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37. Auszug aus dem Urteil der II. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 22. August 1994 i.S. J. und Mitbeteiligte gegen Obergericht des Kantons Aargau (staatsrechtliche Beschwerde) | |
Regeste |
Nichtzulassung eines ausländischen (deutschen) Rechtsanwalts als Verteidiger im Strafverfahren. |
Die in der aargauischen Strafprozessordnung enthaltene Beschränkung der Verteidigerwahl auf patentierte Rechtsanwälte verstösst nicht gegen den Art. 6 Ziff. 3 lit. c EMRK und in Art. 14 Abs. 3 lit. d des internationalen Paktes über die bürgerlichen und politischen Rechte verankerten Anspruch des Beschuldigten auf Verteidigung durch einen Verteidiger seiner Wahl (E. 4 und 5). | |
Sachverhalt | |
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Der Bezirksgerichtspräsident von Zurzach teilte Rechtsanwalt G. zunächst mit formlosem Brief vom 30. November 1992 mit, dass er die Beschuldigten nicht verteidigen könne, da als Strafverteidiger im Kanton Aargau nur dort zugelassene Anwälte auftreten könnten. Nachdem Rechtsanwalt G. erklärt hatte, dass er diese Auffassung nicht akzeptiere, beschloss das Bezirksgericht Zurzach am 19. April 1993, Rechtsanwalt G. werde als Strafverteidiger der Beschuldigten zur gerichtlichen Hauptverhandlung vor Bezirksgericht Zurzach nicht zugelassen; den Beschuldigten bzw. Rechtsanwalt G. wurde eine Frist von 30 Tagen angesetzt, um einen im Kanton Aargau zugelassenen Rechtsanwalt zu bevollmächtigen bzw. sich durch einen solchen substituieren zu lassen.
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Die Beschuldigten und Rechtsanwalt G. reichten gegen diesen Beschluss beim Obergericht des Kantons Aargau am 4. Juni 1993 Beschwerde ein. Die Beschwerdekammer des Obergerichts wies diese mit Urteil vom 11. August 1993 ab.
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Aus den Erwägungen: | |
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b) Dass Rechtsanwalt G. diese gesetzlichen Zulassungsvoraussetzungen nicht erfüllt, steht ausser Frage. Er verfügt weder über einen aargauischen Fähigkeitsausweis als Anwalt noch über den entsprechenden Ausweis eines andern Kantons im Sinne von Art. 5 ÜbBest. BV. Eine willkürliche Gesetzesanwendung wird zu Recht nicht geltend gemacht.
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Die Beschwerdeführer erachten jedoch die aus dieser gesetzlichen Regelung folgenden Konsequenzen - und damit die Regelung als solche - als ![]() | 8 |
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a) Art. 4 BV garantiert zwar unter anderem grundsätzlich das Recht, sich im Strafprozess durch einen Anwalt eigener Wahl verteidigen zu lassen (BGE 109 Ia 239; ARTHUR HAEFLIGER, Alle Schweizer sind vor dem Gesetze gleich, Bern 1985, S. 153 ff.). Die Zulassungsvoraussetzungen für Anwälte bleiben dabei aber vorbehalten. Die Kantone dürfen die Befugnis zur Parteivertretung ![]() | 10 |
b) Es kann sich unter dem Gesichtswinkel des allgemeinen Gleichheitsgebotes und des darin enthaltenen Willkürverbots aufgrund der erhobenen Einwendungen einzig fragen, ob die in § 6l Abs. 1 Satz 1 der aargauischen StPO statuierte Regel, wonach die Verteidigung in Strafsachen patentierten Anwälten vorbehalten ist, durch die in Abs. 1 Satz 2 derselben Bestimmung gleichzeitig zugelassene "Verbeiständung" durch Familienmitglieder und nahestehende Personen nicht zu einer sinn- und zwecklosen, sachlich nicht mehr begründbaren oder sachfremden Zielen dienenden Beschränkung wird. Dies trifft nicht zu. Wenn das Gesetz die Verteidigung im Strafprozess patentierten Anwälten vorbehält, so liegt hierin eine dem Interesse des Publikums wie auch der Rechtspflege dienende zulässige gewerbepolizeiliche Beschränkung. Durch die erwähnte Ausnahmeregelung, wonach der Angeschuldigte auch durch gewisse, ihm nahestehende, aber über kein Anwaltspatent verfügende Personen verteidigt (bzw. "verbeiständet") werden darf, wird das gesetzliche Anwaltsmonopol nur in einem sehr beschränkten Umfang aufgehoben; diese Sonderregelung vermag die Berechtigung des in § 6l Abs. 1 Satz 1 StPO statuierten Grundsatzes nicht in Frage zu stellen. Ebensowenig kann von einem Verstoss gegen das Gleichbehandlungsgebot gesprochen werden. Wohl wird ein ausländischer Strafverteidiger, selbst wenn er keine Prüfungen über das schweizerische Recht abgelegt hat und mit den hiesigen Verhältnissen nicht vertraut ist, regelmässig über mehr Sachkunde verfügen als die ausnahmsweise als Verteidiger zugelassenen, juristisch nicht ausgebildeten Familienangehörigen. Für deren Zulassung lassen sich aber andere sachliche Gründe (persönliche Vertrautheit und Verbundenheit, Verzicht auf berufsübliches Honorar usw.) anführen. Anderseits würde durch eine Ausdehnung der (jetzt auf Familienmitglieder beschränkten) Ausnahmeregelung auf berufsmässig handelnde (in- und ![]() | 11 |
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a) Art. 6 Ziff. 3 lit. c EMRK gewährleistet jedem Angeklagten unter anderem das Recht, sich selbst zu verteidigen oder den Beistand eines Verteidigers seiner Wahl zu erhalten. Der Wortlaut der Bestimmung gibt auf die Frage, ob der Angeklagte beliebige Dritte als Wahlverteidiger bezeichnen kann oder ob er dabei an die jeweiligen Zulassungsvoraussetzungen für Anwälte gebunden ist, keine unmittelbare Antwort. Eine restriktive Auslegung des gewährten Wahlrechts drängt sich schon aus sachlichen Gründen auf: Dürfte ein Angeklagter grundsätzlich jede ihm geeignet erscheinende Person als Verteidiger beiziehen, so wären die für die Anwaltstätigkeit im nationalen Recht regelmässig vorgesehenen Schranken für das Gebiet des Strafprozesses im Ergebnis aufgehoben; es könnte, unter Berufung auf das freie Wahlrecht des Angeklagten, letztlich jeder interessierte (und dabei allenfalls auch berufsmässig handelnde) Dritte seine jeweilige Zulassung als Verteidiger für den einzelnen Strafprozess erwirken, ohne die für Anwälte geltenden Zulassungsvoraussetzungen erfüllen zu müssen. Dies kann nicht der Sinn der erwähnten Konventionsvorschrift sein. Die Befugnis des Staates, die Zulassung von Anwälten zu regeln, muss richtigerweise vorbehalten bleiben (so STEFAN TRECHSEL, Die Verteidigungsrechte in der Praxis zur Europäischen Menschenrechtskonvention, Schweizerische Zeitschrift für Strafrecht, 96/1979, S. 358 f.; im gleichen Sinne ARTHUR HAEFLIGER, Die Europäische ![]() | 13 |
b) Im vorliegenden Fall kann sich einzig fragen, ob der Staat gestützt auf Art. 6 Ziff. 3 lit. c EMRK allenfalls im Einzelfall auch Anwälte mit ausländischem Ausweis als Verteidiger zulassen muss, um den Bedürfnissen des wahlberechtigten Angeklagten möglichst entgegenzukommen. PONCET (a.a.O., S. 172, Fn. 508) befürwortet, unter Hinweis auf die Entwicklung der europäischen Integration, eine Ausdehnung des konventionsrechtlichen Wahlrechtes auf ausländische Anwälte. Für eine solche Liberalisierung mögen de lege ferenda gewisse Gründe sprechen, wobei sich allerdings die naheliegende Frage nach der Gewährung des Gegenrechtes stellt (vgl. dazu die Regelung in Art. 35 Abs. 4 des Bundesgesetzes vom 15. Juni 1934 über die Bundesstrafrechtspflege [SR 312.0], wonach im Bundesstrafverfahren ausnahmsweise ausländische Rechtsanwälte zugelassen werden können, sofern Gegenseitigkeit besteht). Aus Art. 6 Ziff. 3 lit. c EMRK ergibt sich aber kein dahingehender Anspruch. Wenn ein kantonaler Gesetzgeber die berufsmässige Verteidigung generell nur solchen Anwälten gestattet, welche sich im betreffenden Kanton oder (aufgrund der bestehenden innerstaatlichen Freizügigkeitsregelung) in einem Drittkanton durch eine staatliche Prüfung über die erforderliche Kenntnis des schweizerischen Rechts ausgewiesen haben und durch ihre Niederlassung in der Schweiz mit den hiesigen gerichtlichen Gepflogenheiten vertraut sind, so lässt sich eine solche Zulassungsbeschränkung mit den im Spiele liegenden Interessen der Rechtspflege und gewerbepolizeilichen Gründen ohne weiteres rechtfertigen. Die Nichtzulassung ausländischer Anwälte ist keineswegs bloss oder in erster Linie standespolitisch motiviert. Abgesehen davon, dass ausländische Anwälte das schweizerische bzw. kantonale Recht regelmässig nur beschränkt kennen und mit den hiesigen Verhältnissen und gerichtlichen Gepflogenheiten im allgemeinen nicht vertraut sind, sprechen noch weitere sachliche Gründe ![]() | 14 |
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a) Der von den Beschwerdeführern angerufene Art. 14 Abs. 3 UNO-Pakt II, welcher entgegen der Annahme des Obergerichts heute auch für die Schweiz gilt, hat - soweit hier wesentlich - folgenden Wortlaut (in deutscher Übersetzung des französischen Originaltextes):
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"(3) Jeder wegen einer strafbaren Handlung Angeklagte hat in gleicher Weise im Verfahren Anspruch auf folgende Mindestgarantien:
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a) ...
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b) ...
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c) ...
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d) er hat das Recht, bei der Verhandlung anwesend zu sein und sich selbst zu verteidigen oder durch einen Verteidiger seiner Wahl verteidigen zu lassen; falls er keinen Verteidiger hat, ist er über das Recht, einen Verteidiger in Anspruch zu nehmen, zu unterrichten; fehlen ihm die Mittel ![]() | 21 |
e) ...
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f) ...
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g) ..."
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Diese staatsvertragliche Norm ist, gleich wie die Garantie in Art. 6 Ziff. 3 lit. c EMRK, unmittelbar anwendbar (self-executing; vgl. dazu Botschaft des Bundesrates betreffend den Beitritt der Schweiz zu den beiden internationalen Menschenrechtspakten von 1966, BBl 1991 I 1202f.; CLAUDE ROUILLER, Le Pacte international relatif aux droits civils et politiques, ZSR 1992/111 I S. 118 ff.). Dass sich die Schweiz für diesen Pakt keinem Individualbeschwerdeverfahren vor den Vertragsorganen unterworfen hat, ändert nichts (vgl. dazu BGE 120 Ia 1 E. 5 S. 10 ff.). Die in Art. 14 Abs. 3 lit. d UNO-Pakt II enthaltene Garantie hat wie die in der EMRK gewährleisteten Rechte ihrer Natur nach verfassungsrechtlichen Inhalt und ist in verfahrensrechtlicher Hinsicht gleich zu behandeln wie die Rüge der Verletzung von Garantien der EMRK.
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b) Die Regelung von Art. 14 Abs. 3 lit. d UNO-Pakt II, welche sich bewusst an jene der EMRK anlehnt und im Lichte derselben zu interpretieren ist (Manfred Nowak, UNO-Pakt über bürgerliche und politische Rechte und Fakultativprotokoll, CCPR-Kommentar, Kehl am Rhein/Strassburg/Arlington 1989, S. 251; Rouiller, a.a.O., S. 112) gewährt keine weitergehenden Ansprüche als Art. 6 Ziff. 3 lit. c EMRK. Die Beschwerde erweist sich daher auch insoweit als unbegründet.
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