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37. Urteil vom 1. Juli 1977 i.S. Gourmesa Gourmet Menu S.A. gegen Eidg. Departement des Innern | |
Regeste |
Verkehr mit Lebensmitteln. |
Zuständigkeit des Eidg. Gesundheitsamtes (E. 2). Ist ihre nachträgliche Bestreitung missbräuchlich? Frage offengelassen (E. 1). |
Das Produkt darf weder als diätetisches Lebensmittel noch als Zucker in Verkehr gebracht werden (E. 3 und 4). Gefahr einer Irreführung der Konsumenten (E. 5). Grundsatz der Verhältnismässigkeit (E. 7). Rechtsungleiche Behandlung? (E. 8). Verweigerung des rechtlichen Gehörs? (E. 9). | |
Sachverhalt | |
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Auf der in Deutschland verwendeten Packung ist der Marke "Süssli" die Sachbezeichnung "Spezialzucker mit 0,2% Süssstoff" beigefügt. Ein weiterer Schriftbalken besagt: "50% weniger Kalorien bei gleicher Süsskraft wie Normalzucker (1 Löffel Süssli süsst wie 1 Löffel Normal-Zucker)". Auf einer Seitenwand der Packung steht: "Süssli süsst mit halb soviel Kalorien wie Normal-Zucker. Deshalb: Süssli für gesundes Schlanksein. Süssli vermindert die Zufuhr von Kohlenhydraten durch den Gehalt von kalorienfreiem Süssstoff."
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Das EGA lehnte das Gesuch am 11. Juni 1975 ab mit der Begründung: In der Lebensmittelgesetzgebung gelte das Reinhalteprinzip. Saccharose sei in Art. 232 LMV beschrieben. Dort sei der Zusatz eines künstlichen Süssstoffes nicht erwähnt; er sei daher unzulässig (Art. 9 LMV). Anders wäre auch dann nicht zu entscheiden, wenn das Produkt in die diätetischen Lebensmittel einzureihen wäre.
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Auf Beschwerde der Gourmesa hin nahm das EGA die Verfügung vom 11. Juni 1975 zurück. Im Einverständnis mit der Beschwerdeführerin unterbreitete es der wissenschaftlichen Subkommission der Eidg. Ernährungskommission (EEK) die Frage, ob "Süssli" als diätetisches Lebensmittel betrachtet werden könne. Die Subkommission verneinte dies.
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Daraufhin lehnte das EGA am 30. Juni 1976 das Gesuch der Gourmesa erneut ab. Die Beschwerde der Gesuchstellerin gegen diese Verfügung wurde vom Eidg. Departement des Innern abgewiesen. Die Gourmesa ficht den Entscheid des Departements mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde an.
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Das Bundesgericht zieht in Erwägung: | |
1. Die Beschwerdeführerin hat sich selber, mit ihrem Gesuch vom 5. Juni 1975, an das EGA gewandt und von ihm ![]() | 6 |
2. Gemäss Art. 56 Abs. 1 LMG liegt die Ausführung dieses Gesetzes und der bundesrätlichen Erlasse, mit Ausnahme der Grenzkontrolle, den Kantonen ob. Die Anwendung der Lebensmittelgesetzgebung ist demnach in der Regel primär Sache der kantonalen Instanzen. Die Lebensmittelverordnung weist dem EGA nur in einigen Fällen Verfügungskompetenzen zu (BGE 97 I 855). Gerade für diätetische Lebensmittel bestimmt sie aber, dass Anpreisungen, welche deren besondere Zweckbestimmung und Wirkung hervorheben, der Bewilligung durch das EGA bedürfen (Art. 19 Abs. 3, Art. 182 Abs. 3). Solche Anpreisungen stehen auf der von der Beschwerdeführerin vorgelegten Packung, die in Deutschland verwendet wird. Die Beschwerdeführerin möchte die Frage, welche Hinweise oder Anpreisungen sie anbringen dürfe, von derjenigen trennen, ob es sich um ein zulässiges Diäterzeugnis handle, diese Frage also als Grundsatzfrage vorwegnehmen. Eine solche Aufspaltung ist aber praktisch kaum durchführbar. Da es zahlreiche Arten von Diätprodukten für die verschiedensten Ernährungsbedürfnisse gibt, erscheint eine Spezifikation in jedem Einzelfall unerlässlich und können die beiden Fragen regelmässig nicht unabhängig voneinander beurteilt werden. Aber selbst dann, wenn man davon ausginge, dass die Vorfrage, ob das ![]() | 7 |
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"Unter 'diätetischen Lebensmitteln' versteht man Lebensmittel, die dazu bestimmt sind, aufgrund ihrer Zusammensetzung den besonderen Ernährungsbedürfnissen eines Menschen zu entsprechen, der eine von der herkömmlichen Art etwas abweichende Kost benötigt oder bei dem durch eine gerichtete Ernährung eine besondere Wirkung erzielt werden soll." Die Ausdrücke "abweichende Kost" und "gerichtete Ernährung" lassen darauf schliessen, dass man unter diätetischen Lebensmitteln in erster Linie, wenn nicht ausschliesslich, gebrauchsfertige Nahrungsmittel oder Getränke zu verstehen hat. Als gebrauchsfertig hätten sie auch dann noch zu gelten, wenn sie beispielsweise unter Beifügung von Wasser oder Milch (Kindernährmittel) zuvor zu kochen oder aufzuwärmen wären. Eine weitere Bestätigung findet sich in Art. 180 Abs. 3 LMV, wonach unter die diätetischen Lebensmittel insbesondere Säuglings- und Kindernährmittel, Lebensmittel ![]() | 9 |
Eine Ernährung aus blossem Zucker, Spezialzucker oder in Form von Süssstoffen wird man vernünftigerweise von vornherein nicht in Betracht ziehen und jedenfalls nicht als Diätkost verstehen. Eine Auslegung, die völlig an den Lebensgewohnheiten vorbeiginge, kann nicht zutreffen. Ein Spezialzucker mit geringfügigem Saccharinzusatz kann demnach für sich allein nicht als diätetisches Nahrungsmittel gelten, ob nun der Kaloriengehalt auf das Gewicht oder auf das Volumen bezogen wird.
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Diese Auslegung wird durch Art. 180 Abs. 1 Satz 2 LMV gestützt, wonach die diätetischen Lebensmittel sich von anderen Lebensmitteln vergleichbarer Art durch ihre Zusammensetzung oder ihre Eigenschaften wesentlich unterscheiden müssen. Dieser Bestimmung wird jedenfalls der Spezialzucker, den die Beschwerdeführerin vertreiben möchte, nicht gerecht. Er besteht nach ihren eigenen Angaben zu 99,8% aus Saccharose, also aus Zucker. Der gewöhnliche Zucker muss nach Art. 232 LMV ebenfalls mindestens 98% Saccharose enthalten. Der Spezialzucker "Süssli" unterscheidet sich also von ihm in der Zusammensetzung hinsichtlich des wichtigsten Bestandteils nicht wesentlich.
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Aus diesen Erwägungen ergibt sich, dass das Gemisch "Süssli" nicht als diätetisches Lebensmittel in Verkehr gebracht werden darf.
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4. Der Inverkehrsetzung dieses Produktes stehen aber noch andere Gründe entgegen. Jedes Lebensmittel muss eine Sachbezeichnung tragen (Art. 13 LMV), die selbstverständlich nicht täuschend sein darf. Für ein Erzeugnis mit 99,8% Saccharose müsste die Sachbezeichnung den Ausdruck Zucker enthalten. "Süssli" wird denn auch auf der in Deutschland verwendeten Packung als "Spezialzucker" bezeichnet. Die Inverkehrsetzung des Produktes als Zucker ist indessen nach ![]() | 13 |
In dieser Beziehung gilt also das in Art. 9 LMV ausgesprochene Reinhalteprinzip. Es bedeutet, dass die Lebensmittel in der Regel ohne Veränderung ihrer natürlichen Beschaffenheit in Verkehr gebracht werden sollen, damit der Konsument gegen Täuschung über die Echtheit und Reinheit der gekauften Ware geschützt wird (vgl. BURCKHARDT, Komm. der BV, 3. Aufl. S. 620 f.; BGE 94 IV 109 ff.).
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Wesentlich ist, ob ein Lebensmittel mit den Vorschriften der Lebensmittelverordnung nach richtiger Auslegung im Einklang steht oder nicht und dass diese Vorschriften selbst geeignet sind, dem Gesetzeszweck zu dienen (BGE 99 Ib 380, 389 E. 3, BGE 98 IV 135). Eine Gefährdung des geschützten Gutes muss nicht in jedem Einzelfall dargetan sein (BGE 100 Ib 98 f.; ANDREAS JOST, Die neueste Entwicklung des Polizeibegriffs im schweizerischen Recht, Diss. Bern 1975, S. 81).
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Übrigens lässt sich im vorliegenden Fall eine Gefährdung nicht mit Grund bestreiten. Im Verkehr mit diätetischen Lebensmitteln bedürfen die Konsumenten des Schutzes gegen Täuschung in besonderem Mass (BGE 98 IV 136). Wohl enthält ein bestimmtes Volumen des Produktes "Süssli" 50% weniger Kalorien als das gleiche Volumen reinen Zuckers; bezogen auf die Gewichtsbemessung, die bei der Zubereitung von Speisen üblich ist, macht aber die Kalorienverminderung bloss 0,2% aus. Die Gefahr einer Irreführung des Konsumenten ![]() | 17 |
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Wenn mit der in diesem Punkt unklaren Beschwerde überdies gerügt sein sollte, dass die massgebenden Bestimmungen der Lebensmittelverordnung selbst nicht gesetzmässig seien oder der Handels- und Gewerbefreiheit widersprächen, so fehlt es an Ausführungen, die eine Prüfung nach dieser Richtung angezeigt erscheinen lassen könnten. Es besteht kein Anlass, von Amtes wegen eine solche Prüfung vorzunehmen.
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7. Die Beschwerdeführerin macht auch geltend, der Grundsatz der Verhältnismässigkeit sei verletzt, weil mit erläuternden Hinweisen jede Gefahr einer Täuschung oder Verwirrung ![]() | 20 |
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Das Erzeugnis "Sionon", auf dessen Zulassung die Beschwerdeführerin hinweist, ist zu 99,89% aus dem Zuckerersatz Sorbit (vgl. Art. 183 Abs. 3 LMV in der Fassung vom 11. Februar 1970) und zu 0,11% aus Saccharin zusammengesetzt. Dies wird im angefochtenen Entscheid festgestellt und ist nicht bestritten. Das Erzeugnis ist mithin nicht aus Zucker und künstlichem Süssstoff zusammengesetzt und wird ebensowenig als kalorienarmer Zucker, sondern als für Diabetiker bestimmter Zuckeraustauschstoff im Verkehr gebracht. Der Sorbit ist in der Lebensmittelverordnung nicht definiert. Er ist den künstlichen Süssstoffen gleichgestellt ![]() | 22 |
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Der Einwand ist vor allem aber auch deswegen zu verwerfen, weil aus den vorstehenden Erwägungen hervorgeht, dass die Beschwerdesache ohne Rückgriff auf die Meinung der Sachverständigen aufgrund der anerkannten Zusammensetzung des Produktes "Süssli" und der Auslegung der massgebenden Vorschriften beurteilt werden kann.
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Demnach erkennt das Bundesgericht:
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