BGE 101 Ib 292 | |||
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Bearbeitung, zuletzt am 15.03.2020, durch: DFR-Server (automatisch) | |||
52. Urteil vom 17. Oktober 1975 i.S. Sozialdemokratische Partei der Schweiz (SPS) gegen Generaldirektion PTT | |
Regeste |
Postverkehrsgesetz: Beförderung von Drucksachen. | |
Sachverhalt | |
In der Abstimmungskampagne zu einem neuen Verfassungsartikel betreffend die Krankenversicherung, über den das Schweizervolk am 8. Dezember 1974 entschied, wurde eine vierseitige Aufklärungsschrift durch die Post in die Haushaltungen verteilt. Die Schrift stammte vom "Aktionskomitee für die Initiative Soziale Krankenversicherung", dessen Mitglieder in der Mehrheit der SPS angehören. Die Post verlangte für den Versand dieser Drucksache eine Taxe von je 7 Rappen. Die SPS hält dafür, dass die Drucksache zum Vorzugstarif von je 5 Rappen zu befördern sei. Das Bundesgericht schützt den Standpunkt der Post.
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Erwägungen: | |
1. Das Postverkehrsgesetz unterscheidet zwischen einer gewöhnlichen Drucksachentaxe (Art. 17), einer ermässigten Taxe für Drucksachen ohne Adresse zur allgemeinen Vertragung (Art. 19) und einer noch stärker ermässigten sog. Zeitungstaxe für abonnierte Zeitungen und Zeitschriften (Art. 20 PVG). Die Taxe für Drucksachen ohne Adresse zur allgemeinen Vertragung innerhalb des Zustellgebietes einer Poststelle beträgt je nach Gewicht der Drucksache 7 bzw. 12 Rappen (Art. 19 Abs. 1 PVG). Drucksachen bis zu 50 g bei Sammelaktionen von gemeinnützigen Institutionen schweizerischer oder kantonaler Bedeutung (lit. a) oder von Parteien schweizerischer, kantonaler oder kommunaler Bedeutung (lit. b) gelangen nach Art. 19 Abs. 2 PVG in den Genuss eines Sondertarifs; die Beförderungstaxe beträgt nach Massgabe der vom Bundesrat zu erlassenden Bestimmungen 5 Rappen.
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Der Bundesrat hat in Art. 56b PVV den Begriff der politischen Parteien im Sinne von Art. 19 Abs. 2 lit. b PVG umschrieben. Als solche gelten die politischen Parteien, die in der Bundesversammlung, in einem Kantons- oder Gemeindeparlament oder in einer Gemeindeexekutive vertreten sind, und ferner andere politische Vereinigungen, sofern sie körperschaftlich organisiert sind und sich bei der Aufgabe der Drucksachen durch Vorweisung der Statuten als politische Partei ausweisen (Abs. 1). Nicht als Parteien gelten die für die Teilnahme an einer bestimmten Abstimmung oder Wahl gebildeten Komitees, Gruppen oder Vereinigungen (Abs. 2). Damit ist aber noch nicht positiv bestimmt, unter welchen konkreten Voraussetzungen der Post zur Beförderung übergebene Publikationen als "Drucksachen von Parteien" im Sinne von Art. 19 Abs. 2 lit. b PVG zu betrachten sind. Namentlich ist die Frage offen, ob es genügt, dass eine Partei eine Drucksache herstellen lässt und sie allenfalls auch finanziert oder ob die gesetzliche Ordnung verlangt, dass die Partei sich als Herausgeber und damit als Absender der Drucksache auch zu erkennen gibt.
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Diese Fragen standen in den parlamentarischen Beratungen 1972 zur Diskussion. Der Nationalrat beschloss vorerst - entgegen den bundesrätlichen Anträgen und Stellungnahmen - eine Lösung, welche die tarifliche Bevorzugung für "Drucksachen politischer, erzieherischer oder religiöser Natur" vorsah (Amtl.Bull. N. 1972 S. 848). Auf die Einwände des Ständerates hin, dass eine derartige Lösung, die nur auf den Charakter des Erzeugnisses abstelle, das Postschalterpersonal überfordere und deswegen administrativ undurchführbar sei (Amtl.Bull. N. 1972 S. 425), kam es im Differenzbereinigungsverfahren zu der nunmehr geltenden Formulierung, die nicht mehr auf die Natur der Drucksache abstellt, sondern auf den Absender. So führte der nationalrätliche Kommissionssprecher aus, was die Bevorzugung anbelange, wolle man jetzt vom Absender ausgehen. Zwar bringe auch dies den Posthaltern eine gewisse Mehrarbeit, doch sei es einfacher, Sendungen nach dem Absender zu differenzieren, als nach dem Inhalt der Sendung (Amtl.Bull. N. 1972 S. 1009).
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2. Der Vorzugstarif für "Drucksachen von Parteien" bezweckt offensichtlich die posttarifarische Begünstigung der politischen Parteien. Es sollen die in der Regel nur knapp dotierten Parteikassen geschont und damit indirekt den Parteien die Erfüllung der für das öffentliche Leben wichtigen politischen Aufgaben erleichtert werden. Unter diesem Gesichtspunkt betrachtet sind alle von einer Partei stammenden Drucksachen, welche die übrigen Voraussetzungen des Art. 19 PVG erfüllen, tarifbegünstigt. Es kommt deshalb an sich nicht darauf an, ob eine Partei in der Drucksache selbst ihre Urheberschaft und Herausgeberschaft ausdrücklich kundtut. Art. 19 PVG unterwirft die Parteien jedenfalls keiner eigentlichen Offenbarungspflicht; weder aufgrund der parlamentarischen Beratungen noch vom Zweckgedanken der gesetzlichen Bestimmung her lässt sich auf einen Zwang schliessen, die Parteien müssten zum Zwecke der Vermeidung von Unklarheiten ihre Trägerschaft in klar ersichtlicher Weise auf der Drucksache zum Ausdruck bringen. Anders verhält es sich, wenn eine Partei die Drucklegung eines Erzeugnisses zwar veranlasst und finanziert hat, aber nach aussen den Eindruck zu erwecken versucht, die Drucksache stamme von einer überparteilichen Aktion. Hier stellt sich nicht so sehr das Problem der Offenbarungspflicht, sondern jenes der Praktikabilität: Kann aus praktischen Gründen gestützt auf Art. 19 PVG gefordert werden, Text und Aufmachung müssten den Absender ersichtlich werden lassen? Diese Frage stand - wie erwähnt - in den parlamentarischen Beratungen zur Diskussion, und Gründe der Praktikabilität waren entscheidend für die heutige Fassung des Art. 19 Abs. 2 lit. b PVG. Den erwähnten parlamentarischen Beratungen kommt hinsichtlich der Auslegung des Art. 19 PVG deshalb grössere Bedeutung zu, da die geltende Fassung des Art. 19 Abs. 2 lit. b PVG erst nach einem sog. Differenzbereinigungsverfahren zustande kam. Damals wurden Gründe der Praktikabilität entscheidend für die Wahl der heute geltenden Fassung der gesetzlichen Privilegierungsregel ins Feld geführt. Dieser Gesichtspunkt ist daher entgegen der von der Beschwerdeführerin vertretenen Auffassung gesetzgeberisch bedeutungsvoll.
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Mit dem gesetzlichen Zweck wäre eine Berufung auf Gründe der Praktikabilität allerdings dann nicht vereinbar, wenn sie dazu führte, dass der gesetzlich angestrebte Zweck weitgehend vereitelt würde, d.h., wenn gestützt auf solche Gesichtspunkte die Parteien weitgehend um ihre posttarifarische Bevorzugung geprellt werden könnten. Dies ist indes nach der Praxis der Postbehörden, soweit sie im vorliegenden Verfahren zur Diskussion steht, nicht der Fall. Bei den meisten "Drucksachen von Parteien" ergibt sich der Absender ohne weiteres und zwangsläufig aus der Drucksache selbst; der Absender ist mithin mühelos durch die Organe der Post feststellbar. Abstimmungs- und Wahlmaterial, das eine vielfach, das andere vereinzelt, wird anstelle von oder in Zusammenarbeit mit Parteien von sog. Aktionskomitees herausgegeben. Der politische Gehalt derartiger Druckerzeugnisse ist unverkennbar; hingegen entfällt die in Art. 19 Abs. 2 lit. b PVG verlangte parteiliche Trägerschaft dann, wenn das Druckerzeugnis von einem ad hoc gebildeten Komitee oder einer sonstigen Gruppe oder Vereinigung herausgegeben und zum Versand gebracht wird. Deshalb ist es denn auch nicht rechtserheblich, dass in manch solchen Aktionskomitees eine oder mehrere politische Parteien über ihre Vertreter engagiert sind und die Parteikassen unter Umständen sogar finanzielle Beiträge zur Unterstützung solcher Aktionen leisten. Dem Erfordernis, dass die Anwendung des Art. 19 Abs. 2 lit. b PVG für die Organe der Post praktikabel sein muss, wäre jedenfalls nicht Genüge getan, wenn sich diese vor Versand einer unadressierten Drucksache immer erst vergewissern müssten, ob trotz gegenteiligem Anschein (Herausgabe durch Aktionskomitee) nicht doch eine Partei dahintersteht, welcher die Urheberschaft und die Trägerschaft zukommt sowie die Finanzierung der Drucksache obliegt und welche somit allenfalls Anspruch auf Privilegierung im Sinne von Art. 19 Abs. 2 lit. b PVG beanspruchen könnte.
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3. Die Beschwerdeführerin macht selbst nicht geltend, aus dem in Frage stehenden Flugblatt hätte sich in irgendeiner Weise ergeben, dass es sich um ein solches der SPS handle. Das Flugblatt vermeidet in der Tat jede direkte oder indirekte Bezugnahme auf die Partei. Auf der letzten Seite des Blattes werden im Sinne der Urheberschaftsbezeugung die Mitglieder des Aktionskomitees angeführt. Deren Mehrheit gehört der SPS an. Die einzelnen Namen der Komitee-Mitglieder sind beinahe durchwegs mit dem Hinweis auf die berufliche oder politische Stellung, nicht aber mit der Parteizugehörigkeit ergänzt. Die von der SPS und dem Schweiz. Gewerkschaftsbund lancierte Krankenversicherungs-Initiative, die zur Abstimmung gelangen soll, wird nicht im Originalwortlaut wiedergegeben; mit Bezug auf deren Urheber heisst es, es handle sich um "fortschrittliche Kreise aus allen Bevölkerungsschichten". Lediglich in einem Zitat aus einer Rede von alt Bundesrat Tschudi ist von der "sozialdemokratisch-gewerkschaftlichen Krankenversicherungs-Initiative" die Rede. Es kann dahingestellt bleiben, ob die damit erreichte politische Neutralisierung es erst möglich gemacht hat, die Flugblattaktion von einem überparteilichen Aktionskomitee tragen zu lassen, und mit ihr Wirkungen anzustreben, die mit einem eigentlichen Parteierzeugnis nicht hätten erzielt werden können. Wesentlich ist, dass die in Frage stehende Drucksache nicht ersichtlich werden lässt, dass sie von einer Partei, in concreto der SPS, stammt. Ein Anrecht, dass sie als "Drucksache von Parteien" im Sinne von Art. 19 Abs. 2 lit. b PVG zu einem Vorzugstarif befördert wird, besteht somit nicht.
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Daraus erhellt, dass der angefochtene Entscheid Bundesrecht nicht verletzt. Die Rügen der Beschwerdeführerin bedürfen somit keiner weiteren Erörterung. Mit der Vorinstanz braucht entsprechend der erwähnten Auslegung des Art. 19 Abs. 2 lit. b PVG nicht näher abgeklärt zu werden, ob und allenfalls in welchem Ausmass die SPS tatsächlich Urheber der Flugblattaktion war und diese auch finanziert hat. Dieser nicht abgeklärte Sachverhalt ist rechtlich im vorliegenden Fall nicht erheblich.
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