BGE 117 Ia 166 - Belgrader Gesellschaft X | |||
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Bearbeitung, zuletzt am 15.03.2020, durch: Sabiha Akagündüz, A. Tschentscher | |||
28. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung vom 30. April 1991 i.S. Gesellschaft X. c. Y. AG (staatsrechtliche Beschwerde) | |
Regeste |
Art. 58 BV und Art. 6 EMRK. Schiedsgerichtsbarkeit; Anspruch auf den verfassungs- und konventionsmässigen Richter. |
Führen trotz der Demission eines Schiedsrichters die übrigen Mitglieder des Schiedsgerichts das Verfahren weiter, ohne dass sie aufgrund einer Parteiabrede zu einem solchen Vorgehen ermächtigt wären, so ist der Anspruch der Parteien auf ordnungsgemässe Zusammensetzung der Spruchkammer verletzt, und zwar selbst dann, wenn der Demissionär sein Mandat ohne wichtigen Grund niedergelegt hat (E. 6). | |
Sachverhalt | |
A.- Die Gesellschaft X., eine Firma mit Sitz in Belgrad, als Klägerin und die Y. AG, mit Sitz in Oberhausen in Deutschland, als Beklagte sind seit 1984 Parteien eines Schiedsgerichtsverfahrens vor einem der Verfahrensordnung der Internationalen Handelskammer in Paris unterstehenden Schiedsgericht mit Sitz in Zürich. Das Schiedsgericht setzte sich anfänglich zusammen aus dem Obmann A., dem von der Klägerin ernannten Schiedsrichter B. und dem von der Beklagten ernannten Schiedsrichter C.
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Nachdem zwischen den Schiedsrichtern Meinungsverschiedenheiten bezüglich der Abnahme von Beweisen entstanden waren, erklärte B. am 28. Oktober 1986 seinen Rücktritt als Schiedsrichter und verliess die Sitzung des Schiedsgerichts. In der Folge fällte das Schiedsgericht einen Entscheid, mit dem das Rechtsbegehren 1 der Klägerin abgewiesen wurde. Dieser Teilschiedsspruch wurde vom Schiedsgerichtshof der Internationalen Handelskammer am 16. September 1987 genehmigt und am 8. November 1987 von A. sowie am 31. Oktober 1987 von C. unterzeichnet.
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B.- Am 19. Mai 1987 leitete die Gesellschaft X. bei der Verwaltungskommission des Obergerichts des Kantons Zürich ein Ablehnungsverfahren gegen A. und C. ein mit der Begründung, die beiden Schiedsrichter seien befangen, weil sie das Schiedsverfahren nach dem Rücktritt von B. weitergeführt hätten. Am 20. Dezember 1989 hob das Bundesgericht einen Entscheid der Verwaltungskommission des Obergerichts auf, der das Ablehnungsbegehren geschützt hatte. Daraufhin wies die Verwaltungskommission des Obergerichts das Ablehnungsbegehren mit Beschluss vom 19. Mai 1990 ab.
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Die Gesellschaft X. hatte beim Obergericht des Kantons Zürich auch Nichtigkeitsbeschwerde gegen den Teilschiedsspruch erhoben, mit welcher sie geltend gemacht hatte, das Schiedsurteil verletze zürcherisches Zivilprozessrecht, Art. 4 und 58 BV sowie Art. 6 EMRK. Das Obergericht wies die Beschwerde, nachdem es das Verfahren bis zum Abschluss des Ablehnungsverfahrens sistiert hatte, mit Beschluss vom 4. Juli 1990 ab.
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C.- Das Bundesgericht heisst die von der Gesellschaft X. eingereichte staatsrechtliche Beschwerde gut und hebt den obergerichtlichen Entscheid vom 4. Juli 1990 auf.
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Aus den Erwägungen: | |
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b) Nach § 254 Abs. 1 aZPO/ZH, der Art. 31 Abs. 1 des Konkordats über die Schiedsgerichtsbarkeit entspricht, muss der Endentscheid unter Mitwirkung sämtlicher Schiedsrichter gefällt werden. Die Vorschrift enthält einen wesentlichen Verfahrensgrundsatz im Sinne von § 281 Ziff. 1 ZPO/ZH (STRÄULI/MESSMER/WIGET, Kommentar zur Zürcherischen Zivilprozessordnung, 2. Aufl. 1982, N 7 zu § 255). Das Mitwirkungsgebot gilt auch für Teilschiedssprüche, wie im vorliegenden Fall einer in Frage steht (a.a.O., N 1 zu § 254).
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b) Nach den unbeanstandet gebliebenen Feststellungen des Obergerichts wurde die Amtsniederlegung am 28. Oktober 1986 erklärt, das Verfahren mit Verhandlung vom 7. Februar 1987 fortgesetzt und der Teilschiedsspruch am 8. November 1987 gefällt bzw. unterzeichnet. Damit liegt offensichtlich auch nicht der anders zu beurteilende Fall vor, dass ein am Urteil mitwirkender, mit dem Entscheid jedoch nicht einverstandener Schiedsrichter sich weigert, das Urteil zu unterzeichnen (§ 254 Abs. 1 aZPO/ZH; vgl. auch Art. 33 Abs. 2 des Konkordats über die Schiedsgerichtsbarkeit).
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c) Ob sich das im Auftragsrecht geltende freie Widerrufsrecht auch auf den Schiedsauftrag bezieht und der Schiedsrichter gestützt darauf - unter Vorbehalt der Schadenersatzpflicht bei Rücktritt zur Unzeit (Art. 404 Abs. 2 OR) - sein Mandat jederzeit niederlegen kann (LEUCH, Kommentar zur Berner Zivilprozessordnung, 3. Aufl. 1956, N 1 zu Art. 391; GAUTSCHI, Berner Kommentar, N 34c zu Art. 394 OR), kann offenbleiben. Denn wird in Übereinstimmung mit einer verbreiteten Lehrmeinung (STRÄULI/MESSMER/WIGET, a.a.O., N 1 zu § 245; LALIVE/POUDRET/REYMOND, Le droit de l'arbitrage interne et international en Suisse, N 1.4 zu Art. 23 Konkordat; JOLIDON, Commentaire du Concordat suisse sur l'arbitrage, N 22 zu Art. 23; GULDENER, Schweizerisches Zivilprozessrecht, 3. Aufl. 1979, S. 607 Anm. 67; RÜEDE/HADENFELDT, Schweizerisches Schiedsgerichtsrecht, S. 166) davon ausgegangen, dass eine Mandatsniederlegung durch einen Schiedsrichter nur aus wichtigen Gründen zulässig ist, so stellt sich sogleich die Frage, wer über die Rechtmässigkeit des Rücktritts zu befinden habe. Dass darüber die verbliebenen Schiedsrichter entscheiden, ist jedenfalls ausgeschlossen. Einzig sachgerecht erscheint, den Entscheid in die Kompetenz des ordentlichen Richters zu stellen. Dieser hat entweder das Erlöschen des Schiedsrichtermandats festzustellen oder, wenn wichtige Gründe für eine Mandatsniederlegung fehlen, den Demissionär aufzufordern, am Verfahren weiterhin mitzuwirken. Auf diesem Boden scheint denn auch die zürcherische Praxis zu stehen (ZR 77/1978, Nr. 2).
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Erfolgt eine Demission ohne wichtigen Grund, kann dies nicht zur Folge haben, dass das Verfahren einfach ohne den Demissionär und ohne neuen Schiedsrichter weitergeführt werden kann (vgl. GAILLARD, Les manoeuvres dilatoires des parties et des arbitres dans l'arbitrage commercial international, Revue de l'arbitrage 1990, S. 786). Diese Auffassung liesse sich einzig vertreten, wenn der Schiedsvertrag oder die Schiedsklausel eine Bestimmung enthielte, wonach bei Ausfall oder Weigerung eines Schiedsrichters das Verfahren von den übrigen Mitgliedern des Schiedsgerichts fortgesetzt wird. Mangels einer solchen Abrede aber ist das Schiedsgericht nach einer Demission erst wieder ordnungsgemäss besetzt, wenn entweder der Demissionär - allenfalls auf Weisung des ordentlichen Richters hin - auf seinen Rücktritt zurückgekommen oder unbesehen des Fehlens wichtiger Gründe zum Rücktritt ersetzt worden ist, weil sich die Amtsführung realiter nicht erzwingen lässt (JOLIDON, a.a.O., N 22 zu Art. 23; GAILLARD, a.a.O., S. 785). Die Wirkung der unbefugten Mandatsniederlegung erschöpft sich daher in der Möglichkeit einer Schadenersatzpflicht (GAILLARD, a.a.O.; LALIVE/POUDRET/REYMOND, a.a.O., N 1.4 zu Art. 23 Konkordat) und von Disziplinarmassnahmen (§ 245 aZPO/ZH); sie kann mithin - ohne entsprechende Parteiabrede - niemals darin bestehen, dass das Schiedsverfahren einfach ohne Mitwirkung des Demissionärs seinen Fortgang nimmt. Führen trotz der Demission eines Schiedsrichters die übrigen Mitglieder des Schiedsgerichts das Verfahren weiter, ohne dass die Parteien sie zu einem solchen Vorgehen ermächtigt hätten, ist das Schiedsgericht nicht ordnungsgemäss besetzt. Die gegenteilige Auffassung des Obergerichts ist mit dem fundamentalen Anspruch der Parteien auf ordnungsgemässe Zusammensetzung der Spruchkammer nicht vereinbar und verletzt daher Art. 58 BV sowie Art. 6 EMRK.
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d) Die Parteien haben die Beurteilung der Streitsache einem Dreierschiedsgericht übertragen. Gefällt wurde der Teilschiedsspruch lediglich von zwei Schiedsrichtern. Insoweit liegt eine klare Verletzung von § 254 Abs. 1 aZPO/ZH vor. Das Obergericht ist deshalb auch in Willkür verfallen, wenn es den Entscheid des Schiedsgerichts nicht gestützt auf diese Bestimmung aufgehoben hat.
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