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31. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung vom 19. Juni 1990 i.S. X. AG gegen Genossenschaft Y. (staatsrechtliche Beschwerde) | |
Regeste |
Zulässigkeit einer staatsrechtlichen Parallelbeschwerde bei freiwilliger Ausschöpfung des kantonalen Instanzenzuges (Art. 58 BV, Art. 86 Abs. 2 und 3 OG). | |
Sachverhalt | |
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B.- Nach der schriftlichen Eröffnung des handelsgerichtlichen Sachentscheids reichte die X. AG beim Appellationshof des ![]() | 2 |
C.- Gegen das Urteil des Handelsgerichts hat die X. AG ebenfalls staatsrechtliche Beschwerde wegen Verletzung von Art. 4 und 58 BV erhoben. Den Entscheid des Appellationshofs über ihre Nichtigkeitsklage hat sie hingegen beim Bundesgericht nicht angefochten. Nachdem das Bundesgericht das Verfahren bis zum Entscheid über die kantonale Nichtigkeitsklage ausgesetzt hatte, trat es auf die Beschwerde nicht ein.
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Aus den Erwägungen: | |
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Die Beschwerdeführerinnen haben indessen von der Möglichkeit nach Art. 86 Abs. 3 OG Gebrauch gemacht und den Entscheid des Handelsgerichts zusätzlich mit kantonaler Nichtigkeitsklage angefochten, somit auch den kantonalen Rechtsmittelweg beschritten und diesen ausgeschöpft. Den Entscheid des Appellationshofs haben sie hingegen beim Bundesgericht nicht angefochten.
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Kumuliert ein Beschwerdeführer die staatsrechtliche Beschwerde mit einem kantonalen Rechtsbehelf, so befindet das Bundesgericht nach Erwägungen der Zweckmässigkeit darüber, ob es die bei ![]() | 7 |
a) Nicht restlos geklärt scheint nach der Rechtsprechung das Schicksal einer ausgesetzten staatsrechtlichen Beschwerde nach Abschluss des kantonalen Rechtsmittelverfahrens.
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In BGE 45 I 290 (E. 1b) vertrat das Bundesgericht die Auffassung, auf die staatsrechtliche Beschwerde sei nicht einzutreten, sofern die Beurteilung der Streitsache durch die kantonale Behörde sich als zweckmässig erweise. Nach BGE 49 I 348 (E. 1) wird in der Regel auf eine staatsrechtliche Beschwerde nicht eingetreten, solange noch ein kantonales Rechtsmittel hängig ist (ähnlich BGE 82 I 83, BGE 83 I 105 E. b, BGE 112 Ia 87).
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In BGE 49 I 551 (E. 2) bezeichnete das Gericht als reine Zweckmässigkeitsfrage, ob es eine staatsrechtliche Beschwerde neben einem kantonalen Rechtsmittel zulasse oder den Beschwerdeführer auf die spätere Anfechtung eines ihm ungünstigen Entscheids der kantonalen Rechtsmittelinstanz verweise. Nach BGE 101 Ia 68 (E. 2a) lädt das Gericht den Beschwerdeführer nach Beurteilung des kantonalen Rechtsmittels zu einer "allfälligen neuen Anfechtung" ein, falls es das Verfahren ausgesetzt hat. In die gleiche Richtung zielt BGE 115 Ia 161 (E. 1a).
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In der Literatur werden, soweit sie sich mit dem Problemkreis befasst, die unterschiedlichen Formulierungen der Rechtsprechung unverändert übernommen (so BIRCHMEIER, Bundesrechtspflege, S. 350; MARTI, Die staatsrechtliche Beschwerde, 4. Aufl. 1979, S. 111; KÄLIN, Das Verfahren der staatsrechtlichen Beschwerde, S. 285).
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b) Nicht klar beantwortet ist damit namentlich die Frage, ob das Bundesgericht das eingestellte Verfahren nach Vorliegen eines für den Beschwerdeführer ungünstigen kantonalen Rechtsmittelentscheids ohne weiteres wiederum aufnimmt oder sich mit der Sache bloss befasst, wenn auch dieser Rechtsmittelentscheid angefochten wird.
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In BGE 87 I 64 f. hat das Bundesgericht nicht ohne weiteres als gegeben erachtet, dass sich in Fällen, welche die Erschöpfung des kantonalen Instanzenzuges nicht bedingen, die staatsrechtliche Beschwerde bei freiwilliger Ausschöpfung der kantonalen Rechtsmittel (Art. 86 Abs. 3 OG) gleichfalls in erster Linie gegen den Rechtsmittelentscheid und nicht gegen das Sachurteil wenden müsse. Es hat allerdings die Frage offengelassen, ob die durch ![]() | 13 |
In BGE 109 IV 53 (E. 1b) erklärte das Bundesgericht, dass der Beschwerdeführer, welcher vorerst freiwillig den kantonalen Instanzenzug ausschöpfe (Art. 86 Abs. 3 OG), den Entscheid der unteren kantonalen Instanz bloss dann noch zusammen mit dem kantonalen Rechtsmittelentscheid anfechten könne, wenn der kantonalen Rechtsmittelinstanz nur eine beschränkte Überprüfungsbefugnis zukam. Unbeantwortet blieb auch in jenem Entscheid die Frage, ob dieser Grundsatz ebenfalls gelte, wenn die staatsrechtliche Beschwerde neben und nicht nach dem kantonalen Rechtsmittel ergriffen wird.
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c) Die Lösung dieser Frage ergibt sich aus dem Prinzip der relativen Subsidiarität der staatsrechtlichen Beschwerde (dazu AUER, Die schweizerische Verfassungsgerichtsbarkeit, S. 217 Rz. 391) und den Zweckmässigkeitsüberlegungen, welche das Bundesgericht in konstanter Praxis für das verfahrensrechtliche Vorgehen als massgebend erachtet hat. Dabei ist allerdings der Grundsatz der Verfahrensfairness zu beachten, insbesondere die Zweckmässigkeit nach Grundsätzen zu beurteilen, welche den Rechtsunterworfenen das einzuschlagende Verfahren mit der gebotenen Klarheit erkennen lassen.
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aa) Keine grundsätzlichen Probleme bietet der Entscheid, ob die Behandlung einer Parallelbeschwerde zu einem kantonalen Rechtsmittel sogleich an die Hand zu nehmen oder bis zum Vorliegen des kantonalen Rechtsmittelentscheids auszusetzen ist. Im einen wie im andern Fall bleiben die Rechte des Beschwerdeführers gewahrt.
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bb) Wird das staatsrechtliche Beschwerdeverfahren ausgesetzt und weist die kantonale Behörde das bei ihr parallel eingelegte Rechtsmittel ab, ergibt sich folgendes:
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Hat die kantonale Rechtsmittelinstanz mit freier Kognition entschieden, tritt ihr Urteil an die Stelle desjenigen der unteren kantonalen Instanz und kann damit allein noch Anfechtungsobjekt der staatsrechtlichen Beschwerde sein.
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Hat die kantonale Rechtsmittelinstanz mit engerer Kognition entschieden, als sie dem Bundesgericht bei der Beurteilung der entsprechenden Rügen zukommt, kann sich die staatsrechtliche ![]() | 19 |
Zu vollends unhaltbarem Ergebnis führt der Verzicht auf die Anfechtung des kantonalen Rechtsmittelentscheids schliesslich dort, wo neben der staatsrechtlichen Beschwerde gegen einen unterinstanzlichen Entscheid ein voll devolutives kantonales Rechtsmittel (Appellation, Berufung) ergriffen wird und die Rechtsmittelinstanz einen reformatorischen Sachentscheid fällt. Hier gäbe die Aufhebung des unterinstanzlichen Entscheids überhaupt keinen Sinn mehr, da der oberinstanzliche mangels Anfechtung in formelle und materielle Rechtskraft erwächst und einzig er einen Vollstreckungstitel abgibt, welcher selbst bei Aufhebung des ihm vorangegangenen Sachurteils nicht beseitigt würde.
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Im Falle von Parallelverfahren ist auf die sistierte staatsrechtliche Beschwerde nach Abweisung des kantonalen Rechtsmittels somit nur dann einzutreten, wenn ebenfalls dieser Rechtsmittelentscheid angefochten wird. Dies gilt jedenfalls dort, wo mit der staatsrechtlichen Beschwerde und dem kantonalen Rechtsmittel die gleichen Rügen vorgetragen werden. Damit hängt die Zulässigkeit einer staatsrechtlichen Parallelbeschwerde bei freiwilliger Ausschöpfung des kantonalen Instanzenzuges auch davon ab, dass der letzte kantonale Entscheid mitangefochten wird, sofern mit ihm auf das Rechtsmittel eingetreten wird.
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