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20. Auszug aus dem Urteil der II. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 7. Mai 1993 i.S. Dr. Barbara Hegner-von Stockar gegen Grosser Rat des Kantons Bern (staatsrechtliche Beschwerde) | |
Regeste |
Kantonalrechtliches Schiffahrtsverbot auf einem Privatsee; Vereinbarkeit mit Art. 4 und 22ter BV; rechtliches Gehör gegenüber Erlass? |
b) Gesetzliche Grundlage der Eigentumsbeschränkung, insbesondere Legiferierungskompetenz des bernischen Grossen Rates über private Gewässer (E. 3). |
c) Rechtsgleichheit bei der Auswahl der mit dem Schiffahrtsverbot belegten Gewässer (E. 4). |
2. Anspruch auf rechtliches Gehör beim Erlass eines Dekretes, welches eine Reihe einzeln bezeichneter Gewässer einem Schiffahrtsverbot unterwirft? (E. 5). | |
Sachverhalt | |
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Gestützt auf diese Ermächtigung erliess der Grosse Rat des Kantons Bern am 18. Dezember 1991 ein "Dekret über die Beschränkungen der Schiffahrt" (Schiffahrtsdekret, SD). Dieses bestimmt in Art. 2 unter dem Randtitel "Vollständige Fahrverbote":
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"Die im Anhang dieses Dekretes aufgezählten Gewässer sind aus Gründen des
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Naturschutzes während des ganzen Jahres für die Ausübung der Schiffahrt
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gesperrt."
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Gemäss dem Anhang zum Dekret unterstehen diesem generellen Fahrverbot rund dreissig namentlich bezeichnete kleinere Seen, worunter der Amsoldingersee und der Uebeschisee, sowie ferner vier Wildflüsse.
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Nach Art. 6 SD kann die Schiffahrtsbehörde in begründeten Einzelfällen Ausnahmen von den im Schiffahrtsdekret statuierten Fahrverboten bewilligen (Art. 6 Abs. 1 SD); vorbehalten bleibt sodann die Schiffahrt zur Nutzung des Fischbestandes durch die Fischereiberechtigten (Art. 6 Abs. 2 SD).
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Das Bundesgericht weist eine von Frau Dr. Barbara Hegner-von Stockar erhobene staatsrechtliche Beschwerde, mit welcher diese die Streichung des Amsoldingersees und des Uebeschisees aus dem Anhang zu Art. 2 des Schiffahrtsdekretes und die Aufhebung von Art. 6 Abs. 2 des Dekretes beantragte, ab.
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Aus den Erwägungen: | |
2. a) Die Beschwerdeführerin betrachtet sich aufgrund bestehender Grundbucheinträge als Eigentümerin des Amsoldinger- und ![]() | 9 |
b) Dieser Argumentation kann nicht gefolgt werden. Die beiden Seen gehören, wie bereits erwähnt, zu einer Naturschutzzone, welche "die Erhaltung der weitgehend natürlich gebliebenen Moränenseelandschaft mit ihren Wasserflächen, den besonders schön ausgebildeten Verlandungsgürteln, der Insel im Amsoldingersee, den Ufergehölzen und Feuchtwiesen" sowie generell die "Erhaltung des Lebensraumes für eine vielfältige Tier- und Pflanzenwelt, namentlich an Nassstandorten" bezweckt (so Ziff. II.2.NatB). Der Umstand, dass gleichzeitig das Baden von einem festgelegten Badeplatz aus sowie der Einsatz einzelner Ruderboote insbesondere für die Fischerei gestattet bleiben und im Winter "im Einvernehmen mit den Grundeigentümern" zudem das Schlittschuhlaufen erlaubt ist (vgl. Ziff. IV.6.e und f sowie 7.a und b NatB) bedeutet keine Preisgabe ![]() | 10 |
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b) aa) Eine vertiefte Auseinandersetzung mit der Frage, ob und wieweit es sich bei den beiden streitigen Seen um öffentliche oder private Gewässer handelt und welche Bedeutung einer solchen Unterscheidung im vorliegenden Zusammenhang überhaupt zukommen kann, ist an dieser Stelle nicht notwendig. Der Gebietshoheit ![]() | 12 |
bb) Nach Art. 2 Abs. 1 SG ist die Schiffahrt "auf öffentlichen Gewässern" frei, d.h. es gilt für die öffentlichen Gewässer der Grundsatz, dass sie dem schiffahrtsmässigen Gemeingebrauch offenstehen. Art. 2 Abs. 2 SG sieht die Möglichkeit vor, aus Gründen des öffentlichen Interesses die Schiffahrt durch Dekret auf "bestimmten bernischen Gewässern" einzuschränken (lit. a) oder die Zahl der "auf einem Gewässer" zugelassenen Schiffe zu begrenzen (lit. b). Vorbehalten bleiben ferner besondere lokale Verkehrsbeschränkungen gemäss Art. 2 Abs. 3 des Schiffahrtsgesetzes. Die dem Grossen Rat in Art. 2 Abs. 2 lit. a SG eingeräumte Regelungskompetenz beschränkt sich nach ihrem Wortlaut nicht auf öffentliche Gewässer, sondern sie gilt für die "bernischen Gewässer" allgemein. Es stellt sich die Frage, ob dieser - von der Formulierung in Abs. 1 wohl bewusst abweichende - Begriff nicht alle im Kanton gelegenen Gewässer umfasst, für welche sich die Frage einer Einschränkung ![]() | 13 |
cc) Es erscheint insofern nicht zum vornherein ausgeschlossen, dass der Grosse Rat die ihm durch Art. 2 Abs. 2 lit. a des Schiffahrtsgesetzes eingeräumte Regelungskompetenz nicht nur gegenüber öffentlichen Gewässern, sondern auch gegenüber schiffbaren privaten Gewässern in Anspruch nehmen kann. Wohl rechnet der Regierungsrat selber die beiden streitigen Seen zu den öffentlichen Gewässern, und er scheint dabei davon auszugehen, der Grosse Rat könne Einschränkungen der Schiffahrt ausschliesslich für diese Kategorie von Gewässern beschliessen. Dass sich von der kantonalen Gesetzgebungshoheit her indessen keine solche Beschränkung der Regelungskompetenz ergibt, wurde bereits dargelegt, und eine derartige enge, an sich systemwidrige Auslegung der Rechtsetzungsermächtigung in Art. 2 Abs. 2 des Schiffahrtsgesetzes drängt sich, wie ausgeführt, auch nach dem Wortlaut der einschlägigen Vorschriften nicht zwingend auf.
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dd) Da das in Art. 2 des Schiffahrtsdekretes für die beiden Seen statuierte vollständige Schiffahrtsverbot, zumindest bei Berücksichtigung der aufgrund der Zuweisung in eine Naturschutzzone bereits bestehenden Nutzungsbeschränkungen sowie der bezüglich des ![]() | 15 |
4. a) Die Beschwerdeführerin rügt des weitern eine Verletzung des in Art. 4 BV enthaltenen Gleichbehandlungsgebotes. Die frühere regierungsrätliche Verordnung vom 21. Juni 1989 (Verordnung vom 21. Juni 1989 betreffend die Ausübung der Schiffahrt auf den Gewässern des Kantons Bern), welche durch das angefochtene Schiffahrtsdekret abgelöst worden sei (vgl. Art. 10 Ziff. 1 SD), habe in Art. 10 bereits eine Liste der aus Gründen des Naturschutzes für die Schiffahrt gesperrten Gewässer enthalten. Durch das neue Dekret seien einerseits eine grosse Anzahl von Gewässern vom Schiffahrtsverbot befreit, anderseits eine kleine Anzahl von Gewässern ![]() | 16 |
b) Der Regierungsrat führt zur Begründung der mit dem neuen Dekret getroffenen Auswahl aus, von den nach der bisherigen Verordnung vom 21. Juni 1989 gesperrten Gewässern seien jene in die Liste gemäss Anhang zum Dekret aufgenommen worden, bei denen die erforderliche Schiffahrtsbeschränkung die ganze Fläche erfasse oder die wegen ungewisser Eignung aus Sicherheitsgründen gesperrt werden müssten. Gewässer, die sich von den tatsächlichen Gegebenheiten (Grösse, Wasserstand usw.) nicht zur Schiffahrt eigneten und auf denen auch nie ein Schiff gesehen worden sei, bedürften keiner Regelung und seien deswegen nicht in die betreffende Liste aufgenommen worden.
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c) Nach welchen Kriterien die im Anhang zum Schiffahrtsdekret aufgeführten, aus Naturschutzgründen für die Schiffahrt gesperrten Gewässer ausgewählt wurden, bedarf hier keiner allgemeinen Abklärung. Allein darin, dass dem Dekretsgeber bei der Bestimmung dieser Gewässer ein gewisser Ermessensspielraum offenstand und die angewendeten Abgrenzungskriterien allenfalls nicht ohne weiteres erkennbar sind, liegt noch kein Verstoss gegen das Willkürverbot. Auch eine Verletzung des Gleichbehandlungsgebotes ist nicht dargetan. Die Beschwerdeführerin könnte sich auf diesen Grundsatz hier nur dann erfolgreich berufen, wenn sie nachzuweisen vermöchte, dass bestimmte andere Seen, bei denen sich aufgrund der gegebenen Verhältnisse (Art und Bedeutung der berührten Naturschutzinteressen, Schiffbarkeit, Grösse u.a.) ein Schiffahrtsverbot ebenfalls oder in noch stärkerem Masse aufgedrängt hätte, von diesem Verbot ausgenommen worden sind. Die Beschwerdeführerin beanstandet indessen lediglich in allgemeiner Weise die mangelnde Erkennbarkeit oder ![]() | 18 |
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b) Der Umfang des Anspruchs auf rechtliches Gehör bestimmt sich zunächst nach den kantonalen Verfahrensvorschriften, deren Auslegung und Handhabung das Bundesgericht nur unter dem Gesichtswinkel der Willkür prüft. Subsidiär greifen die unmittelbar aus Art. 4 BV folgenden bundesrechtlichen Minimalgarantien Platz; ob diese verletzt sind, entscheidet das Bundesgericht mit freier Kognition (BGE 118 Ia 18 E. 1b mit Hinweis). Die von der Beschwerdeführerin angerufenen Vorschriften des Verwaltungsrechtspflegegesetzes über das rechtliche Gehör beim Erlass von Verfügungen und Entscheiden (Art. 21-24 VRPG) gelten, wie aus Art. 1 VRPG hervorgeht, allein für das Verfahren vor Verwaltungs- und Verwaltungsjustizbehörden. Es lässt sich ohne Willkür die Auffassung vertreten, beim Erlass des hier angefochtenen Dekretes habe es sich nicht um ein solches, unter das Verwaltungsrechtspflegegesetz fallendes Verfahren gehandelt. Es kann sich einzig darum handeln, ob das beanstandete Vorgehen gegen den unmittelbar aus Art. 4 BV folgenden Gehörsanspruch verstösst.
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c) aa) Das angefochtene Schiffahrtsdekret weist die Form eines Erlasses, d.h. einer rechtssatzmässigen Regelung auf. Im Verfahren der Gesetzgebung bzw. der Rechtsetzung überhaupt besteht kein Gehörsanspruch (BGE 113 Ia 99 E. 2a; BGE 106 Ia 79 E. 2b; BGE 104 Ia 67 E. 2b, je mit Hinweisen). Dies wird unter anderem damit begründet, dass generell-abstrakte Regelungen den einzelnen in der Regel nicht derart unmittelbar berühren, dass sich individuelle Anhörungen ![]() | 21 |
bb) Bei Nutzungsplänen, welche Merkmale sowohl des Rechtssatzes wie der Einzelverfügung aufweisen, besteht dagegen ein Gehörsanspruch der Grundeigentümer. Sie sind beim Erlass oder bei der Änderung solcher Pläne in geeigneter Form individuell anzuhören, bevor über die Zoneneinteilung ihrer Grundstücke definitiv entschieden wird (BGE 111 Ia 168 E. 2c; BGE 107 Ia 273 ff. mit Hinweisen; RHINOW/KRÄHENMANN, Schweizerische Verwaltungsrechtsprechung, Ergänzungsband, Basel 1990, Nr. 11/B/II/a, S. 26 f.). Diese Äusserungsmöglichkeit muss allerdings nicht notwendigerweise schon vor der Beschlussfassung über den Plan bestehen; es genügt nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung, dass Einwendungen im Rahmen eines Einsprache- oder Beschwerdeverfahrens vorgebracht werden können (so BGE 114 Ia 238 ff. E. 2c, cc-cf; FRANÇOIS RUCKSTUHL, Der Rechtsschutz im zürcherischen Planungs- und Baurecht, ZBl 86/1985, S. 287, mit weiteren Hinweisen).
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cc) Gegenüber Allgemeinverfügungen, welche zwar einen konkreten Gegenstand regeln, sich aber an einen mehr oder weniger grossen, offenen oder geschlossenen Adressatenkreis richten, besteht in der Regel kein Anspruch auf individuelle Anhörung; solche Anordnungen werden diesbezüglich den Rechtssätzen gleichgestellt (IMBODEN/RHINOW, a.a.O., S. 501; RHINOW/KRÄHENMANN, a.a.O., Nr. 81/B/I/a, S. 263). Eine Ausnahme kann dann gelten, wenn einzelne Personen - als sog. Spezialadressaten - durch die ergangene Anordnung wesentlich schwerwiegender betroffen werden als die übrige Vielzahl der Normaladressaten; ihnen muss eine Gelegenheit zur Äusserung gewährt werden (TOBIAS JAAG, Die Allgemeinverfügung im schweizerischen Recht, ZBl 85/1984, S. 448 f.; RHINOW/KRÄHENMANN, a.a.O., S. 263).
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d) aa) Das vom Grossen Rat des Kantons Bern am 18. Dezember 1991 erlassene Dekret über die Beschränkungen der Schiffahrt enthält eine Reihe von Verhaltens- und Organisationsnormen, die sich auf alle schiffbaren bzw. auf ganze Kategorien von Gewässern beziehen und damit generell-abstrakter Natur sind (Art. 3 SD: Winterfahrverbot und Fahrverbot zwischen 22.00 und 8.00 Uhr; Art. 5 SD: Höchstgeschwindigkeit auf Fliessgewässern; Art. 6 SD: Ausnahmebewilligungen, Sonderstellung der Fischereirechtsinhaber; Art. 7 Abs. 2 und 3 SD: Kompetenz zur Ausdehnung gewisser Bewilligungspflichten; Art. 8 SD: Schiffskennzeichen; Art. 9 SD: Übergangsrecht). Andere Normen des Schiffahrtsdekretes dagegen beziehen sich, was mit der Natur der zu regelnden Materie zusammenhängt, nur auf bestimmte, namentlich genannte Gewässer. Das gilt insbesondere für das in Art. 2 SD statuierte vollständige Fahrverbot, dem die im Anhang in Form einer Liste aufgezählten Gewässer unterstehen, ferner für Art. 3 SD (Abgrenzung des Geltungsbereiches der zeitlichen Fahrverbote), für Art. 4 SD (Geltungsbereich eines Teilfahrverbotes) und für Art. 7 Abs. 1 SD (Bewilligungspflicht für bestimmte Flüsse).
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bb) Diese letzteren Normen könnten wegen der Konkretheit des erfassten Regelungsobjektes inhaltlich als Allgemeinverfügungen eingestuft werden. Nach dem Gesagten besteht auch gegenüber Allgemeinverfügungen in der Regel kein individueller Gehörsanspruch. Es stellt sich indessen die Frage, ob die Beschwerdeführerin als grundbuchlich eingetragene Eigentümerin von zwei der unter das Verbot gemäss Art. 2 SD fallenden Gewässer hätte angehört werden müssen.
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Ein Anspruch auf eine Äusserungsmöglichkeit hätte aufgrund von Art. 4 BV jedenfalls dann bestanden, wenn das grossrätliche Dekret nur gerade die beiden oder einen der beiden Seen der Beschwerdeführerin ![]() | 27 |
Eine vorherige Anhörung der Beschwerdeführerin hätte sich verfassungsrechtlich allenfalls dann aufgedrängt, wenn die Regelungskompetenz des Grossen Rates für den Amsoldingersee und den Uebeschisee im Falle eines Nachweises des Privateigentums gar nicht bestanden hätte. Dies ist jedoch, wie bereits ausgeführt (E. 3), nicht schlüssig dargetan. Da für die beiden Seen aufgrund der bestehenden Naturschutzzone schon bisher ein grundsätzliches Schiffahrtsverbot galt, bedeutete die im Dekret getroffene Ordnung für die Beschwerdeführerin auch keinen derartigen schweren Eingriff, dass sie im Sinne der für Allgemeinverfügungen geltenden Regeln (vgl. oben c/cc) als Spezialadressatin zwingend hätte angehört werden müssen; die Aufnahme der beiden Seen in die Liste der gesperrten Gewässer stand aufgrund der bestehenden Naturschutzregelung wohl zum vornherein fest. Wenn sich der Grosse Rat bei dieser Sachlage an die für den Erlass von Rechtssätzen geltenden Regeln hielt und von einer Anhörung der Beschwerdeführerin absah, verstiess er nicht gegen Art. 4 BV.
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cc) Das dargelegte Ergebnis vermag im übrigen auch deshalb zu befriedigen, weil aus der Einstufung des angefochtenen Art. 2 SD ![]() | 29 |
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