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36. Urteil der I. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 15. Oktober 1980 i.S. Zimmermann und Steiner gegen Kanton Zürich und Eidg. Schätzungskommission, Kreis 10 (Verwaltungsgerichtsbeschwerde) | |
Regeste |
Anspruch der Mieter und Pächter auf Enteignungsentschädigung. |
Bei der Expropriation nachbarrechtlicher Abwehransprüche wird auf dem enteigneten Grundstück eine Grunddienstbarkeit errichtet, deren Inhalt in der Pflicht zur Duldung der Immissionen besteht. Die Entschädigung für diese Dienstbarkeit bzw. die damit verbundene Entwertung des belasteten Grundstückes steht einzig dem Grundeigentümer zu (E. 3). |
Ein Entschädigungsanspruch von Mietern und Pächtern besteht nur |
- wenn durch die Enteignung der Vertrag vorzeitig aufgelöst oder in die vertraglichen Rechte eingegriffen wird (E. 4a); |
- für die Dauer des Vertrages bis zum nächsten Kündigungstermin (E. 4b); |
- für Schäden, die nach Vertragsabschluss entstehen (E. 4c). | |
Sachverhalt | |
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Das Bundesgericht zieht in Erwägung: | |
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2. Die auf Art. 679 und 684 ZGB gestützten zivilrechtlichen Klagen gegen den Grundeigentümer, der sein Eigentumsrecht überschreitet, stehen jedem zu, der durch die übermässigen Einwirkungen in der Nutzung, Benutzung oder Bewirtschaftung eines benachbarten Grundstückes beeinträchtigt wird; klageberechtigt ist also nicht bloss der Eigentümer eines Nachbargrundstückes, sondern auch der Obligatorisch Berechtigte - Mieter oder Pächter - sofern er am betroffenen Grundstück Besitz hat ![]() | 3 |
Die Schätzungskommission hat hieraus den Schluss gezogen, dass Mieter und Pächter eines Grundstückes in der Eigenschaft als geschädigte Nachbarn auch im Enteignungsverfahren die gleiche Stellung einnähmen wie der Grundeigentümer. Dieser Auffassung kann jedoch nicht gefolgt werden. Welche Entschädigungsansprüche in einem Enteignungsverfahren nach eidgenössischem Recht dem Eigentümer und welche den Mietern und Pächtern zustehen, bestimmt sich ausschliesslich nach dem Bundesgesetz über die Enteignung. Das gilt auch für die aus dem nachbarlichen Verhältnis entstehenden Ersatzansprüche für Immissionen (vgl. MEIER-HAYOZ, N. 75 zu Art. 679 ZGB).
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3. Um Unklarheiten zu vermeiden, hat der Gesetzgeber in Art. 5 EntG ausdrücklich festgehalten, dass neben den anderen dinglichen Rechten an Grundstücken auch die aus dem Grundeigentum hervorgehenden Nachbarrechte Gegenstand der Enteignung bilden können (vgl. HESS, N. 2 zu Art. 5 EntG). Damit wird insbesondere auf das in Art. 679 und 684 ZGB umschriebene Recht des Grundeigentümers verwiesen, übermässige, von benachbarten Grundstücken ausgehende Immissionen abzuwehren. Gehen solche Immissionen von einem Werk aus, das im öffentlichen Interesse liegt und für welches dem Werkeigentümer das Enteignungsrecht verliehen wurde, und können die Einwirkungen nicht oder nur mit einem unverhältnismässigen Kostenaufwand vermieden werden, so steht dem betroffenen Nachbarn keine Unterlassungsklage zu, da seine Abwehransprüche dem vorrangigen öffentlichen Interesse am Unternehmen weichen müssen (BGE 102 Ib 351, BGE 100 Ib 195 E. 7a, BGE 96 II 348 f. E. 6, BGE 94 I 297 E. 6, BGE 93 I 300 ff., BGE 79 I 203, BGE 62 I 269, BGE 40 II 290 f.; vgl. auch BGE 105 Ib 14). Es bleibt dem Betroffenen einzig die Möglichkeit, für die Unterdrückung seines nachbarrechtlichen Abwehranspruches auf dem Enteignungswege gestützt auf Art. 5 EntG eine Entschädigung zu fordern. Diese Unterdrückung des Abwehranspruches ist nichts anderes als die - zwangsweise - Errichtung einer Grunddienstbarkeit auf dem Grundstück des Nachbarn zugunsten des Grundstücks des Werkeigentümers, deren Inhalt in der Pflicht zur Duldung der Immissionen besteht ![]() | 5 |
Handelt es sich somit bei der Enteignung von Nachbarrechten um die zwangsweise Einräumung einer Servitut, so gelangen für die Bemessung der Entschädigung die Regeln über die Teilenteignung zur Anwendung. Der Enteignete hat Anspruch auf Ersatz des Minderwertes, den sein Grundstück durch die dingliche Belastung erleidet, d.h. auf die Vergütung der Wertdifferenz, die sich zwischen dem Verkehrswert des unbelasteten Grundstückes und jenem des belasteten Grundstückes ergibt (Art. 19 lit. b EntG; BGE 103 Ib 99, BGE 102 Ib 176; ZBl 77/1976 S. 158; HESS, N. 16 zu Art. 19 EntG). Die Enteignungsentschädigung ist vom ersten Auftreten der übermässigen Einwirkungen an zu verzinsen, da von diesem Zeitpunkt an die beanspruchten Rechte faktisch in Besitz genommen werden (vgl. Art. 76 Abs. 5 EntG; nicht publ. Entscheid vom 8. Mai 1974 i.S. Knecht E. 6).
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Aus diesen Erwägungen ergibt sich, dass der Entschädigungsanspruch für die Auferlegung der Dienstbarkeit und die mit der Immissionsduldungspflicht verbundene Entwertung des belasteten Grundstücks nur dem Grundeigentümer, dem Träger des enteigneten dinglichen Rechtes, zustehen kann.
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a) Das Bundesgericht anerkannte noch unter dem alten Enteignungsrecht eine Verpflichtung des Enteigners, den Mietern und Pächtern den durch die Enteignung bedingten, aus der vorzeitigen Auflösung der Verträge entstehenden Schaden zu ![]() | 9 |
Auch bei solchen Eingriffen des Enteigners in Miet- und Pachtverhältnisse bilden nicht dingliche Rechte an Grundstücken - einschliesslich des Abwehranspruches gegenüber Immissionen - das Enteignungsobjekt, sondern das durch den Vertrag verliehene Recht auf ungestörten Gebrauch und volle Nutzung der Miet- oder Pachtsache. Zwar hat das Bundesgericht in BGE 93 I 302 E. 4 (zweiter Absatz) selbst erklärt, der Mieter sei deshalb für die Immissionen zu entschädigen, weil ![]() | 10 |
b) Daraus folgt, dass der Entschädigungsanspruch von Mietern und Pächtern nicht über den Wert dessen hinausgehen kann, was ihnen an Gebrauchs- und Nutzungsrechten nach Inhalt und Dauer des abgeschlossenen Vertrages tatsächlich zusteht. In dieser Hinsicht hat das Bundesgericht in Übereinstimmung mit der Lehre entschieden, dass dem obligatorisch Berechtigten keine Entschädigung zu entrichten ist, wenn der Enteigner in den Vertrag eintritt, ihn auf einen vertragsgemässen Termin kündigt und dem Mieter oder Pächter bis zu diesem Zeitpunkt den vollen Gebrauch der Sache überlässt. So kann sich der Mieter oder Pächter den Vermögensnachteil nicht ersetzen lassen, den er dadurch erleidet, dass er bis zum nächsten Kündigungstermin ein neues, ihm genehmes Vertragsverhältnis nicht mehr eingehen oder dass er das Geschäftsinventar nicht vollständig abschreiben kann. Solche Schäden stehen in keinem kausalen Zusammenhang mit der Enteignung; sie sind eine Folge zu kurzer Vertragsdauer oder Kündigungsfristen (BGE 95 I 309 f.). Der Enteigner hat für rein tatsächliche Nachteile nicht einzustehen und braucht sich, wie das Bundesgericht hervorgehoben hat, nicht entgegenhalten zu lassen, dass der Vertrag, hätte die Enteignung nicht stattgefunden, möglicherweise erneuert worden wäre (zit. Entscheid S. 311 E. 3). Diese Rechtsprechung ist im nicht veröffentlichten Entscheid vom 8. Juli 1970 i.S. Azienda elettrica ticinese c. Bontà bestätigt und dem enteigneten Pächter jede Entschädigung über die Vertragsdauer hinaus verweigert worden, obschon nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge damit zu rechnen war, dass der seit mehr als dreissig Jahren bestehende Vertrag weiterhin verlängert worden wäre (E. 2 und 3; vgl. auch BGE 106 Ib 226 f. E. 2).
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"Man wird eben, wenn der Pachtvertrag und die Servitutsdauer nicht zusammenfallen, dem Pächter nur für die Dauer seines Vertrages, bzw. bis zur nächsten Kündigungsmöglichkeit, eine Entschädigung zusprechen. Will er dann nachher das Verhältnis fortsetzen, so kann er ja vorher eine Reduktion des Pachtzinses verlangen (Ergänzender Bericht S. 19)."
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Auch die deutsche Lehre und Rechtsprechung wendet übrigens im wesentlichen die gleichen Grundsätze an (vgl. Entscheide des Bundesgerichtshofes vom 11. Mai 1967 und 1. Juli 1968, wiedergegeben in THIEL/GELZER, Baurechtssammlung, Bd. 19 Nr. 145 und 146; GELZER/BUSSE, Der Umfang des Entschädigungsanspruches aus Enteignung und enteignungsgleichem Eingriff, S. 182 N. 605-607; AUST/JACOBS, Die Enteignungsentschädigung, S. 74 ff., 106).
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c) Nach Art. 23 Abs. 2 EntG können Mieter und Pächter nur den Ersatz des Schadens verlangen, der ihnen aus der vorzeitigen Auflösung ihrer vor Einleitung des Enteignungsverfahrens abgeschlossenen Verträge entsteht. Art. 25 EntG schliesst zudem in allgemeiner Weise jede Entschädigung für Rechte und Ansprüche aus, die durch widerrechtliche oder missbräuchliche Handlungen oder nur zu dem Zwecke begründet wurden, eine Entschädigung zu erwirken. Wenn nun, wie dargelegt, eine Entschädigung nicht nur im Falle vorzeitiger Auflösung der Miet- und Pachtverträge geschuldet wird, sondern auch dann, wenn die vertraglichen Gebrauchs- und Nutzungsrechte geschmälert werden, so ergibt sich aus diesen Bestimmungen, dass für Beeinträchtigungen, die schon bei Vertragsschluss ![]() | 15 |
Bestehen bei Vertragsabschluss die von einem öffentlichen Werk herrührenden Beinträchtigungen schon, so kann der Mieter oder Pächter diesem Umstand bei der Zinsfestsetzung Rechnung tragen und wird in der Regel nicht den gleichen Zins bezahlen, den er für den ungestörten Gebrauch der Sache zu leisten bereit gewesen wäre. Nimmt er seine eigenen Interessen in dieser Hinsicht nicht wahr, so kann er sich nicht nachträglich am Enteigner schadlos halten. Wenn für Mieter und Pächter im Enteignungsverfahren die Möglichkeit geschaffen wurde, ihre Ersatzbegehren direkt an den Enteigner zu richten, so geschah dies einzig zur Vermeidung der Schwierigkeiten, die entstünden, wenn die Geschädigten mit ihren Ersatzansprüchen an den Grundeigentümer verwiesen würden, den an der Nichteinhaltung der Verträge keine Schuld trifft (vgl. Botschaft des ![]() | 16 |
d) Werden Mieter und Pächter von übermässigen Immissionen eines öffentlichen Werkes betroffen, so besteht demnach eine Entschädigungspflicht des Enteigners nur, sofern die Einwirkungen während der Dauer des Miet- oder Pachtverhältnisses eingetreten sind, und lediglich für die Zeit bis zum Ablauf des Vertrages oder bis zur nächsten Kündigungsmöglichkeit. Eine Haftung des Enteigners ist ausgeschlossen, wenn die Immissionen bei Vertragsabschluss schon bestanden haben.
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Damit will das Bundesgericht das Problem der Flugplatz-Immissionen nicht etwa minimalisieren und nicht bestreiten, dass weite Teile der Bevölkerung erheblich unter dem Fluglärm leiden. Es will einzig klarstellen, dass die mit der Beschwerde verfolgten Ziele der Lärmbekämpfung den Rahmen des Enteignungsgesetzes sprengen, auf welches bei der Beurteilung der Entschädigungsbegehren, die die Beschwerdeführer eingereicht haben, ausschliesslich abzustellen ist.
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