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Bearbeitung, zuletzt am 15.03.2020, durch: DFR-Server (automatisch) | |||
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50. Auszug aus dem Urteil vom 12. November 1976 i.S. Fatzer gegen Regierungsrat des Kantons Zürich | |
Regeste |
Entzug des Führerausweises. |
- Unvereinbarkeit des Vollstreckungsverzichtes mit dem Grundsatz der Rechtsgleichheit (E. 3e). |
- Unzulässigkeit, die Praxis des Vollstreckungsverzichtes als Gewohnheitsrecht zu betrachten (E. 3f). | |
Sachverhalt | |
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Das Bundesgericht erachtet den Entzug des Führerausweises als gerechtfertigt und nimmt zur Frage des Vollzugsverzichtes wie folgt Stellung:
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Aus den Erwägungen: | |
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Nach dieser Praxis wären im vorliegenden Fall die Voraussetzungen gegeben, um auf einen Vollzug zu verzichten. Das EJPD unterstützt denn auch in seiner Vernehmlassung einen Verzicht auf den Vollzug der Massnahme.
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b) Das Bundesgericht hat bis jetzt zu dieser Praxis des EJPD nie Stellung nehmen müssen und hat die Frage offen gelassen, ob diese mit dem Gesetz vereinbar sei (BGE 96 I 779, Entscheid des Bundesgerichts vom 24.5.1972 i.S. T., in ZWallRspr. 1972, S. 445). Dabei wurde allerdings ausgeführt, es sei fraglich, ob die Behörden auf die Vollstreckung des Führerausweisentzuges verzichten könnten (BGE 96 I 779).
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c) Der Verzicht auf den Vollzug des Führerausweisentzuges ist nicht eine Massnahme oder Modalität der Vollstreckung. Er ändert vielmehr mit einer neuen, selbständigen Verfügung zum Teil die ursprüngliche Entzugsverfügung (BGE 97 I 605 f.). Diese wird zwar formell in Kraft gelassen und belastet damit den automobilistischen Leumund eines fehlbaren Lenkers. Sie erfährt aber eine Änderung, indem sie als nicht mehr vollziehbar erklärt wird.
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Die Änderung von Entzugsverfügungen durch Verzicht auf die Vollstreckung findet ihre Grundlage nicht im Gesetz. Darauf ![]() | 7 |
d) Die nachträgliche Änderung oder Aufhebung von Verfügungen durch die Verwaltung ist jedoch nicht ausgeschlossen, wenn das betreffende Gesetz keinen Hinweis darauf enthält. Die Rechtsprechung und Doktrin haben vielmehr Kriterien entwickelt für die Anpassung einer ursprünglich fehlerfreien Verfügung an inzwischen eingetretene Tatsachen, für die Rücknahme von fehlerhaften Verfügungen und schliesslich für die Feststellung der Nichtigkeit.
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Der Verzicht auf den Vollzug des Führerausweisentzuges kann keiner dieser Fallgruppen zugeordnet werden. Am ähnlichsten ist er der Anpassung von Verfügungen an inzwischen eingetretene Tatsachen.
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Die Kriterien für diese Anpassung sind bei Verfügungen entwickelt worden, die dauernde Rechtsverhältnisse begründen und darum durch die zeitliche Entwicklung überholt werden können. Zudem bedeutet eine Anpassung einer Verfügung, wie sie von der Praxis entwickelt worden ist, meistens eine Verschlechterung der Rechtsstellung des Verfügungsadressaten, die u.U. mit dem Grundsatz der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes in Konflikt kommen kann. Darum wird in solchen Fällen eine Wertabwägung durchgeführt, auf Grund welcher eine Verfügung den neuen Verhältnissen angepasst wird, wenn das Interesse an der richtigen Anwendung des Rechtes dem Interesse an der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes vorgeht.
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Beim Verzicht auf die Vollstreckung des Führerausweisentzuges ist die Problemlage jedoch anders. Erstens ist die Dauer der Massnahme in den meisten Fällen nicht so lang, dass es nötig werden kann, inzwischen eingetretene Tatsachen zu berücksichtigen. Zweitens handelt es sich beim Verzicht auf den Vollzug um eine Verbesserung der Stellung des Verfügungsadressaten. Aus diesem Grund dürfte die Rechtssicherheit und der Vertrauensschutz keine Rolle spielen. Der Verzicht auf den Vollzug des Führerausweisentzuges kann somit nicht dem Institut der Anpassung von Verfügungen, wie es von der Praxis entwickelt worden ist, zugeordnet werden.
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e) Der Vollzugsverzicht ist vor allem auch unter dem Gesichtspunkt der Rechtsgleichheit zu beanstanden (GYGI, a.a.O. S. 127). Fahrzeuglenker, die einen Führerausweisentzug nämlich ohne Ergreifen eines Rechtsmittels akzeptieren, gelangen nie in den Genuss eines Vollzugsverzichtes. Fehlbare Fahrzeuglenker jedoch, die alle ihnen zur Verfügung stehenden Rechtsmittel bis zur letzten Instanz benützen, werden den Vollzug des Führerausweisentzuges vielfach so lange hinauszögern können, bis ein Vollzugsverzicht bei gleichzeitigem Vorliegen der anderen vom EJPD verlangten Voraussetzungen in Frage kommt. Dies ist um so eher möglich, wenn die Administrativbehörden den Ausgang eines länger dauernden Strafverfahrens in der gleichen Sache abwarten, bevor sie über den Führerausweisentzug entscheiden.
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f) Unzulässig ist es schliesslich, die Praxis des Verzichtes auf den Entzug des Führerausweises als Gewohnheitsrecht zu betrachten, wie dies von STAUFFER vorgeschlagen wird (a.a.O. S. 89). Einmal scheint die zeitliche Dauer der Praxis für eine Bildung von Gewohnheitsrecht sehr kurz. Entscheidend ist aber, dass das Bundesgericht mehrmals Vorbehalte zu dieser Praxis angebracht oder die Frage der Vereinbarkeit mit dem Gesetz zumindest offen gelassen hat. Die Praxis des Entzugsverzichtes kann bei dieser Lage nicht die opinio iuris et necessitatis für sich in Anspruch nehmen, die Voraussetzung für die Bildung von Gewohnheitsrecht wäre.
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g) Zusammenfassend muss festgestellt werden, dass der Verzicht auf die Vollstreckung des Führerausweisentzuges eine Massnahme ist, die weder vom Gesetz noch durch die allgemeinen Grundsätze des Verwaltungsrechts gerechtfertigt wird. Diese Praxis ist daher rechtswidrig und muss aufgegeben werden (so auch GYGI, a.a.O. S. 127).
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Demnach erkennt das Bundesgericht:
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