BGE 116 Ia 56 | |||
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8. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung vom 15. März 1990 i.S. X. gegen Y. (staatsrechtliche Beschwerde) | |
Regeste |
Auslegung von Willenserklärungen in bezug auf Schiedsabreden. |
- Auslegung nach dem Vertrauensgrundsatz; Auslegungsregeln, die sich aus der besonderen Natur der Schiedsabrede ergeben (E. 3b). | |
Erwägungen: | |
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"Par le présent avenant X. et Y. ont convenu de mettre fin par accord amiable au contrat du 12.4.74, ainsi qu'aux avenants No 1 du 16.7.74, No 2 du 6.1.75, No 3 du 3.9.75 et No 4 du 13.10.76."
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Im Schiedsverfahren bei der internationalen Handelskammer Zürich, wie es Art. 24 des Vertrages vom 12. April 1974 vorsah, leitete Y. am 2. Juni 1986 eine Forderungsklage über US § 48'618'971.-- ein. X. bestritt die Zuständigkeit des Schiedsgerichts und beantragte Nichteintreten auf die Klage; sie stellte sich auf den Standpunkt, die im Vertrag vom 12. April 1974 enthaltene Schiedsklausel sei durch Art. 1 des Avenant No 5 aufgehoben worden.
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Mit Zwischenentscheid vom 16. September 1988 bejahte das Schiedsgericht seine Zuständigkeit und beschloss, auf die Klage einzutreten. Die von X. dagegen ergriffene Nichtigkeitsbeschwerde wies das Obergericht des Kantons Zürich mit Beschluss vom 29. März 1989 ab. X. hat staatsrechtliche Beschwerde eingereicht mit dem Antrag, den obergerichtlichen Entscheid aufzuheben.
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a) Nach ständiger Praxis des Bundesgerichts sind Schiedsverträge und Schiedsklauseln Vereinbarungen prozessualer Natur, die ausschliesslich dem kantonalen Prozessrecht unterstehen. Dieses bestimmt insbesondere auch, wie die Willenserklärungen der Parteien ausgelegt werden müssen. Soweit mangels einschlägiger kantonaler Bestimmungen die Grundsätze des eidgenössischen Obligationenrechts herangezogen werden, werden sie nicht als Bundesrecht, sondern als (subsidiäres) kantonales Recht angewendet. Das Bundesgericht ist deshalb auf Berufungen, in welchen im Zusammenhang mit Schiedsabreden Verletzungen vertragsrechtlicher Bestimmungen des eidgenössischen Rechts geltend gemacht wurden, regelmässig nicht eingetreten (BGE 101 II 170 E. 1; BGE 85 II 150 f. je mit weiteren Hinweisen).
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Aus dieser Rechtsprechung ist in der Lehre der weitergehende Schluss gezogen worden, dass das Bundesgericht im Verfahren der staatsrechtlichen Beschwerde, da es um Fragen der Anwendung kantonalen Rechts gehe, die Auslegung der Willenserklärungen der Parteien in bezug auf Schiedsabreden stets nur unter dem Gesichtspunkt des Willkürverbots von Art. 4 BV überprüfen könne (RÜEDE/HADENFELDT, Schweizerisches Schiedsgerichtsrecht, S. 39 und 63). Dem kann indessen nicht gefolgt werden.
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Die geschilderte bundesgerichtliche Rechtsprechung geht auf eine Zeit zurück, in der die Schiedsgerichtsbarkeit einzig von den einzelnen kantonalen Prozessgesetzen beherrscht war. Seither haben sich jedoch die meisten Kantone - so am 1. Juli 1985 auch der Kanton Zürich (AS 1985 700) - dem Konkordat über die Schiedsgerichtsbarkeit vom 27. August 1969 (SR 279) angeschlossen. Dieses regelt das Schiedsgerichtsrecht für die Konkordatskantone abschliessend, erklärt doch sein Art. 46 ausdrücklich, dass sämtliche früheren Gesetzesbestimmungen über die Schiedsgerichtsbarkeit aufgehoben seien, sobald das Konkordat in einem Kanton in Kraft trete. Über die Auslegung der Willenserklärungen der Parteien enthält das Konkordat keine Bestimmungen. Es sind deshalb wiederum sinngemäss die Grundsätze des eidgenössischen Vertragsrechts - insbesondere Art. 18 OR - heranzuziehen (JOLIDON, Commentaire du Concordat suisse sur l'arbitrage, S. 110), welchen dann jedoch nicht mehr bloss die Natur subsidiären kantonalen Prozessrechts, sondern diejenige subsidiären Konkordatsrechts zukommt. Die Anwendung von Konkordatsrecht aber prüft das Bundesgericht auf staatsrechtliche Beschwerde gemäss Art. 84 Abs. 1 lit. b OG hin frei (BGE 112 Ia 169 E. 3b mit Hinweisen). Das gilt seit BGE 112 Ia 350 E. 1 ohne Einschränkungen auch für Beschwerden wegen Verletzung des Konkordats über die Schiedsgerichtsbarkeit.
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Im vorliegenden Fall kann das Bundesgericht daher, soweit es um Fragen der Tragweite und des Weiterbestandes der Schiedsabrede geht, frei überprüfen, ob das Obergericht Art. 1 des Avenant No 5 richtig ausgelegt hat.
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b) Einen übereinstimmenden inneren Willen der Parteien, wie er für die Auslegung der streitigen Klausel in erster Linie massgebend wäre (Art. 18 OR), hat das Obergericht nicht festgestellt, und ein solcher wird von den Parteien auch nicht behauptet.
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Auszugehen ist deshalb vom Vertrauensgrundsatz, wonach Willenserklärungen so auszulegen sind, wie sie der jeweilige Empfänger nach den gesamten Umständen in guten Treuen verstehen durfte und verstehen musste (BGE 113 II 50; BGE 112 II 253 E. c je mit weiteren Hinweisen). Ergänzende Auslegungsregeln ergeben sich aus der besonderen Natur der Schiedsabrede.
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Mit einer Schiedsvereinbarung verzichten die Parteien auf die Entscheidung allfälliger Streitigkeiten durch staatliche Gerichte, ein Verzicht, dem angesichts der damit verbundenen Einschränkung der Rechtsmittelwege und angesichts der im Vergleich zum staatlichen Verfahren regelmässig bedeutend höheren Kosten des Schiedsverfahrens eine erhebliche Tragweite zukommt; dass eine solche Vereinbarung getroffen worden ist, darf daher im Streitfall nicht leichthin angenommen werden. Steht hingegen das Vorliegen einer Schiedsabrede fest, so besteht kein Anlass zu einer besonders restriktiven Auslegung mehr; diesfalls ist im Gegenteil davon auszugehen, dass die Parteien eine umfassende Zuständigkeit des Schiedsgerichts wünschen, wenn sie schon eine Schiedsabrede getroffen haben (LALIVE/POUDRET/REYMOND, Le droit de l'arbitrage interne et international en Suisse, S. 46; JOLIDON, a.a.O., S. 133; RÜEDE/HADENFELDT, a.a.O., S. 63). Zu beachten ist ferner, dass die Schiedsklausel, auch wenn sie - wie dies häufig der Fall ist - äusserlich mit dem materiellen Hauptvertrag in einer einzigen Urkunde verbunden ist, als prozessrechtliche Vereinbarung insofern eine selbständige Bedeutung hat, als im Zweifel zu vermuten ist, die Parteien hätten die Erledigung im Schiedsverfahren nicht nur für Streitigkeiten über die Erfüllung ihrer gegenseitigen Vertragspflichten, sondern auch für einen allfälligen Prozess darüber vorsehen wollen, ob ihr Vertrag überhaupt gültig zustande gekommen sei. Die Schiedsklausel teilt daher nicht notwendigerweise das Schicksal des Hauptvertrages (RÜEDE/HADENFELDT, a.a.O., S. 75; STEIN/JONAS, Kommentar zur Zivilprozessordnung, 20. Aufl. 1988, N. 35 zu § 1025; ROSENBERG/SCHWAB, Zivilprozessrecht, 13. Aufl. 1981, S. 1099). Das gilt auch für den Fall der Beendigung des Hauptvertrages durch Parteivereinbarung, ist hier doch, sofern die Parteien es in ihrer Aufhebungsvereinbarung nicht ausdrücklich anders bestimmen, in der Regel anzunehmen, dass sie die Schiedsklausel auch für Streitigkeiten im Zusammenhang mit der Abwicklung der Vertragsauflösung fortgelten lassen wollen (RÜEDE/HADENFELDT, a.a.O., S. 75 f.; STEIN/JONAS, a.a.O., N. 45 zu § 1025; vgl. ferner BGHZ 7/1953, S. 194 E. 9).
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Im Lichte dieser Kriterien ist die Auffassung des Obergerichts, die Schiedsklausel des Vertrages vom 12. April 1974 sei durch den Avenant No 5 nicht ausser Kraft gesetzt worden, nicht zu beanstanden. Die Aufhebung des Hauptvertrages durch Art. 1 dieses Avenant steht der Weitergeltung der Schiedsabrede nicht entgegen. Die Beschwerdegegnerin durfte und musste Art. 1 des Avenant No 5 nach Treu und Glauben durchaus in dem Sinne verstehen, dass dieser lediglich dem materiellen Vertragsverhältnis ein Ende setzte, die verfahrensmässigen Nebenabreden hingegen nicht berührte; sie hat ihre Klage deshalb mit Recht nicht bei den staatlichen Gerichten in Algerien, sondern beim vertraglich vereinbarten Schiedsgericht anhängig gemacht.
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Demnach erkennt das Bundesgericht:
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