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12. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 18. Januar 1994 i.S. W. gegen Gerichtspräsident Aarwangen und Appellationshof des Kantons Bern (staatsrechtliche Beschwerde) | |
Regeste |
Anspruch auf den verfassungsmässigen Richter; Art. 58 Abs. 1 BV und Art. 6 Ziff. 1 EMRK. | |
Sachverhalt | |
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In der Folge erhob Frau W. Klage. Der Gerichtspräsident von Aarwangen führte seither die Instruktion und das Beweisverfahren. Im Rahmen dieses Verfahrens ersuchte Frau W. um den Ausstand des Gerichtspräsidenten und um ![]() | 2 |
Gegen dieses Urteil des Appellationshofes hat Frau W. staatsrechtliche Beschwerde eingereicht und im wesentlichen eine Verletzung von Art. 58 Abs. 1 BV und Art. 6 Ziff. 1 EMRK gerügt. Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab.
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Aus den Erwägungen: | |
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b) Im Verfahren der definitiven oder der provisorischen Rechtsöffnung prüft der Richter, ob die Forderung auf einem vollstreckbaren gerichtlichen Urteil, einem gerichtlichen Vergleich oder einer gerichtlichen Schuldanerkennung (Art. 80 SchKG) bzw. auf einer durch öffentliche Urkunde festgestellten oder durch Unterschrift bekräftigten Schuldanerkennung (Art. 82 SchKG) beruhe. Der Schuldner kann zu seiner Verteidigung im Verfahren der definitiven Rechtsöffnung die Rechtmässigkeit des Rechtsöffnungsverfahrens in Frage stellen oder in materieller Hinsicht die ![]() | 6 |
Diesfalls wird über die materielle Begründetheit der Forderung erst im ordentlichen Verfahren entschieden. Dieses richtet sich - im Rahmen des Bundesrechts - nach dem kantonalen Verfahrensrecht. Dem Gläubiger stehen für die Begründung seiner Forderung im Rahmen des Verfahrensrechts sämtliche Angriffsmittel und sämtliche Beweismittel zur Verfügung. Auf der andern Seite kann sich der Schuldner mit allen Mitteln gegen die Forderung zur Wehr setzen. Der Richter befindet schliesslich aufgrund des vollständigen Beweisverfahrens und der umfassenden Würdigung über das Bestehen der eingeklagten Forderung und verurteilt den Schuldner zur Bezahlung oder weist die Klage des Gläubigers ab. Der Forderungsprozess findet damit, vorbehältlich des Rechtsmittelweges, seinen Abschluss.
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c) Die Beschwerdeführerin macht im wesentlichen geltend, der Richter habe sich im Forderungsprozess mit grundsätzlich den gleichen Fragen auseinanderzusetzen wie bereits im vorangehenden Rechtsöffnungsverfahren und biete daher ungenügende Gewähr für eine unbefangene Beurteilung. Dabei ![]() | 8 |
d) Diese Überlegungen fügen sich in die bisherige Rechtsprechung zur Personalunion von Richtern unterschiedlicher Funktionen ein. Die vorliegende Angelegenheit ist insbesondere mit folgenden Konstellationen zu vergleichen und in Beziehung zu setzen.
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aa) Unter dem Gesichtswinkel der Garantie auf den verfassungsmässigen Richter hat das Bundesgericht die Frage geprüft, ob derjenige Richter, der in einer Strafsache als Haftrichter tätig gewesen ist, später auch beim Sachentscheid mitwirken dürfe. Es hat dies bejaht, weil der Haftrichter ![]() | 10 |
In gleicher Weise hat sich auch hinsichtlich des Rechtsöffnungs- und des anschliessenden Anerkennungsverfahrens gezeigt, dass die beiden Verfahrensstadien unterschiedlicher Natur sind und nicht direkt miteinander zusammenhängende Fragen betreffen.
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bb) Das Bundesgericht hat ferner die Personalunion von Überweisungsrichter und Strafrichter geprüft. Es hat befunden, der erstinstanzliche Strafrichter am Obergericht des Kantons Zürich, der vorher als Mitglied der Anklagekammer die Anklage zugelassen und den Angeschuldigten überwiesen hat, genüge den verfassungs- und konventionsrechtlichen Anforderungen nicht. Denn mit dem Überweisungsentscheid wird nach § 166 Abs. 2 der Zürcher Strafprozessordnung über formellrechtliche Fragen hinaus aufgrund der umfassenden Erhebungen in materieller Hinsicht geprüft, ob der Angeklagte eines strafbaren Verhaltens hinreichend verdächtig erscheine und Anhaltspunkte gegeben seien, dass der Angeschuldigte die eingeklagte Tat wirklich begangen hat (BGE 114 Ia 50 E. 5 S. 66). Demgegenüber hat das Bundesgericht im Umstand der Überweisung durch den zürcherischen Bezirksgerichtspräsidenten und dessen nachfolgende Beurteilung der Strafsache keine Verfassungs- oder Konventionsverletzung erblickt, weil in diesem Überweisungsverfahren lediglich formelle Aspekte im Vordergrund sind und der Tatverdacht nicht in Frage steht (nicht publiziertes Urteil vom 11. November 1993 i.S. G.). Ebenso hat es eine Verfassungs- oder Konventionsverletzung im Fall von bernischen Oberrichtern verneint, welche als Mitglieder der Anklagekammer nur indirekt an einer Überweisung beteiligt waren, da in den beiden Verfahrensstadien unterschiedliche Fragen streitig waren (BGE BGE 114 Ia 139 S. 142).
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Im Vergleich dazu ist für den vorliegenden Fall entscheidend, dass, wie oben dargelegt, im Rechtsöffnungsverfahren und im anschliessenden Forderungsprozess nicht die gleichen Fragen entschieden werden und das Rechtsöffnungsverfahren nur einen beschränkten Prozessgegenstand aufweist. Die differenzierte Rechtsprechung zur strafrechtlichen Überweisung bestätigt, dass der Ausgang des Forderungsprozesses auch bei der ![]() | 13 |
cc) Das Bundesgericht hat ferner erkannt, dass die Personalunion von Strafmandatsrichter und Strafrichter mit den Garantien auf einen unvoreingenommenen Richter nicht vereinbar sei. Hierfür war entscheidend, dass sowohl im Strafbefehlsverfahren als auch im darauffolgenden Einsprache- bzw. ordentlichen Strafverfahren materiell die gleichen Fragen geprüft werden. Daran änderte der Umstand nichts, dass im Strafbefehlsverfahren vorerst nur eine summarische Prüfung aufgrund der Akten und ohne Anhörung des Angeschuldigten vorgenommen wird. Für den Angeklagten erwächst der Strafbefehl gleich einem Strafurteil in Rechtskraft, wenn dagegen nicht Einsprache erhoben wird. Aus dessen Sicht hat zudem die Einsprache die Bedeutung eines Rechtsmittels, das dann von demselben Richter beurteilt wird (BGE 114 Ia 143, EuGRZ 1992 S. 548).
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Auch mit dieser Konstellation lässt sich der vorliegende Fall nicht vergleichen. Denn das Rechtsöffnungsverfahren ist anderer Natur als der anschliessende Forderungsprozess. Mit der Verweigerung der Rechtsöffnung wird kein definitiver Entscheid in der Sache selbst getroffen; der Gläubiger kann auch bei Abweisung des Rechtsöffnungsgesuches erneut Betreibung einleiten (BGE 100 III 48 E. 3 S. 50). Der Entscheid wird insofern - anders als das Strafmandat, gegen das keine Einsprache erhoben wird - nicht definitiv. Es kann daher - im Gegensatz zur Personalunion von Strafmandats- und Strafrichter - auch nicht gesagt werden, der Richter des ordentlichen Forderungsprozesses habe den vorgängigen Entscheid gewissermassen in einem Rechtsmittelverfahren selbst zu überprüfen. Daran vermag im vorliegenden Fall der Umstand nichts zu ändern, dass in beiden Verfahren von den indexierten Unterhaltsbeiträgen und der Bedingung der entsprechenden Erhöhung des Einkommens des Beklagten die Rede war bzw. noch ist.
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e) Diese Beurteilung der Personalunion von Rechtsöffnungs- und Anerkennungsrichter wird durch die Rechtsprechung der Europäischen Kommission für Menschenrechte bestätigt. In einem die Schweiz betreffenden Nichtzulassungsentscheid hat die Kommission festgehalten, die nur summarische und formelle Prüfung des Rechtsöffnungsrichters vermöchten keine berechtigten Zweifel an der Unparteilichkeit des Richters des ordentlichen Verfahrens zu begründen (Entscheid i.S. S. c. Schweiz vom 8. April 1991, VPB 55/1991 Nr. 50).
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