BGE 108 Ib 352 | |||
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Bearbeitung, zuletzt am 15.03.2020, durch: DFR-Server (automatisch) | |||
62. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 10. November 1982 i.S. Einwohnergemeinde Wohlen gegen Bergmann und Mitbeteiligte und Verwaltungsgericht des Kantons Bern, Staat Bern gegen Bergmann und Mitbeteiligte und Verwaltungsgericht des Kantons Bern sowie Bergmann und Mitbeteiligte gegen Staat Bern, Einwohnergemeinde Wohlen und Verwaltungsgericht des Kantons Bern (Verwaltungsgerichtsbeschwerde) | |
Regeste |
Art. 5 Abs. 2 RPG; materielle Enteignung, Sonderopfer. |
2. Auch die Annahme eines Sonderopfers setzt voraus, dass dem Grundeigentümer eine in naher Zukunft sehr wahrscheinlich realisierbare Nutzung entzogen wird (E. 4b). |
3. Liegt weder eine Enteignung noch eine enteignungsähnliche Eigentumsbeschränkung vor, so kann ein allfälliger Anspruch auf Ersatz nutzlos gewordener Planungskosten nicht auf Art. 22ter Abs. 3 BV bzw. Art. 5 Abs. 2 RPG, sondern nur auf Art. 4 BV (Vertrauensschutz) gestützt werden (E. 4b aa ff.). | |
Sachverhalt | |
Vorderdettigen ist eine an die Aare anstossende, im übrigen von Wald umgebene Geländekammer auf dem Gebiet der Gemeinde Wohlen bei Bern. Ernst Bergmann beabsichtigt seit den sechziger Jahren, seinen in Vorderdettigen geführten Bauernbetrieb aufzugeben und das Land einer Grossüberbauung zuzuführen. Während der Projektierungsarbeiten wurde das ursprünglich der Wohnzone zugewiesene Land zunächst gestützt auf den Bundesbeschluss über dringliche Massnahmen auf dem Gebiet der Raumplanung provisorisch unter Schutz gestellt und im Jahre 1977 ausgezont. Das Land befindet sich heute im übrigen Gemeindegebiet.
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Die betroffenen Grundeigentümer und der beauftragte Architekt verlangten von der Gemeinde eine Entschädigung aus materieller Enteignung. Die Forderung umfasste einen Anspruch für den Minderwert des Landes und einen Anspruch für die nutzlos gewordenen Planungskosten. Das Verwaltungsgericht des Kantons Bern, das sich in zweiter Instanz mit dem Begehren zu befassen hatte, kam zum Schluss, im Zeitpunkt der provisorischen Unterschutzstellung habe nicht angenommen werden können, dass eine in naher Zukunft realisierbare Überbauungschance bestanden habe. Vom Entzug einer wesentlichen aus dem Eigentum fliessenden Befugnis könne daher nicht gesprochen und aus diesem Grund könne auch keine Entschädigung für die geltend gemachte Wertverminderung des Bodens ausgerichtet werden. Doch anerkannte das Gericht eine materielle Enteignung in Form eines Sonderopfers, das der Eigentümer Ernst Bergmann und der beauftragte Architekt wegen des Verlusts ihrer unnützen Aufwendungen erbracht hätten. Nach der Auffassung des Verwaltungsgerichts verlangt die Eigentumsgarantie, dass der auf Grund der geltenden Rechtsordnung plan- und reglementskonform planende Grundeigentümer schadlos gehalten wird, wenn das Gemeinwesen diese Nutzung durch eine zulässige Planungsmassnahme verhindert.
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Die Einwohnergemeinde Wohlen, der Staat Bern und die Grundeigentümer führen gegen diesen Entscheid Verwaltungsgerichtsbeschwerde beim Bundesgericht. Dieses teilt die Auffassung des Verwaltungsgerichts in bezug auf die Forderung aus Minderwert des ausgezonten Landes, gelangt jedoch in der Frage des Sonderopfers zu einem andern Ergebnis; es weist das Begehren der Grundeigentümer ab und heisst die Beschwerden der Einwohnergemeinde Wohlen und des Staates Bern gut.
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Auszug aus den Erwägungen: | |
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Das Verwaltungsgericht bejaht ein Sonderopfer des Eigentümers Ernst Bergmann und des Architekten Jean Hentsch, dem Bergmann am 12. September 1969 ein bis zum 31. Dezember 1977 verlängertes Kaufsrecht eingeräumt hatte. Es leitet aus diesem Sonderopfer einen Anspruch auf Schadenersatz für den unnütz gewordenen Planungsaufwand her. Doch ist es sich - wie sowohl aus seinem Entscheid als auch aus seiner Vernehmlassung hervorgeht - bewusst, dass es damit "verfassungsrechtliches Neuland" beschritten hat. Es möchte das Sonderopfer "sozusagen zu neuem Leben erwecken", wenn es im Zusammenhang mit der materiellen Enteignung überhaupt noch einen Sinn haben solle; andernfalls sei nicht einzusehen, wozu der Begriff überhaupt taugen sollte.
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a) Das Verwaltungsgericht hat zutreffend erkannt, dass seine Annahme eines "besonders konzipierten Sonderopfers" nicht dem Tatbestand der materiellen Enteignung entspricht, wie ihn die Rechtsprechung des Bundesgerichts in konstanter Praxis umschreibt. Hat die Änderung eines Zonenplans, namentlich eine Auszonung, nicht zur Folge, dass eine in naher Zukunft sehr wahrscheinlich mögliche bauliche Nutzung entzogen wird, so kann gemäss der bundesgerichtlichen Umschreibung des Tatbestandes der materiellen Enteignung auch nicht von einem Sonderopfer gesprochen werden. In beiden Fällen - sowohl dem Tatbestand des Entzuges einer wesentlichen aus dem Eigentum fliessenden Befugnis als auch demjenigen des Sonderopfers - ist die Möglichkeit einer zukünftigen besseren Nutzung der Sache nur zu berücksichtigen, wenn im massgebenden Zeitpunkt anzunehmen war, diese lasse sich sehr wahrscheinlich in naher Zukunft verwirklichen (BGE 108 Ib 351 E. 5a; BGE 107 Ib 223 E. 2 mit Verweisungen. Trifft dies nicht zu, so entfällt auch die Annahme eines Sonderopfers.
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Diese Rechtsprechung geht davon aus, dass eine Eigentumsbeschränkung nur dann einer Enteignung gleichkommen kann (Art. 22ter Abs. 3 BV), wenn sie dem Eigentümer nicht bloss die Hoffnung auf eine ertragsreichere Grundstücksnutzung nimmt, sondern wenn sie zufolge des Entzuges einer realisierbaren Nutzungsmöglichkeit zu einer enteignungsrechtlich erheblichen Wertminderung seines Eigentums führt. Wiegt der Eingriff besonders schwer, weil eine wesentliche aus dem Eigentum fliessende Befugnis entzogen wird, so ist Entschädigung stets geschuldet. Geht der Eingriff weniger weit, hat er jedoch eine stossende Rechtsungleichheit gegenüber anderen Eigentümern in gleichen Verhältnissen zur Folge, so ist zum Ausgleich dieser Ungleichheit Entschädigung geschuldet (vgl. die seither stets wiederholte Klarstellung im Grundsatzentscheid Barret BGE 91 I 329 ff., 339 E. 3).
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Richtig ist, dass sich das Mass an Aufopferung und Zumutbarkeit, das die Entschädigungspflicht auslöst, nicht generell umschreiben lässt und dass die bisherige Rechtsprechung nur wenige Anhaltspunkte hierfür erkennen lässt (ARTHUR MEIER-HAYOZ, Berner Kommentar zum Sachenrecht, 5. Aufl., IV, 1.1, N. 637 bis 639, S. 241/242). Doch ist deswegen der Entschädigungstatbestand des Sonderopfers nicht wertlos, wird er doch bereits dazu beitragen, dass bei Erlass von Eigentumsbeschränkungen darauf geachtet wird, stossende Rechtsungleichheiten zu vermeiden. Denkbar wäre eine derartige Ungleichheit - wie die bundesgerichtliche Rechtsprechung andeutet (BGE 102 Ia 249 E. 5c) - bei der Unterschutzstellung eines Gebäudes in einem Strassenzug, der nach der Zonenordnung mit einer grösseren Geschosszahl überbaut werden dürfte; diesfalls käme die Unterschutzstellung einer Baubeschränkung gleich, die sich ebenso auswirkt wie eine zugunsten des Gemeinwesens begründete, ausschliesslich einen Eigentümer belastende Dienstbarkeit. Eine solche könnte auch Gegenstand eines formellen Enteignungsverfahrens bilden. Führt die Denkmalschutzanordnung zu einer erheblichen Wertminderung und wird diese nicht durch staatliche Beiträge oder allfällige andere mögliche Massnahmen in ausreichendem Masse ausgeglichen, so wäre die Zusprechung einer Enteignungsentschädigung unter dem Gesichtspunkt des Sonderopferausgleichs nicht auszuschliessen.
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Gleich verhält es sich, wenn im Rahmen eines speziellen Überbauungsplans eine oder einzelne wenige baureife Parzellen zu rund 3/4 der Grundstücksfläche mit einem teilweisen Bauverbot belegt werden, um im öffentlichen Interesse die Aussicht zu sichern. Auch ein derartiges Bauverbot kommt - wie das Bundesgericht festgestellt hat (BGE 107 Ib 384 ff. E. 3) - einer Servitut gleich, die Gegenstand eines formellen Enteignungsverfahrens bilden könnte. Führt in einem solchen Fall die Belastung zu einer erheblichen Wertverminderung und kann diese nicht durch sonstige Massnahmen wie etwa durch Wertausgleich im Umlegungsverfahren ersetzt werden, so ist die im Verhältnis zu andern Eigentümern stossende Belastung des einen oder der wenigen betroffenen Eigentümer durch eine Sonderopferentschädigung auszugleichen.
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b) Im vorliegenden Fall liegt kein derartiges Sonderopfer vor. Die Auszonung, die mit der bundesgerichtlichen Rechtsprechung über die Zulässigkeit der Redimensionierung zu gross bemessener Bauzonen in Einklang steht (BGE 105 Ia 235 E. 3c cc; 103 Ia 252 E. 2b; 102 Ia 433 E. 4b), hat den Eigentümern keine in naher Zukunft sehr wahrscheinlich realisierbare Baunutzung entzogen.
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Mit der neuen Konzeption des Sonderopfers möchte das Verwaltungsgericht einen an die Auszonung anknüpfenden Schadenersatz für den Planungsaufwand des Ernst Bergmann und des Architekten Jean Hentsch begründen, weil dieser Aufwand aufgrund des Zonenreglementes der Gemeinde Wohlen aus dem Jahre 1964 habe betrieben werden dürfen und die Gemeinde ausserdem gewisse Kosten durch ihre teilweise widersprüchliche Haltung und ihre Mitarbeit mitverursacht habe. Es fragt sich, ob der bundesrechtliche Begriff der materiellen Enteignung, insbesondere das Tatbestandsmerkmal des Sonderopfers, entsprechend erweitert werden soll.
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aa) Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts hat ein Bauherr keinen Anspruch auf Ersatz nutzlos gewordener Planungskosten, wenn sein Vorhaben aufgrund der geltenden Bauvorschriften nicht bewilligt werden kann. Dies gilt auch dann, wenn das Baugesuch im Zeitpunkt der Einreichung dem geltenden Recht entsprach, dann aber bis zum Entscheid über die Bewilligung die gesetzlichen Grundlagen zum Nachteil des Gesuchstellers geändert wurden; der Grundeigentümer besitzt keinen Anspruch darauf, dass das für sein Grundstück in einem bestimmten Zeitpunkt geltende Baurecht auch in Zukunft unverändert bleibt. Hat jedoch gerade die Einreichung eines bestimmten Baugesuchs Anlass zur Änderung der Bauordnung gegeben, weil die Baubehörden die Ausführung des Vorhabens auf diese Weise verhindern wollten, so kann eine Entschädigung für die nutzlos gewordenen Aufwendungen ohne Verletzung von Art. 4 BV nicht verweigert werden, wenn die Absicht der Baubehörden für den Grundeigentümer nicht voraussehbar war. Ersatz muss sodann auch in denjenigen Fällen geleistet werden, in welchen dem Bauwilligen vor Einreichung des Baugesuchs Zusicherungen auf den Fortbestand der geltenden Bauvorschriften gegeben worden waren. Sind diese Voraussetzungen erfüllt, muss Entschädigung auch dann ausgerichtet werden, wenn keine Enteignung, weder eine formelle, noch eine materielle, vorliegt. Im Falle einer Enteignung könnte die Vergütung der entsprechenden Kosten zu den nach Enteignungsrecht zu entschädigenden Inkonvenienzen zählen (BGE 102 Ia 252 /253 E. 7 mit Verweisungen).
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Aus dieser Begründung ergibt sich, dass das Bundesgericht den unter bestimmten Voraussetzungen bejahten Anspruch auf Ersatz von Projektierungskosten in Fällen, in denen keine Enteignung vorliegt, aus Art. 4 BV als Konsequenz des Prinzips des Vertrauensschutzes herleitet. Der Verfassungsgrundsatz von Art. 22ter Abs. 3 BV gebietet volle Entschädigung nur bei Enteignung und Eigentumsbeschränkungen, die einer Enteignung gleichkommen; er enthält somit kein verfassungsrechtliches Gebot zur Entschädigung in Fällen, in denen keine formelle oder materielle Enteignung vorliegt.
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bb) An dieser Rechtsprechung ist festzuhalten. Die Sonderopferentschädigung dient zwar auch der Respektierung des Art. 4 BV, indem sie eine Rechtsungleichheit ausgleichen will. Doch ist diese Rechtsungleichheit darauf zurückzuführen, dass eine Eigentumsbeschränkung als solche einen oder einzelne wenige Eigentümer gegenüber andern Eigentümern in gleichen Verhältnissen in stossender Weise ungleich trifft.
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Soll hingegen zufolge einer Rechtsänderung Schadenersatz geleistet werden, um Aufwendungen zu ersetzen, welche im Vertrauen auf den Bestand früheren Rechts gemacht wurden, so geht es um eine umfassendere öffentlichrechtliche Entschädigung für rechtmässiges staatliches Handeln, das sich keineswegs nur auf Massnahmen der Raumplanung bezieht. Entgegen der Annahme des Verwaltungsgerichts setzt die gemäss dem angeführten bundesgerichtlichen Entscheid unter bestimmten Voraussetzungen gebotene Vergütung der Projektierungskosten kein rechtswidriges Verhalten der Behörden voraus.
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Richtigerweise hat sich daher eine entsprechende Entschädigungspflicht nach den Anforderungen zu richten, die sich aus Art. 4 BV ergeben. Dabei ist davon auszugehen, dass das Prinzip des Vertrauensschutzes gemäss der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichts einer Änderung des geltenden Rechts nicht entgegensteht (BGE 107 Ia 36 E. 3a mit Verweisungen, insbesondere auf 102 Ia 336 E. 3c). Eine Entschädigung kann daher nur unter qualifizierten Voraussetzungen in Frage kommen, wie sie gegeben sind, wenn in wohlerworbene Rechte eingegriffen, von ausdrücklichen Zusicherungen des Gesetzgebers abgewichen oder zur gezielten Verhinderung eines bestimmten Vorhabens, das verwirklicht werden könnte, in nicht voraussehbarer Weise eine Rechtsänderung beschlossen wird.
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cc) Die Beurteilung der vorliegenden Sache nach diesen Kriterien führt zu folgendem Ergebnis:
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Die "Opération Vorderdettigen" konnte, wie dies auch das Verwaltungsgericht festgestellt hat und vorne eingehend dargelegt wurde (E. 3), aus rechtlichen Gründen zu keiner Zeit verwirklicht werden. Ein Anspruch auf Ersatz von Projektierungskosten im Fall einer Rechtsänderung besteht jedoch nur für Vorhaben, die nach bisher geltendem Recht hätten ausgeführt werden können. Wer Studien für die Überbauung eines Areals anfertigt, das noch nicht alle baurechtlichen Voraussetzungen zur Bauausführung erfüllt, handelt auf eigenes Risiko (BGE 108 Ib 352 E. 5c).
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