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53. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung vom 13. Mai 1982 i.S. Schweizerische Treuhandgesellschaft und Coopers & Lybrand AG gegen Eidgenössisches Justiz- und Polizeidepartement (Verwaltungsgerichtsbeschwerde) | |
Regeste |
Aufsicht über die privaten Versicherungseinrichtungen. |
2. Befreiung von der Versicherungsaufsichtspflicht im konkreten Fall wegen Fehlens eines Schutzbedürfnisses gemäss Art. 3 Abs. 1 der VO über die Abgrenzung der Versicherungsaufsichtspflicht (E. 3). | |
Sachverhalt | |
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Mit Schreiben vom 7. Mai 1981 schloss sich die Coopers & Lybrand AG dem Gesuch der Schweizerischen Treuhandgesellschaft an.
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Mit Verfügung vom 1. Oktober 1981 wies das EJPD das Gesuch der Schweizerischen Treuhandgesellschaft und der Coopers & Lybrand AG ab.
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"Es sei die angefochtene Verfügung aufzuheben und es sei festzustellen, dass der von den Beschwerdeführerinnen geplante Beitritt zu einem Versicherungsvertrag mit über 100 Versicherern, alle vertreten durch die C.T. Bowring Professional Indemnity Ltd., London, über die Deckung des beruflichen Haftpflichtrisikos der schweizerischen Versicherungsaufsicht nicht unterliegt und daher keiner Bewilligung nach Art. 7 VAG bedarf. Eventuell wird die Gewährung einer Befreiung nach Art. 4 Abs. 2 VAG beantragt."
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Das EJPD beantragt in seiner Vernehmlassung die Abweisung der Beschwerde.
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Das Bundesgericht heisst die Beschwerde gut und ändert die angefochtene Verfügung in dem Sinne ab, dass die von der C.T. Bowring Professional Indemnity Ltd. vertretenen Versicherer hinsichtlich des geplanten Abschlusses eines Versicherungsvertrages mit den Beschwerdeführerinnen der schweizerischen Versicherungsaufsicht nicht unterstehen.
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Aus den Erwägungen: | |
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a) oder wenn die Haftpflicht von in der Schweiz domizilierten Personen gedeckt wird, sofern nicht eine staatsvertragliche oder gesetzliche Regelung eine abweichende Ordnung vorsieht (lit. d).
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a) Es ist richtig, dass die von der C.T. Bowring vertretenen Versicherungsgesellschaften in der Schweiz nicht das Versicherungsgeschäft im eigentlichen Sinne betreiben, wenn sie mit den Beschwerdeführerinnen einen Versicherungsvertrag abschliessen. Das Versicherungsgeschäft setzt einen planmässigen Geschäftsbetrieb voraus, der sich an eine Vielzahl von Personen wendet, so dass die Risiken nach den Gesetzen der Statistik kompensiert werden können (vgl. BGE 107 Ib 56). Art. 3 Abs. 1 VAG stellt aber bei der Unterstellung unter die Versicherungsaufsicht nicht darauf ab, ob eine Gesellschaft in der Schweiz das Versicherungsgeschäft als solches betreibt, sondern darauf, ob sie in der Schweiz oder von der Schweiz aus im Versicherungsgeschäft "tätig" ist (qui exercent en Suisse "une activité" en matière d'assurance...). Es ergibt sich demnach schon aus dem Wortlaut des Gesetzes, dass für die Unterstellung unter die Versicherungsaufsicht entgegen der Auffassung der Beschwerdeführerinnen eine unter den vielfältigen Tätigkeiten, die zusammen den Betrieb des Versicherungsgeschäfts ausmachen, genügt, sofern sie sich in der Schweiz abspielt.
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b) Dass nicht nur das Versicherungsgeschäft als solches, sondern bereits eine einzelne Tätigkeit auf diesem Gebiet, im Extremfall der Abschluss eines einzigen Versicherungsvertrags, der schweizerischen Versicherungsaufsicht unterliegt, sofern eine Berührung mit der Schweiz besteht, folgt auch aus der Botschaft des Bundesrats zum VAG. Darin wird ausgeführt, es komme bei der Frage, was zur Geschäftstätigkeit in der Schweiz gehöre, nicht ![]() | 12 |
Ob aus Art. 1 Abs. 1 des früheren Versicherungsaufsichtsgesetzes vom 25. Juni 1885 (BS 10 S. 289 ff.) und insbesondere aus der Botschaft dazu (BBl 1885 I S. 124) etwas anderes abgeleitet werden kann, wie die Beschwerdeführerinnen geltend machen, kann dahingestellt bleiben. Immerhin sei bemerkt, dass die Praxis der Aufsichtsbehörden schon unter der Herrschaft des alten Rechts dahin ging, dass ein aufsichtspflichtiges Versicherungsgeschäft bereits dann vorliege, wenn eine Gesellschaft mit Einwohnern der Schweiz einen Versicherungsvertrag abschliesse (VEB 28 Nr. 77). Das Bundesgericht hat, ohne sich abschliessend zu äussern, in BGE 91 I 379 ausgeführt, diese Auslegung des (früheren) Gesetzes sei zwar sehr weit; sie lasse sich jedoch auf dessen Zweck stützen, das schweizerische Publikum im Gebiet des privaten Versicherungswesens zu schützen.
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c) Dass ausländische Versicherungseinrichtungen, die in der Schweiz eine Bewilligung zum Geschäftsbetrieb erlangen wollen, der Aufsichtsbehörde einen Geschäftsplan mit Angabe des örtlichen Tätigkeitsbereichs und der in der Schweiz zu verwendenden Tarife einzureichen haben (Art. 8 VAG), dass sie in der Schweiz eine Geschäftsstelle für das gesamte schweizerische Geschäft unter der Leitung eines Generalbevollmächtigten unterhalten müssen (Art. 14 Abs. 2 VAG) und dass sie über den Stand der Guthaben und Verpflichtungen in der Schweiz sowie über die Einnahmen und Ausgaben des schweizerischen Geschäfts Bericht zu erstatten haben (Art. 22 Abs. 2 VAG), ändert an diesem Ergebnis entgegen der Ansicht der Beschwerdeführerinnen nichts. Die C.T. Bowring ![]() | 14 |
d) Es trifft auch nicht zu, dass Art. 1 der Abgrenzungsverordnung mit Sinn und Zweck des VAG in Widerspruch stehen würde. Dieses Gesetz bezweckt nach seinem Art. 1 insbesondere den Schutz der Versicherten. Nach der bundesrätlichen Botschaft ist der Begriff des Versicherten im weitesten Sinn zu verstehen. Er umfasst nicht nur die Versicherungsnehmer, sondern auch die ![]() | 15 |
e) Ausländische Versicherungseinrichtungen der schweizerischen Versicherungsaufsicht zu unterstellen, wenn sie mit in der Schweiz domizilierten Personen Versicherungsverträge über die Deckung des Haftpflichtrisikos abschliessen, verstösst schliesslich entgegen der Auffassung der Beschwerdeführerinnen auch nicht gegen eine Regel des Völkerrechts. Die Schweiz greift nicht in die Hoheitsrechte fremder Staaten ein, wenn sie den schweizerischen Versicherungsbestand ausländischer Versicherungseinrichtungen beaufsichtigt. Da die Solvenz einer Versicherungseinrichtung nur aufgrund des gesamten Geschäftsbetriebs beurteilt werden kann, hat die schweizerische Aufsichtsbehörde zum Schutz der schweizerischen ![]() | 16 |
Es bleibt somit dabei, dass die Regelung in Art. 1 der Abgrenzungsverordnung nicht bundesrechtswidrig ist, so dass der geplante Vertragsabschluss an sich der staatlichen Aufsicht untersteht.
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3. Die Beschwerdeführerinnen berufen sich indessen auch auf Art. 3 Abs. 1 Satz 2 der Abgrenzungsverordnung. Nach dieser Bestimmung wird die Befreiung von der Versicherungsaufsichtspflicht ausgesprochen, wenn im Einzelfall nachgewiesen ist, dass kein Schutzbedürfnis besteht. Die Beschwerdeführerinnen machen geltend, sie hätten als Treuhand- und Buchprüferunternehmungen, die unter anderem auch mit der Revision einer Vielzahl von Versicherungseinrichtungen betraut seien, einen in jeder Beziehung hinreichenden Einblick in die Solididät der fraglichen Versicherer sowie in die Prämiengestaltung auf dem Gebiet der Berufshaftpflichtversicherung; wegen ihrer Sachkenntnis bestehe auch kein Anlass zu einem behördlichen Schutz vor Täuschung durch unklare Verhältnisse, unwahre Kundgebungen und falsche Angaben des Versicherers, vor sachwidriger Gestaltung der Versicherungsbedingungen sowie vor der Verletzung zwingender Bestimmungen des VVG; schliesslich seien sie ebenso gut wie die Aufsichtsbehörde in der Lage, ihre Vertragspartner zu kontrollieren. Demgegenüber stellt sich das EJPD auf den Standpunkt, ![]() | 18 |
a) Es ist richtig, dass die Versicherungsaufsicht nicht schon dann entfällt, wenn ein Versicherungsnehmer glaubt, seine Interessen gegenüber den Versicherungsgesellschaften selbst wahrnehmen zu können. Das VAG will das Publikum schlechthin schützen, ohne Rücksicht auf die mehr oder weniger grossen Fachkenntnisse des Einzelnen. Wie bereits dargetan worden ist, versucht es diesen Zweck dadurch zu erreichen, dass es jede Tätigkeit im Versicherungsgeschäft mit Auswirkungen in der Schweiz der staatlichen Aufsicht unterwirft, nicht nur das Betreiben des Versicherungsgeschäfts im eigentlichen Sinne, so dass im Extremfall bereits der Abschluss eines einzigen Versicherungsvertrags mit einem in der Schweiz domizilierten Versicherungsnehmer einer Bewilligung bedarf. Diese sehr weitgehende Ausdehnung der Aufsichtskompetenz (vgl. BGE 91 I 379) ist angesichts der für den Laien nicht ohne weiteres erkennbaren Gefahren des Versicherungsgeschäfts im Normalfall durchaus gerechtfertigt. Verfügt der betreffende Versicherungsnehmer aber ausnahmsweise über besondere Fachkenntnisse im Versicherungswesen, die es ihm ermöglichen, sich ein Urteil über den abzuschliessenden Versicherungsvertrag zu bilden und die damit verbundenen Risiken zu überblicken, so entfällt die Rechtfertigung dafür, auch einen individuellen Vertrag der staatlichen Aufsicht zu unterstellen. In diesem Sinne sind die Fachkenntnisse des Versicherungsnehmers bei der Prüfung der Frage, ob ein Schutzbedürfnis im Sinne von Art. 3 Abs. 1 der Abgrenzungsverordnung vorliegt, entgegen der Auffassung des EJPD von erheblicher Bedeutung. Würde man nicht darauf abstellen, käme diese Bestimmung, die mit dem Sinn und Zweck des VAG als eines Polizeigesetzes in Einklang steht (vgl. Art. 1 VAG), überhaupt nie zur Anwendung. Auf das Kriterium der Fachkunde ![]() | 19 |
b) Im vorliegenden Fall wollen die C.T. Bowring und die von ihr vertretenen Versicherer in der Schweiz nicht das Versicherungsgeschäft im eigentlichen Sinne betreiben. Sie wenden sich nicht an das schweizerische Publikum, auch nicht an eine unbestimmte Zahl von Treuhandgesellschaften. In Frage steht vielmehr einzig der Abschluss eines individuellen Versicherungsvertrages mit zwei bestimmten Versicherungsnehmern. Es geht daher nicht um den mit dem Gesetz bezweckten Publikumsschutz, sondern einzig um den Schutz dieser zwei Versicherungsnehmer. Nun ist unbestritten geblieben und im übrigen notorisch, dass die Beschwerdeführerinnen als Kontrollstelle verschiedener Versicherungseinrichtungen amten. Sie sind daher aufgrund ihrer beruflichen Tätigkeit in ganz anderem Ausmass als ein Laie in der Lage, die Solvenz und Solidität solcher Einrichtungen, und zwar insbesondere auch in versicherungstechnischer Hinsicht, zu beurteilen. Ihre besondere Fachkenntnis erlaubt ihnen auch ein fundiertes Urteil über die Angemessenheit der Versicherungsbedingungen und die konkrete Ausgestaltung des vorgesehenen Versicherungsvertrages. Freilich ist richtig, dass die Beschwerdeführerinnen die laufende Aufsicht nicht in gleicher Weise ausüben können wie die staatliche Aufsichtsbehörde, da ihnen die erforderlichen Überwachungs- und Eingriffsmöglichkeiten fehlen. Sie können sich jedoch die entsprechenden Kontrollrechte vertraglich einräumen lassen und ein Rücktrittsrecht vorsehen für den Fall, dass die verlangten Auskünfte nicht erteilt oder ungenügend ausfallen sollten, gerade weil beim Fehlen der staatlichen Aufsicht die Vorschriften des VVG nicht anwendbar sind (Art. 101 Abs. 1 Ziff. 2 VVG). Ferner können sie den Vertragsabschluss davon abhängig machen, dass die ausländischen Versicherer der Wahl eines schweizerischen Gerichtsstandes zustimmen und dass sie für ihre allfälligen Verbindlichkeiten aus dem Versicherungsvertrag in geeigneter Weise Sicherheit leisten. Es mag zutreffen, dass die Bestimmungen des VAG und des Kautionsgesetzes ihnen insgesamt einen besseren ![]() | 20 |
c) Für den geplanten Vertragsabschluss fehlt es somit an einem Schutzbedürfnis im Sinne von Art. 3 Abs. 1 Satz 2 der Abgrenzungsverordnung, weshalb die von der C.T. Bowring vertretenen ausländischen Versicherer diesbezüglich der schweizerischen Versicherungsaufsicht nicht unterstehen. Die Beschwerde ist demzufolge gutzuheissen. Bei diesem Ergebnis braucht nicht geprüft zu werden, ob sich die Beschwerdeführerinnen auch auf Art. 3 Abs. 2 der Abgrenzungsverordnung (Versicherungsgeschäfte einer in der Schweiz domizilierten Person im Rahmen einer vertraglichen internationalen Zusammenarbeit auf anderem als nur das Versicherungswesen betreffenden Gebiet) berufen können. Offen bleiben kann auch die Tragweite der von den Beschwerdeführerinnen angerufenen Bestimmungen des "Code de la libération des opérations invisibles" der OECD.
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