BGE 116 Ia 442 | |||
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64. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 29. Oktober 1990 i.S. P. AG gegen Gemeinde Bellikon und Grosser Rat des Kantons Aargau (staatsrechtliche Beschwerde) | |
Regeste |
Art. 86 OG; Letztinstanzlichkeit. |
Art. 87 OG; Beschwerde gegen einen Zwischenentscheid. |
1. Rückweisungsentscheide sind Zwischenentscheide, sofern der unteren Instanz eine gewisse Entscheidungsfreiheit bleibt. Das trifft hier nach kantonalem und nach Bundesrecht zu (E. 1b). |
2. Nicht wiedergutzumachender Nachteil; es genügt, wenn der Nachteil in einem an das kantonale Verfahren anschliessenden bundesgerichtlichen Verfahren beseitigt werden kann (E. 1c). | |
Sachverhalt | |
In der Gemeinde Bellikon wird zur Zeit der Bauzonenplan revidiert. Während der öffentlichen Auflage dieses Planes reichten A. und B. eine Einsprache ein, in der sie unter anderem verlangten, das Gebiet "Rütimatt" sei auszuzonen. Am 10. Juni 1987 stimmte die Gemeindeversammlung dem Zonenplan samt Bauordnung zu, ohne diese Auszonung vorzunehmen. Der Gemeinderat reichte den Zonenplan und die Bauordnung zusammen mit der unerledigten Einsprache dem Kanton zur Genehmigung ein.
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Im Rahmen der Behandlung der Einsprache teilte das Baudepartement den Eigentümern im Gebiet "Rütimatt", unter anderem P. AG mit, es bestehe die Möglichkeit, dass ihre Grundstücke ausgezont würden, und gab ihnen Gelegenheit, sich dazu zu äussern. Die P. AG machte davon am 24. Oktober 1989 Gebrauch.
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Auf Antrag des Regierungsrates genehmigte der Grosse Rat den Bauzonenplan am 27. März 1990 zur Hauptsache und beschloss:
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"Der revidierte Zonenplan der Gemeinde Bellikon vom 10. Juni 1987, bereinigt aufgrund einzelner Einspracheentscheide, wird im Sinne von Art. 26 RPG und § 147 BauG unter Vorbehalt der nachfolgenden Änderung, die sich aufgrund eines Einspracheentscheides ergeben hat, genehmigt: Die Gemeinde Bellikon wird aufgefordert, die planerische Nutzung verschiedener Parzellen im Gebiet Rütimatt unter Berücksichtigung der Sicherung der Fruchtfolgeflächen gemäss Art. 20 RPV zu überarbeiten, auf eine reduzierte Fläche in der Grössenordnung der WG 2 und spätestens zusammen mit der Nutzungsplanung Kulturland zur Genehmigung vorzulegen."
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Die P. AG führt staatsrechtliche Beschwerde und beantragt, der Genehmigungsbeschluss des Grossen Rates sei aufzuheben. Sie bemerkt dazu, der kantonale Instanzenzug sei erschöpft, da das kantonale Verwaltungsgericht im Normenkontrollverfahren auf ihre Rügen nicht eintrete. In der Hauptsache macht sie geltend, Art. 4 BV sei verletzt, weil das Baudepartement einen Augenschein durchgeführt habe, ohne dass sie dazu eingeladen worden sei.
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Das Bundesgericht tritt auf die Beschwerde nicht ein
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aus folgenden Erwägungen: | |
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a) Staatsrechtliche Beschwerden sind in der Regel nur gegen letztinstanzliche kantonale Entscheide zulässig (sog. relative Subsidiarität; Art. 86 Abs. 2 OG). Gemäss bundesgerichtlicher Rechtsprechung kann vom Erfordernis der Ausschöpfung der kantonalen Instanzen abgesehen werden, wenn ernsthafte Zweifel über die Zulässigkeit eines kantonalen Rechtsmittels bestehen (BGE 114 Ia 265 E. 2b mit Hinweisen). Im Kanton Aargau können Vorschriften verwaltungsrechtlicher Natur in Erlassen der Gemeinden dem Verwaltungsgericht jederzeit zur Prüfung auf ihre Verfassung- und Gesetzmässigkeit unterbreitet werden (§ 68 des aargauischen Gesetzes über die Verwaltungsrechtspflege). Dieses abstrakte Normenkontrollverfahren ist einem Rechtsmittelverfahren im Sinne von Art. 86 Abs. 2 OG gleichzusetzen. Steht dieser kantonale Rechtsbehelf offen, so muss er, vorbehältlich der in Art. 86 Abs. 2 Satz 2 OG genannten Ausnahmen, vor Einreichung einer staatsrechtlichen Beschwerde ergriffen werden (BGE 106 Ia 57; BGE 104 Ia 135). Angefochten ist im vorliegenden Fall ein Zonenplan. Die Beschwerdeführerin macht geltend, die von ihr erhobene Rüge der Verletzung des rechtlichen Gehörs könne vor Verwaltungsgericht im Rahmen des Normenkontrollverfahrens nicht vorgebracht werden. Im Hinblick darauf und auf die Zusage des Bundesgerichts, bei ihm eingereichte staatsrechtliche Beschwerden gegen Erlasse, die unter die prinzipale Normenkontrolle fallen könnten, dem Verwaltungsgericht zu überweisen (AGVE 1981 S. 273 f.), war es angezeigt, das Verwaltungsgericht um seine Ansicht zum Problem der Zuständigkeit anzufragen. Aus der Antwort ergibt sich, dass die Rüge der Verletzung des rechtlichen Gehörs im Normenkontrollverfahren voraussichtlich nicht erhoben werden kann. Bestehen somit, wie hier, ernsthafte Zweifel an der Zulässigkeit der mit staatsrechtlicher Beschwerde erhobenen Rügen im kantonalen Verfahren, so braucht das entsprechende Rechtsmittel unter dem Gesichtspunkt von Art. 86 Abs. 2 OG nicht ergriffen zu werden. Die Letztinstanzlichkeit ist somit gegeben.
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b) Die Beschwerdeführerin rügt eine Verletzung von Art. 4 BV und von § 22 der Verfassung des Kantons Aargau, der in seiner Tragweite jedenfalls hier nicht weiter geht als Art. 4 BV. Gemäss Art. 87 OG ist die staatsrechtliche Beschwerde wegen Verletzung dieser Verfassungsbestimmung erst gegen letztinstanzliche Endentscheide zulässig, gegen letztinstanzliche Zwischenentscheide nur, wenn sie für den Betroffenen einen nicht wiedergutzumachenden Nachteil zur Folge haben. Endentscheid ist jeder Entscheid, der ein Verfahren vorbehältlich der Weiterziehung an eine höhere Instanz abschliesst, sei es durch einen Entscheid in der Sache selbst (Sachentscheid), sei es aus prozessualen Gründen (Prozessentscheid). Als Zwischenentscheide gelten dagegen jene Entscheide, die das Verfahren nicht abschliessen, sondern bloss einen Schritt auf dem Weg zum Endentscheid darstellen, gleichgültig, ob sie eine Verfahrensfrage oder - vorausnehmend - eine Frage des materiellen Rechts zum Gegenstand haben (BGE 115 Ia 317 mit Hinweisen). Nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung sind kantonale Entscheide, die eine Sache an eine untere Instanz zurückweisen, Zwischenentscheide (BGE 116 Ia 43 E. 1b; BGE 106 Ia 233 E. 2b mit Hinweisen). Dies gilt auch im vorliegenden Fall. Nach aargauischem Recht darf der Grosse Rat, wenn er eine andere als die kommunale Lösung wählen will, den zur Genehmigung vorgelegten Plan nicht beliebig ändern; erlaubt sind ihm nur Änderungen redaktioneller oder formeller Art. Im übrigen hat der Grosse Rat die Pläne und übrigen Vorschriften zur Abänderung an die Gemeinde zurückzugeben (§ 147 Abs. 3 BauG). Ein solcher Rückweisungsentscheid darf mit Weisungen über die Ausgestaltung der Planung versehen werden (vgl. dazu unveröffentlichter Entscheid des Bundesgerichts vom 17. Januar 1990 i.S. H., E. 3b). In Anwendung dieser Grundsätze hat der Grosse Rat die Gemeinde Bellikon aufgefordert, die planerische Nutzung im Gebiet Rütimatt zu überarbeiten und ihr dazu gewisse Weisungen erteilt. Trotzdem ist es der Gemeinde nicht verwehrt, ihre Ortsplanung umfassend zu revidieren; dabei hat sie die Anweisung der Genehmigungsbehörde insoweit zu beachten, als es nicht um neue, sondern um bereits beurteilte Gesichtspunkte geht. Der Private hat jedenfalls Anspruch auf eine umfassende Prüfung seiner Anliegen (vgl. BGE 115 Ia 87 f.). Es liegt demnach ein Zwischenentscheid vor; die Rückweisung geschah nicht bloss zum Vollzug (angeführter Entscheid i.S. H., E. 3b. Zu prüfen ist daher, ob der angefochtene Entscheid für die Beschwerdeführerin einen nicht wiedergutzumachenden Nachteil zur Folge hat.
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c) Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichts bedarf es eines nicht wiedergutzumachenden Nachteils rechtlicher Natur, um einen Zwischenentscheid im Sinne von Art. 87 OG mit staatsrechtlicher Beschwerde wegen Verletzung von Art. 4 BV anfechten zu können; eine bloss tatsächliche Beeinträchtigung wie beispielsweise eine Verlängerung oder Verteuerung des Verfahrens genügt nicht. Der Nachteil ist nur dann rechtlicher Art, wenn er auch durch einen für den Beschwerdeführer günstigen Endentscheid nicht mehr behoben werden könnte (BGE 115 Ia 314 E. 2c mit Hinweisen). Dabei ist es nicht nötig, dass sich der Nachteil schon im kantonalen Verfahren durch einen günstigen Endentscheid beheben lässt. Es genügt, wenn er in einem anschliessenden bundesgerichtlichen Verfahren beseitigt werden kann (BGE 99 Ia 249 f.; unveröffentlichtes Urteil des Bundesgerichts vom 22. Oktober 1990 i.S. K.; E. 2d). Im vorliegenden Fall ist kein nicht wiedergutzumachender Nachteil im dargelegten Sinn anzunehmen. Die Gemeinde wird über die Zoneneinteilung der Grundstücke der Beschwerdeführerin im oben dargelegten Sinne nochmals zu befinden haben. Die Beschwerdeführerin kann gegen diesen Entscheid die ihr nach kantonalem Recht zustehenden Rechtsmittel ergreifen. Gegen einen letztinstanzlichen kantonalen Endentscheid steht ihr die staatsrechtliche Beschwerde offen, mit der sie allfällige noch vorhandene Verletzungen des rechtlichen Gehörs rügen kann.
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