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1. Urteil vom 5. April 1974 i.S. Progressive Organisationen der Schweiz (POCH) & Konsorten gegen Schweiz. Bundeskanzlei | |
Regeste |
Initiativengesetz. |
- Rechtliches Gehör: Bei einer Ungültigkeitserklärung hat die Schweiz. Bundeskanzlei den Initianten Gelegenheit zu geben, sich vorgängig der Verfügung zu den angeblichen Ungültigkeitsgründen zu äussern (Erw. 2). |
- Inhalt und Zweck von Art. 4 Abs. 2 Initiativengesetz: Diese Bestimmung setzt nicht voraus, dass sich die Initianten bereits zu Beginn der Unterschriftensammlung schlüssig werden, ob sie den Initiativtext in einer oder in mehreren Amtssprachen zur Unterschrift auflegen wollen; sie bezweckt, dass die unterzeichnenden Bürger erkennen können, welches der massgebliche Text der Initiative ist, und soll den Eidg. Räten Klarheit und Sicherheit darüber geben, welche Fassung einer in mehreren Sprachen unterbreiteten Initiative die massgebende ist (Erw. 3). | |
Sachverhalt | |
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"Einführung der 40-Stunden-Woche
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Die unterzeichneten stimmberechtigten Schweizer Bürger und Bürgerinnen verlangen auf dem Wege der Volks-Initiative, dass die Bundesverfassung durch einen Art. 34 sexties ergänzt wird:
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Die ordentliche Arbeitszeit darf 40 Stunden in der Woche nicht überschreiten.
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Übergangsbestimmung: Die neue Vorschrift tritt ein Jahr nach ihrer Annahme in der Volksabstimmung in Kraft. Die Gesetzesbestimmungen, welche die Höchstdauer der wöchentlichen Arbeitszeit betreffen, gelten auf diesen Zeitpunkt hin als entsprechend geändert."
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Auch wird darauf erklärt, dass Georg Degen und Konsorten mit Zweidrittelsmehrheit berechtigt seien, das Volksbegehren zurückzuziehen. Die Unterschriftenbogen enthalten keinen Hinweis darauf, dass der deutsche Text der Volksinitiative, der als einziger auf den Bogen steht, der massgebliche sei. Solche Unterschriftenbogen sind von 11 613 Bürgern unterzeichnet worden. Nachträglich erstellten die Initianten Unterschriftenbogen, auf denen der Initiativtext in französischer bzw. italienischer Sprache aufgeführt ist. Dabei wurde auf jedem Bogen festgehalten, dass der deutsche Text der massgebende sei, und dieser deutsche Text jeweils auch aufgeführt. 11 645 Bürger und Bürgerinnen unterzeichneten solche Unterschriftenbogen. Beim Nachdruck wurde dann auch bei den Unterschriftenbogen mit deutschem Text der Hinweis aufgenommen, dass der deutsche Text der Initiative der massgebliche sei. 30 969 Unterschriften wurden auf derart ergänzte Formulare mit deutschem Text gesetzt.
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B.- Mit Verfügung vom 19. Dezember 1973 stellte die Bundeskanzlei fest, dass die Volksinitiative zur Einführung der ![]() | 7 |
In der Begründung dieser Verfügung führt die Bundeskanzlei aus, in einer grösseren Auflage der deutschsprachigen Unterschriftenlisten mit insgesamt 11 613 Unterschriften fehle die Bezeichnung des massgebenden Textes, was nach Art. 4 Abs. 2 BG über das Verfahren bei Volksbegehren auf Revision der Bundesverfassung vom 23. März 1962 (Initiativengesetz) Gültigkeitsvoraussetzung sei bei einem Partialrevisionsbegehren, das in Form eines ausgearbeiteten Entwurfs und in mehr als einer Amtssprache zur Unterzeichnung aufgelegt wird.
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C.- Gegen diesen Entscheid richtet sich die vorliegende Verwaltungsgerichtsbeschwerde. Die Beschwerdeführer verlangen die Aufhebung der Verfügung der Bundeskanzlei und die Feststellung, dass die in der Form eines ausgearbeiteten Entwurfs gestellte Volksinitiative zur Einführung der 40-Stunden-Woche zustande gekommen sei. Es wird geltend gemacht, der Entscheid der Bundeskanzlei sei durch übertriebene Formstrenge gekennzeichnet, was durch Art. 4 BV verpönt werde. Die Ungültigerklärung der Initiative bedeute einen Eingriff in ein elementares Volksrecht durch einen ausschliesslich formal, jedoch materiell nicht dem Sinn der gesetzlichen Bestimmungen entsprechend begründeten Verwaltungsakt.
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Die Bundeskanzlei schliesst auf Abweisung der Beschwerde.
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Das Bundesgericht zieht in Erwägung: | |
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Das Bundesgericht beurteilt nach Art. 97 Abs. 1 OG letztinstanzlich Verwaltungsgerichtsbeschwerden gegen Verfügungen im Sinne von Art. 5 VwG; als solche gelten Anordnungen der Behörden im Einzelfall, die sich auf öffentliches Recht des Bundes stützen. Der angefochtene Entscheid zählt zu derartigen Verfügungen. Verfügungen nach Art. 22 des Geschäftsverkehrsgesetzes vom 23. März 1962 betreffend Volksbegehren wurden allerdings nach dem alten OG vom Bundesrat behandelt bzw. erlassen. Seit der Revision des OG im Jahre 1968 ist für den ![]() | 12 |
Die Beschwerdeführer haben am Zustandekommen der Initiative und damit an der Aufhebung des angefochtenen Entscheids ein schutzwürdiges Interesse. Sie sind daher - neben den unterzeichneten Stimmbürgern - zur Verwaltungsgerichtsbeschwerde legitimiert (Art. 103 lit. a OG). Die Beschwerde ist rechtzeitig (Art. 106 OG) und den formellen Anforderungen des Gesetzes entsprechend (Art. 108 OG) eingereicht worden. Es ist somit darauf einzutreten.
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Der Auffassung der Bundeskanzlei ist nicht beizupflichten. Nach Art. 30 Abs. 1 VwG, der auf das Verfahren vor der Bundeskanzlei ![]() | 15 |
Daran vermag auch die Tatsache nichts zu ändern, dass die Verfügung der Bundeskanzlei mit der Verwaltungsgerichtsbeschwerde angefochten werden kann. Die Möglichkeit, eine Verfügung auf dem Rechtsmittelweg anzufechten, schliesst - abgesehen von der hier nicht zutreffenden Ausnahme des Art. 30 Abs. 2 lit. e VwG - die Pflicht der Behörde zur vorgängigen Anhörung der Parteien nicht aus; diese Pflicht entfällt nur, wenn die Verfügung durch Einsprache anfechtbar ist, d.h. die selbe Instanz nochmals in der gleichen Sache zu entscheiden hat (Art. 30 Abs. 2 lit. b VwG).
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Dieser Schluss zwingt jedoch nicht zur Rückweisung der Sache an die Bundeskanzlei zwecks Gewährung des rechtlichen Gehörs. Nachdem in der Sache eine reine Rechtsfrage zu entscheiden ist, hinsichtlich der dem Bundesgericht die freie Prüfung zusteht, kann der Mangel der Verletzung des rechtlichen Gehörs im vorliegenden Verfahren, in dem die Beschwerdeführer voll zum Wort gekommen sind, geheilt werden. Dies rechtfertigt sich überdies auch aus prozessökonomischen Gründen. Die Bundeskanzlei hat in ihrer Vernehmlassung zur Verwaltungsgerichtsbeschwerde zum Ausdruck gebracht, dass sie nach wie vor gleich entscheiden würde. Es hätte somit wenig Sinn, die Vorinstanz zu verpflichten, aufgrund der Vorbringen der Beschwerdeführer ihre Auffassung - unter Gewährung des rechtlichen Gehörs - zu überprüfen.
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"Wird ein Partialrevisionsbegehren in der Form eines ausgearbeiteten Entwurfes in mehr als einer Amtssprache zur Unterzeichnung aufgelegt, so muss jeder Unterschriftenbogen, um gültig zu sein, überdies den massgebenden Text bezeichnen und wiedergeben."
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Die Bundeskanzlei hält diesbezüglich dafür, Art. 4 Initiativengesetz setze voraus, dass sich die Initianten bereits zu Beginn der Unterschriftensammlung schlüssig werden müssen, ob sie den Initiativtext in einer oder in mehreren Amtssprachen zur Unterschrift auflegen wollen; ein nachträgliches Hineintragen einer zunächst einsprachig begonnenen Unterschriftensammlung in ein anderes Sprachgebiet soll ausgeschlossen sein. Dieser Auffassung steht entgegen, dass das Initiativengesetz das Vorgehen, so wie es die Beschwerdeführer eingeschlagen haben, weder ausdrücklich verbietet noch ausdrücklich regelt. Es muss daher für diesen Fall eine Lösung gefunden werden, die der Ziel- und Zwecksetzung des Art. 4 Abs. 2 Initiativengesetz entspricht.
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b) Art. 4 Abs. 2 Initiativengesetz verfolgt zwei Zwecke: Einerseits sollen die unterzeichnenden Bürger erkennen können, welches der massgebliche Text eines Partialrevisionsbegehrens ist, wenn dieses mehrsprachig zur Unterschrift aufgelegt wird; anderseits muss für die Eidg. Räte Klarheit und Sicherheit darüber bestehen, welcher Text einer in mehreren Sprachen unterbreiteten Initiative der massgebende sein soll. Es fragt sich, ob die von der Bundeskanzlei im vorliegenden Fall beanstandeten Unterschriftenbogen in diesen Punkten dem Gültigkeitserfordernis des Art. 4 Abs. 2 Initiativengesetz entsprechen.
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Die Unterschriftenlisten, die beanstandet werden, enthalten lediglich den deutschen Text des Partialrevisionsbegehrens; es wird darauf nicht erklärt, dass der einzig aufgeführte Text der massgebende sei. Sie wurden zu Beginn der Unterschriftensammlung in Umlauf gesetzt; indes waren einige offenbar noch im Umlauf, als die Unterschriftensammlung auf die andern ![]() | 23 |
c) Soweit daher die Beschwerdeführer die Aufhebung der Verfügung der Bundeskanzlei verlangen, ist ihrem Begehren stattzugeben. Dagegen kann dem Begehren um Feststellung, dass die Volksinitiative zur Einführung der 40-Stunden-Woche zustande gekommen sei, nicht entsprochen werden. Gegenstand des vorliegenden Verfahrens ist einzig die Rechtsfrage, ob die Bundeskanzlei jene deutschsprachigen Unterschriftenlisten mit insgesamt 11 613 Unterschriften, auf denen die Bezeichnung des massgebenden Textes fehlt, zu Recht nach Art. 4 Abs. 2 Initiativengesetz ungültig erklärt hat oder nicht. Das Bundesgericht stellt fest, dass diese Unterschriftenbogen das Gültigkeitserfordernis des Art. 4 Abs. 2 Initiativengesetz erfüllen. Ob sie allenfalls andere Mängel aufweisen, hat es nicht zu prüfen. Die Bundeskanzlei wird daher - nach Prüfung dieser Frage - in einer neuen Verfügung entscheiden müssen, ob die Initiative gültig zustande gekommen ist oder nicht.
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Demnach erkennt das Bundesgericht:
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