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Bearbeitung, zuletzt am 15.03.2020, durch: Sabiha Akagündüz, A. Tschentscher | |||
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44. Auszug aus dem Urteil der II. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 19. Oktober 1993 i.S. X. gegen Obergericht des Kantons Bern (staatsrechtliche Beschwerde) | |
Regeste |
Art. 4, 31, 33 BV; Art. 5 ÜbBest. BV; Bewilligung zur Ausübung des Anwaltsberufes. | |
Sachverhalt | |
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Hiegegen führt X. staatsrechtliche Beschwerde mit den Anträgen, der Entscheid des Obergerichts des Kantons Bern vom 27. Juli 1992 sei aufzuheben und das Obergericht sei anzuweisen, die Bewilligung zur Ausübung des Anwaltsberufes im Kanton Bern zu erteilen. Er rügt eine Verletzung der Art. 4, 31, 33 BV und Art. 5 ÜbBest. BV.
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Das Obergericht des Kantons Bern hat auf Ausführungen zur staatsrechtlichen Beschwerde verzichtet.
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Das Bundesgericht heisst die Beschwerde gut und hebt den angefochtenen Entscheid auf.
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Aus den Erwägungen: | |
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Dabei sind die Grundsätze der Handels- und Gewerbefreiheit zu wahren. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichts steht der Anwalt unter dem Schutze von Art. 31 BV, ebenso wie die Angehörigen anderer liberaler Berufe und alle übrigen Personen, die einer privatwirtschaftlichen Erwerbstätigkeit nachgehen. Einschränkungen der Handels- und Gewerbefreiheit müssen auf einer gesetzlichen Grundlage beruhen, im öffentlichen Interesse liegen und die Grundsätze der Verhältnismässigkeit sowie der Rechtsgleichheit beachten. Ob das kantonale Recht hinsichtlich der angefochtenen ![]() | 6 |
b) Im Interesse des Schutzes des rechtsuchenden Publikums dürfen die Kantone die Bewilligung zur Ausübung des Anwaltsberufes von der Erfüllung persönlicher Voraussetzungen des Bewerbers abhängig machen. Namentlich dürfen sie die Vertrauenswürdigkeit des Bewerbers berücksichtigen (BGE 111 Ia 105 f.; 98 Ia 598; BGE 71 I 377 f.). Die Zulassungsbehörde hat nach pflichtgemässem Ermessen zu prüfen, ob die Voraussetzungen zur Erteilung der Berufsausübungsbewilligung erfüllt sind. Dabei kann sie allerdings die persönlichen Voraussetzungen wie die Vertrauenswürdigkeit im allgemeinen nicht aus eigener Anschauung beurteilen. Sie ist daher darauf angewiesen, die notwendigen Schlüsse aus dem persönlichen und beruflichen Verhalten des Bewerbers im Kanton, wo er seinen Beruf in erster Linie ausübt, sowie in den übrigen Kantonen, wo er eine Zulassungsbewilligung besitzt, zu ziehen (BGE 111 Ia 106 f.). Wurde der Bewerber in einem anderen Kanton rechtskräftig diszipliniert, so ist zu prüfen, ob Art und Schwere des Disziplinarfalles die Verweigerung der Zulassung zum Anwaltsberuf rechtfertigen. Tatbestände, welche zu Disziplinarbussen führen, sind im allgemeinen leichte Fälle, welche die Vertrauenswürdigkeit des Anwaltes nicht dauernd und nachhaltig beeinträchtigen. Die Vertrauenswürdigkeit des Anwaltes kann jedoch auch bei Vorliegen einer Disziplinarbusse erschüttert sein; namentlich dann, wenn der Bewerber bereits mehrmals disziplinarisch bestraft werden musste und diese Vorfälle nicht weit zurückliegen.
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3. Vorliegend ist nicht streitig, dass der Beschwerdeführer aufgrund der abgelegten Anwaltsprüfung die wissenschaftlichen Voraussetzungen für die Ausübung des Anwaltsberufes im Kanton Bern erfüllt. In Frage steht einzig, ob diese dem Beschwerdeführer im Kanton Bern deshalb verweigert werden kann, weil seine berufliche Vertrauenswürdigkeit (Art. 8 Abs. 1 des bernischen Gesetzes vom 6. Februar 1984 über die Fürsprecher) erschüttert ist. Gemäss Art. 7 Abs. 1 des genannten Gesetzes ist die Bewilligung zur Berufsausübung im Kanton Bern zu erteilen, wenn der Gesuchsteller in seiner bisherigen Tätigkeit als Anwalt weder erheblich noch ![]() | 8 |
a) Das Obergericht verweigerte dem Beschwerdeführer die Bewilligung zur Berufsausübung im Kanton Bern mit der Begründung, der Beschwerdeführer sei von der Aufsichtskommission des Kantons St. Gallen mit Fr. 200.-- gebüsst worden, weil er in schwerwiegender Weise gegen Art. 11 und 6 der Anwaltsordnung dieses Kantones verstossen habe und eine grobe Pflichtverletzung offenkundig sei. Im angefochtenen Entscheid wies es zudem auf möglicherweise angespannte finanzielle Verhältnisse des Beschwerdeführers hin, die es im Entscheid über das Wiedererwägungsgesuch jedoch wiederum relativierte: Massgebend sei der Umstand, dass der Beschwerdeführer wegen pflichtwidrigen Verhaltens habe gebüsst werden müssen.
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b) Aus den Akten ergibt sich einzig die erwähnte Disziplinarbusse von Fr. 200.--. Nach Art. 62 Abs. 5 des damals geltenden sanktgallischen Gesetzes vom 20. März 1939 über die Zivilrechtspflege konnte die Aufsichtskommission bei grober Pflichtverletzung Rügen aussprechen oder Ordnungsstrafen bis zu Fr. 500.-- verhängen oder den Antrag auf Entziehung des Patentes oder Einstellung im Berufe beim Kantonsgericht einbringen. Obwohl die Aufsichtskommission die Pflichtverletzung des Beschwerdeführers als grob qualifizierte, hat sie mit der Ausfällung einer Busse von Fr. 200.-- eine verhältnismässig milde Sanktion getroffen und den Bussenrahmen nicht einmal zur Hälfte ausgeschöpft.
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Freilich sind auch die konkreten Umstände, welche zu dieser Busse führten, zu prüfen. Der Beschwerdeführer leitete gemäss dem Entscheid der Aufsichtskommission zweimal einkassierte Gelder verspätet weiter, so dass er gemahnt werden musste. Auch ermangelte den Abrechnungen des Beschwerdeführers die Übersichtlichkeit, indem er in einem Fall Fr. 524.-- grundlos zurückbehielt. Schliesslich machte er in einem Fall falsche Angaben über seine Mandatsführung und verstiess in grober Weise gegen Regeln des Anstandes gegenüber einem ausländischen Kollegen.
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c) Diese Vorwürfe vermögen wohl Zweifel an der Vertrauenswürdigkeit des Beschwerdeführers zu erwecken. Doch fragt sich, ob die Verhältnismässigkeit gewahrt ist, wenn allein deswegen die Berufsausübungsbewilligung verweigert wird. Nach dem Verhältnismässigkeitsprinzip darf der Eingriff in die Handels- und Gewerbefreiheit keine Wirkungen hervorrufen, die weitergehen, als der Zweck der Massnahme es erfordert. Behördliche Einschränkungen ![]() | 12 |
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