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20. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 13. März 1990 i.S. L. gegen Einwohnergemeinde Gretzenbach und Verwaltungsgericht des Kantons Solothurn (staatsrechtliche Beschwerde) | |
Regeste |
Art. 4 und 22ter BV; Entschädigung für Enteignungen im Rahmen einer Baulandumlegung, Stichtag. |
Dauert eine Landumlegung mehrere Jahre und steigen in dieser Zeit die Landpreise erheblich an, so kann als Stichtag für die Bemessung der Entschädigung für Minderzuteilungen und Landabtretungen an öffentliche Werke nicht der Zeitpunkt der Verfahrenseinleitung gewählt werden (E. 3). |
In der Weigerung des Enteignungsrichters, die nötigen Abklärungen zur Bestimmung der Höhe des werkbedingten Vor- oder Nachteils vorzunehmen, liegt ein Verstoss gegen Art. 4 BV (E. 4). | |
Sachverhalt | |
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Gegen den Entscheid der Schätzungskommission reichte L. beim Verwaltungsgericht des Kantons Solothurn Beschwerde ein, das diese mit Urteil vom 13. März 1989 abwies. L. hat den Verwaltungsgerichtsentscheid mit staatsrechtlicher Beschwerde wegen Verletzung der Eigentumsgarantie angefochten.
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Das Bundesgericht zieht in Erwägung: | |
1. Gemäss der solothurnischen Verordnung über Baulandumlegung und Grenzbereinigung vom 10. April 1979 (im folgenden: ![]() | 3 |
"Landabzüge
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§ 12. Anhand der Nutzungspläne legt die durchführende Behörde die
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verhältnismässig auf alle beteiligten Grundstücke zu verteilenden
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Landabzüge nach folgenden Grundsätzen fest:
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a) Landabzüge für gemeinsame Abstell-, Spiel- und Ruheplätze erfolgen
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ohne Entschädigung. Das Land wird Miteigentum der beteiligten
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Grundeigentümer.
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b) Landabzüge für öffentliche Erschliessungsanlagen und andere
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öffentliche Bauten und Anlagen erfolgen gegen Entschädigung nach den für
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die Enteignung geltenden Grundsätzen. Das Land geht in das Eigentum des
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Gemeinwesens über, für das es bestimmt ist. Wenn das Gemeinwesen das für
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Erschliessungsanlagen bestimmte Land nicht sofort übernimmt, kann es den
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Grundeigentümern als gemeinschaftliches Eigentum zugeteilt werden.
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Entschädigung für Mehr- und Minderzuteilungen
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§ 15. Die Entschädigungen für entstehende Mehr- und Minderzuteilungen
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sind nach den Grundsätzen der Enteignung festzusetzen."
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2. Das Verwaltungsgericht hat seinen Entscheid auf § 11 der Umlegungs-Verordnung gestützt und zunächst ausgeführt, dass es bei der Bestimmung der Entschädigungen für Mehr- und Minderwerte sowie für Landabzüge um die vorweg vorzunehmende Festlegung eines Teils der speziellen Bedingungen gehe; würden diese nicht sofort angefochten, so erwüchsen sie in Rechtskraft und könnten in einem späteren Verfahrensstadium nicht mehr in Frage gestellt werden. Hiezu ist - abgesehen davon, dass im vorliegenden Fall einzig die Entschädigung für den Landabzug umstritten ![]() | 20 |
Nach bundesgerichtlicher Rechtsprechung gewährt die Eigentumsgarantie den in ein Landumlegungsverfahren einbezogenen Grundeigentümern einen Anspruch auf Realersatz oder, soweit ein solcher nicht geleistet werden kann, auf Geldausgleich in Höhe des Verkehrswertes, das heisst auf eine volle Entschädigung im Sinne von Art. 22ter BV. Aus dem Prinzip des wertgleichen Realersatzes oder der vollen Entschädigung ergibt sich in verfahrensmässiger Hinsicht, dass sich der betroffene Eigentümer unter Umständen auch nach Abschluss des Bonitierungs- oder Neuzuteilungsverfahrens noch bei der Bemessung des Geldausgleiches auf die wahren Wertverhältnisse berufen können muss. Das gilt insbesondere dann, wenn eine Landumlegung mehrere Jahre dauert, sich während dieser Zeit die Preise auf dem Immobilienmarkt wesentlich ändern und die zu Beginn des Umlegungsverfahrens festgesetzten Bonitierungs- oder Entschädigungsansätze dem wahren Verkehrswert der Grundstücke in keiner Weise mehr entsprechen. Wird in einem solchen Fall eine Überprüfung der Neuzuteilung oder des Geldausgleichs aus rein formalrechtlichen Gründen abgelehnt, so läuft dies auf eine Rechtsverweigerung sowie auf eine Verletzung des Prinzips der vollen Entschädigung hinaus (BGE 105 Ia 329, BGE 114 Ia 260 f., nicht publ. Entscheid vom 15. Dezember 1987 i.S. B. und R.; s. auch ANTOGNINI, Le respect de la garantie de la propriété dans les remaniements parcellaires, ZBl 72/1971 S. 8 f., FRIEDRICH, Das Verfahrensrecht der Güterzusammenlegung, Blätter für Agrarrecht 1970 S. 60). Im Hinblick auf diese Grundsätze erscheint der Hinweis des Verwaltungsgerichtes auf die Mehrstufigkeit des Verfahrens und die Unabänderlichkeit der einmal in Rechtskraft erwachsenen Entschädigungsansätze als zumindest fragwürdig.
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Nach den oben angeführten §§ 12 und 15 der solothurnischen Landumlegungs-Verordnung sind die Entschädigungen für Landabzüge ![]() | 23 |
a) In den §§ 228-236 des solothurnischen Gesetzes über die Einführung des Schweizerischen Zivilgesetzbuches vom 4. April 1954 (EG ZGB), in welchen die formelle Enteignung geregelt wird, wird über den dies aestimandi nichts bestimmt. Anwendbar sind daher direkt die verfassungsmässigen Grundsätze. Nach bundesgerichtlicher Rechtsprechung wird dem verfassungsmässigen Anspruch des Enteigneten auf volle Entschädigung nur Rechnung getragen, wenn der Bewertungs-Stichtag nahe beim Zeitpunkt des Entzugs der enteigneten Rechte liegt. Das Bundesgericht hat daher vor der Einfügung von Art. 19bis in das Bundesgesetz über die Enteignung erklärt, dass die Enteignungsentschädigung grundsätzlich anhand des Verkehrswerts der enteigneten Rechte am Tage des Entscheids der Eidgenössischen Schätzungskommission zu berechnen sei (BGE 89 I 343). Nun ist zwar durch Art. 19bis EntG der Stichtag auf die Einigungsverhandlung vorverlegt, dem Enteigneten jedoch zugleich die Möglichkeit eingeräumt worden, sofort eine Zahlung in Höhe der voraussichtlichen Entschädigung zu verlangen (Art. 19bis EntG); dadurch bleibt dieser trotz der Verschiebung des Schätzungszeitpunktes zumindest theoretisch in der Lage, mit der Entschädigung ein Ersatzgrundstück zu erwerben (vgl. BGE BGE 115 Ib 27 E. 7b, BGE 114 Ia 262). Im übrigen hat das Bundesgericht auch schon die Frage aufgeworfen, ob bei langer Verfahrensdauer nicht eine zweite, für den Schätzungszeitpunkt massgebende Einigungsverhandlung durchzuführen sei (vgl. BGE 115 Ib 25; BGE 116 Ib 18 E. 2dd).
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b) Für die materielle Enteignung bestimmt § 237bis EG ZGB, dass die Entschädigung nach dem Verkehrswert festzulegen sei, den das belastete Grundstück im Zeitpunkt des Inkrafttretens ![]() | 25 |
c) Aus diesen gesetzlichen bzw. verfassungsrechtlichen Regeln ergibt sich, dass die Auffassung des Solothurner Verwaltungsgerichtes, der Stichtag für die Bemessung der Entschädigungen für Landabzüge sowie für Mehr- und Minderzuteilungen falle selbst dann auf den Zeitpunkt der Festsetzung der speziellen Bedingungen, wenn dieser und der Zeitpunkt der Neuzuteilung oder Entschädigungszahlung weit auseinander liegen und sich die Landpreise in der Zwischenzeit verändern, mit Art. 22ter BV nicht vereinbar ist. Da im vorliegenden Fall das Reglement über die speziellen Bedingungen im Januar 1983 aufgelegt worden ist, die Neuzuteilung im August 1986 stattgefunden hat, eine Entschädigung offenbar noch heute nicht ausbezahlt ist und nach der allgemeinen Erfahrung in diesen Jahren die Baulandpreise erheblich angestiegen sind, ist der angefochtene Entscheid in Gutheissung der Beschwerde aufzuheben.
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Ob hier der Stichtag für die Entschädigungsbemessung, wie der Beschwerdeführer verlangt, auf den Zeitpunkt der Neuzuteilung oder - da die kantonale Schätzungskommission nicht an die Parteianträge gebunden ist (§ 7 Abs. 2 der Verordnung über das Enteignungsverfahren vom 28. Oktober 1954) - auf ein noch späteres Datum zu legen sei, braucht gleich wie in BGE 114 Ia 262 nicht näher untersucht zu werden, haben doch zunächst die kantonalen Instanzen über diese Frage zu befinden.
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4. Das Verwaltungsgericht hat schliesslich noch erklärt, dem Beschwerdeführer stehe auch deshalb keine Entschädigung in Höhe des Verkehrswertes zur Zeit der Neuzuteilung zu, weil dieser Wert durch die projektierte Landumlegung mitbestimmt worden sei und die Gemeinde für die durch die Landumlegung bewirkte Wertsteigerung nichts zu bezahlen habe. Man könne sich höchstens fragen, ob die Bodenpreise auch ohne die Landumlegung ![]() | 28 |
Es trifft zu, dass werkbedingte Vor- und Nachteile bei der Festsetzung der Enteignungsentschädigung nicht zu berücksichtigen sind, und dieser Grundsatz, der sich aus dem verfassungsrechtlichen Prinzip der vollen Entschädigung ergibt, auch im kantonalrechtlichen Enteignungsverfahren gilt (BGE 104 Ia 470 ff., BGE 115 Ib 26 E. 5b und dort zitierte Entscheide). Bei der Bestimmung der Landabzugs-Entschädigung darf daher auch im vorliegenden Fall der Verkehrswert des fraglichen Grundstücks am massgebenden Stichtag in dem Masse reduziert werden, als er aufgrund der Vorwirkungen der Landumlegung angestiegen ist. Davon, dass die Bemessung des werkbedingten Vorteils allzu hypothetisch und daher kaum möglich sei, kann indessen keine Rede sein. Vielmehr handelt es sich bei der Vornahme einer solchen Schätzung um eine fast alltägliche, in der Regel nicht mit erheblichen Schwierigkeiten verbundene Aufgabe des Enteignungsrichters, geht es doch einzig darum, die Preisentwickung der im Umlegungsgebiet liegenden Grundstücke jener von vergleichbaren Parzellen, die nicht ins Verfahren einbezogen worden sind, gegenüberzustellen. Schöpft der Enteignungsrichter bei der Festsetzung der Enteignungsentschädigung nicht alle ihm zur Verfügung stehenden Möglichkeiten und Mittel zur Abklärung der Preisverhältnisse aus, so liegt darin eine Rechtsverweigerung, gleich, wie wenn bei der Neuzuteilung nicht alle vorhandenen technischen Mittel zu Hilfe genommen werden (vgl. BGE 105 Ia 327 E. 2c).
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