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72. Urteil vom 1. Dezember 1972 i.S. Schweiz. Vereinigung für Heimatschutz und Konsorten gegen Paul Vögelin und Regierungsrat des Kantons Schwyz. | |
Regeste |
Rodungsbewilligung. |
2. Zulässigkeit der Erneuerung eines früher bereits einmal abgewiesenen Rodungsgesuchs bei der zuständigen Behörde? Verschiebung der Zuständigkeit zur Erteilung der Rodungsbewilligung zwischen dem ersten und dem zweiten Gesuch; Nichtanwendbarkeit der Grundsätze über den Widerruf von Verwaltungsakten (Erw. 2). |
3. Vorzeitiges Abholzen des in Frage stehenden Waldes (Erw. 3). |
4. Voraussetzungen für die Erteilung einer Rodungsbewilligung; Kognitionsbefugnis des Bundesgerichts bei der Beurteilung der Frage, ob sich ein gewichtiges, das Interesse an der Walderhaltung überwiegendes Bedürfnis für die Rodung nachweisen lässt (Erw. 4). |
5. Bedeutung des Erfordernisses der Standortgebundenheit; unter Umständen kann eine relative Standortgebundenheit genügen (Erw. 6). |
6. Öffentliches Interesse an touristischer Entwicklung einer Gemeinde fällt bei Abwägung der für und gegen eine Rodung sprechenden Momente schwer ins Gewicht; Kognitionsbefugnis des Bundesgerichts (Erw. 7). |
7. Im Zusammenhang mit der Prüfung eines Rodungsgesuchs ist gegebenenfalls auch das an der Stelle des zu rodenden Waldes geplante Bauwerk unter dem Gesichtspunkt von Natur- und Heimatschutz zu prüfen; rechtliche Tragweite der Aufnahme eines Gebietes in das sogenannte KLN-Inventar; Interessenabwägung (Erw. 8). | |
Sachverhalt | |
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A.- Paul Vögelin beabsichtigt, das in seinem Eigentum stehende Grundstück "Schillermatte" in Brunnen zu überbauen. Das Grundstück liegt westlich der Ortschaft Brunnen und wird auf seiner Südseite teils vom Vierwaldstättersee, teils von der diesem entlang führenden Kantonsstrasse Brunnen-Gersau begrenzt; es umfasst rund 15,6 ha. In einer ersten Etappe der auf touristische Zwecke ausgerichteten Gesamtüberbauung, die u.a. auch die Errichtung eines Hotels einschliesst, sollen ein Hochhaus A mit einem Ladengeschoss, sechzehn Wohngeschossen und einem Dachgeschoss, ein Hochhaus B mit acht Wohngeschossen und ein Block C mit vier Wohngeschossen erstellt werden. Der Regierungsrat des Kantons Schwyz hat das überarbeitete Bauprojekt am 5. Mai 1969 genehmigt; gleichzeitig bewilligte er Vögelin unter Auferlegung einer Ersatzabgabe die Rodung von 2410 m2 Schutzwald am Standort des Hochhauses A. Auf Beschwerde der Schweizerischen Vereinigung für Heimatschutz und deren Sektion Innerschweiz, des Schweizerischen Bundes für Naturschutz und des Schwyzer Naturschutzbundes hob der Bundesrat diese Rodungsbewilligung mangels Zuständigkeit des Schwyzer Regierungsrates auf und lud den Schwyzer Regierungsrat ein, das Rodungsgesuch Vögelins an das Eidgenössische Oberforstinspektorat weiterzuleiten.
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B.- Mit der vorliegenden Verwaltungsgerichtsbeschwerde beantragen die Schweizerische Vereinigung für Heimatschutz, der Schweizerische Bund für Naturschutz, die Schweizerische Stiftung für Landschaftsschutz und Landschaftspflege und der Schweizerische Alpenclub die Aufhebung der Rodungsbewilligung, eventuell die Einholung einer seinerzeit vom EDI in Aussicht gestellten Expertise. Sie rügen als Rechtsmissbrauch, dass Vögelin seine Beschwerde beim EDI zurückgezogen und gleichzeitig den Regierungsrat um Bewilligung der Rodung ersucht hat. Der angefochtene Entscheid verstosse gegen Art. 4 BV und gegen das Verbot, auf eine abgeurteilte Sache zurückzukommen. Jedenfalls aber verletze er, abgesehen davon, dass er die Rodungsbewilligung materiell gar nicht begründe, die einschlägigen Bestimmungen des Forstpolizeirechts des Bundes, insbesondere Art. 26 FPV. Im vorliegenden Fall fehle ein gewichtiges, das Interesse an der Walderhaltung überwiegendes Bedürfnis für die Rodung. Die Überbauung der Schillermatte sei nicht geeignet, den Kurort Brunnen wirtschaftlich zu beleben. An der Erstellung der als Zweitwohnungen geplanten Eigentumswohnungen im Hochhaus A sei neben dem Grundeigentümer im wesentlichen nur das Baugewerbe interessiert. Es sei unterlassen worden, abzuklären, ob die projektierten Bauten nicht in lawinengefährdetes Gebiet zu stehen kämen. Die Schillermatte könne schliesslich auch ohne Opferung der umstrittenen Waldparzelle überbaut werden. Der Regierungsrat ![]() | 4 |
C.- Paul Vögelin beantragt, auf die Beschwerde nicht einzutreten, eventuell sie abzuweisen.
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D.- Die Schwyzer Regierung beantragt Abweisung der Beschwerde und betont, dass ihrer Ansicht nach das vorgesehene Projekt das Landschaftsbild in keiner Weise stören könne. Das Gebiet der Schillermatte könne als "touristische Bauzone" angesehen und später auch entsprechend eingezont werden.
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E.- Das EDI hält dafür, dass der Entscheid der Schwyzer Regierung mit der durch das Bundesrecht gebotenen Zurückhaltung bei der Erteilung von Rodungsbewilligungen im Widerspruch stehe.
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F.- Auf Gesuch der Beschwerdeführerin hat der Präsident der verwaltungsrechtlichen Kammer Paul Vögelin im Sinne einer vorsorglichen Verfügung untersagt, vor dem Entscheid des Bundesgerichts über die vorliegende Verwaltungsgerichtsbeschwerde auf der streitigen Parzelle Bauarbeiten in Angriff zu nehmen. Am 5. Juni 1972 hat eine Abordnung des Bundesgerichts die Schillermatte in Augenschein genommen.
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Erwägungen: | |
1. a) Zur Anfechtung einer Rodungsbewilligung sind nach Art. 103 lit. c OG in Verbindung mit Art. 12 Abs. 1 und Art. 2 ![]() | 9 |
b) Der Beschwerdegegner Vögelin meint, die Beschwerdelegitimation der Beschwerdeführer lasse sich im vorliegenden Falle nicht auf Art. 12 Abs. 1 NHG abstützen, da die Erteilung von Rodungsbewilligungen bis zu 3000 m2 nicht Bundesaufgabe, sondern Aufgabe der Kantone sei, Art. 12 NHG sich aber nur auf die Erfüllung von Bundesaufgaben beziehe. Diese Ansicht geht fehl.
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Zwar trifft zu, dass Art. 12 NHG sich nur auf Verfügungen und Erlasse bezieht, die in Erfüllung von Bundesaufgaben ergehen (Art. 24 sexies Abs. 2 BV; vgl. Art. 2-11 NHG). Die Erteilung von Rodungsbewilligungen wird aber in Art. 2 lit. b NHG ohne jeden Vorbehalt als Erfüllung einer Bundesaufgabe bezeichnet. Auch die kantonale Behörde, die auf Grund von Art. 25 bis Abs. 1 lit. a FPV die Bewilligung zur Rodung einer Schutzwaldfläche von höchstens 3000 m2 erteilt, erfüllt somit eine Bundesaufgabe im Sinne der zitierten Vorschriften. Art. 12 NHG erklärt denn auch die in seinem Absatz 1 erwähnten Vereinigungen für berechtigt, nicht nur gegen Verfügungen von Bundesbehörden, sondern auch gegen kantonale Verfügungen und Erlasse Verwaltungsgerichtsbeschwerde zu führen, was bei Richtigkeit der Ansicht Vögelins weitgehend sinnlos wäre.
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2. Die Beschwerdeführer beanstanden, dass der Regierungsrat auf das ihrer Ansicht nach mit dem ersten materiell völlig identische zweite Rodungsgesuch Vögelins eingetreten ist und ![]() | 12 |
Ob Vögelin dabei allerdings einen Anspruch hatte, dass der Regierungsrat auch sein allenfalls mit dem ersten identisches zweites Rodungsgesuch prüfe, kann offen bleiben, da sich diese Frage hier gar nicht stellt. Offen bleiben kann auch, welche Bedeutung gegebenenfalls widersprüchlichem Verhalten des Gesuchstellers zukäme, denn auch der von den Beschwerdeführern im Hinblick auf den Rückzug der Beschwerde beim EDI gegen Vögelin erhobene Vorwurf des venire contra factum proprium ist unbegründet. Vögelin hat seine Beschwerde beim EDI im selben Zeitpunkt zurückgezogen, indem er dem Regierungsrat das zweite Gesuch eingereicht hat, also offensichtlich im Bestreben, die inzwischen eingetretene Kompetenzverschiebung zu nutzen. Der Beschwerderückzug kann unter diesen Umständen nicht als Anerkennung des Entscheides des Eidg. Oberforstinspektorates angesehen werden. Das Verhalten Vögelins war in dieser Beziehung auch nicht missbräuchlich. Nachdem die Kompetenz zur Erteilung der fraglichen Rodungsbewilligung vom Eidg. Oberforstinspektorat an den Regierungsrat des Kantons Schwyz übergegangen war, verpflichtete den Gesuchsteller nichts, den Abschluss des Beschwerdeverfahrens vor dem EDI abzuwarten, umso weniger, als dieses Beschwerdeverfahren sich ohne sein Verschulden stark verzögert hatte und auch ein negativer Entscheid des EDI der Erneuerung des Gesuches nicht entgegengestanden wäre.
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Mit Rücksicht darauf, dass vorzeitige Rodungen unter bestimmten Umständen praktisch nicht wiedergutzumachen sind und damit die Entscheidungsfreiheit der Beschwerdeinstanz beeinträchtigen können (vgl. BGE 96 I 510 ff. Erw. 5), empfiehlt sich jedoch - abgesehen von Sonderfällen - ganz allgemein, im Dispositiv von nicht letztinstanzlichen Rodungsbewilligungen dem Gesuchsteller ausdrücklich, notfalls unter Strafandrohung zu verbieten, die bewilligte Rodung auszuführen, bevor die verfügende Behörde ihm den unbenützten Ablauf der Beschwerdefrist schriftlich angezeigt hat. Die in Art. 35 VwG vorgeschriebene Rechtsmittelbelehrung allein genügt in dieser Hinsicht nicht, da der Gesuchsteller den Tag des Beginns der Beschwerdefrist für die Vereinigungen nach Art. 12 NHG nicht in jedem Falle kennt und ausserdem eine am letzten Tage der Frist aufgegebene Beschwerde bei der Beschwerdeinstanz je nach Umständen erst einige Tage nach Fristablauf eintrifft und dem Gesuchsteller unter ungünstigen Verhältnissen möglicherweise erst nach Ablauf weiterer Tage zur Kenntnis gebracht werden kann.
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Der Bundesrat hat in Art. 26 FPV die Voraussetzungen für die Bewilligung einer Rodung näher umschrieben. Rodungen dürfen danach nur bewilligt werden, wenn sich für sie ein gewichtiges, das Interesse an der Walderhaltung überwiegendes Bedürfnis nachweisen lässt. Dieses Bedürfnis kann sowohl öffentlicher wie auch privater Natur sein oder auch sich aus einer Verbindung von privaten und öffentlichen Interessen ergeben. Ob es im Einzelfall besteht, ist als Auslegung eines unbestimmten Rechtsbegriffes eine Rechtsfrage und unterliegt somit grundsätzlich freier Überprüfung durch das Bundesgericht (vgl. BGE 98 I/b 372 Erw. 2). Bei der Anwendung unbestimmter Rechtsbegriffe auf den Einzelfall steht der Vorinstanz allerdings ein gewisser Beurteilungsspielraum offen, insbesondere soweit örtliche Verhältnisse zu würdigen sind. Dem trägt das Bundesgericht durch zurückhaltende Überprüfung dieser Fragen Rechnung (vgl. BGE 96 I 373 Erw. 4).
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Ausgeschlossen ist die Rodung, wenn ihr polizeiliche Gründe entgegenstehen (Art. 26 Abs. 2 FPV). Finanzielle Interessen, wie möglichst einträgliche Nutzung des Bodens oder billige Beschaffung von Land gelten nach Art. 26 Abs. 3 FPV nicht als gewichtiges Bedürfnis im Sinne von Art. 26 Abs. 1 FPV. Überdies soll eine Rodung nur bewilligt werden, wenn das Werk, für welches sie begehrt wird, auf den vorgesehenen Standort angewiesen ist. Dies gilt allerdings nicht absolut, bliebe sonst doch praktisch fast jede Rodung ausgeschlossen, was nicht der Sinn des der Verordnung zugrundeliegenden Gesetzes ist (vgl. BGE 98 I/b 373/374). Die Frage der Standortgebundenheit ![]() | 19 |
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Umgekehrt vermag das Interesse Vögelins an einer möglichst einträglichen Nutzung seines Grundeigentums die Rodungsbewilligung nicht zu begründen (Art. 26 Abs. 3 FPV). Waldboden ist grundsätzlich unüberbaubar. Dies schliesst in der Regel eine Abwägung des privaten Interesses an der baulichen Ausnützung des Bodens gegenüber dem öffentlichen Interesse an dessen Freihaltung aus.
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6. Wie bereits erwähnt, gilt nicht absolut, dass eine Rodung nur bewilligt werden darf, wenn das Werk, für welches sie begehrt wird, strikte auf den vorgesehenen Standort angewiesen ist. In der Regel wird zwar der Entscheid über ein Rodungsgesuch auch von der Beantwortung dieser Frage abhängen. Es sind aber Fälle denkbar, in denen andere Überlegungen in den Vordergrund treten. So kann unter Umständen die Frage nach der Standortgebundenheit des auf Waldboden projektierten Werkes an Gewicht verlieren, wo das Werk Teil einer Gesamtüberbauung bildet, die der Überprüfung im Rahmen der Beurteilung des Rodungsgesuches zum grössten Teil entzogen ist und nach den regionalen und kantonalen Planungsvorstellungen einem das Interesse an der Walderhaltung im konkreten Falle ![]() | 22 |
Im vorliegenden Falle ist das Hochhaus A, das an die Stelle der fraglichen Waldparzelle treten soll, im erwähnten Sinne relativ standortgebunden, haben doch Akten und Augenschein ergeben, dass sich dafür im Rahmen der Überbauung der Schillermatte kein unter planerischen und baulichen Gesichtspunkten gleichwertiger Standort finden lässt. Die optische Anlehnung des Hochhauses an den Steilhang ginge verloren, wenn ein Standort ausserhalb des Waldstückes gewählt würde.
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Die Gesamtüberbauung der Schillermatte betrifft zum grössten Teil freies Wiesland und kann deshalb bei der Beurteilung der hier in Frage stehenden Rodungsbewilligung nicht überprüft werden. Zu prüfen ist jedoch, ob der Regierungsrat im Rahmen seines Beurteilungsspielraums annehmen durfte, sie entspreche nach den sachlich begründeten regionalen und kantonalen Planungsvorstellungen einem das Interesse an der Erhaltung der Waldparzelle weit überwiegenden, öffentlichen Interesse.
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Das öffentliche Interesse an der wirtschaftlichen - somit auch der touristischen - Entwicklung einer Gemeinde fällt bei der Abwägung der für und gegen eine Rodung sprechenden Interessen schwer ins Gewicht. Beim Entscheid darüber, ob die ![]() | 26 |
Zu prüfen bleibt indessen, ob er auch annehmen durfte, dieses öffentliche Interesse überwiege bei weitem die öffentlichen Interessen an der Erhaltung der in Frage stehenden Waldparzelle.
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Den grundsätzlichen Ausführungen in der Stellungnahme der Eidg. Natur- und Heimatschutzkommission vom 16. Februar 1970, auf die sich insbesondere das EDI beruft, kann zwar voll und ganz beigepflichtet werden. Mit bezug auf den vorliegenden Fall geht die Kommission jedoch von der unrichtigen Voraussetzung aus, das Landschaftsbild um die Schillermatte sei im wesentlichen noch unberührt; jedenfalls nimmt sie in keiner Weise zu den bereits bestehenden Beeinträchtigungen Stellung. Ihre Schlüsse werden durch diesen Mangel entkräftet.
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Die Beschwerdeführer machen geltend, das Gebiet der Schillermatte werde demnächst in das KLN-Inventar aufgenommen, was zeige, dass es besonders schutzwürdig sei. Das KLN-Inventar, ein im Auftrag des Schweizerischen Bundes für Naturschutz, der Schweizerischen Vereinigung für Heimatschutz und des Schweizerischen Alpenclubs erstelltes Inventar der zu erhaltenden Landschaften und Naturdenkmäler von nationaler ![]() | 31 |
Berücksichtigt man schliesslich, dass es sich bei der in Frage stehenden Waldparzelle um eine isolierte Waldzunge handelt, deren Fläche (2840 m2) einen geringen Bruchteil der für die Überbauung vorgesehenen Gesamtfläche (156 000 m2) bildet, so ergibt sich, dass der Regierungsrat mit der Annahme, das öffentliche Interesse an der Überbauung der Schillermatte überwiege jenes an der Erhaltung der Waldparzelle weit, die Grenzen seines Beurteilungsspielraums nicht überschritten hat. Es kann nicht Aufgabe der Forstpolizei sein, die grösstenteils Wiesland betreffende Gesamtüberbauung, die unter dem Gesichtspunkt ![]() | 32 |
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