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Bearbeitung, zuletzt am 15.03.2020, durch: DFR-Server (automatisch) | |||
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72. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 20. Dezember 1990 i.S. G.Z. und weitere Beteiligte gegen Stadt Zürich, R., J. und Verwaltungsgericht des Kantons Zürich (staatsrechtliche Beschwerde) | |
Regeste |
Art. 58 Abs. 1 BV; Ablehnung von nebenamtlichen Richtern. |
2. Ein als Richter amtender Anwalt erscheint befangen, wenn zu einer Partei ein noch offenes Mandat besteht oder er für eine Partei mehrmals anwaltlich tätig wurde (E. 3). | |
Sachverhalt | |
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Gegen diesen Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons Zürich erhoben G.Z. und weitere Beteiligte staatsrechtliche Beschwerde beim Bundesgericht. Die Beschwerdeführer rügen in verfahrensrechtlicher Hinsicht unter anderem eine unrichtige Besetzung des Gerichts, weil die Rechtsanwälte R. und J. trotz Mandatsverhältnissen mit der Stadt Zürich als Richter am verwaltungsgerichtlichen Verfahren mitgewirkt hätten. Das Bundesgericht heisst die staatsrechtliche Beschwerde gut.
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Aus den Erwägungen: | |
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a) Wenn wie vorliegend die Auslegung und Anwendung des kantonalen Rechts nicht umstritten sind, prüft das Bundesgericht auf staatsrechtliche Beschwerde hin mit freier Kognition, ob die Auslegung des kantonalen Prozessrechts mit den Garantien nach Art. 58 Abs. 1 BV und Art. 6 Ziff. 1 EMRK vereinbar ist (BGE 116 Ia 33 E. 2a, BGE 114 Ia 52 E. 2b).
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b) Sowohl aufgrund von Art. 58 Abs. 1 BV als auch gemäss Art. 6 Ziff. 1 EMRK hat der Einzelne einen Anspruch darauf, dass seine Sache von einem unvoreingenommenen, unparteiischen und unbefangenen Richter beurteilt wird. Damit soll garantiert werden, dass keine Umstände, die ausserhalb des Prozesses liegen, in sachwidriger Weise zugunsten oder zu Lasten einer Partei auf das Urteil einwirken; es soll mit andern Worten verhindert werden, dass jemand als Richter tätig wird, der unter solchen Einflüssen ![]() | 5 |
c) Ein Richter oder Beamter ist so früh wie möglich abzulehnen. Es verstösst gegen Treu und Glauben, Einwände dieser Art erst im Rechtsmittelverfahren vorzubringen, wenn der Mangel schon vorher hätte festgestellt werden können. Wer den Richter oder den Beamten nicht unverzüglich ablehnt, wenn er vom Ablehnungsgrund Kenntnis erhält, sondern sich stillschweigend auf den Prozess einlässt, verwirkt den Anspruch auf spätere Anrufung der verletzten Verfassungsbestimmung (BGE 114 Ia 280 E. 3e, BGE 112 Ia 340 E. 1c).
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Nach der Verordnung über die Organisation und den Geschäftsgang des Verwaltungsgerichts vom 14. September 1961/25. April 1985 besteht das Verwaltungsgericht des Kantons Zürich aus drei Kammern. Jedes Mitglied gehört einer Kammer an, ist jedoch zur Aushilfe in den anderen Kammern verpflichtet. Das Gericht besteht nach dem Beschluss des Kantonsrates über die Zahl der Mitglieder und Ersatzleute des Verwaltungsgerichts vom 4. März 1985 aus vier vollamtlichen und neun nebenamtlichen Mitgliedern sowie acht Ersatzleuten. Jedes Geschäft kann der einen oder der anderen Kammer zugeteilt werden (vgl. ALFRED KÖLZ, Kommentar zum Verwaltungsrechtspflegegesetz des Kantons Zürich, N. 1 zu § 38). In welcher Zusammensetzung über einen Fall entschieden wird, ist somit nicht im voraus bekannt. Der echte oder vermeintliche Organmangel konnte deshalb nicht vor der mit dem Urteil erfolgten Mitteilung der Besetzung des Gerichts festgestellt werden. Dass nicht schon im voraus Ablehnungsbegehren gegen ![]() | 7 |
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a) R. und J. machen geltend, dass nach der vom Gericht verfolgten Praxis ein Richter selbstverständlich immer dann in den Ausstand trete, wenn er als Anwalt mit dem zur Diskussion stehenden Fall befasst war. Weiter trete ein Richter in den Ausstand, wenn ein kleines Gemeinwesen, für welches der Richter in letzter Zeit tätig war, durch den Fall betroffen sei. Sei dagegen ein grosses Gemeinwesen wie der Kanton oder die Stadt Zürich von einem Fall betroffen, so trete ein Richter nur dann in den Ausstand, wenn er für die unmittelbar betroffene Amtsstelle dieses Gemeinwesens tätig war.
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Nach J. trifft es zu, dass er schon verschiedentlich für Amtsstellen der Stadt Zürich anwaltschaftlich tätig war. Diese Tätigkeit habe sich indes einerseits auf gemeinderätliche Kommissionen und andererseits auf das Bauamt I und die Präsidialabteilung beschränkt. Vom Bauamt II der Stadt Zürich habe er bis heute noch nie einen Auftrag erhalten. Wie R. ausführt, hat er für die Stadt Zürich am 9. Juni 1988 eine staatsrechtliche Beschwerde gegen den Beschluss des Regierungsrates des Kantons Zürich vom 20. April 1988 betreffend die Genehmigung der Unterstellung unter das Wohnerhaltungsgesetz eingereicht. Die Kontaktnahme für die Ausarbeitung und die Einreichung der staatsrechtlichen Beschwerde und die spätere Korrespondenz sei immer über das Zentralsekretariat des Bauamtes II erfolgt.
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Zur Begründung der geltend gemachten Ausstandspraxis führen J. und R. aus, dass sich die aus dem Auftragsverhältnis zwischen Anwalt und Klient ergebende Treuepflicht anders als beim Arbeitnehmer auf den einzelnen Fall, in welchem der Anwalt beauftragt werde, beschränke. Da sich trotzdem eine über diesen Einzelfall hinausgehende Befangenheit des Anwalts gegenüber seinem Auftraggeber nicht ohne weiteres ausschliessen lasse, rechtfertige sich grundsätzlich der Ausstand eines Richters in jenen Fällen, in welchen ein Klient von ihm Partei sei. Anders verhalte es sich bei einem grossen Gemeinwesen wie dem Kanton oder einer grösseren Stadtgemeinde. In diesen Fällen bestehe ein besonderes ![]() | 11 |
b) Was das Verwaltungsgericht und die betroffenen Verwaltungsrichter gegen die Rüge der unrichtigen Besetzung des Gerichts vorbringen, erscheint nicht von vornherein als unbegründet. Zu bedenken ist indes, dass bei der Beurteilung der Unvoreingenommenheit unter objektivem Gesichtspunkt auch die äusseren Umstände sowie Fragen funktioneller Natur und der inneren Organisation des Verfahrens von Bedeutung sind. In dieser Hinsicht kann schon dem blossen Anschein der Befangenheit Gewicht zukommen (BGE 114 Ia 54 f. E. 3b, BGE 112 Ia 293 f. E. 3b). Es fällt diesbezüglich insbesondere der Umstand in Betracht, dass ein Anwalt auch ausserhalb seines Mandates versucht sein kann, in einer Weise zu handeln, welche seinen Klienten ihm gegenüber nach wie vor gut gesinnt sein lässt (vgl. BGE 116 Ia 141 f. E. 3c). Ein als Richter amtender Anwalt erscheint befangen, wenn zu einer Partei ein noch offenes Mandat besteht oder er für eine Partei in dem Sinne mehrmals anwaltlich tätig wurde, dass zwischen ihnen eine Art Dauerbeziehung besteht. Ein einzelnes abgeschlossenes Mandat vermag jedenfalls im Normalfall den Anschein der Befangenheit nicht zu begründen. Ein solches Verhältnis zwischen dem als Richter amtenden Anwalt und seinem Klienten kann aber auch bei anwaltlichen Mandatsverhältnissen mit grösseren Gemeinwesen nicht ausgeschlossen werden. Dass die bisherigen Mandatsverhältnisse in keinem Sachzusammenhang mit dem aktuellen ![]() | 12 |
Nachdem R. noch während des laufenden Verfahrens für die Stadt Zürich mit einer Bausache ein Anwaltsmandat innehatte, war seine richterliche Mitwirkung im Verfahren vor Verwaltungsgericht mit den aus Art. 58 Abs. 1 BV sich ergebenden Ansprüchen auf einen unparteilichen Richter nicht verträglich. Auch die Mitwirkung von J. erscheint in dem Sinne als fragwürdig, als er nach eigenen Angaben vor nicht langer Zeit schon verschiedentlich für Amtsstellen der Stadt Zürich, und auch für das Bauamt I, tätig gewesen ist. Wie sich diese Mandatsverhältnisse im einzelnen darstellten und inwieweit mit Bezug auf die von ihm ausgeübte Gutachtertätigkeit ein Ausstandsgrund verneint werden kann, kann offenbleiben, nachdem J. am 30. September 1990 aus seinem Amt im Verwaltungsgericht zurückgetreten ist.
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