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Bearbeitung, zuletzt am 15.03.2020, durch: DFR-Server (automatisch) | |||
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31. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 24. August 1994 i.S. O. und Mitb. gegen Kanton Luzern (staatsrechtliche Beschwerde) | |
Regeste |
Art. 6 Ziff. 1 EMRK, Art. 4 BV; Anspruch auf gerichtliche Überprüfung von Planungszonen; Rechtsverweigerung und Rechtsverzögerung. |
Zusammenfassung der Rechtsprechung zu dem sich aus der Bundesverfassung und aus Art. 6 Ziff. 1 EMRK ergebenden Anspruch auf gerichtliche Prüfung von Planungsakten und bei Enteignungen (E. 6a und b). |
Die Festsetzung einer Planungszone stellt im Regelfall eine Eigentumsbeschränkung bzw. einen Eingriff in "civil rights" gemäss Art. 6 Ziff. 1 EMRK dar. Der Zugang zu einem Gericht darf daher nicht generell ausgeschlossen werden (E. 6c und d). | |
Sachverhalt | |
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§ 84 Absätze 3 und 4
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3 Während der Auflagefrist kann gegen Planungszonen bei der Behörde, welche sie bestimmt hat, Einsprache eingereicht werden. Der Einspracheentscheid des Gemeinderates kann mit Verwaltungsbeschwerde beim Regierungsrat, der Einspracheentscheid des Regierungsrates mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde beim Verwaltungsgericht angefochten werden.
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4 Beschwerden und Einsprachen haben keine aufschiebende Wirkung.
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§ 206 Abs. 2 lit. a
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2 Die Entscheide des Regierungsrates können mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde angefochten werden. Davon ausgeschlossen sind die Entscheide folgenden Inhalts:
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a. Planung (§§ 8 Abs. 2, 9 Abs. 3, 14 Abs. 4, 17 Abs. 4, soweit der Gemeinderat Planungszonen erlässt, 17 Abs. 5, 18, 31 Abs. 5, 64 Abs. 2, 82 Abs. 1, 83-85)."
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O. und Mitbeteiligte führen gegen die Gesetzesnovelle staatsrechtliche Beschwerde mit dem Antrag, die §§ 84 Abs. 3 und 4 sowie 206 Abs. 2 lit. a PBG aufzuheben. Das Bundesgericht heisst die Beschwerde teilweise gut.
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b) In der angefochtenen Gesetzesnovelle wird bestimmt, dass gegen eine Planungszone bei der Behörde, die sie erlassen hat, Einsprache erhoben werden kann. Einspracheentscheide des Gemeinderates unterliegen der Verwaltungsbeschwerde an den Regierungsrat; Einspracheentscheide des Regierungsrates können neu mit Beschwerde beim Verwaltungsgericht angefochten werden. Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde bleibt gegenüber gemeinderätlichen Planungszonen ausgeschlossen (§ 84 Abs. 3 PBG in Verbindung mit § 206 Abs. 2 lit. a PBG). Schliesslich sieht § 84 Abs. 4 PBG neu vor, dass Beschwerden und Einsprachen keine aufschiebende Wirkung haben.
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4. a) Die Beschwerdeführer bringen vor, sie hätten in bezug auf die Anfechtung von Planungszonen schlechte Erfahrungen gemacht. Über Beschwerden sei nicht rechtzeitig entschieden und die Verfahren seien nach Auflage der neuen Bau- und Nutzungsvorschriften als gegenstandslos abgeschrieben worden. Durch die Einführung des Einspracheverfahrens nach ![]() | 11 |
b) Es kann offenbleiben, ob die staatsrechtliche Beschwerde hinsichtlich dieser Vorbringen Art. 90 Abs. 1 lit. b OG genügt. Die Rüge vermag ohnehin nicht durchzudringen. Es ist nicht einzusehen, weshalb die Behörden generell - und nicht nur in den von den Beschwerdeführern erwähnten Fällen - ausserstande sein sollten, sowohl über die Einsprache als auch über die allfällig danach erhobene Beschwerde rechtzeitig vor Ablauf der Planungszone zu entscheiden. Der Regierungsrat stellt in Abrede, dass die von den Beschwerdeführern aufgezeigten Beispiele den Regelfall darstellen. Zudem ist es nicht aussergewöhnlich, dass die Behörden Rechtsmittel gegen zeitlich befristete Massnahmen - wozu auch die Planungszonen gehören - ausserhalb der Reihe behandeln und den Verfahrensbeteiligten kurze, nicht verlängerbare Fristen ansetzen, um Mitwirkungsrechte zu wahren. Solches dürfte auch im vorliegenden Sachzusammenhang zuweilen nötig sein. Im Einzelfall wäre dies mit einer Rechtsverzögerungs- bzw. Rechtsverweigerungsbeschwerde durchzusetzen. Jedenfalls kann nicht gesagt werden, die für Planungszonen neu vorgesehene Rechtsmittelordnung führe zwingend zu verfassungswidrigen Rechtsverzögerungen, so dass hinreichender Anlass bestünde, aus diesem Grunde im Rahmen der abstrakten Normenkontrolle einzuschreiten. Die Beschwerde erweist sich in diesem Punkt als unbegründet, soweit überhaupt darauf eingetreten werden kann.
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Die Planungszone bezweckt, einen Zustand mit Blick auf die neue Nutzungsordnung einstweilen zu sichern (vorstehende Erw. 3a). Mit Rücksicht darauf macht eine Bestimmung Sinn, die einer gegen die Planungszone gerichteten Rechtsvorkehr im Regelfall keine aufschiebende Wirkung beilegt. Der Sicherungszweck wäre regelmässig gefährdet, wenn Planungszonen nicht ![]() | 14 |
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a) In seiner Rechtsprechung zur Bundesverfassung hielt das Bundesgericht schon vor Erlass des Art. 22ter BV fest, die Eigentumsgarantie verpflichte die Kantone, ein gerichtliches Verfahren vorzusehen, in welchem die von einer materiellen Enteignung Betroffenen ihre Ansprüche geltend machen könnten. In einem weiteren Schritt wurde von den Kantonen verlangt, der Weg zum Richter müsse aus verfassungsrechtlicher Sicht gewährleistet sein, wenn eine formelle Expropriation in Frage stehe (BGE 112 Ib 176 E. 3a S. 177 f. mit Hinweisen; zur Frage, ob in gewissen Fällen zur Vermeidung widersprüchlicher Entscheide aus Art. 4 BV ein Anspruch auf eine gerichtliche Beurteilung abgeleitet werden kann, das Urteil des Bundesgerichtes vom 7. Dezember 1993, E. 2c, publiziert in ZBl 95/1994 S. 279).
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b) In der Praxis zu Art. 6 Ziff. 1 EMRK hielt das Bundesgericht hinsichtlich formeller Enteignungen nach Bundesrecht fest, der Zugang zum Richter müsse nicht nur bei der Festsetzung der Enteignungsentschädigung, sondern auch im vorangehenden Verfahren gewährleistet werden, in welchem über die Zulässigkeit des enteignenden Eingriffs entschieden wird (BGE 112 Ib 176 E. 3a S. 178; BGE 111 Ib 227 E. 2e S. 231 f. mit Hinweisen auf Entscheide des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte [EGMR]). Dieser Anspruch wurde in BGE 115 Ia 66 für kantonalrechtliche Expropriationen bestätigt.
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Die Anwendbarkeit von Art. 6 Ziff. 1 EMRK ist sodann auf die Unterschutzstellung einer Baute bejaht worden, und zwar angesichts dessen, dass diese Massnahme im konkreten Fall enteignungsähnlichen Charakter ("un caractère quasi expropriatif") habe (BGE 119 Ia 88 E. 4b S. 94). Bereits in BGE 116 Ib 169 (E. 2b S. 174) wurde erkannt, auf kantonales Recht gestützte vorbereitende Handlungen für eine zukünftige Enteignung fielen in den Anwendungsbereich von Art. 6 Ziff. 1 EMRK. Und erst jüngst bestätigte das Bundesgericht in einem Entscheid betreffend die Verlegung von Baulinien beim Ausführungsprojekt der Nationalstrasse N2 die hiervor dargestellte Rechtsprechung zum gerichtlichen Rechtsschutz bei Planungsmassnahmen, die Enteignungen oder enteignungsgleiche Eigentumsbeschränkungen bewirken können (BGE 120 Ib 138 E. 1; zum Ganzen CLAUDE ROUILLER, La protection juridique en matière d'aménagement du territoire par la combinaison des art. 6 par. 1 CEDH, 33 LAT et 98a OJ: complémentarité ou plénitude?, SJZ 90/1994 S. 23 ff.).
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c) Wo eine bauliche Nutzungsmöglichkeit besteht, führt die Anordnung einer Planungszone zu einer sachlich und zeitlich befristeten Bausperre. Diese kann unterschiedlich lang andauern; nach der Regelung im Luzerner Planungs- ![]() | 20 |
d) In Beachtung der dargestellten Rechtsprechung des Bundesgerichtes geht es nicht an, im Planungs- und Baugesetz gegenüber kommunalen Planungszonen generell den Weg zu gerichtlicher Prüfung auszuschliessen (vgl. BGE 119 Ia 321 E. 6c S. 332). Der Regierungsrat ist kein "unabhängiges und unparteiisches Gericht" im Sinne von Art. 6 Ziff. 1 EMRK (BGE 120 Ia 19 E. 4a S. 28). Der von dieser Vorschrift verlangte gerichtliche Rechtsschutz zählt zu den verfassungsrechtlichen Anforderungen des Bundesrechts, denen die Kantone Rechnung zu tragen haben (BGE 118 Ia 223 E. 1c S. 227; BGE 118 Ia 331 E. 3b S. 334). Die neuere Praxis des Bundesgerichts verpflichtet die Kantone, einen Art. 6 Ziff. 1 EMRK genügenden gerichtlichen Rechtsschutz auch in Fällen sicherzustellen, in denen er nach der massgebenden kantonalen Gesetzgebung noch nicht besteht. In dieser Situation haben sie die gerichtliche Überprüfung direkt gestützt auf Art. 6 Ziff. 1 EMRK zu gewährleisten, sei es durch den Erlass einer Übergangsregelung auf dem Verordnungsweg, sei es durch die Bezeichnung des Gerichts im Einzelfall (BGE 120 Ia 19 E. 4 und 5 S. 28 ff.; 118 Ia 223 E. 1c S. 227; BGE 118 Ia 331 E. 3b S. 334 ff.).
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e) Die staatsrechtliche Beschwerde ist daher im hier fraglichen Punkt gutzuheissen. Der Satzteil "§ 17 Abs. 4, soweit der Gemeinderat Planungszonen erlässt, ist aus § 206 Abs. 2 lit. a PBG zu streichen. Es bleibt dem Luzerner Gesetzgeber überlassen, zu prüfen, ob und gegebenenfalls wie er den dadurch entstehenden zweistufigen kantonalen Instanzenzug wiederum zum einstufigen machen will. Im Rahmen der abstrakten Normenkontrolle hat es bei der erwähnten Korrektur sein Bewenden, zumal nicht gesagt werden kann, die Zweistufigkeit vereitle aus sich selber heraus zeitgerechten richterlichen Rechtsschutz; solcher erscheint möglich, wenn die vorstehend aufgezeigten Mittel disziplinierter Prozessführung beachtet werden. Der vom Regierungsrat vorgeschlagene Weg, die Beschwerde an das Verwaltungsgericht ohne die genannte Streichung eines Satzteiles in § 206 Abs. 2 lit. a PBG direkt gestützt auf Art. 6 Ziff. 1 EMRK zuzulassen, ist aus Gründen der Rechtssicherheit und Rechtsklarheit abzulehnen. Der Bürger muss aufgrund des Wortlautes der Rechtsmittelbestimmungen im Planungs- und Baugesetz zweifelsfrei feststellen können, ob und in welchen Fällen er eine Rechtsvorkehr an ein Gericht ergreifen kann.
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