BGE 100 Ib 351 | |||
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63. Urteil der I. Zivilabteilung vom 5.November 1974 i.S. Brasserie de Haacht SA gegen Eidgenössisches Amt für geistiges Eigentum. | |
Regeste |
Verwaltungsgerichtsbeschwerde. |
Markenrecht. |
Madrider Abkommen (Fassung von Nizza 1957), Art. 5 Abs. 1; Pariser Verbandsübereinkunft (Fassung von Lissabon), Art. 6 quinquies lit. B, 6 quinquies lit. C; Art. 14 Abs. 1 Ziff. 2 MschG. Schutzvoraussetzung einer geographischen Herkunftsbezeichnung (Erw. 2). |
Ausnahmsweise Schutzfähigkeit eines international hinterlegten Zeichens in der Schweiz, das nur im Ursprungsland Verkehrsgeltung erlangt hat (Erw. 4). | |
Sachverhalt | |
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Mit Verfügung vom 22. Januar 1974 verweigerte das Amt dieser Marke vorläufig den Schutz. Es führte zur Begründung insbesondere aus, die Bezeichnung "Haacht" sei eine nicht unterscheidungskräftige belgische Herkunftsangabe, die für Erzeugnisse anderen Ursprungs täuschend sei. Gleichzeitig forderte es die Gesuchstellerin auf, nachzuweisen, dass sich das Wort Haacht durch langen und unangefochtenen Gebrauch als Kennzeichen ihrer Erzeugnisse durchgesetzt habe.
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B.- Da die Brasserie de Haacht SA innert der ihr anberaumten dreimonatigen Frist eine Durchsetzung der Marke im Verkehr nicht geltend machte, verweigerte das Amt am 22. Mai 1974 die Eintragung endgültig.
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C.- Die Brasserie de Haacht SA beantragt mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde, die Verfügung des Amtes aufzuheben und die Marke "Haacht" in der Schweiz zu schützen. Das Amt beantragt, auf die Beschwerde nicht einzutreten, eventuell sie abzuweisen.
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Mit Verfügung vom 17. Juli 1974 trat es auf ein Wiedererwägungsgesuch der Beschwerdeführerin vom 5. Juli 1974 nicht ein.
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Das Bundesgericht zieht in Erwägung: | |
1. Die Beschwerdeführerin hat die Beschwerde bloss "vorsorglich" für den Fall eingereicht, dass das Amt auf ihr gleichzeitig gestelltes Wiedererwägungsgesuch nicht eintrete. Das Amt lehnt unter Hinweis auf BIRCHMEIER (N. 2 zu Art. 55 OG) die bedingte Anfechtung eines Entscheides als unzulässig ab. Diese Auffassung entspricht an sich dem Grundsatz, dass Prozesshandlungen im allgemeinen bedingungsfeindlich sind (GULDENER, Schweizerisches Zivilprozessrecht, 2. Aufl., S. 211). Das ist indessen kein zwingender Grund, auf die Beschwerde nicht einzutreten. Wohl trifft zu, dass durch die Zulassung einer bedingten Beschwerde ein Verfahren unter Umständen verzögert wird. Das ist etwa dann der Fall, wenn kurz vor Ablauf der Beschwerdefrist einerseits beim Bundesgericht eine bedingte Beschwerde und anderseits beim Amt ein Wiedererwägungsgesuch eingereicht wird. Es hinge dann von der Arbeitsweise des Amtes ab, wann die Beschwerde behandelt werden könnte. Dieser Gesichtspunkt ist aber nicht entscheidend. Massgebend ist vielmehr, dass die bedingte Beschwerde im Grunde genommen die gleichen Wirkungen entfaltet wie die unbedingte Anfechtungserklärung, die den Hinweis auf ein gleichzeitig beim Amt gestelltes Wiedererwägungsgesuch enthält. In einem solchen Fall hätte das Bundesgericht keinen Anlass, die Beschwerde zu behandeln, bevor das Amt über das Wiedererwägungsgesuch entschieden hat. Art. 58 VwG bestimmt vergleichsweise, dass die Vorinstanz bis zu ihrer Vernehmlassung an die Beschwerdeinstanz die angefochtene Verfügung in Wiedererwägung ziehen kann (Abs. 1). Sie eröffnet gegebenenfalls eine neue Verfügung ohne Verzug den Parteien und bringt sie der Beschwerdeinstanz zur Kenntnis (Abs. 2). Die Beschwerdeinstanz setzt dann die Behandlung der Beschwerde fort, soweit diese durch die neue Verfügung der Vorinstanz nicht gegenstandslos geworden ist (Abs. 3). Es besteht kein Grund, diese Ordnung nicht in dem Sinne analog auf das Verwaltungsgerichtsverfahren anzuwenden, dass bedingte Beschwerden zuzulassen sind. Wollte man anders entscheiden, so könnte der im Verwaltungsrecht bestehende Anspruch auf Wiedererwägung dadurch vereitelt werden, dass die Beschwerdeinstanz ohne Rücksicht auf das Ergebnis des Wiedererwägungsverfahrens urteilen und damit die Vorinstanz binden würde.
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2. Belgien und die Schweiz sind am 15. Dezember 1966 dem Madrider Abkommen betreffend die internationale Registrierung der Fabrik- oder Handelsmarken (MAA) in der am 15. Juni 1957 in Nizza revidierten Fassung beigetreten (vgl. La Propriété industrielle 1968, S. 10). Dessen Art. 5 Abs. 1 erlaubt den auf das Abkommen verpflichteten Ländern, einer international registrierten Marke den Schutz unter den gleichen Voraussetzungen zu verweigern, unter denen sie ihn nach der Pariser Verbandsübereinkunft zum Schutze des gewerblichen Eigentums (PVUe) einer zur nationalen Eintragung hinterlegten Marke versagen dürfen.
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Zwischen Belgien und der Schweiz ist die am 31. Oktober 1958 in Lissabon vereinbarte Fassung der PVUe massgebend (vgl. La Propirété industrielle 1966, S. 5 ff.). Sie gestattet gemäss Art. 6 quinquies lit. B die Eintragung von Fabrik- und Handelsmarken zu verweigern, wenn sie "jeder Unterscheidungskraft entbehren oder ausschliesslich aus Zeichen oder Angaben zusammengesetzt sind, die im Verkehr zur Bezeichnung der Art, der Beschaffenheit, der Menge, der Bestimmung, des Wertes, des Ursprungsortes der Erzeugnisse oder der Zeit der Erzeugung dienen können, oder die im allgemeinen Sprachgebrauch oder in den redlichen und ständigen Verkehrsgepflogenheiten des Landes, in dem der Schutz beansprucht wird, üblich sind". Art. 6 quinquies lit. C bestimmt, dass bei der Würdigung der Schutzfähigkeit der Marke alle Tatsachen zu berücksichtigen sind, insbesondere die Dauer des Gebrauchs der Marke. Diese Regelung stimmt überein mit der Vorschrift des Art. 14 Abs. 1 Ziff. 2 MSchG. Danach darf eine Marke u.a. dann nicht eingetragen werden, wenn sie als wesentlichen Bestandteil ein im Gemeingut anzusehendes Zeichen enthält. Ein geographischer Name ist dann keine Sachbezeichnung mehr und schutzfähig, wenn er sich im Verkehr durch dauernden und unangefochtenen Gebrauch als Kennzeichen für die Waren eines bestimmten Unternehmens durchgesetzt hat (vgl. BGE 77 II 326 betreffend "Sihl").
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Das Amt macht geltend, die Beschwerdeführerin stütze die behauptete Verkehrsgeltung auf Tatsachen und Beweismittel, die bereits zur Zeit der vorläufigen Zurückweisung ihrer Marke vorhanden waren und hätten beigebracht werden können. Die Beschwerdeführerin habe von der im Bundesgesetz über das Verwaltungsverfahren vom 20. Dezember 1968 vorgesehenen Möglichkeit, gegen die vorläufige Schutzverweigerung Einsprache zu erheben, keinen Gebrauch gemacht. Sie habe diese Unterlassung weder begründet noch ein Wiederherstellungsbegehren gemäss Art. 24 VwG gestellt. Wenn sie im Beschwerdeverfahren vor Bundesgericht Versäumtes nachzuholen suche, so handle es sich nicht um Tatsachen, die erst nach der endgültigen Verfügung eingetreten und daher zu berücksichtigen sind. Die angefochtene Verfügung beruhe folglich weder auf einer unrichtigen noch unvollständigen Feststellung des Sachverhaltes.
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Dieser Ansicht ist nicht zuzustimmen. Nach Rechtsprechung und Lehre kann im Verwaltungsgerichtsverfahren das Bundesgericht die Feststellung des Sachverhaltes vom Amtes wegen frei überprüfen und dabei auch neue Tatsachen berücksichtigen, und zwar selbst solche, die erst seit Erlass des angefochtenen Entscheides eingetreten sind (vgl. Art. 104 lit. b in Verbindung mit Art. 105 Abs. 1 OG; BGE 97 I 474 mit Hinweisen; GRISEL, Droit administratif suisse, S. 507 oben in Verbindung mit S. 481, Ziff. 6 lit. a Abs. 2 und S. 510). Ist somit der Sachverhalt vom Amtes wegen festzustellen, so schadet es der Beschwerdeführerin nicht, dass sie sich erst vor Bundesgericht auf die Verkehrsgeltung der Marke "Haacht" beruft, obwohl ihr das offenbar bereits vor Erlass der endgültigen Verfügung des Amtes möglich gewesen wäre. Das Verwaltungsgerichtsverfahren des Bundesgerichtes kennt keinen mit der Eventualmaxime der kantonalen Prozessordnungen vergleichbaren Grundsatz, dass sämtliche Angriffs- und Verteidigungsmittel innerhalb eines bestimmten Verfahrensabschnittes vorzubringen sind und später, insbesondere im Rechtsmittelverfahren, nur noch unter genau umschriebenen Voraussetzungen nachgebracht werden dürfen. Wollte man die Behauptung der Beschwerdeführerin als verspätet betrachten und die Beschwerde abweisen, so wäre damit nichts gewonnen. Die Beschwerdeführerin könnte in einem neuen Verfahren das Versäumte, wenn auch mit zusätzlichen Kosten, ohne Rechtsnachteile nachholen. Die von der Beschwerdeführerin behauptete Verkehrsgeltung ist daher anhand der eingelegten Beweismittel zu prüfen.
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a) Das Amt begründet den Eventualantrag auf Abweisung der Beschwerde damit, dass nach der neuesten Rechtsprechung des Bundesgerichts (BGE 99 Ib 10 ff.) eine Marke im Inland Verkehrsgeltung besitzen müsse. Diese Voraussetzung sei erst dann erfüllt, wenn sich das Zeichen beim kaufenden Publikum durchgesetzt habe. Es genüge daher nicht, dass schweizerische Brauereikreise die Marke der Beschwerdeführerin angeblich kennen.
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b) Das Bundesgericht hat im erwähnten Entscheid seine frühere Rechtsprechung dahin präzisiert, dass nach Art. 6 quinquies lit. C PVUe die im Einfuhrland erlangte Verkehrsgeltung einer Marke zu berücksichtigen sei (BGE a.a.O. S. 30-33). Es nahm aber anderseits ausdrücklich Bezug auf BGE 55 I 262 ("Tunbridge Wells"), wo dargelegt wird (S. 271), dass Herkunftsbezeichnungen mindestens für die Beziehungen zwischen den Verbandsstaaten dann ausnahmsweise als Marke verwendet werden dürfen, wenn sie im Ursprungsland lange gebraucht worden sind. Es fügte sodann bei, dass der Ausdruck "Tunbridge Wells" im Ursprungsland England eine Ortsbezeichnung, folglich ein Freizeichen gewesen sei, das sich dort durch langen Gebrauch zum Individualzeichen umgebildet habe. Schweizerische Geschäftsleute seien an seiner Freihaltung für den Gebrauch im Inland nicht interessiert gewesen. Die Verwendung von "Tunbridge Wells" als Marke durch sie hätte geradezu täuschend wirken können. Das habe das Bundesgericht schon im Entscheid BGE 73 II 133 angedeutet, als es mit BGE 55 I 262 ff. einen Vergleich gezogen und die Nachahmung der Marke "cigarettes françaises" des Inhabers des französischen Tabak-Regiebetriebes wegen Täuschungsgefahr als unzulässig erklärt habe. Diese Überlegungen gelten auch im vorliegenden Fall. Da sich die Marke der Beschwerdeführerin in Belgien durchgesetzt hat, dürfen sie dort einheimische oder fremde Konkurrenzunternehmen nicht verwenden. Ebensowenig ist diesen Unternehmen das Zeichen Haacht für das Gebiet der Schweiz freizuhalten, da hier der Gebrauch durch sie wie im Ursprungsland täuschend wirken könnte. Daher ist nicht zu prüfen, ob die Marke der Beschwerdeführerin in der Schweiz deshalb nicht Verkehrsgeltung erlangen konnte, weil sie gemäss ihrem Prospekt in erster Linie zur Bezeichnung eines "HAACHT" Super Pils" Bieres verwendet wird und in der Schweiz der Ausdruck "Pils" für ein nicht tschechoslowakisches Bier nicht zulässig ist (vgl. Urteil der I. Zivilabteilung vom 13. N ovember 1973 i.S. Interbeva gegen Eidgenössisches Amt für geistiges Eigentum, veröffentlicht in PMMBL 1974 I 11 f.).
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Demnach erkennt das Bundesgericht:
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