BGE 101 Ib 265 | |||
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Bearbeitung, zuletzt am 15.03.2020, durch: DFR-Server (automatisch) | |||
49. Urteil vom 14. November 1975 i.S. J. van der Luyt & Zonen B.V. und Migros-Genossenschafts-Bund gegen Eidg. Justiz- und Polizeidepartement | |
Regeste |
Strassenverkehr, Sonntagsfahrverbot für schwere Motorwagen zur Güterbeförderung (Art. 2 Abs. 2 SVG, Art. 91 ff. VRV). |
Verweigerung einer Ausnahmebewilligung, weil dem Gesuchsteller zugemutet werden kann, anstelle eines schweren Lastwagens mehrere leichte Fahrzeuge einzusetzen. | |
Sachverhalt | |
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"1 Ausnahmen vom Sonntags- und Nachtfahrverbot sind nur zulässig, wenn die Fahrt am Sonntag oder zur Nachtzeit dringend ist und weder durch organisatorische Massnahmen noch durch die Wahl eines andern Verkehrsmittels vermieden werden kann.
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2 Der Standortkanton oder der Kanton, wo die bewilligungspflichtige Fahrt beginnt, erteilt die Ausnahmebewilligung mit Gültigkeit für die ganze Schweiz. Die Zuständigkeit des Standortkantons entfällt, wenn sein Gebiet nicht berührt wird. Für Fahrzeuge des Bundes ist die Eidgenössische Polizeiabteilung zuständig; sie kann auch über Gesuche aus dem Ausland entscheiden.
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a) zur Beförderung von leicht verderblichen landwirtschaftlichen Produkten wie Beeren, gewissen Früchten und Gemüsen, Blumen und frisch gepressten Fruchtsäften in der Zeit vom 1. April bis 31. Oktober;
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b) zum Transport von Schlachtschweinen ausser in der Nacht vom Freitag auf den Samstag und vom Samstag auf den Sonntag und, soweit nötig, für Schlachtgeflügel;
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c) für die Beförderung von Milch und Milchprodukten;
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d) für verkehrsstörende Ausnahmefahrzeuge und Ausnahmetransporte;
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e) zu Fahrten beim Bau und Unterhalt von Strassen und Geleiseanlagen, wenn Nachtarbeit unerlässlich ist;
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f) zur Beförderung von Zirkusmaterial, Orchesterinstrumenten, Theaterkulissen u. dgl.
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4 Bewilligungen für Sonntagsfahrten dürfen bei Vorliegen triftiger Gründe in den Fällen gemäss Absatz 3 erteilt werden und ferner für dringliche Fahrten bei Veranstaltungen, namentlich zum Transport von Lebensmitteln und Getränken.
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5 Zu weiteren Fahrten dürfen Ausnahmebewilligungen nur mit Zustimmung der Eidgenössischen Polizeiabteilung erteilt werden. In einem dringenden Fall kann der Kanton eine unerlässliche Fahrt von sich aus gestatten unter Mitteilung an die Eidgenössische Polizeiabteilung".
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Der Migros-Genossenschafts-Bund (MGB) führt frische Schnittblumen aus Holland ein. Sie gelangen zunächst in sein zentrales Verteillager in Neuendorf/SO. Die holländische Transportfirma J. van der Luyt & Zonen B.V. verbringt die Ware auf einem schweren Motorwagen nach Basel und an Werktagen von dort nach Neuendorf. An Sonntagen wurden bisher die Blumen in Basel auf 8-10 leichte Lastwagen (Lieferwagen) umgeladen, da die von der holländischen Transportfirma verwendeten Fahrzeuge unter das Sonntagsfahrverbot fallen. Am 7. November 1974 stellte diese Firma bei der Eidg. Polizeiabteilung das Gesuch, die Blumen in Zukunft auch an Sonntagen mit ihrem schweren Lastwagen bis ins Zentrallager des MGB führen zu dürfen. Die Polizeiabteilung verweigerte die Bewilligung. Die Beschwerde der Transportfirma und des MGB hiegegen wurde vom Eidg. Justiz- und Polizeidepartement (EJPD) am 24. April 1975 abgewiesen. Die Betroffenen erheben Verwaltungsgerichtsbeschwerde mit dem Antrag, die erbetene Bewilligung sei zu erteilen.
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Das Bundesgericht zieht in Erwägung: | |
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Entscheidend ist jedoch, ob die beabsichtigte Verwendung der schweren Lastwagen der holländischen Transportfirma für den sonntäglichen Transport von Basel nach Neuendorf durch zumutbare organisatorische Massnahmen oder durch die zumutbare Wahl eines andern Verkehrsmittels vermieden werden kann, wie das EJPD annimmt. Die Tatsache, dass dieser Transport heute bereits mit leichten Lieferwagen ausgeführt wird, lässt darauf schliessen, dass diese Annahme der Vorinstanz begründet ist.
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Die Beschwerdeführer wenden ein, die gegenwärtige Transportart sei eine "Notlösung", die ihnen nicht länger zugemutet werden dürfe, da sie im Vergleich mit der Verwendung eines schweren Lastwagens einen wesentlich grösseren Aufwand erfordere. Es ist jedoch in keiner Weise dargetan, dass die Weiterführung der sonntäglichen Transporte mit Lieferwagen für den MGB untragbar wäre. Gewiss sind die Gestehungskosten der Blumen im ganzen etwas höher, wenn die Fahrt von Basel nach Neuendorf am Sonntag nicht mit einem schweren Lastwagen, sondern mit mehreren Lieferwagen ausgeführt wird; doch macht die Verteuerung einer Sendung in der Woche einen derart kleinen Bruchteil der gesamten Einstandskosten aus, dass von Unzumutbarkeit nicht die Rede sein kann. Dem Interesse des MGB an der Einsparung von Kosten steht das öffentliche Interesse an der strikten Einhaltung des Sonntagsfahrverbotes gegenüber. Die Auffassung des EJPD, dass dieses öffentliche Interesse mehr Gewicht habe, ist nicht zu beanstanden.
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Die Beschwerdeführer machen auch geltend, dass für den Transport von Obst, Gemüse, Blumen usw. überhaupt nie eine Ausnahmebewilligung erteilt werden dürfte, wenn die blosse Möglichkeit, statt mit schweren Lastwagen mit Lieferwagen zu fahren, für die Verweigerung der Bewilligung genügte. Diese Argumentation geht fehl. In vielen Fällen von dringlichen Transporten im Sinne von Art. 92 Abs. 3 und 4 VRV besteht für den Absender, den Transporteur oder den Empfänger gar keine andere zumutbare Möglichkeit, als die Fahrt mit einem schweren Lastwagen durchzuführen. Wie gesagt, ist aber nicht nachgewiesen, dass es sich hier so verhält.
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Das EJPD deutet an, dass der MGB auch noch andere Möglichkeiten als den Einsatz von Lieferwagen habe, um die Fahrten mit schweren Lastwagen, deren Bewilligung nachgesucht wird, zu vermeiden. Dazu braucht nicht Stellung genommen zu werden. Es genügt festzustellen, dass dem MGB zugemutet werden kann, an Sonntagen die Blumen wie bisher mit Lieferwagen von Basel nach Neuendorf zu schaffen. Daraus ergibt sich, dass der angefochtene Entscheid durch Art. 92 Abs. 1 VRV gedeckt ist.
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3. Die Beschwerdeführer legen besonderes Gewicht auf den Einwand, dass es dem Zweck des Sonntagsfahrverbots offensichtlich zuwiderlaufe, sie auf die Möglichkeit der Fortsetzung der sonntäglichen Transporte mit Lieferwagen zu verweisen, weil 8-10 solche Fahrzeuge bedeutend mehr Lärm und Abgase erzeugten als ein einziger schwerer Motorwagen. Indes ist zu beachten, dass nach Art. 91 Abs. 3 VRV nur schwere und nicht auch leichte Motorlastwagen unter das Verbot fallen. Diese dem Gesetz (Art. 2 Abs. 2 SVG) entsprechende Beschränkung ist für den Richter verbindlich. Sie beruht offenbar auf der Überlegung, dass die Bevölkerung im allgemeinen durch schwere Lastwagen, die einen besonders starken Lärm verursachen, ja mitunter ganze Häuser erschüttern, in höherem Masse als durch leichte Lieferwagen belästigt wird. Es widerspricht daher keineswegs dem Sinn der Verordnung, den Beschwerdeführern wegen der Möglichkeit des weiteren Einsatzes mehrerer Lieferwagen die Ausnahmebewilligung zu verweigern, selbst wenn es zutreffen sollte, dass diese Fahrzeuge zusammen nicht nur mehr Abgase, sondern unter Umständen auch einen intensiveren Lärm als ein einziger schwerer Lastwagen erzeugen.
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Würde anders entschieden, so müssten auch in zahlreichen andern Fällen mit gleichem oder ähnlichem Sachverhalt Ausnahmebewilligungen für den Transport leicht verderblicher Waren (Lebensmittel usw.) erteilt werden, gleichviel ob es sich um importierte oder um inländische Güter handeln würde und ob der Transport über Autostrassen oder über sonstige Strassen ginge. Eine solche Lockerung der Bewilligungspraxis wäre aber mit dem Wortlaut und dem Sinn der VRV nicht vereinbar. Denn es muss damit gerechnet werden, dass sie zu einer Belästigung der Bevölkerung durch den nächtlichen und sonntäglichen Verkehr schwerer Motorlastwagen in einem Ausmass führen würde, das durch das Nacht- und Sonntagsfahrverbot eben verhindert werden soll. Zu Unrecht werfen die Beschwerdeführer dem EJPD vor, dass es die präjudizielle Bedeutung einer Gutheissung ihres Gesuches überschätze.
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Demnach erkennt das Bundesgericht:
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