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31. Urteil vom 29. September 1978 i.S. Eidg. Polizeiabteilung c. V., Polizeidepartement und Verwaltungsgericht des Kantons Solothurn | |
Regeste |
Beschränkte Fahrerlaubnis für Epileptiker; Art. 8 Abs. 3 VZV. |
2. Anforderungen an das ärztliche Eignungsgutachten gemäss Art. 8 Abs. 3 VZV (E. 2c). Überprüfung des Gutachtens in casu (E. 2e). Berücksichtigung privater Interessen (E. 2f). |
3. Zulässigkeit räumlicher Begrenzungen der Fahrerlaubnis; Art. 26 VZV (E. 3). |
4. Die Auflagen müssen im Dispositiv der Zulassungsverfügung aufgeführt werden (E. 4). | |
Sachverhalt | |
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"Das Traktorfahren im Bereich des Landwirtschaftsbetriebes wird erlaubt. Es dürfen nur Feldwege benützt werden. Fahrten auf Strassen, die einem breiteren Verkehrsteilnehmerkreis dienen, sind nicht gestattet, auch dann nicht, wenn die Fahrt (im weiteren Sinne) landwirtschaftlichen Zwecken dienen sollte (z.B. Fahrt zur Landw. Genossenschaft, etc.)."
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Auf Beschwerde von V. dehnte das Verwaltungsgericht des Kantons Solothurn am 22. April 1977 die Fahrerlaubnis dahin aus, dass V. zur Bewirtschaftung seines Hofes im ganzen Gemeindegebiet von Hochwald und Seewen auf allen Arten von Strassen Traktorfahrten ausführen dürfe; Fahrten ausserhalb des Gebietes der beiden Gemeinden blieben dagegen weiterhin verboten. Hiegegen führt die Eidg. Polizeiabteilung Verwaltungsgerichtsbeschwerde mit dem Antrag, den Entscheid aufzuheben und die Sache zur Neubeurteilung an das Verwaltungsgericht zurückzuweisen. Die neurologische Universitätsklinik Basel erstattete am 7. September 1977 nach einem neuen epileptischen Anfall des V. und am 19. Mai 1978 auf Ersuchen des Bundesgerichtes weitere Gutachten. Das Bundesgericht heisst die Beschwerde teilweise gut aus folgenden
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Erwägungen: | |
1. a) Nach Art. 36 Abs. 1 VZV hat die Verwaltungsbehörde des Wohnsitzkantons Personen, die sich infolge körperlicher oder geistiger Krankheiten und Gebrechen oder sonst nicht eignen, das Führen von Motorfahrzeugen, für die ein Führerausweis nicht erforderlich ist, zu untersagen. Der Beschwerdegegner braucht unbestrittenermassen gemäss Art. 151 Abs. 1 lit. e VZV für das Führen seines Traktores keinen Führerausweis, weshalb die kantonalen ![]() | 4 |
b) Epileptiker werden gemäss Art. 8 Abs. 3 VZV nur aufgrund eines Eignungsgutachtens eines Neurologen oder eines Spezialarztes für Epilepsie zum Verkehr zugelassen. Im Rahmen der ärztlichen Untersuchung kommt dem elektroencephalographischen (EEG) Befund eine Vorzugstellung zu. Bei der Beurteilung der Fahrtauglichkeit fällt aber auch die Gesamtpersönlichkeit des Bewerbers ins Gewicht. Wenn bei Epileptikern die Rückfallgefahr auch nicht absolut ausgeschlossen werden kann, so tragen doch entsprechende Auflagen dazu bei, diese Gefahr wesentlich herabzusetzen (Entscheid des EJPD vom 18. Januar 1974, VPB 39/1975 Nr. 22 S. 68 f). Die Zulassung zum Verkehr wird nach einem genügend langen anfallfreien Intervall unter Auflagen grundsätzlich bewilligt, wenn der Epileptiker für die Einhaltung der Auflagen Gewähr bietet (BGE 103 I b 34). Für die Beurteilung dieser Frage kann in der Regel auf das Urteil des Facharztes abgestellt werden, sofern dieser nicht selber noch eine anderweitige Abklärung beantragt. Eine Fahrerlaubnis käme dann nicht in Frage, wenn der Bewerber als oberflächlich, wankelmütig oder unzuverlässig gilt oder wenn bereits festgestellt worden ist, dass er es mit der Einnahme der Medikamente und den regelmässigen ärztlichen Kontrollen bisher nicht genau genommen hat. Ferner dürfen Personen mit häufigen epileptischen Anfällen nicht als Motorfahrzeugführer zum Verkehr zugelassen werden. Schliesslich sollten Epileptiker allgemein von besonders verantwortungsvollen Funktionen im öffentlichen Verkehr (Führen von Taxis oder Cars) ausgeschlossen werden (genannter Entscheid des EJPD; vgl. auch BGE 103 I b 34).
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b) Weder die Art. 8 Abs. 3 und 36 Abs. 1 VZV noch die allgemeine Bestimmung Art. 7 VZV regeln die Frage, ob die Verwaltungsbehörden das Eignungsgutachten selbst kennen müssen oder ob sie sich allenfalls mit einer Zusammenfassung desselben durch einen spezialisierten Vertrauensarzt begnügen dürfen. In Anbetracht des auf dem Spiele stehenden gewichtigen Interesses der Verkehrssicherheit und zur Ausschaltung der Möglichkeit, dass der Inhalt des Gutachtens in der Zusammenfassung nicht richtig wiedergegeben wird, muss indessen angenommen werden, dass die Verwaltungsbehörden ihren Entscheid grundsätzlich gestützt auf das Gutachten selbst zu treffen haben. Gerade der vorliegende Fall zeigt, dass auch bei spezialisierten Vertrauensärzten nicht ausgeschlossen ist, dass sie den Befund des Neurologen oder Facharztes für Epilepsie teilweise unrichtig und unvollständig wiedergeben: Wie aus dem zweiten Bericht der neurologischen Klinik vom 7. September 1977 hervorgeht, hatte diese in ihrem ersten Gutachten vom 14. Februar 1977 ausdrücklich die "regelmässige Einnahme der antikonvulsiven Medikation" vorbehalten; dieser Vorbehalt fehlte im Bericht ![]() | 8 |
c) Über den notwendigen Inhalt des Eignungsgutachtens macht Art. 8 Abs. 3 VZV keine Angaben, und die in Anhang 2 und 3 zur VZV aufgeführten Formulare für ärztliche Zeugnisse und Gutachten sind sowohl nach ihrem Bezug (Verweis lediglich auf die Art. 7, 49 und 65 VZV) wie nach ihrer Ausgestaltung nicht auf das Eignungsgutachten für Epileptiker zugeschnitten. Aus den Regeln, die für die Zulassung von Epileptikern zum Verkehr gelten (vgl. vorne E. 1b), lässt sich jedoch herleiten, dass das Eignungsgutachten sich grundsätzlich zu Folgendem äussern sollte, soweit es nicht bereits aus den Akten bekannt ist: Anfallhäufigkeit, letztes anfallfreies Intervall, EEG-Befund, Gesamtpersönlichkeit des Bewerbers (insbesondere seine Zuverlässigkeit) sowie die zur Verminderung der (nicht völlig auszuschliessenden) Rückfallgefahr geeigneten und erforderlichen, medizinisch bedingten Auflagen (z.B. Alkoholabstinenz, regelmässige Einnahme der verordneten Medikamente, Kontrolluntersuchungen). Solche Auflagen gehören übrigens auch zu dem nach Art. 7 Abs. 4 VZV notwendigen Inhalt des bei allgemeinen, erstmaligen vertrauensärztlichen Untersuchungen einverlangten Gutachtens (vgl. die Ziff. 3 und 4 des Formulars Anhang 3 zur VZV). Die Verwaltungsbehörden sollten bei der Erteilung des Auftrages für das Eignungsgutachten die betreffenden Ärzte durch präzise Fragestellung dazu bringen, die erforderlichen Angaben zu machen.
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d) Die im vorliegenden Fall erteilte Fahrerlaubnis ist in räumlicher und funktioneller Hinsicht sehr beschränkt: der Beschwerdegegner darf seinen Traktor einzig im abgelegenen ![]() | 10 |
e) Das Gutachten vom 19. Mai 1978 kommt zum Schluss, wegen der Besserung des EEG-Befundes und der Dauer der Anfallfreiheit sei eine unzulässige Gefährdung des Strassenverkehrs unwahrscheinlich; der Beschwerdegegner sei daher auch auf öffentlichen Strassen zu Traktorfahrten zuzulassen. Es seien aber die medizinisch bedingten Auflagen anzubringen, dass der Beschwerdegegner die ihm verordneten antikonvulsiven Medikamente regelmässig einnehme und dem Arzt neue Anfälle unverzüglich melde, worauf seine Fahrtauglichkeit sofort neu zu überprüfen wäre. In jedem Falle sei nach einem halben Jahr eine Kontrolluntersuchung angezeigt. Die Parteien und beteiligten Behörden haben gegen dieses Gutachten keine Einwendungen erhoben.
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Die Beurteilung der Ärzte erscheint als schlüssig. Sie stützt sich auf wiederholte neurologisch-klinische und elektroencephalographische Untersuchungen und wird im übrigen durch die Akten bestätigt: Der Beschwerdegegner erlitt bisher epileptische Anfälle lediglich in Abständen von mehreren Jahren und war insbesondere vor dem Unfall vom 30. September 1976 drei Jahre völlig anfallfrei gewesen; seither wurde er einzig anfangs Mai 1977 noch von einem kurzdauernden Anfall überrascht. Er nimmt nach seinen eigenen Angaben, ![]() | 12 |
f) Das Verwaltungsgericht hat im angefochtenen Entscheid noch besonders einlässlich dargelegt, dass der Beschwerdegegner zur Bewirtschaftung seines Landwirtschaftsbetriebes dringend auf die Benützung des Traktors angewiesen ist und zur Erreichung seiner Felder und Wälder auch die Staatsstrasse benützen muss, und es hat diesem Umstand entscheidendes Gewicht beigemessen. Der Beschwerdegegner fügt bei, dass er ohne die gewährte Fahrerlaubnis seinen Betrieb sogar aufgeben müsste, zumal er keine Hilfskräfte habe, die den Traktor stellvertretend führen könnten.
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Besteht allerdings wegen eines Gebrechens trotz Auflagen und Beschränkungen keine Gewähr, dass ein Fahrzeuglenker sein Gefährt verkehrssicher zu führen vermag, muss ihm die Fahrerlaubnis - wie die Beschwerdeführerin zu Recht geltend macht - grundsätzlich selbst dann verweigert werden, wenn er dadurch seinen Beruf nicht mehr ausüben könnte (BGE 103 I b 32 E. 1a). Im vorliegenden Fall lässt sich trotz der Auflagen nicht ausschliessen, dass der Beschwerdegegner bei einer Traktorfahrt auf öffentlicher Strasse erneut einen Anfall erleidet und dann den Verkehr gefährdet. Da aber allgemein bei Epileptikern die Rückfallgefahr nicht absolut ausgeschlossen werden kann, dürfte bei strikter Anwendung des Grundsatzes keinem Epileptiker eine Fahrerlaubnis erteilt werden; damit verlöre jedoch Art. 8 Abs. 3 VZV jegliche Bedeutung, was nicht der Sinn des Gesetzes sein kann. Der genannte Grundsatz kann also zumindest bei Epileptikern nicht absolute Geltung beanspruchen. Hinzu kommt, dass dem Strassenverkehrsrecht der Gedanke keineswegs fremd ist, dass wegen ![]() | 14 |
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a) Die Beschwerdeführerin behauptet zunächst, die Arten von Auflagen seien in Art. 26 VZV abschliessend geregelt und diese Bestimmung sei auf Fahrverbote analog anwendbar. Gemäss Art. 26 Abs. 1 VZV dürfen mit der Erteilung des Führerausweises Beschränkungen und Auflagen nur nach Massgabe der Absätze 2 bis 4 verbunden werden. Die Vorschrift bezieht sich nach Überschrift, Wortlaut und systematischer Einordnung in der VZV einzig auf die Führerausweise und insbesondere darauf, welche Eintragungen darin zulässig sind. Sie will ihrem Sinn nach in erster Linie den Inhaber eines Führerausweises vor x-beliebigen, vagen und unkontrollierbaren Auflagen und Beschränkungen schützen. Diese vor allem im Interesse der Ausweisinhaber aufgestellte Vorschrift darf nun nicht ohne weiteres auf den Fall übertragen werden, wo es um die Frage geht, ob ein behinderter Fahrzeuglenker unter besonderen Auflagen, welche die Verkehrsgefährdung auf ein erträgliches Mass vermindern, doch zum Verkehr zugelassen werden kann.
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Zudem nennt Art. 26 VZV nicht alle Arten möglicher und zulässiger Auflagen und Beschränkungen. Abs. 2 zählt einzig jene Auflagen und Beschränkungen abschliessend auf, die im Führerausweis spezifiziert eingetragen werden müssen.
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b) Die Beschwerdeführerin wendet ferner ein, eine räumlich begrenzte Fahrerlaubnis sei nicht kontrollierbar. Wie das Verwaltungsgericht zu Recht erwidert, trifft dieser Einwand gerade im vorliegenden Fall nicht zu; die räumliche Begrenzung ist hier derart eng, dass schon die Mitteilung der Auflage an die örtlich zuständigen Polizeiposten der unmittelbaren Umgebung, wie sie in der Verfügung des Polizeidepartementes vom 7. März 1977 angeordnet worden ist, durchaus wirksam sein wird; jedenfalls ist diese Beschränkung kontrollierbarer als manche andere Massnahme in städtischen Verhältnissen. Allenfalls hat das Polizeidepartement durch weitere geeignete Anweisungen dafür zu sorgen, dass die Einhaltung der Beschränkung gewährleistet ist.
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c) Die Beschwerdeführerin macht schliesslich geltend, auch die Bewohner von Seewen und Hochwald hätten Anspruch darauf, nicht gefährdet zu werden. Die Gefahr räumlich zu begrenzen, widerspreche dem öffentlichen Interesse an der Verkehrssicherheit. Entweder sei der Beschwerdegegner grundsätzlich fahrtauglich, dann dürfe er räumlich unbeschränkt Traktor fahren, oder er sei es eben nicht, dann müsse er von allen öffentlichen Strassen als Motorfahrzeugführer ferngehalten werden.
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Diese Auffassung ist zu undifferenziert. Wie vorstehend in E. 2f dargelegt, kann im vorliegenden Fall der Grundsatz, dass nicht durchwegs verkehrssichere Fahrzeuglenker vom Verkehr auszuschliessen sind, nicht strikt gelten. Hier wird das Risiko, dass der Beschwerdegegner auf öffentlicher Strasse einen neuen Anfall erleidet und dadurch den Verkehr abstrakt gefährdet, in starkem Masse herabgesetzt durch die gute ![]() | 21 |
Die Annahme der kantonalen Behörden, durch die räumliche Begrenzung der Fahrerlaubnis werde die Rückfallgefahr und damit die abstrakte Verkehrsgefährdung erheblich herabgesetzt, und zwar auf ein für die betroffenen Verkehrsteilnehmer zumutbares Mass, ist jedenfalls vertretbar. Wenn auch für die Strassenbenützer von Hochwald und Seewen - also für einen sehr beschränkten Kreis - eine gewisse abstrakte Gefährdung bestehen bleibt, so wäre es doch klar unverhältnismässig, allein deswegen ein gänzliches Fahrverbot ![]() | 22 |
d) Die mit dem angefochtenen Entscheid verfügte räumliche Begrenzung der Fahrerlaubnis ist somit zu bestätigen und zwar in der Formulierung des Verwaltungsgerichts. Dieses gestattete dem Beschwerdegegner zwar das Befahren aller Strassen im fraglichen Gebiet, obschon er nicht auf die Benützung aller Strecken angewiesen ist. Doch erübrigt sich eine engere Eingrenzung - etwa einzelne Aufzählung der wirklich benötigten Zufahrtswege zu den Feldern und Wäldern - da die Verfügung ohnehin festhält, dass der Beschwerdegegner die öffentlichen Strassen nur benützen darf, soweit es zur Bewirtschaftung seines Hofes erforderlich ist.
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