BGE 118 Ia 236 | |||
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33. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 2. September 1992 i.S. O., A. und E. gegen T. und Kassationsgericht des Kantons Zürich (staatsrechtliche Beschwerde). | |
Regeste |
Prozessfähigkeit. Art. 14 BZP, Art. 16 und Art. 18 ZGB. |
2. Beschränkte Prozessfähigkeit im Verfahren über die Frage der Prozessfähigkeit selbst (E. 3). | |
Sachverhalt | |
O. wurde vom Bundesstrafgericht zu 14 Jahren Zuchthaus sowie 15 Jahren Landesverweisung verurteilt. Der ausserordentliche Kassationshof trat auf die gegen das Urteil des Bundesstrafgerichts erhobenen Nichtigkeitsbeschwerden nicht ein. Nach Verbüssung von zwei Dritteln der Zuchthausstrafe liessen die zürcherischen Behörden O. am 8. November 1985 ins Ausland ausschaffen.
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Am 29. Juni 1988 erhob O. beim Bezirksgericht Winterthur zivilrechtliche Klage gegen T., einen Chefbeamten der Kantonspolizei Zürich, wegen Verletzung in den persönlichen Verhältnissen (Art. 27/28 ZGB). Das Bezirksgericht Winterthur trat auf die Klage nicht ein.
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O. führte gegen den Beschluss des Bezirksgerichts Winterthur Rekurs, auf welchen das Obergericht des Kantons Zürich mangels Prozessfähigkeit nicht eintrat. Das Obergericht verwies auf einen früheren Rekursentscheid, in welchem es O. die Fähigkeit abgesprochen hatte, Prozesshandlungen wirksam vorzunehmen, soweit sich diese auf das Urteil des Bundesstrafgerichts und den Vollzug der darin ausgesprochenen Nebenstrafe beziehen. Eine beim Kassationsgericht des Kantons Zürich eingereichte Nichtigkeitsbeschwerde blieb erfolglos.
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O., A. und E. führen staatsrechtliche Beschwerde gegen das Urteil des Kassationsgerichts. Das Bundesgericht tritt auf die Beschwerde insofern nicht ein, als sie von A. und E. erhoben wurde. Im übrigen weist das Bundesgericht die Beschwerde ab, soweit es darauf eintritt.
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Auszug aus den Erwägungen: | |
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b) Die Prozessfähigkeit ist eine Wirkung der vom Bundesrecht in Art. 12 ff. ZGB geordneten Handlungsfähigkeit im Prozess. Sie setzt die Urteilsfähigkeit des Rechtsuchenden voraus und fehlt somit der Prozesspartei, die nicht in der Lage ist, vernunftgemäss zu handeln (Art. 16 ZGB). So verhält es sich namentlich beim psychopathischen Querulanten, das heisst beim Menschen, dessen abnorme Reaktionen auf eine psychisch krankhafte Persönlichkeitsentwicklung zurückzuführen sind und der das eigene, meist falsch beurteilte Recht in übertriebener und rücksichtsloser Art und mit Rechtsbehelfen durchzusetzen versucht, die in keinem angemessenen Verhältnis zum erreichbaren Ziel stehen.
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Die Urteilsfähigkeit ist zu vermuten. Wie diese Vermutung widerlegt werden kann, sagt das Gesetz nicht. Wird, was im allgemeinen angezeigt ist, ein medizinischer Sachverständiger zugezogen, so hat sich sein Bericht darauf zu beschränken, den Geisteszustand des Untersuchten möglichst genau zu beschreiben und aufzuzeigen, ob und in welchem Mass das geistige Vermögen versagt. Welche rechtlichen Schlüsse aus dem Ergebnis der medizinischen Begutachtung zu ziehen sind, entscheidet der Richter. Beim Entscheid darüber, ob ein Rechtsuchender als psychopathischer Querulant im soeben erwähnten Sinn bezeichnet werden muss, kann indessen ausnahmsweise vom Beizug eines Psychiaters abgesehen werden, wenn das langjährige, allgemein bekannte prozessuale Verhalten der Partei zum zwingenden Schluss führt, dass die fraglichen Handlungen auf keinerlei vernünftigen Überlegungen mehr beruhen, sondern schlechterdings nur noch als Erscheinungsformen einer schweren psychischen Störung gewürdigt werden können. Eine Querulanz, die in ihren Wirkungen die Urteilsfähigkeit im Sinne von Art. 16 ZGB ausschliesst, darf indessen nicht leichthin bejaht werden. Nicht jeder, der sein vermeintliches Recht hartnäckig mit allen ihm zur Verfügung stehenden Mitteln und gelegentlich unter Missachtung des gebotenen Anstandes durchzusetzen versucht und auf diese Weise die Geduld von Gerichten und Behörden über Gebühr in Anspruch nimmt, gilt als psychopathischer Querulant. Zu beachten ist ferner, dass das schweizerische Recht keine abstrakte Feststellung der Urteilsunfähigkeit kennt. Der Richter hat vielmehr stets zu prüfen, ob die fragliche Person im konkreten Fall, das heisst im Zusammenhang mit einer bestimmten Handlung oder bei der Würdigung bestimmter tatsächlicher Gegebenheiten als urteilsfähig angesehen werden kann. Insbesondere beim Querulanten kann die Prozessunfähigkeit auf einen bestimmten, mehr oder weniger grossen Bereich von Rechtsstreitigkeiten beschränkt bleiben (BGE 98 Ia 324 E. 3, mit zahlreichen Hinweisen).
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Nach diesen Grundsätzen ist zu entscheiden, ob der Beschwerdeführer für das vorliegende bundesgerichtliche Verfahren als prozessfähig gelten kann.
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c) Aus einem bei den Akten liegenden Urteil des Obergerichts des Kantons Zürich vom 12. Januar 1990 geht hervor, dass sich die Zürcher Behörden seit etwa zehn Jahren ständig mit Strafanzeigen und Zivilklagen des Beschwerdeführers befassen mussten, welche sich alle auf die Verurteilung des Beschwerdeführers durch das Bundesstrafgericht am 22. Mai 1979 und die ebenfalls ausgesprochene Landesverweisung bezogen. Der Beschwerdeführer begnügte sich nicht damit, alle denkbaren Rechtsmittel gegen die in seiner Sache ergangenen Entscheidungen zu ergreifen, sondern er verfolgte auch die daran beteiligten sowie die mit dem Vollzug der Strafe und der Landesverweisung beauftragten Personen und Behörden mit Klagen wegen Ehrverletzung und Verletzung in den persönlichen Verhältnissen. Insgesamt liess er bei den zürcherischen Bezirksbehörden allein in den Jahren 1986 bis 1989 ungefähr 115 neue straf- und zivilrechtliche Verfahren durchführen (ohne Ausstandsverfahren), alle im Zusammenhang mit seiner Verurteilung und der Landesverweisung. Fast alle dieser Verfahren blieben erfolglos.
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Im gleichen Zeitraum reichte der Beschwerdeführer in derselben Sache mehr als 70 Rechtsmittel beim Bundesgericht ein, in der Regel staatsrechtliche Beschwerden. Kein einziges dieser Rechtsmittel wurde gutgeheissen. In einem Urteil vom 28. August 1989 wies das Bundesgericht den Beschwerdeführer zudem ausdrücklich darauf hin, dass die vom Bundesstrafgericht verhängte Strafe vom Bundesgericht überprüft worden ist und in dieser Sache bereits mehrere rechtskräftige Entscheide des Bundesgerichts im Sinne von Art. 38 OG vorliegen.
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Wird die hohe Zahl aussichtsloser Verfahren, welche der Beschwerdeführer in immer derselben Sache bei kantonalen und eidgenössischen Behörden veranlasst hatte, in Betracht gezogen, erweist sich sein prozessuales Verhalten - immer in bezug auf seine Verurteilung durch das Bundesstrafgericht und die damit verbundene Landesverweisung - als dasjenige eines krankhaften Querulanten; vernünftigerweise kann es nur noch als Erscheinungsform einer schweren psychischen Störung gewürdigt werden. Ein psychiatrisches Gutachten ist unter diesen Umständen entbehrlich. Dem Beschwerdeführer fehlt damit grundsätzlich die erforderliche Urteilsfähigkeit, um im Zusammenhang mit seiner Verurteilung und der Landesverweisung bei kantonalen und eidgenössischen Gerichten Prozesse zu führen.
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3. a) Dieses Ergebnis führt indessen nicht ohne weiteres dazu, dass das Bundesgericht auf die vorliegende staatsrechtliche Beschwerde nicht eintreten kann. Wer nicht urteilsfähig und damit gemäss Art. 18 ZGB auch nicht handlungsfähig ist, dem fehlt die Fähigkeit, selber oder durch einen zu diesem Zweck beauftragten Vertreter einen Prozess anzuheben oder andere wirksame Prozesshandlungen vorzunehmen. Bis zur endgültigen gerichtlichen Feststellung der Prozessunfähigkeit muss der betreffenden Partei aber die Möglichkeit der Prozessführung gewahrt bleiben, weil sie sich sonst gegen die Verneinung ihrer Prozessfähigkeit nicht wirksam zur Wehr setzen könnte. Spricht ein kantonales Gericht - wie auch im vorliegenden Fall - in einer bestimmten Sache dem Beschwerdeführer die Prozessfähigkeit ab, so muss dieser die Möglichkeit haben, dagegen die staatsrechtliche Beschwerde an das Bundesgericht wegen Rechtsverweigerung zu ergreifen, da ihm sonst kein anderes Rechtsmittel zur Verfügung steht (unveröffentlichtes Urteil des Bundesgerichts vom 1. Juli 1985 i.S. B., E. 2b; vgl. auch WALDER-BOHNER, Zivilprozessrecht, 3. Auflage 1983, S. 141 Rz. 1, sowie S. 142 Fn. 9). Auf die staatsrechtliche Beschwerde ist daher einzutreten, soweit sie wegen Rechtsverweigerung im Sinne von Art. 4 BV erhoben und damit begründet wird, das Kassationsgericht habe zu Unrecht dem Beschwerdeführer die Prozessfähigkeit abgesprochen. Im übrigen ist allerdings mangels Prozessfähigkeit des Beschwerdeführers auf die staatsrechtliche Beschwerde nicht einzutreten.
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b) Die Prozessfähigkeit richtet sich ausschliesslich nach den Bestimmungen des Bundeszivilrechts; für kantonale Regelungen bleibt dabei kein Raum (vgl. BGE 116 II 387 E. 4, mit Hinweisen). Der Beschwerdeführer muss deshalb auch im kantonalen Verfahren als prozessunfähig gelten, wenn er im bundesgerichtlichen Verfahren grundsätzlich für prozessunfähig erklärt worden ist. Wie bereits festgestellt wurde (oben E. 2), fehlt dem Beschwerdeführer die erforderliche Prozessfähigkeit, um in der erwähnten Sache - ausser in bezug auf seine Prozessfähigkeit selbst - staatsrechtliche Beschwerde zu führen. Daher war er auch im kantonalen Verfahren vor den zürcherischen Gerichten prozessunfähig. Seine entsprechenden Rügen in der staatsrechtlichen Beschwerde erweisen sich als unbegründet.
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