![]() ![]() | |||
| |||
Bearbeitung, zuletzt am 15.03.2020, durch: DFR-Server (automatisch) | |||
![]() | ![]() |
45. Auszug aus dem Urteil der II. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 21. September 1979 i.S. M. gegen Eidg. Justiz- und Polizeidepartement und Bundesanwaltschaft (Einsprache gemäss Auslieferungsgesetz) | |
Regeste |
Auslieferungsvertrag vom 26. November 1880 zwischen der Schweiz und Grossbritannien; Anwendung dieses Vertrages zwischen der Schweiz und Südafrika. |
2. Das Erfordernis der beidseitigen Strafbarkeit ist im schweizerisch-britischen Auslieferungsvertrag nicht ausdrücklich in allgemeiner Form niedergelegt, muss aber infolge seiner Allgemeingültigkeit als stillschweigend vorausgesetzt gelten (E. 2a). | |
Sachverhalt | |
![]() | 1 |
![]() | 2 |
Die südafrikanische Botschaft verlangt mit einer Note vom 7. Juni 1978 die Auslieferung von M. Sie stützt sich dabei in einer weiteren Note vom 23. Juni 1978 ausdrücklich auf den Auslieferungsvertrag zwischen der Schweiz und Grossbritannien vom 26. November 1880. Das Auslieferungsbegehren betrifft die folgenden Tatbestände:
| 3 |
Count 1 (fraud): Die Erlangung von Pässen, Passanträgen und Fotos von verschiedenen Personen unter dem Vorwand, der Ersuchende wünsche einen Begleiter für eine Europareise und wolle die Pässe bzw. Visa für den Ausgewählten besorgen.
| 4 |
Count 2 (theft): Die Wegnahme eines Zettels, der die Ankunft eines Paketes ankündigte.
| 5 |
Count 3 (fraud): Das Verleiten einer Postbeamtin, 23 an die American Express adressierte Pakete herauszugeben, unter der Behauptung, der Ersuchende sei ein Angestellter der American Express und/oder sei ermächtigt, die Pakete entgegenzunehmen.
| 6 |
M. widersetzt sich seiner Auslieferung mit einer Einsprache vom 26. Oktober 1978. Er macht zur Hauptsache geltend, ein Auslieferungsvertrag mit Südafrika bestehe nicht und der Auslieferungsvertrag zwischen der Schweiz und Grossbritannien könne im vorliegenden Fall nicht angewandt werden.
| 7 |
Aufgrund der ablehnenden Stellungnahme von M. hat das Eidgenössische Justiz- und Polizeidepartement die Akten mit einem Sachbericht dem Bundesgericht zur Beurteilung gemäss Art. 23 AuslG überwiesen.
| 8 |
Um abzuklären, ob der schweizerisch-britische Auslieferungsvertrag auch im Verhältnis zu Südafrika anwendbar sei und welche Praxis im Auslieferungsverkehr zu Südafrika bestehe, ging das Bundesgericht das Eidgenössische Justiz- und Polizeidepartement um eine weitere Stellungnahme an. In Beantwortung dieses Begehrens legte das Departement Berichte des Bundesamtes für Polizeiwesen und des Eidgenössischen Departements für auswärtige Angelegenheiten vor.
| 9 |
10 | |
Aus den Erwägungen: | |
11 | |
Das Eidgenössische Departement für auswärtige Angelegenheiten führt in seinem Bericht aus, der Auslieferungsvertrag mit Grossbritannien sei auch auf die Kolonien Grossbritanniens und damit bis zum Zeitpunkt, als Südafrika im Jahre 1931 unabhängig geworden sei, auch auf das heutige Staatsgebiet Südafrikas anwendbar gewesen. Ein formelles Abkommen über die Weitergeltung des Vertrags im unabhängigen Südafrika sei nicht abgeschlossen worden; hingegen zeigten verschiedene vom Bundesamt für Polizeiwesen zwischen 1949 und 1976 behandelte Auslieferungsfälle, dass sich sowohl die schweizerischen als auch die südafrikanischen Behörden auf den schweizerisch-britischen Auslieferungsvertrag beriefen und somit stillschweigend übereingekommen seien, dass dieser Vertrag zwischen den beiden Ländern seine Gültigkeit behalten solle. Das Bundesamt für Polizeiwesen seinerseits legt eine Liste der genannten Auslieferungsfälle samt den diesbezüglichen Brief-, bzw. Notenwechseln mit den südafrikanischen Behörden vor.
| 12 |
M. bestreitet die Anwendbarkeit des schweizerisch-britischen Auslieferungsvertrages im Verhältnis zwischen der Schweiz und Südafrika. Er macht im wesentlichen geltend, es liege keine stillschweigende Übereinkunft betreffend die Weitergeltung dieses Vertrages vor.
| 13 |
b) Das Bundesgericht ist in der Beurteilung der Frage, ob der schweizerisch-britische Auslieferungsvertrag im Verhältnis zu Südafrika anwendbar ist, nicht an die Auffassung der politischen ![]() | 14 |
c) Ob der schweizerisch-britische Auslieferungsvertrag auch im Verhältnis zwischen der Schweiz und Südafrika anwendbar sei, betrifft die Frage der Staatennachfolge. Mit der hier zur Diskussion stehenden Staatennachfolge in Rechte und Pflichten aus Verträgen hat sich die Commission du droit international in verschiedenen Berichten befasst. 1974 verabschiedete sie in dieser Materie einen bereinigten Kodifikationsentwurf, der die Stellungnahmen der verschiedenen Staaten zu einem früheren Entwurf berücksichtigt (Annuaire de la Commission du droit international 1974, vol. II, première partie, S. 161 ff. = UN Doc. A/9610/Rev. 1; vgl. JÖRG PAUL MÜLLER/LUZIUS WILDHABER, Praxis des Völkerrechts, 1977, S. 199 ff.). Es kann davon ausgegangen werden, dass dieser Kodifikationsentwurf einen weitgehenden Konsens über die völkerrechtliche Lage zum Ausdruck bringt und vom Bundesgericht im vorliegenden Fall als massgebende Rechtsquelle herangezogen werden darf (vgl. ALFRED VERDROSS/BRUNO SIMMA, Universelles Völkerrecht, 1976, S. 485 ff., EBERHARD MENZEL/KNUT IPSEN, Völkerrecht, 2. Aufl. 1979, S. 189, D. P. O'CONNELL, Recent Problems of State Succession in Relation to New States, in Académie de droit international, Recueil des Cours 1970, II, S. 170 ff.)
| 15 |
![]() | 16 |
d) Das Bundesamt für Polizeiwesen hat einen Brief-, bzw. Notenwechsel zwischen schweizerischen und südafrikanischen Behörden in fünf Auslieferungsfällen, die zwischen 1956 und 1976 bearbeitet wurden, vorgelegt. Aus diesen Noten und Briefen, die von der südafrikanischen Botschaft in Bern und der südafrikanischen Polizei (Head Office, Pretoria) an das Eidgenössische Departement für auswärtige Angelegenheiten und an das Bundesamt für Polizeiwesen gerichtet worden waren, sowie aus entsprechenden Schreiben des Bundesamtes für Polizeiwesen an die südafrikanische Botschaft in Bern und an die südafrikanische Polizei geht klar hervor, dass die betreffenden Behörden sich jedesmal auf den Auslieferungsvertrag zwischen der Schweiz und Grossbritannien berufen und diesen im Verhältnis der Schweiz zu Südafrika als anwendbar erachtet haben.
| 17 |
Das Eidgenössische Justiz- und Polizeidepartement legt im weiteren einen Notenwechsel zwischen der schweizerischen ![]() | 18 |
Dieser Notenwechsel, in dem davon ausgegangen wird, dass der schweizerisch-britische Auslieferungsvertrag zwischen der Schweiz und Südafrika weitergegolten habe und weitergelte, erfolgte, nachdem die südafrikanische Botschaft im vorliegenden Fall ein Auslieferungsbegehren gestellt hat. Diese Korrespondenz hat daher in diesem Fall nicht die Bedeutung einer konkludenten Vertragsanwendung. Nichtsdestoweniger kann aber festgestellt werden, dass in diesen Noten die Rechtslage, die zur Zeit der Übermittlung des Auslieferungsbegehrens i.S. M. geherrscht hat, richtig wiedergegeben wird. Die früheren Brief- und Notenwechsel zeigen nämlich klar, dass die schweizerischen und südafrikanischen Behörden in einer Reihe von Fällen Auslieferungsbegehren aufgrund des Vertrages zwischen der Schweiz und Grossbritannien gestellt haben, ohne dass der andere Staat je diese Rechtsgrundlage bestritten hätte. Somit haben die schweizerischen und südafrikanischen Behörden den schweizerisch-britischen Auslieferungsvertrag stillschweigend angewandt. Dieser Umstand führt dazu, dass dem Auslieferungsvertrag zwischen der Schweiz und Grossbritannien völkerrechtlich auch im Verhältnis zwischen der Schweiz und Südafrika Gültigkeit zuzuerkennen ist.
| 19 |
Der Einsprecher wendet dagegen ein, ein konkludentes Handeln im Sinne des Völkerrechts könne nur angenommen werden, wenn massgebende Staatsorgane tätig gewesen seien, bzw. ![]() | 20 |
Dieser Einwand ist nicht stichhaltig. Es trifft zwar zu, dass im wesentlichen nur Staatsoberhäupter, Regierungschefs und Aussenminister sowie eigens dazu bevollmächtigte Organe fähig sind, einen Staat ausdrücklich zu verpflichten (vgl. Art. 7 der Wiener Konvention über das Recht der Verträge vom 23. Mai 1969; Ostgrönlandfall, CPJI, Sér. A/B Nr. 53/1933, S. 71). Die konkludente Weiteranwendung eines Vertrages unterscheidet sich jedoch von einer solchen ausdrücklichen Verpflichtung. Für eine konkludente Weiteranwendung muss ein Handeln derjenigen Organe genügen, welche den Vertrag normalerweise anwenden. Ein formeller Notenaustausch der Aussenministerien betreffend die Weitergeltung eines Vertrages wäre nicht mehr ein konkludentes, sondern ein ausdrückliches Handeln.
| 21 |
Im vorliegenden Fall haben die Behörden gehandelt, die sich normalerweise mit Auslieferungen befassen, nämlich die zuständigen Verwaltungs- und Polizeibehörden sowie die Botschaften. Das Handeln dieser Behörden genügt, um die Weitergeltung des zwischen der Schweiz und Grossbritannien abgeschlossenen Auslieferungsvertrages auch im Verhältnis zwischen der Schweiz und Südafrika zu begründen. Der schweizerisch-britische Auslieferungsvertrag ist somit auf den vorliegend zu entscheidenden Fall anzuwenden.
| 22 |
2. a) Voraussetzung für eine Auslieferung nach Südafrika ist nach dem schweizerisch-britischen Auslieferungsvertrag, dass das Delikt, wegen dessen das Auslieferungsbegehren gestellt wird, in Art. II des Vertrages als Auslieferungsdelikt genannt ist. Ferner kann eine Auslieferung nur bewilligt werden, wenn die Tat, welche Gegenstand des Auslieferungsbegehrens ![]() | 23 |
© 1994-2020 Das Fallrecht (DFR). |