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25. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 27. März 1991 i.S. S. gegen Gemeinde Sils i. E. und Verwaltungsgericht des Kantons Graubünden (staatsrechtliche Beschwerde) | |
Regeste |
Art. 22ter BV; Beschränkung des Zweitwohnungsbaus. |
2. Im vorliegenden Fall erlaubt das geringe Ausmass der Parzelle lediglich den Bau einer Erstwohnung. Es ist nicht unverhältnismässig, eine Ausnahmebewilligung für den Bau einer Zweitwohnung zu verweigern (E. 4). | |
Sachverhalt | |
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"Förderung Erstwohnungsbau/Einschränkung Zweitwohnungsbau
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Bei der Schaffung von neuem Wohnraum in der Dorfkernzone und den Wohnzonen ist pro Parzelle mind. 25% der Bruttogeschossfläche als sogenannter Erstwohnungsanteil zur Verfügung zu stellen; der Rest darf als Zweitwohnungsanteil beansprucht werden. Bauten, welche lediglich eine einzelne Wohnung aufweisen, sind 100%ig als Erstwohnung auszugestalten. Der Erstwohnungsanteil muss, sofern soviel Bruttogeschossfläche vorhanden ist, mindestens eine Wohnung mit einer Bruttogeschossfläche von 80 m2 ergeben:
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(...)
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Als Erstwohnungen gelten die der ortsansässigen Bevölkerung zur Verfügung gestellten Wohnungen, deren Zweckbestimmung grundbuchlich sichergestellt ist. Zweitwohnungen sind alle nicht zu den Erstwohnungen zählenden Wohnungen mit Ausnahme von Wohneinheiten in gastwirtschaftlich genutzten Betrieben, welche bei der Errechnung des Verhältnisses gemäss Abs. 1 ausser Betracht fallen."
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S. beabsichtigt, auf dem Grundstück ein Haus mit zwei Wohnungen zu bauen. Die Bruttogeschossfläche von 94,43 m2 möchte er für eine Einzimmerwohnung von 30,57 m2 (25% der verfügbaren Bruttogeschossfläche) und eine Zweizimmerwohnung von 60,64 m2 (75% der verfügbaren Bruttogeschossfläche) verwenden. Die Einzimmerwohnung will er als Erstwohnung an den Kurverein vermieten, die Zweizimmerwohnung einstweilen als Zweitwohnung vermieten und zwei Wochen pro Jahr selbst bewohnen.
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Der Gemeindevorstand von Sils i. E. wies das entsprechende Baugesuch von S. am 6. August 1990 ab, weil der Erstwohnungsanteil nicht mindestens 80 m2 der Bruttogeschossfläche betrage und deshalb Art. 62 des Gemeindebaugesetzes verletzt sei. Eine dagegen eingereichte Beschwerde wies das Verwaltungsgericht des Kantons Graubünden am 25. Oktober 1990 ab.
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Mit staatsrechtlicher Beschwerde vom 3. Dezember 1990 beantragt S. im wesentlichen, das Urteil des Verwaltungsgerichts sei aufzuheben. Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab.
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a) Die streitige Vorschrift über die Mindestgrösse der Erstwohnungen stellt eine öffentlichrechtliche Eigentumsbeschränkung dar. Sie ist mit der Eigentumsgarantie nur vereinbar, sofern sie auf einer hinreichenden gesetzlichen Grundlage beruht, im öffentlichen Interesse liegt und verhältnismässig ist (Art. 22ter BV; BGE 115 Ia 351). Der Beschwerdeführer bestreitet das Vorhandensein der gesetzlichen Grundlage nicht. Zu prüfen ist lediglich, ob die fragliche Eigentumsbeschränkung durch ein hinreichendes öffentliches Interesse gedeckt ist, das die entgegenstehenden Privatinteressen überwiegt. Diese Frage prüft das Bundesgericht grundsätzlich frei; es auferlegt sich jedoch Zurückhaltung, soweit die Beurteilung von einer Würdigung der örtlichen Verhältnisse abhängt, welche die kantonalen Behörden besser überblicken als das Bundesgericht, und soweit sich ausgesprochene Ermessensfragen stellen, deren Beantwortung den primär für die Ortsplanung verantwortlichen Behörden überlassen bleiben muss (Art. 2 Abs. 3 RPG; BGE 115 Ia 352 E. a).
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b) Mit dem fraglichen Art. 62 des Gemeindebaugesetzes soll der Erstwohnungsbau gefördert und der Zweitwohnungsbau beschränkt werden. Das Bundesgericht hat schon mehrfach festgehalten, dass solche siedlungspolitische Vorschriften grundsätzlich mit der Eigentumsgarantie (Art. 22ter BV) vereinbar sind, sofern sie im Zielbereich der verfassungsrechtlichen Raumplanungsaufgabe (Art. 22quater BV) liegen (BGE 112 Ia 66 E. 3b mit Hinweisen). Die Raumplanung soll der geordneten Besiedlung des Landes dienen (Art. 22quater Abs. 1 BV), beinhaltet somit auch Gesichtspunkte der Siedlungspolitik, was sich auch aus den gesetzlichen Zielen und Grundsätzen der Raumplanung ergibt (vgl. Art. 1 Abs. 2 lit. b und c, Art. 3 Abs. 3 RPG). Insbesondere gilt es, wohnliche Siedlungen zu schaffen und zu erhalten sowie das soziale, wirtschaftliche und kulturelle Leben in den einzelnen Landesteilen zu fördern und auf eine angemessene Dezentralisation der Besiedlung hinzuwirken (Art. 1 Abs. 2 lit. b und c RPG).
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c) Die Gemeinde legt dar, dass ein starkes Interesse der einheimischen Bevölkerung an Wohnraum bestehe; es gelte daher, den Erstwohnungsbau zu fördern. Da in der Gemeinde wie im ganzen Oberengadin vor allem Familienwohnungen sehr rar und sehr teuer seien, müssten diese Erstwohnungen eine Fläche aufweisen, welche Familien mit Kindern genügend Raum böten. Diese raumplanerisch-sozialpolitischen Gründe und das Interesse an einem funktionierenden Boden- und Wohnungsmarkt hat das Bundesgericht bereits als im öffentlichen Interesse liegend anerkannt (BGE 112 Ia 71). Vor allem darf sich eine Gemeinde bemühen, über den grössten Teil des Jahres hinweg leerstehende Häuser und Quartiere sowie den Bau von überproportionierten, häufig unterbeanspruchten Infrastrukturanlagen zu vermeiden (vgl. BLAISE KNAPP, ![]() | 13 |
d) Der Beschwerdeführer möchte auf seiner Parzelle von rund 800 m2 zwei Wohnungen bauen, wofür ihm aber bloss eine Bruttogeschossfläche von gut 90 m2 zur Verfügung steht. Die kritisierte Vorschrift bewirkt, dass er an die Erstwohnung 80 m2 statt der beabsichtigten gut 30 m2 abgeben muss und ihm für die Zweitwohnung statt gut 60 m2 nur noch gut 14 m2 verbleiben. Dadurch wird im geplanten Gebäude der Erstwohnungsanteil von gesetzlich mindestens 25% auf rund 85% der Bruttogeschossfläche vergrössert. Die praktische Folge der streitigen Bestimmung ist, dass - nach der Berechnung des Beschwerdeführers - für die Zweitwohnung unter Berücksichtigung von Dusche, WC, Lavabo, Küchenmöbeln, Innen- und Aussenwandgrundflächen sowie Windfang nur noch knapp 4 m2 Nettowohnfläche verbleiben. Im Ergebnis bedeutet das, dass der Beschwerdeführer bloss eine einzige Wohnung von gut 90 m2 erstellen darf und kann, die zudem als Erstwohnung dienen muss.
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e) Das private Interesse des Beschwerdeführers, auf seiner Parzelle zwei Wohnungen bauen zu können, vermag gegen die in Frage stehenden öffentlichen Interessen an der streitigen Regelung nicht aufzukommen. Zu Recht stellt der Beschwerdeführer selbst nicht grundsätzlich in Frage, dass Dörfer wie die Gemeinde Sils i. E. auf Familien mit Kindern angewiesen sind, um lebensfähig bleiben zu können. Unzutreffend ist sein Einwand, aufgrund der fraglichen Vorschrift müssten in der Gemeinde nun alle Wohnungen mindestens 80 m2 gross sein; die Regelung ist erst vor kurzem in Kraft getreten und kann lediglich der Korrektur des Angebots für die Zukunft dienen. In dem Masse, als die Anzahl der gewünschten Wohnungen zunehmen sollte, werden diese wohl ![]() | 15 |
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Eine Ausnahmebewilligung, wie sie der Beschwerdeführer verlangt, bezweckt, im Einzelfall Härten und offensichtliche Unzweckmässigkeiten, d.h. offensichtlich ungewollte Wirkungen zu beseitigen, die mit dem Erlass der Regel nicht beabsichtigt waren. Sie darf dagegen nicht eingesetzt werden, um generelle Gründe zu berücksichtigen, die sich praktisch immer anführen liessen, weil auf diesem Wege das Gesetz selber abgeändert würde (BGE 107 Ia 216; vgl. BGE 112 Ib 53 E. 5). Diesen Weg aber beschritte die ![]() | 17 |
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