Ehrverletzungsprozess, S. 70 f.; BAUMANN, a.a.O., S. 214 ff.; SCHMID, ![]() | 16 |
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