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63. Urteil der I. Zivilabteilung vom 25. November 1975 i.S. Brupbacher und Mitbeteiligte gegen Eidg. Amt für das Handelsregister. | |
Regeste |
Verwaltungsgerichtsbeschwerde. Handelsregister. |
Art. 944 Abs. 1 OR, 44 Abs. 1 HRegV. |
Prüfungsbefugnis des Bundesgerichts. |
Sachbegriffe ohne Kennzeichnungskraft dürfen nicht als alleiniger Inhalt einer Firma anerkannt werden. Unzulässigkeit der Firma "Inkasso AG" (Erw. 5). |
Voraussetzungen, unter denen eine Verwaltungsbehörde ihre Praxis ändern darf (Erw. 6). | |
Sachverhalt | |
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Auf Verlangen der Gründer erliess das Eidg. Amt am 24. Juni 1975 eine beschwerdefähige Verfügung.
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B.- Die Gründer, die vorläufig die Firma in "Inkassoservice AG" umbenannt haben, beantragen mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde, ihnen die Firma "Inkasso AG" zu bewilligen.
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Das Eidg. Amt für das Handelsregister beantragt sinngemäss die Abweisung der Beschwerde.
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Das Bundesgericht zieht in Erwägung: | |
1. Die Gründer einer Aktiengesellschaft bilden bis zu deren Eintragung eine einfache Gesellschaft und sind, wenn sie im vorinstanzlichen Verfahren als Partei zugelassen worden ![]() | 5 |
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a) Das Bundesgericht hatte im erwähnten Entscheid darüber zu befinden, ob sich die Firma "Aussenhandel-Finanz AG" von der eingetragenen Firma "Aussenhandel AG" genügend unterscheide. Es bejahte zuerst die Verwechselbarkeit der beiden Firmen (a.a.O. S. 226/27). Sodann setzte es sich mit der Auffassung PEDRAZZINIS (Bemerkungen zur neueren firmenrechtlichen Praxis, in "Lebendiges Aktienrecht", Festgabe für Wolfhart Friedrich Bürgi, S. 309) auseinander, der unter Berufung auf das öffentliche Interesse (Art. 944 Abs. 1 OR) ![]() | 9 |
Das Gesetz gewährt den Schutz "jeder in der Schweiz bereits eingetragenen Firma" (Art. 951 Abs. 2 OR). Da im Firmenrecht - im Gegensatz zum Marken- Muster- und Patentrecht (vgl. TROLLER, Immaterialgüterrecht, Bd. II, 2 Aufl. S. 1108/9) - die Nichtigkeit durch Klage oder Einrede nicht geltend gemacht werden kann, hat der Richter nicht zu prüfen, ob eine Firma zu Recht eingetragen worden ist. Es liesse sich mit dem vom Bundesgericht (a.a.O.) hervorgehobenen öffentlichen Interesse an deutlich unterscheidbaren Firmen kaum vereinbaren, eine neue Firma trotz Verwechselbarkeit nur deshalb zuzulassen, weil die früher eingetragene gar nicht hätte zugelassen werden dürfen. Die Erwägungen über die Zulässigkeit der Firma "Aussenhandel AG" sind im Zusammenhang mit der Frage zu verstehen, ob gegenüber dem Nachbenützer einer reinen Sachbezeichnung hinsichtlich Unterscheidbarkeit geringere Anforderungen zu stellen seien, wie das ebenfalls von PEDRAZZINI (a.a.O. S. 308) angeregt wurde. Auch unter diesem Vorbehalt gehen die Erwägungen des genannten Entscheides doch eindeutig dahin, dass der Erstbenützer ![]() | 10 |
b) Das Amt berief sich für seine Praxisänderung zunächst auf BGE 43 II 93 ff., einen markenrechtlichen Entscheid, wonach die Rechtsprechung selbst im Firmenrecht je länger je mehr die Tendenz verfolge, die reinen Sachbezeichnungen nicht als ausschliessliches Recht zuzuerkennen, sondern auch den andern Benützern offenzuhalten. Dieser Entscheid und die darin erwähnten früheren Urteile machten klar, dass das Bundesgericht die alleinige Beanspruchung einer Sachbezeichnung nur insoweit ablehnte, als damit Dritten die Verwendung überhaupt untersagt werden wollte, und dass die Mitbenützung stets zugelassen wurde, wenn die Nachbenützer durch entsprechende Zusätze für genügende Unterscheidung sorgten. Den gleichen Sinn haben auch verschiedene spätere Urteile (BGE 54 II 128 "Fleischwaren AG", BGE 59 II 159 "Migros") und insbesondere BGE 82 II 340 "Eisen und Metall AG", der PEDRAZZINI hauptsächlich zur Kritik Anlass gab (a.a.O. S. 306). Dieses Urteil bestätigt, dass der Erstbenützer unter Umständen eine Sachbezeichnung bis zu einem gewissen Grad für sich beanspruchen kann, was aber die notwendige Folge der gesetzlichen Ordnung sei, welche der Aktiengesellschaft die firmenmässige Verwendung einer Sachbezeichnung erlaube (a.a.O. S. 342). Wenn das Bundesgericht sodann in dem vom Amt ebenfalls angeführten Entscheid BGE 83 II 259 ("Apostolische Gemeinde") erklärte, juristische Personen dürften allgemeine Sachbegriffe für ihren Namen nicht allein gebrauchen, so ist diese Auffassung nach dem Zusammenhang so zu verstehen, dass Nachbenützern die gleiche Bezeichnung offenstehe, wenn sie einen unterscheidungskräftigen Zusatz beifügen (vgl. ferner BGE 94 II 129 "Filtro SA", BGE 97 II 158 "Isola-Werke", BGE 98 II 63 und 69 "Standard Commerz Bank").
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c) Die geschilderte Rechtsprechung macht jedenfalls keinen Unterschied, ob die zu schützende Firma ausschliesslich in einer Sachbezeichnung bestand oder diese nur als Bestandteil enthielt. Immerhin hat das Bundesgericht in jenem Fall wiederholt entscheidend auf die weitere Voraussetzung abgestellt, dass die Sachbezeichnung durch langen Gebrauch und Anerkennung in den beteiligten Kreisen sich zum unterscheidungskräftigen ![]() | 12 |
Im Ergebnis ist somit festzuhalten, dass das Bundesgericht im Entscheid 100 II 224 ff. die Rechtsprechung nicht geändert, sondern bestätigt hat.
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a) Es ist der Meinung, das Bundesgericht dürfe die angefochtene Verfügung nur unter dem Gesichtspunkt der Ermessensüberschreitung oder des Ermessensmissbrauchs überprüfen. Richtig ist, dass das Amt nach Ermessen entscheidet, wenn es nach Art. 45 und 46 HRegV ausnahmsweise die firmenmässige Verwendung nationaler, territorialer oder regionaler Bezeichnungen gestattet. Denn die Verordnung legt nicht fest, welches die besonderen Umstände sind, die eine solche Ausnahme rechtfertigen. Das Bundesgericht hat daher einen entsprechenden Entscheid des Amtes stets auf Ermessensüberschreitung und Ermessensmissbrauch hin überprüft und es abgelehnt, sein eigenes Ermessen anstelle jenes des Amtes zu setzen (BGE 93 I 564, BGE 96 I 611, BGE 97 I 75). Diese Rechtsprechung setzt aber voraus, dass Gesetz oder Verordnung einen Entscheid in das Ermessen des Amtes legen. Sie gilt nicht für die Beurteilung eines Eintragungsbegehrens nach Art. 944 Abs. 1 OR und Art. 44 Abs. 1 HRegV, wie das Amt unter Berufung auf gewisse, zu sehr verallgemeinernde Erwägungen ![]() | 15 |
b) Das Amt behauptet, eine Firma widerspreche in der Regel dem Gebot der Firmenwahrheit wie auch dem Täuschungs- und Reklameverbot, wenn sie bloss aus einer Sach- oder Tätigkeitsbezeichnung bestehe. Es lässt sich in der Tat die Auffassung vertreten, eine so allgemein gefasste Bezeichnung wie "Inkasso AG" erwecke den Eindruck, dass das fragliche Unternehmen eine hervorragende Marktstellung habe (die Inkasso-Gesellschaft). In diesem Sinne äussert sich jedenfalls HIS (Art. 946 OR, N. 46), und in die gleiche Richtung weisen die zitierten Entscheide (Erw. 5a am Ende). Indessen fragt es sich, ob der Durchschnittsleser, auf den es ankommt (BGE 100 Ib 243), die Firma tatsächlich so versteht. Eine solche Befürchtung ist denn auch während Jahrzehnten nie aufgekommen, da sonst nicht bis vor zwei Jahren allgemeine Sachbezeichnungen in grosser Zahl als Firmen im Handelsregister eingetragen worden wären.
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c) Das Amt vertritt sodann die Auffassung, das nach Art. 944 Abs. 1 OR zu wahrende öffentliche Interesse gebiete die Freihaltung reiner Sachbezeichnungen.
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d) Es fragt sich anderseits, ob es nach Art. 944 Abs. 1 OR auch im öffentlichen Interesse liege, reine Sachbezeichnungen von der Firmenbildung auszuschliessen. Das öffentliche Interesse, welches Art. 944 Abs. 1 OR vorbehält, hat den Sinn einer Generalklausel (vgl. dazu ProtExpK. 1924/25, S. 695 ff.). Es dürfte in erster Linie Firmen betreffen, die ihm im konkreten Fall zuwiderlaufen, wie z.B. unsittliche Bezeichnungen, die gegen das religiöse, sittliche oder nationale Empfinden verstossen VON BÜREN, Komm. zum UWG, S. 129 N. 72). Zudem kann es für sich genommen auch generelle Gesichtspunkte wie das Freihaltebedürfnis decken, nicht aber Bezeichnungen verhindern, die das Gesetz selbst ausdrücklich zulässt (vgl. BGE 100 II 228).
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Nach Art. 944 Abs. 1 OR darf jede Firma Angaben über die Natur des Unternehmens enthalten. In diesem Sinne gilt auch der Hinweis auf die Tätigkeit eines Geschäftes, und als solcher wird die Bezeichnung "Inkasso" in der Öffentlichkeit allgemein, nicht nur von den Fachleuten des Rechnungswesens verstanden, wie die Beschwerdeführer einwenden. Sachangaben sind aber nur "neben dem vom Gesetze vorgeschriebenen wesentlichen Inhalt" der Firma zugelassen. Diese Fassung deckt Firmen nicht, in denen die Sachangabe nicht bloss Bestandteil, sondern einziger Inhalt ist. Zu einem andern Ergebnis könnte der Grundsatz der Firmenwahlfreiheit (Art. 950 Abs. 1 OR) führen, wenn daraus zu schliessen wäre, dass die Firma der Aktiengesellschaft - im Unterschied zu den Personenangaben der Art. 945 und 947 OR - von Gesetzes wegen einen wesentlichen Inhalt nicht besitze. Dieser Schluss geht aber zu weit, wenn er es rechtfertigen soll, reine Sachbezeichnungen des sprachlichen Gemeingebrauchs zum ausschliesslichen ![]() | 20 |
e) Im übrigen lässt diese Auslegung es zumindest zu, das Freihaltebedürfnis auch als öffentliches Interesse zu berücksichtigen. Im Entscheid 100 II 228 hat das Bundesgericht erklärt, das öffentliche Interesse dränge angesichts des heutigen Wirtschaftsgeschehens (Konzentration und Diversifikation) mehr denn je auf klare Unterscheidung der Firmen. Es stellte daher im Firmenschutzprozess der "Aussenhandel AG" gegen die "Aussenhandels-Finanz AG" entsprechend strenge Anforderungen an die Bezeichnung des Nachbenützers. Das öffentliche Interesse gebietet aber schon beim Erstbenützer einer Sachbezeichnung, dass diese die Firma kennzeichne und von andern Unternehmen unterscheide. Es widerspricht daher Art. 944 Abs. 1 OR nicht, Sachbegriffe des Gemeingebrauchs nicht als alleinigen Inhalt einer Firma anzuerkennen, auch wenn sie - im Unterschied zum Markenrecht (Art. 14 Abs. 1 Ziff. 2 MSchG) - als wesentlicher Bestandteil in der Firma der Aktiengesellschaft zugelassen werden. Das Amt verletzte somit Bundesrecht nicht, wenn es die Eintragung der Firma "Inkasso AG" ablehnte. Inwiefern diese allenfalls zu ergänzen ist, steht hier nicht zur Beurteilung.
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Verstösse gegen Art. 4 BV können als Verletzung von Bundesrecht geltend gemacht werden (Art. 104 lit. a OG; BGE 96 I 89, 187). Wie dargelegt, ist die neue Praxis des Amtes gerechtfertigt. Zudem ist nicht bestritten, dass das Amt sie seit zwei Jahren allgemein, nicht nur gegenüber den Beschwerdeführern befolgt. Es kann einer Behörde nicht verwehrt sein, eine Übung aufzugeben, die sie als unrichtig erkannt hat oder deren Verschärfung sie wegen veränderter Verhältnisse oder zunehmender Missbräuche für zweckmässig hält (BGE 91 I 218 BGE 97 I 78 und dort erwähnte Entscheide).
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Im übrigen ändert die neue Praxis des Amtes nichts daran, dass Firmen, die früher eingetragen wurden und den neuen Grundsätzen nicht entsprechen, weiterhin nach Art. 956 OR geschützt werden. Dabei behält die zugehörige Rechtsprechung einschliesslich BGE 100 II 224 ff. auch künftig ihre Bedeutung. Das führt auch nicht zu der von KUMMER (ZBJV 109/1973 S. 146) befürchteten Verwässerung des Firmenschutzes.
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Demnach erkennt das Bundesgericht:
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