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56. Urteil vom 24. November 1978 i.S. Kravarik gegen Regierungsrat des Kantons Thurgau | |
Regeste |
Entzug des Führerausweises; Bedeutung eines Strafurteils für den Entscheid über eine Administrativmassnahme, welcher der gleiche Sachverhalt zugrunde liegt. |
2. Bei der rechtlichen Würdigung des Sachverhaltes ist die Verwaltungsbehörde grundsätzlich nicht an das Erkenntnis des Strafrichters gebunden. In Fällen hingegen, in denen die rechtliche Beurteilung stark von der Würdigung der Tatsachen abhängt, die der Strafrichter besser kennt, rechtfertigt es sich, dass die Verwaltungsbehörde auch in bezug auf die rechtliche Würdigung nur mit Zurückhaltung vom Standpunkt des Strafrichters abweicht (E. 3). | |
Sachverhalt | |
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Das Bundesgericht zieht in Erwägung: | |
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2. a) Im vorliegenden Fall belegte das Bezirksamt Frauenfeld den Beschwerdeführer aufgrund des Polizeirapports mit einer Busse von Fr. 50.-. Als der Beschwerdeführer gegen diese Strafverfügung Einsprache erhob, wurde er vom Statthalter hinsichtlich des strittigen Verkehrsunfalls einvernommen. Nach dieser Einvernahme und der Einholung von Vorstrafenberichten hob der Statthalter am 4. August 1977 seine Strafverfügung gegen Kravarik auf. Im Einspracheentscheid wird ausgeführt, die Darstellung des Sachverhaltes, welche der Einsprecher ![]() | 4 |
Nach den im Einvernahmeprotokoll des Bezirksamtes festgehaltenen Aussagen hatte das Mädchen den Blick auf den Beschwerdeführer gerichtet, als es auf die Strasse sprang. Im Polizeirapport wird hingegen gesagt, das Mädchen habe in westlicher Richtung und somit nicht gegen den Beschwerdeführer geschaut. Auch das Verhalten des Beschwerdeführers wird im Einvernahmeprotokoll abweichend vom Polizeirapport geschildert. Nach seinen eigenen Aussagen hat der Beschwerdeführer gebremst, als das Mädchen auf die Strasse sprang. Weil er jedoch angenommen habe, das Mädchen werde seinen Weg über die Strasse fortsetzen und er könne dann ohne Gefährdung an ihm vorbeifahren, habe er nicht eine Vollbremsung eingeleitet. Erst als das Kind sich umgedreht habe und zurückgesprungen sei, habe er voll gebremst. Im Polizeirapport wird demgegenüber nur ausgeführt, der Beschwerdeführer habe gebremst, nachdem das Mädchen wieder zum Gehweg zurückgeschritten sei.
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Im Einvernahmeprotokoll wird im übrigen ausgeführt, Corinne Eugster sei auf die Strasse "gesprungen"; auf der Leitlinie angelangt, habe sie sich plötzlich umgedreht und sei wieder zum Gehweg zurück und dabei genau vor das Auto des Beschwerdeführers "gesprungen". Im Polizeirapport ist die Rede davon, dass das Mädchen auf die Fahrbahn "gegangen" und anschliessend rasch rückwärts "geschritten" sei. Nach den Aussagen des Beschwerdeführers spielte sich der ganze Vorgang möglicherweise etwas rascher und unvorhergesehener ab, als er im Polizeirapport dargestellt wurde.
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Im Einspracheentscheid wird nicht ausdrücklich begründet, warum die ursprüngliche Strafverfügung aufgehoben werde. Der Statthalter weist, wie erwähnt, nur auf die Unterschiede der Sachverhaltsdarstellungen im Polizeirapport und im Einvernahmeprotokoll hin. Daraus kann geschlossen werden, der Statthalter habe die durch die Einvernahme des Beschwerdeführers bewirkte Änderung der Sachverhaltsdarstellung als glaubhaft und massgebend betrachtet und sei aufgrund des veränderten Sachverhaltes zu einer Aufhebung der Strafverfügung gelangt.
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b) Der Regierungsrat war demgegenüber in seinem Entscheid der Ansicht, die im Polizeirapport und im Einvernahmeprotokoll ![]() | 8 |
Die Feststellung, die beiden Sachverhaltsdarstellungen wichen nur unwesentlich voneinander ab, ist nicht in jeder Hinsicht zutreffend. Wie dargelegt, entstehen in einzelnen Punkten nicht unbedeutende Widersprüche, wenn die beiden Darstellungen verglichen werden. Nachdem der Statthalter nach einer einlässlichen Einvernahme offenbar die Darstellung des Beschwerdeführers als massgebend betrachtet hat, hätte der Regierungsrat sich nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung auf diese Sachverhaltsdarstellung stützen sollen, sofern keine klaren Anhaltspunkte für deren Unrichtigkeit bestanden haben. Solche macht der Regierungsrat keine geltend. Somit hat er die bundesgerichtlichen Grundsätze, die in diesen Fällen für die Sachverhaltsfeststellung gelten, in dem Masse verletzt, indem er in seinem Entscheid nicht eindeutig von dem im Einvernahmeprotokoll geschilderten Sachverhalt ausgegangen ist.
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Der Regierungsrat hat dem Beschwerdeführer die Verletzung von Art. 26 Abs. 2 SVG (ungenügende Vorsicht gegenüber einem Kind) und von Art. 32 Abs. 1 SVG (Nichtanpassen der Geschwindigkeit an die gegebenen Umstände) vorgeworfen. Die Beurteilung der Frage, ob die Vorsichtspflicht gegenüber einem Kind verletzt und ob die Geschwindigkeit den gegebenen Umständen angepasst worden ist, hängt stark von der Würdigung der Tatsachen ab. Je günstiger die Feststellung des Sachverhaltes für den Beschwerdeführer ausfällt, desto geringer ![]() | 11 |
Ist in solchen Fällen ein Entscheid so kurz begründet wie der angefochtene, kann oft nicht zwischen der Sachverhaltsfeststellung und der rechtlichen Würdigung unterschieden werden. Diese beiden Vorgänge spielen sich zwar im Überlegungsprozess des Richters ab, fliessen aber zum Teil ineinander über. Fest steht am Schluss, in Form eines Frei- oder Schuldspruchs, nur das Resultat, das gewisse Rückschlüsse auf den Sachverhalt und die rechtliche Würdigung zulässt. Auch unter diesem Gesichtspunkt ist hier die Sachverhaltsfeststellung kaum von der rechtlichen Würdigung zu trennen.
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Es wäre allerdings wünschbar, dass Straferkenntnisse, die von Administrativbehörden bei der Auflage von Massnahmen mitberücksichtigt werden müssen, eine etwas ausführlichere Würdigung der Tatsachen enthielten, als es beim Einspracheentscheid des Bezirksamtes Frauenfeld der Fall ist.
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Bei den geschilderten Fällen, wo die Feststellung des Sachverhaltes und deren rechtliche Würdigung so eng zusammenhängen, rechtfertigt es sich, dass die Verwaltungsbehörden auch in bezug auf die rechtliche Würdigung nur mit grosser Zurückhaltung vom Standpunkt des Strafrichters abweichen, sofern dieser den Sachverhalt besser kennt als die Verwaltungsbehörde. Dies trifft im vorliegenden Fall zu, da der Statthalter den Beschwerdeführer persönlich einvernommen hat.
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Im übrigen muss berücksichtigt werden, dass Corinne Eugster nach den vom Strafrichter offenbar als glaubhaft betrachteten Aussagen den Beschwerdeführer gesehen hat, als sie auf die Strasse sprang. Nichts liess zudem darauf schliessen, dass sie sich plötzlich umdrehen würde, als sie im Begriffe war, scheinbar zielbewusst die Strasse zu überqueren. Das Mädchen war nicht im Spiel begriffen. Es herrschte auch kein Gegenverkehr, der es hätte veranlassen können, auf das soeben durchschrittene Strassenstück zurückzuspringen.
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Art. 26 Abs. 2 SVG schreibt vor, dass gegenüber Kindern besondere Vorsicht geboten ist. Dies hat zur Folge, dass hier eine Berufung auf das Vertrauensprinzip grundsätzlich selbst ![]() | 16 |
Demnach erkennt das Bundesgericht:
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