BGE 116 Ia 339 | |||
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Bearbeitung, zuletzt am 15.03.2020, durch: DFR-Server (automatisch) | |||
53. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 4. Dezember 1990 i.S. Gemeinde Tersnaus gegen Regierung des Kantons Graubünden (staatsrechtliche Beschwerde) | |
Regeste |
Zonenplanrevision; Erweiterung des Baugebiets durch Schaffung einer Kleinbauzone. |
2. Art. 15 RPG: Isolierte Kleinbauzonen neben bereits bestehenden Bauzonen sind im allgemeinen gesetzwidrig (E. 4); sie dienen oft der Umgehung der Vorschriften über die Beschränkung des Bauens in der Landwirtschaftszone und ausserhalb der Bauzone (E. 5). | |
Sachverhalt | |
Der 34jährige A.C. ist seit dem 1. Januar 1990 Förster des Reviers Mittel-Lugnez. Im Nebenerwerb betreibt er zusammen mit seiner Frau auf seinem Land in Tersnaus einen Landwirtschaftsbetrieb, den er später vielleicht zu einem Vollerwerbsbetrieb ausbauen möchte. Aus diesen Gründen möchte die fünfköpfige Familie nach Tersnaus, wo sie schon früher Wohnsitz hatte, zurückkehren. Vorübergehend konnte sie in Tersnaus eine Wohnung mieten; diese soll in der Zwischenzeit gekündigt worden sein. A.C. beabsichtigt nun, auf seiner Parzelle Nr. 117, die nach dem Zonen- und Gestaltungsplan der Gemeinde Tersnaus vom 31. Oktober 1985, den die Regierung am 15. September 1986 und 30. März 1987 genehmigt hat, in der Landwirtschaftszone liegt, ein Wohnhaus zu errichten. Ein entsprechendes Vorentscheidgesuch wies das kantonale Amt für Raumplanung am 23. August 1989 mangels Zonenkonformität des Vorhabens ab. Wegen fehlender Wohnmöglichkeit in Tersnaus droht nun der Wegzug der Familie. Dies würde für die kleine Gemeinde eine Reduktion der Wohnbevölkerung um 9% und der Zahl der schul- und vorschulpflichtigen Kinder um 20% bedeuten.
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Um den Wegzug der Familie C. zu verhindern, zonte die Gemeindeversammlung Tersnaus vom 9. Dezember 1989 den vorgesehenen Bauplatz von der Landwirtschaftszone in die Dorferweiterungszone um. Der Platz liegt ungefähr 25-30 m von der Dorfzone sowie von der bisherigen Dorferweiterungszone entfernt auf der Parzelle Nr. 117, grenzt an eine Meliorationsstrasse und hat eine Fläche von rund 320 m2. Die Regierung verweigerte dieser Zonenplanänderung am 11. Juni 1990 die Genehmigung.
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Mit staatsrechtlicher Beschwerde vom 3. August 1990 beantragt die Gemeinde Tersnaus, dieser Entscheid sei aufzuheben. Sie hält der Regierung entgegen, sie habe die konkreten Verhältnisse zu wenig gewürdigt. Dem Vorhaben stünden keine wesentlichen landwirtschaftlichen Gründe entgegen. Die Gefahr der Entvölkerung dieser Berggegend sei sehr ernst zu nehmen. Eine Ansiedlung der Familie C. sei aus finanziellen Gründen nur auf eigenem Land möglich. Die Bauzone sei bei der letzten Revision bewusst sehr bescheiden erweitert worden, um in Fällen wie dem vorliegenden den notwendigen Spielraum zu haben. Der Grundsatz der haushälterischen Bodennutzung werde nicht verletzt.
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Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab.
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Aus den Erwägungen: | |
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a) Bauzonen umfassen nach dem eidgenössischen Raumplanungsgesetz das Land, das sich für die Überbauung eignet (Art. 15 RPG Ingress), schon weitgehend überbaut ist (Art. 15 lit. a RPG) oder voraussichtlich innert 15 Jahren benötigt und erschlossen wird (Art. 15 lit. b RPG). Die Eignung der fraglichen Parzelle als Bauland ist offensichtlich gegeben. Ebenso klar ist, dass der Bauplatz nicht zum "weitgehend überbauten Land" der Siedlung Tersnaus gehört und insbesondere nicht bloss eine Baulücke ist (BGE 113 Ia 450 ff. E. 4d).
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b) aa) Umstritten ist die Bestimmung des Baulandbedarfs (Art. 15 lit. b RPG). Im allgemeinen bestimmt der Kanton Graubünden den Baulandbedarf anhand der sogenannten Trendmethode. Danach wird der Baulandverbrauch der letzten 10 bis 15 Jahre mit den vorhandenen Baulandreserven verglichen und angenommen, die Entwicklung verlaufe an sich in den nächsten 15 Jahren ähnlich; dabei werden zusätzliche, besonders entwicklungshemmende oder -fördernde Faktoren mitberücksichtigt (vgl. BGE 114 Ia 366 f. E. 3b; Urteil vom 27. Oktober 1982 i.S. Wetzikon, in: ZBl 84/1983, S. 319 E. 5c; unveröffentlichtes Urteil vom 30. Mai 1990 i.S. Malans, E. 4b/aa). Diese Praxis schliesst es nicht aus, im einzelnen Fall anhand der konkreten Verhältnisse zu differenzieren, wie dies die Beschwerdeführerin hier verlangt. Die Regierung teilt diese Auffassung, wie ihre Genehmigungsentscheide vom 15. September 1986 und 30. März 1987 belegen.
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Die Grundsätze der Raumplanung verlangen, dass das Gemeinwesen eine Ordnung der Besiedlung schafft, die auf die erwünschte Entwicklung des Landes ausgerichtet ist (Art. 22quater Abs. 1 BV; Art. 1 Abs. 1 Satz 2 RPG). Die Vorschrift über die Dimensionierung der Bauzonenfläche auf 15 Jahre (Art. 15 lit. b RPG) will einen Massstab schaffen, der dieser Ordnungsidee gerecht wird: Die Bauzone soll sich sowohl nach der privaten Bauentwicklung richten als auch diese mit Rücksicht auf den Gesamtzusammenhang begrenzen. Folglich rechtfertigt eine private Nachfrage allein keine Bauzonenerweiterung. Diese darf aber auch nicht einzig deshalb ausgeschlossen werden, weil in jüngster Zeit keine private Bautätigkeit stattfand. Für eine Bauzonenerweiterung sind demnach besondere Gründe erforderlich. Sie muss durch eine umfassende Abwägung und Abstimmung aller räumlich wesentlichen Interessen und Gesichtspunkte gerechtfertigt sein (Art. 1 Abs. 1 Satz 2 und Art. 2 Abs. 1 RPG; Art. 1 bis 3 RPV; BGE 114 Ia 368 ff., 374 ff.). Überdies hat sie einer Vorstellung von der lokal und vor allem regional oder überregional erwünschten Entwicklung zu entsprechen.
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bb) Aus der Entstehungsgeschichte des 1987 genehmigten Zonenplanes ergibt sich, dass sich der Kanton und die Beschwerdeführerin über die Zielvorstellung für die Gemeinde einig waren: Der Gemeinde soll die bauliche Entwicklungsmöglichkeit gewährleistet bleiben, obwohl in der Vergangenheit praktisch keine private Bautätigkeit stattfand - seit 1980 wurden keine neuen Gebäude, seit 1947 lediglich deren sechs gebaut. Dieses Entwicklungsinteresse ist nicht nur legitim, sondern entspricht auch raumplanerischen Grundsätzen (Art. 1 Abs. 2 lit. b und c RPG; Art. 1 KRG).
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Streitig ist indessen, welche Mittel zur Verfolgung der Zielvorstellung benützt werden dürfen. Im Rahmen der 1987 abgeschlossenen Ortsplanung wurde aufgrund einer umfassenden Abwägung und Abstimmung und im Blick auf das definierte Förderungsziel die Bauzone erweitert. Die Beschwerdeführerin nahm detaillierte Abklärungen über die Eignung des Bodens zur Landwirtschaft, über die Erschliessung, die Gefahrenzone, das Ortsbild und die Siedlungseignung vor. Zudem berücksichtigte sie soweit wie möglich die Vorstellungen der Einwohner. In der Dorfzone wurden 3000 m2, in der Wohn- und Gewerbezone 1000 m2 sowie in einer zusätzlichen Dorferweiterungszone 4200 m2, insgesamt also über 8000 m2 Baulandreserven ausgeschieden. Gemessen an der Bevölkerungszahl von rund 66 Einwohnern in 20 Wohnbauten oder 26 Wohnungen sowie an der bescheidenen wirtschaftlichen und infrastrukturellen Basis ermöglicht dies eine erhebliche bauliche Entwicklung. Unter diesem Gesichtspunkt ist es nicht willkürlich, von der Beschwerdeführerin zu verlangen, mit einer weiteren Bauzonenerweiterung zurückzuhalten. Das gilt selbst, wenn die Beschwerdeführerin die Bauzone anlässlich der letzten Revision bewusst nur sehr bescheiden erweitert haben will, damit sie unter anderem in Fällen wie dem vorliegenden den notwendigen Spielraum hat, um unmittelbar angrenzende, im Idealfall - wie hier - bereits verkehrsmässig erschlossene Kleinparzellen noch einzonen zu können. Denn die einzelfallweise Einzonung widerspricht dem Prinzip der gesamthaften Beurteilung der Ortsplanung. Die Regierung verfiel deshalb nicht in Willkür, wenn sie der Beschwerdeführerin entgegenhält, sie hätte bei der Ausscheidung der Dorferweiterungszone auch darauf achten sollen, dass das fragliche Land effektiv verfügbar ist. Dass das Bauland nicht erworben werden kann oder die finanziellen Möglichkeiten eines Bauinteressenten nicht ausreichen, durfte die Regierung ohne Willkür als ungenügende Gründe für eine Bauzonenerweiterung bezeichnen, da die Bauzonendimensionierung sich nicht bloss nach den jeweiligen Privatinteressen richten darf.
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c) Die Beschwerdeführerin macht geltend, die Ausscheidung der streitigen Fläche berühre keine wesentlichen landwirtschaftlichen Interessen. Der Bauplatz grenze an eine Meliorationsstrasse und befinde sich in einem Gebiet, das ohnehin für Stallbauten bestimmt sei. Indessen begründet dies für sich allein keine Einzonung, sondern besagt höchstens, dass einer Einweisung in die Bauzone - wenn die Voraussetzungen (insbesondere gemäss Art. 15 RPG) dafür erfüllt wären - keine überwiegenden Interessen entgegenstünden, die eine Zuteilung der streitigen Fläche in die Landwirtschaftszone (Art. 16 RPG) forderten.
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Im allgemeinen bildet es ein wichtiges Anliegen des Bundesgesetzes, die Siedlungstätigkeit in Bauzonen zusammenzufassen und die Streubauweise für nicht freilandgebundene Bauten zu verhindern; es besteht ein allgemeines Interesse daran, dass vom Ortskern entferntes Land der Überbauung entzogen bleibt (BGE 107 Ia 242 E. a; Urteil vom 13. Februar 1980 i.S. Niesengarage AG, in: BVR 1980, S. 378 f. E. b). Kleinbauzonen sind daher im allgemeinen nicht nur unzweckmässig, sondern grundsätzlich sogar gesetzwidrig (BGE 109 Ia 188; Urteil vom 23. Mai 1984 i.S. Brüttelen, in: BVR 1984, S. 297 E. 6b; Urteil vom 3. Februar 1982 i.S. Mühledorf, in: ZBl 83/1982, S. 353, E. c). Ausnahmen sind nur bei besonderen, überwiegenden Gründen gerechtfertigt, etwa aus Rücksichtnahme auf eine traditionelle Siedlungsstruktur (vgl. BGE 113 Ia 452 E. db; BGE 111 Ia 20 f. E. c; Urteile vom 23. Mai 1984 i.S. Brüttelen, in: BVR 1984, S. 297 E. 6b, und vom 13. Februar 1980 i.S. Niesengarage, in: BVR 1980, S. 378 E. b).
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5. Die Beschwerdeführerin hält schliesslich ihre Zonierung für gerechtfertigt, weil der Bauherr einen landwirtschaftlichen Betrieb begründen wolle. Indessen ist auf der streitigen Fläche ein Wohnhaus geplant, und ein solches ist ausserhalb der Bauzone grundsätzlich nicht zulässig (BGE 113 Ib 141 E. d, 222 E. 3). Diese Begründung der Bauzonierung läuft somit auf eine Umgehung der Vorschriften über die Beschränkung des Bauens in der Landwirtschaftszone im speziellen (Art. 16 RPG) und ausserhalb der Bauzone im allgemeinen (Art. 24 RPG) hinaus. Das Bundesgericht verlangt deshalb, dass eine Nutzungsplanung im Hinblick auf ein konkretes Bauvorhaben ausserhalb einer bestehenden Bauzone auch den Anforderungen von Art. 24 RPG zu genügen hat (BGE 114 Ia 125 E. 4c/cf; BGE 113 Ib 230 E. 2c). Insbesondere muss auch die Standortgebundenheit (Art. 24 Abs. 1 lit. a RPG) gegeben sein (BGE 115 Ib 514 E. 6b). Diese Voraussetzung ist im vorliegenden Fall jedoch nicht erfüllt.
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