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17. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 1. Juli 1994 i.S. X. und Y. gegen Verhöramt und Obergericht (Justizkommission) des Kantons Zug (staatsrechtliche Beschwerde) | |
Regeste |
Art. 4 BV, formelle Rechtsverweigerung; interkantonale Rechtshilfe in Strafsachen; Umfang der Prüfungsbefugnis der Rechtsmittelbehörde des ersuchten Kantons. | |
Sachverhalt | |
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Gegen den Entscheid der Justizkommission reichten X. und Y. staatsrechtliche Beschwerde ein. Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab, soweit es darauf eintritt.
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Aus den Erwägungen: | |
1. a) Die Beschwerdeführer hatten im Verfahren vor der Justizkommission vor allem gerügt, die durchgeführte Hausdurchsuchung und Beschlagnahme seien unrechtmässig, da es an einem hinreichenden Tatverdacht fehle und die getroffenen Massnahmen unverhältnismässig seien. Die Justizkommission trat auf diese Rüge nicht ein. Zur Begründung führte sie aus, die Behörde, von der Rechtshilfe verlangt werde, d.h. die ersuchte Behörde, habe nicht zu prüfen, ob die verlangten Massnahmen rechtmässig oder zweckmässig seien. Sie führe keine selbständige Strafuntersuchung, sondern handle nur stellvertretend für den die Untersuchung führenden auswärtigen Richter. Dieser habe die Zweckmässigkeit und Angemessenheit der von ihm verlangten ![]() | 3 |
Soweit die Justizkommission auf die erwähnte Rüge nicht eintrat, beklagen sich die Beschwerdeführer gestützt auf ein Urteil der I. öffentlichrechtlichen Abteilung des Bundesgerichts vom 15. Mai 1991 (BGE 117 Ia 5 ff.) über eine Verweigerung des aus Art. 4 BV folgenden Anspruchs auf rechtliches Gehör. Das Bundesgericht hatte in jenem Urteil einen Fall zu entscheiden, der praktisch gleichgelagert war wie der hier zu beurteilende. Auf Ersuchen eines Waadtländer Untersuchungsrichters nahm die Bezirksanwaltschaft Zürich Rechtshilfemassnahmen vor, und die Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich trat als Rekursinstanz nicht auf die Rüge ein, die verlangten Zwangsmassnahmen seien in materieller Hinsicht unzulässig, indem sie erklärte, darüber habe die Rechtsmittelbehörde des ersuchenden Kantons zu befinden. Wie im vorliegenden Fall die Justizkommission stellte die Staatsanwaltschaft fest, sie könne nur prüfen, ob die formellen Voraussetzungen der Rechtshilfe erfüllt seien und ob bei der Ausführung Vorschriften des Zürcher Prozessrechts verletzt worden seien. Das Bundesgericht hiess die gegen den Entscheid der Zürcher Staatsanwaltschaft erhobene staatsrechtliche Beschwerde wegen Verweigerung des rechtlichen Gehörs gut. Zur Begründung führte es aus, der Rekurs, wie er in der zürcherischen Strafprozessordnung ausgestaltet sei, stelle ein vollkommenes Rechtsmittel dar, mit dem jeder Mangel des angefochtenen Entscheids gerügt werden könne. Das kantonale Recht enthalte keine Vorschrift, wonach die Kognitionsbefugnis der Staatsanwaltschaft dann eingeschränkt wäre, wenn sie einen Rekurs gegen eine Rechtshilfeverfügung der Bezirksanwaltschaft zu behandeln habe. Eine solche Einschränkung ergebe sich auch nicht aus Art. 352 StGB, der sich auf die interkantonale Rechtshilfe bezieht. Da der Rekurrent bei der Staatsanwaltschaft alle Rügen habe vorbringen können, habe er auch geltend machen können, die verlangten Massnahmen seien unzulässig, weil es an einem Tatverdacht fehle und weil sie sowohl unnötig wie unverhältnismässig seien. Indem die Staatsanwaltschaft auf diese die materielle Zulässigkeit betreffenden Einwände nicht eingegangen sei, habe sie ihre Prüfungsbefugnis in sachlich ![]() | 4 |
Nach dieser Rechtsprechung der I. öffentlichrechtlichen Abteilung kann sich der Betroffene gegen den Entscheid, mit dem die interkantonal um Rechtshilfe ersuchte Behörde die verlangten Zwangsmassnahmen angeordnet hat, unter Berufung auf seine verfassungsmässigen Rechte, namentlich die persönliche Freiheit und die Eigentumsgarantie, zur Wehr setzen. Es wird von der Überlegung ausgegangen, dass nicht schon das von der Behörde des ersuchenden Kantons gestellte Begehren um Anordnung und Durchführung einer Zwangsmassnahme, sondern erst der Entscheid der Behörde des ersuchten Kantons über die Anordnung der verlangten Massnahme einen Hoheitsakt darstellt, durch den in die Grundrechte des Betroffenen eingegriffen wird. Demzufolge kann dieser gegen den Entscheid der Behörde des ersuchten Kantons nicht nur formelle Rügen erheben, sondern auch einwenden, die angeordnete Zwangsmassnahme bedeute einen unzulässigen Eingriff in seine Grundrechte, da sie auf keiner gesetzlichen Grundlage beruhe, nicht im öffentlichen Interesse liege und unverhältnismässig sei. Anders verhält es sich, wenn es in einem interkantonalen Rechtshilfeverfahren um den Vollzug eines Haft- oder Zuführungsbefehls geht. In diesen Fällen wird die Zwangsmassnahme nicht durch den ersuchten Kanton, sondern direkt durch die Behörde des ersuchenden Kantons angeordnet (vgl. Art. 352 Abs. 1 StGB), weshalb sich die Rüge, die angeordnete Massnahme sei materiell unzulässig, gegen ihren Entscheid richten muss.
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Würde der vorliegende Fall entsprechend der dargelegten Rechtsprechung beurteilt, wäre die Beschwerde aus den im zitierten Urteil vom 15. Mai 1991 angegebenen Gründen in diesem Punkt gutzuheissen. Wie die Justizkommission ausführte, ist die Beschwerde gemäss § 80 der Zuger Strafprozessordnung (StPO), welche die Beschwerdeführer im kantonalen Verfahren einlegten, ein vollkommenes Rechtsmittel, mit dem alle Mängel des angefochtenen Entscheids gerügt werden können, und die Justizkommission lehnte es, wie im Zürcher Fall die Staatsanwaltschaft, ab, auf die Rügen einzutreten, welche sich gegen die materielle Zulässigkeit der angeordneten Rechtshilfemassnahmen richteten.
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b) Die bisherige Rechtsprechung ist indessen zu überprüfen, und zwar deshalb, weil das am 2. November 1993 in Kraft getretene Konkordat über die Rechtshilfe und die interkantonale Zusammenarbeit in Strafsachen vom ![]() | 7 |
Das Konkordat bestimmt unter dem Titel "Rechtsmittel. Verfahren und Zuständigkeit" in Art. 19 Ziff. 2 folgendes:
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"Bei der Behörde des ersuchten Kantons können nur die Beschwerdegründe betreffend Gewährung und Ausführung der Rechtshilfe geltend gemacht werden. In allen anderen Fällen, namentlich bei Einwendungen materieller Art, muss das Rechtsmittel bei der zuständigen Behörde des ersuchenden Kantons eingereicht werden; Artikel 18 ist sinngemäss anwendbar."
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Die Vorschrift von Art. 18 mit dem Titel "Rechtsmittelbelehrung" lautet:
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"Wenn das anwendbare Recht ein Rechtsmittel gegen einen Entscheid vorsieht, muss dieser die Rechtsmittelbelehrung, die Rechtsmittelinstanz und die Rechtsmittelfrist angeben."
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Nach dieser Ordnung kann der Betroffene gegen den Entscheid der Behörde des ersuchten Kantons nur Rügen erheben, welche die formellen Voraussetzungen der Rechtshilfe und die Ausführung der verlangten Handlung betreffen. Einwendungen gegen die materielle Zulässigkeit der angeordneten Massnahmen muss er bei der Rechtsmittelbehörde des ersuchenden Kantons vorbringen. Im Gegensatz zur erwähnten Rechtsprechung, wonach im interkantonalen Rechtshilfeverfahren - abgesehen von den Haft- und Zuführungsbefehlen - einzig der Entscheid der ersuchten Behörde über die Anordnung der verlangten Massnahme angefochten werden kann, geht das Konkordat davon aus, dass auch das von der Behörde des ersuchenden Kantons gestellte Begehren um Anordnung der Massnahme Gegenstand einer Beschwerde sein kann. Das hat zur Folge, dass jeder Entscheid separat angefochten werden kann, der Betroffene mithin zwei Rechtsmittel einlegen muss, wenn er sowohl die materielle Zulässigkeit einer Rechtshilfemassnahme wie deren formelle Durchführung beanstanden will. Demgegenüber muss er nach der bisherigen Rechtsprechung auch in diesem Fall nur ein einziges Rechtsmittel einreichen. Diese Lösung ist für den von einer strafprozessualen Zwangsmassnahme betroffenen Bürger von Vorteil. Sie hat aber auf der anderen Seite Unzukömmlichkeiten für die Behörden und für den Gang des Strafverfahrens zur Folge. Wenn die Behörden des ersuchten Kantons nicht nur die formelle Zulässigkeit des Rechtshilfeersuchens, sondern auch die materielle Zulässigkeit der verlangten Massnahmen ![]() ![]() | 12 |
c) Hätten es die Beschwerdeführer im Vertrauen auf die Rechtsprechung des Bundesgerichts unterlassen, die materielle Zulässigkeit der vom Giudice Istruttore angeordneten Massnahme bei der Tessiner Rekursbehörde zu beanstanden, in der Annahme, diese Rüge könne im Anschluss an den Vollzug bei der Zuger Beschwerdeinstanz vorgebracht werden, so müsste ihnen nach Treu und Glauben wohl auf irgendeine Weise die Möglichkeit eingeräumt werden, nachträglich die die materielle Zulässigkeit betreffenden Rügen bei der Camera dei ricorsi penali des Kantons Tessin vorzubringen. Darauf muss indessen nicht eingegangen werden, da die beiden Beschwerdeführer auch bei dieser Tessiner Rechtsmittelinstanz Beschwerde eingereicht hatten.
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