BGE 116 Ia 181 | |||
| |||
Bearbeitung, zuletzt am 15.03.2020, durch: DFR-Server (automatisch) | |||
30. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 30. Mai 1990 i.S. Genossenschaft A gegen Gemeinde Silvaplana und Verwaltungsgericht des Kantons Graubünden (staatsrechtliche Beschwerde) | |
Regeste |
Art. 86 Abs. 2 und 87 OG; Zwischenentscheid in einem Baulandumlegungsverfahren. |
2. Endentscheid und Zwischenentscheid im Sinne von Art. 87 OG (E. 3a). |
3. Nicht wiedergutzumachender Nachteil im Sinne von Art. 87 OG (E. 3b). | |
Sachverhalt | |
Die Genossenschaft A ist Eigentümerin der Parzellen Nrn. 748, 749, 751, 753, 758, 759, 760, 761 und 766 mit einer Gesamtfläche von 10 170 m2. Diese Parzellen sind nach dem Zonenplan der Gemeinde Silvaplana vom 30. März 1976 der Wohnzone IV, 1. Etappe, zugewiesen. Ebenfalls am 30. März 1976 beschloss die Gemeindeversammlung von Silvaplana ein Quartierplangesetz und einen generellen Gestaltungsplan. Dieser Gestaltungsplan bezeichnet Gebiete mit Quartierplanpflicht und innerhalb derselben Bebauungsgrenzen bzw. Baustandorte sowie durch Konzentration erhaltene Freiflächen.
| 1 |
Am 10. Mai 1983 beschloss der Gemeindevorstand Silvaplana die Einleitung des Quartierplanverfahrens im Gebiet "Quarta morta", in dem die Grundstücke der Genossenschaft A liegen. Einen dagegen von der Genossenschaft A eingereichten Rekurs wies das Verwaltungsgericht des Kantons Graubünden am 12. Juli 1983 ab. Mit Entscheid vom 6. Dezember 1983 trat es auf ein Wiedererwägungsgesuch nicht ein. Das Bundesgericht wies am 2. August 1984 eine gegen diese Entscheide eingereichte staatsrechtliche Beschwerde ab, soweit es darauf eintrat.
| 2 |
Am 12. April 1988 verfügte der Gemeindevorstand Silvaplana eine Baulandumlegung. Weiter lud er die Grundeigentümer ein, zu einem Quartierplanentwurf Stellung zu nehmen. Danach soll die bauliche Nutzungsmöglichkeit im Quartierplangebiet "Quarta morta" östlich der Waldkuppe Pkt. 1828 zusammengefasst werden. Der Altbestand der Genossenschaft A von 10 170 m2, wovon 451 m2 Wald und 9719 m2 eingezont sind, soll, abgesehen von einem Strassenabzug, mit einer Fläche von 9600 m2 oder einer total noch nutzbaren Bruttogeschossfläche von 548 m2 neu zugeteilt werden.
| 3 |
Der Gemeindevorstand Silvaplana wies am 31. Oktober 1988 eine von der Genossenschaft A gegen diesen Umlegungsbeschluss eingereichte Eingabe ab. Dagegen erhob die Genossenschaft A Einsprache. Sie machte, wie auch später im Beschwerdeverfahren vor dem Bundesgericht geltend, die einbezogenen Grundstücke seien nicht gleichwertig und sie seien durch neutrale Schätzer zu bewerten. Am 20. Februar 1989 wies der Gemeindevorstand Silvaplana die Einsprache ab. Einen dagegen eingereichten Rekurs wies das Verwaltungsgericht des Kantons Graubünden nach Durchführung eines Augenscheins am 5. Juli 1989 ab. Die Genossenschaft A führt gegen diesen Entscheid staatsrechtliche Beschwerde wegen Verletzung von Art. 4 und 22ter BV. Das Bundesgericht tritt auf die staatsrechtliche Beschwerde nicht ein.
| 4 |
Aus den Erwägungen: | |
5 | |
Ob einem neben der geltend gemachten Verletzung von Art. 4 BV angerufenen weiteren Beschwerdegrund selbständige Bedeutung zukommt, ist auf Grund der dem Bundesgericht bei dieser weiteren Rüge zustehenden Kognition zu beurteilen. Der weiteren Rüge kommt dabei keine selbständige Bedeutung zu, wenn dem Bundesgericht in diesem Bereich bloss eine Prüfung auf Willkür hin zusteht.
| 6 |
a) Endentscheid im Sinne von Art. 87 OG ist jeder Entscheid, der ein Verfahren vorbehältlich der Weiterziehung an eine höhere Instanz abschliesst, sei es durch einen Entscheid in der Sache selbst (Sachentscheid), sei es aus prozessualen Gründen (Prozessentscheid). Als Zwischenentscheide gelten dagegen jene Entscheide, die das Verfahren nicht abschliessen, sondern bloss einen Schritt auf dem Weg zum Endentscheid darstellen, gleichgültig, ob sie eine Verfahrensfrage oder - vorausnehmend - eine Frage des materiellen Rechts zum Gegenstand haben (BGE 106 Ia 233 E. 3a mit zahlreichen Hinweisen; BGE 110 Ia 134; BGE 108 Ia 204). Die Beschränkung der Anfechtbarkeit letztinstanzlicher Zwischenentscheide beim Bundesgericht wegen Verletzung von Art. 4 BV gilt indessen nicht absolut. Vielmehr lässt die Rechtsprechung Ausnahmen zu bei Entscheiden über gerichtsorganisatorische Fragen, die ihrer Natur nach endgültig zu erledigen sind, bevor das Verfahren weitergeführt werden kann (BGE BGE 115 Ia 317 E. 1aa; BGE 106 Ia 233 E. 3a, BGE 94 I 201 E. 1a).
| 7 |
Die Beschwerdeführerin hat die vom Gemeindevorstand Silvaplana verfügte Einleitung der Baulandumlegung als solche nicht angefochten. Diese Baulandumlegung war übrigens durch die im generellen Gestaltungsplan vom 30. März 1976 rechtskräftig angeordnete Nutzungskonzentration bereits vorgegeben. Vorliegend ist einzig strittig, ob das Verwaltungsgericht zu Recht den Entscheid des Gemeindevorstandes Silvaplana vom 20. Februar 1989 geschützt hat. Dieser hat wegen Gleichwertigkeit der im Umlegungsgebiet liegenden Parzellen gestützt auf Art. 17 des Quartierplangesetzes der Gemeinde Silvaplana vom 30. März 1976 (QPG) den Antrag der Beschwerdeführerin auf Bewertung des Bodens durch Fachleute abgelehnt. Art. 17 Ziffer 1 und 2 QPG lautet wie folgt:
| 8 |
"1. Der Wert des in die Baulandumlegung einbezogenen Bodens wird unter Berücksichtigung bestehender, beschränkter, dinglicher und vorgemerkter persönlicher Rechte von einem oder mehreren Fachleuten geschätzt; diese werden vom Gemeindevorstand eingesetzt.
| 9 |
10 | |
Mit seinem Entscheid hat der Gemeindevorstand auf die Schätzung durch Fachleute verzichtet. Er hat damit einen Verfahrensbeschluss gefällt, der lediglich einen weiteren Verfahrensschritt im Baulandumlegungsverfahren darstellt. Dabei bleibt die materielle Frage, ob mit dem beschlossenen Vorgehen der Anspruch auf Realersatz erfüllt wird, offen. Der Beschwerdeführerin bleiben in der Sache alle Rechte gewahrt. Sie wird gegen den noch fehlenden Neuzuteilungsbeschluss, bzw. gegen die Festsetzung des Quartierplanes, der gegenwärtig erst im Entwurf vorliegt, namentlich geltend machen können, die Neuzuteilung verletze das aus der verfassungsrechtlichen Eigentumsgarantie abgeleitete Realersatzprinzip. Danach hat der in ein Landumlegungsverfahren einbezogene Grundeigentümer Anspruch auf wertgleichen Realersatz; für eine Minderzuteilung, die nicht vermieden werden kann, ist ein Geldausgleich in Höhe des Verkehrswertes geschuldet (BGE 114 Ia 260). Ob dieser Anspruch erfüllt wird, lässt sich endgültig erst nach der definitiven Neuzuteilung beurteilen. Beim angefochtenen Entscheid des Verwaltungsgerichts handelt es sich somit nicht um einen Endentscheid im Sinne von Art. 87 OG. Es ist daher zu prüfen, ob der angefochtene Verfahrensbeschluss des Gemeindevorstandes Silvaplana für die Beschwerdeführerin einen nicht wiedergutzumachenden Nachteil bewirkt.
| 11 |
b) Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts bedarf es eines nicht wiedergutzumachenden Nachteils rechtlicher Natur, um einen Zwischenentscheid im Sinne von Art. 87 OG mit staatsrechtlicher Beschwerde wegen Verletzung von Art. 4 BV anfechten zu können; eine bloss tatsächliche Beeinträchtigung wie beispielsweise eine Verlängerung oder Verteuerung des Verfahrens genügt nicht (BGE 108 Ia 204 E. 1 mit Hinweisen). Der Nachteil ist nur dann rechtlicher Art, wenn er auch durch einen für den Beschwerdeführer günstigen Endentscheid nicht mehr behoben werden könnte (BGE 106 Ia 234). An diesen Voraussetzungen fehlt es im vorliegenden Fall. Wie unter Ziffer 3a bereits ausgeführt, kann die Beschwerdeführerin eine allfällige Verletzung der Eigentumsgarantie im Verfahren der Neuzuteilung vorbringen.
| 12 |
Zusammenfassend ist festzustellen, dass es sich beim angefochtenen Entscheid des Verwaltungsgerichts um einen Zwischenentscheid gemäss Art. 87 OG in einem Quartierplan- und Baulandumlegungsverfahren handelt, der für die Beschwerdeführerin keinen nicht wiedergutzumachenden Nachteil zur Folge hat. Zu prüfen bleibt deshalb, ob der Berufung auf die Eigentumsgarantie gemäss Art. 22ter BV neben der geltend gemachten Verletzung von Art. 4 BV selbständige Bedeutung zukommt.
| 13 |
c) Eine Baulandumlegung mit Nutzungsverlegung und -konzentration führt für die Eigentümer der betroffenen Parzellen zu einer öffentlichrechtlichen Eigentumsbeschränkung. Diese ist mit der Eigentumsgarantie gemäss Art. 22ter BV nur vereinbar, wenn sie auf einer gesetzlichen Grundlage beruht, im öffentlichen Interesse liegt und den Anspruch auf wertgleichen Realersatz wahrt (BGE 114 Ia 260 f. E. 1, BGE 113 Ia 440 E. 2, BGE 104 Ia 337 E. 2). Wie bereits ausgeführt, ist die Frage des wertgleichen Realersatzes nicht in diesem Verfahrensstadium zu beurteilen. Weiter stellt die Beschwerdeführerin weder das überwiegende öffentliche Interesse in Frage, noch macht sie eine Verletzung des Verhältnismässigkeitsprinzips geltend. Vorliegend ist somit einzig umstritten, ob sich die Eigentumsbeschränkung auf eine genügende gesetzliche Grundlage abstützt. Diese Frage prüft das Bundesgericht nach ständiger Rechtsprechung frei, wenn es um einen besonders schweren Eingriff geht; die gesetzliche Grundlage muss klar und eindeutig sein. Handelt es sich dagegen nicht um einen schweren Eingriff, so gilt das Erfordernis der gesetzlichen Grundlage schon als erfüllt, wenn sich der angefochtene Entscheid ohne Willkür auf eine solche stützen lässt (BGE 113 Ia 440 E. 2, BGE 109 Ia 190). Der angefochtene Zwischenentscheid, der, wie gesagt, das aufgrund des rechtskräftigen generellen Gestaltungsplanes eingeleitete Quartierplan- und das Baulandumlegungsverfahren nicht abschliesst, sondern bloss die von der Beschwerdeführerin beantragte fachmännische Schätzung abweist, stellt für die Beschwerdeführerin keinen besonders schweren Eingriff dar. Die Beschwerdeführerin ist vielmehr an einer Neuzuteilung überbaubaren Landes an dem im generellen Gestaltungsplan angeordneten Baustandort interessiert. Erst aufgrund der definitiven Neuzuteilung lässt sich endgültig beurteilen, ob der Anspruch der Beschwerdeführerin auf wertgleichen Realersatz erfüllt wird. Im vorliegenden Verfahren wäre lediglich unter dem Gesichtspunkt der Willkür zu prüfen, ob die Gemeinde und das Verwaltungsgericht in Berücksichtigung des generellen Gestaltungsplanes mit haltbaren Erwägungen Gleichwertigkeit der sich im Umlegungsgebiet befindlichen Parzellen annehmen und gemäss Art. 17 Ziffer 2 QPG auf eine Bewertung verzichten durften. Damit kommt der Anrufung der Eigentumsgarantie gemäss Art. 22ter BV neben der geltend gemachten Verletzung von Art. 4 BV keine selbständige Bedeutung zu, da sie sich im Vorwurf der Verletzung von Art. 4 BV erschöpft. Die staatsrechtliche Beschwerde ist gegen den angefochtenen Entscheid des Verwaltungsgerichts nicht zulässig.
| 14 |
© 1994-2020 Das Fallrecht (DFR). |