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Bearbeitung, zuletzt am 15.03.2020, durch: DFR-Server, A. Tschentscher | |||
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69. Urteil der II. Zivilabteilung vom 28. Oktober 1982 i.S. Schweizerische Eidgenossenschaft gegen Kanton Basel-Stadt (staatsrechtliche Klage) | |
Regeste |
Kantons- und Gemeindebürgerrecht der Frau im Falle von Heirat. |
2. Eine kantonale Regelung, die es der Frau ermöglicht, bei der Heirat ihr bisheriges Kantons- und Gemeindebürgerrecht beizubehalten, steht zudem materiell mit dem Bundesrecht in Widerspruch (E. 3). | |
Sachverhalt | |
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Im Rahmen dieser Gesetzesänderung wurden unter anderem die §§ 5, 8 und 22 Abs. 1 des Bürgerrechtsgesetzes wie folgt neu gefasst:
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§ 5. Der Verlust des Kantons- oder Gemeindebürgerrechts infolge Standesänderung, Heirat oder Adoption richtet sich unter Vorbehalt von § 8 nach Bundesrecht.
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§ 8. Wer ein anderes Kantonsbürgerrecht erwirbt, verliert das Baslerbürgerrecht, wenn er nicht innert sechs Monaten nach Empfang einer Aufforderung gegenüber dem Zivilstandsamt Basel-Stadt schriftlich erklärt, dieses beibehalten zu wollen.
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2 Eine solche Erklärung kann auch die Baslerbürgerin abgeben, die durch Heirat oder Einbürgerung des ausländischen Ehemannes ein anderes Kantonsbürgerrecht erwirbt.
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§ 22 Abs. 1. Der Baslerbürgerin, die das Bürgerrecht durch Heirat mit einem Schweizer Bürger verloren hat, steht gegen Entrichtung der Kanzleigebühr ein Anspruch auf Wiederaufnahme in das Baslerbürgerrecht und das frühere Gemeindebürgerrecht zu.
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Die Beibehaltung des angestammten Bürgerrechts durch Baslerinnen bei Heirat mit Schweizer Bürgern aus andern Kantonen hatte bereits in früheren Jahren Gegenstand von Vorstössen im Grossen Rat des Kantons Basel-Stadt gebildet. Diese Vorstösse hatten jedoch nicht zu einer Änderung der Gesetzgebung geführt. Sie waren dadurch ausgelöst worden, dass eine Basler Bürgerrätin aus dem Weiteren Bürgerrat der Stadt Basel hatte ausscheiden müssen, nachdem sie einen Solothurner geheiratet und damit ihr ![]() | 7 |
B.- Mit Eingabe vom 1. April 1982 erhob die Schweizerische Eidgenossenschaft gestützt auf Art. 83 lit. a OG beim Bundesgericht gegen den Kantons Basel-Stadt und dessen Grossen Rat staatsrechtliche Klage. Sie stellte folgende Anträge:
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"1. Es seien in Gutheissung der Klage nachstehende Bestimmungen des vom Grossen Rat des Kantons Basel-Stadt am 18. Februar 1982 erlassenen kantonalen Gesetzes über die Änderung des Bürgerrechtsgesetzes vom 19. März 1964 als bundesrechtswidrig aufzuheben:
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- in § 5 der Passus: "unter Vorbehalt von § 8";
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- in § 8 Abs. 2 die Wendung: "Heirat oder";
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- § 22 Abs. 1.
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2. Es sei durch vorsorgliche Verfügung den Behörden des Kantons Basel-Stadt sofort zu untersagen, die als bundesrechtswidrig gerügten Bestimmungen des bezeichneten neuen kantonalen Gesetzes bis zur Fällung des Urteils anzuwenden."
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Nachdem der Präsident der II. Zivilabteilung des Bundesgerichts der Klage am 6. April 1982 superprovisorisch aufschiebende Wirkung erteilt hatte, bestätigte er diese Verfügung am 16. April 1982 unter Hinweis darauf, dass sich der Beklagte dem Gesuch um aufschiebende Wirkung nicht widersetzt habe.
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In seiner Klageantwort vom 30. Juli 1982 nahm der Grosse Rat des Kantons Basel-Stadt zu den Ausführungen in der Klageschrift Stellung. Er beantragte die Abweisung der Klage und die Aufhebung der vorsorglichen Verfügung, mit welcher der Klage aufschiebende Wirkung zuerkannt worden war.
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Ein weiterer Schriftenwechsel fand nicht statt.
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Das Bundesgericht zieht in Erwägung: | |
1. Nach Art. 83 lit. a OG beurteilt das Bundesgericht im Verfahren der staatsrechtlichen Klage Kompetenzkonflikte zwischen Bundesbehörden einerseits und kantonalen Behörden anderseits. Die Zuständigkeit des Bundesgerichts zur Entscheidung ![]() | 17 |
Ein Kompetenzkonflikt im Sinne der erwähnten Bestimmungen liegt vor, wenn zwischen dem Bund und einem Kanton Uneinigkeit über die Abgrenzung der beidseitigen Zuständigkeitsbereiche herrscht (BGE 103 Ia 333 E. 2a; BGE 81 I 39 E. 1; BIRCHMEIER, Handbuch des OG, S. 290; FLEINER/GIACOMETTI, Schweiz. Bundesstaatsrecht, S. 872). Das ist hier der Fall. Der Bund bestreitet dem Kanton Basel-Stadt das Recht, Regeln über die Beibehaltung des Kantonsbürgerrechts durch Basler Bürgerinnen, die Bürger anderer Kantone heiraten, aufzustellen. Er macht geltend, dass der Kanton Basel-Stadt mit dem Erlass entsprechender Bestimmungen in die Zuständigkeit der Eidgenossenschaft eingegriffen und gleichzeitig materielles Bundesrecht verletzt habe. Auf die Klage ist daher einzutreten.
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Was die Bezeichnung der beklagten Partei anbetrifft, kann man sich fragen, ob der Kanton Basel-Stadt oder dessen Grosser Rat als Beklagter zu betrachten sei. In der Klageschrift sind beide als Beklagte aufgeführt. Da Gegenstand des Streites die Frage bildet, ob die in Frage stehenden kantonalen Bestimmungen als bundesrechtswidrig aufzuheben seien, ist indessen der Kanton als solcher und nicht der Grosse Rat als Beklagter zu betrachten. Nachdem die Referendumsfrist gegen die Gesetzesrevision unbenützt abgelaufen ist, geht es nicht mehr bloss um einen Beschluss des Grossen Rates, der Anfechtungsobjekt bildet, sondern um ein nach kantonalem Recht definitiv zustande gekommenes Gesetz. Als Partei steht dem Bund somit der Kanton gegenüber. Die Rolle des Grossen Rates beschränkt sich darauf, dass er den Kanton Basel-Stadt im vorliegenden Kompetenzkonflikt vertritt. Da es sich dabei aber um eine Frage der richtigen Parteibezeichnung handelt und nicht um eine solche der Passivlegitimation, ist davon abzusehen, auf die Klage insoweit nicht einzutreten, als sie sich auch gegen den Grossen Rat des Kantons Basel-Stadt richtet.
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2. Dem Kanton Basel-Stadt fehlt die Zuständigkeit, der Baslerin, die durch Heirat ein anderes Kantonsbürgerrecht erwirbt, die Beibehaltung des Basler Bürgerrechtes zu ermöglichen, in zwei Fällen: Erstens, wenn sich aus der Bundesverfassung eine ausschliessliche Zuständigkeit des Bundes zur Regelung dieser Frage ergibt, und zweitens, wenn dem Bundesrecht der Verfassungs- oder Gesetzesstufe eine materielle Regel des Inhalts entnommen werden kann, dass die den Bürger eines andern Kantons ![]() | 20 |
a) Eine solche Bundeskompetenz ist jedenfalls nicht ausdrücklich in der Bundesverfassung verankert. Nach Art. 44 Abs. 2 der geltenden Verfassung ist der Bund nur zuständig, die Bedingungen für die Erteilung und den Verlust des Schweizer Bürgerrechts durch die Bundesgesetzgebung festzusetzen. Eine ausdrückliche Bundeskompetenz bezüglich des Kantons- und Gemeindebürgerrechts würde erst bestehen, wenn die Bundesverfassung im Sinne des Antrages geändert würde, der den eidgenössischen Räten vom Bundesrat mit Botschaft vom 7. April 1982 unterbreitet worden ist. Danach soll Art. 44 Abs. 1 BV folgenden Wortlaut erhalten:
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"Der Bund regelt den Erwerb und den Verlust der Bürgerrechte durch Heirat, Abstammung und Adoption sowie den Verlust des Schweizer Bürgerrechts und die Wiedereinbürgerung" (BBl 1982 II S. 125 ff., insbes. S. 158).
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b) Es kann sich daher nur fragen, ob aus einer andern Bestimmung der Bundesverfassung bereits heute eine entsprechende stillschweigende Bundeskompetenz abgeleitet werden kann. In der Klageschrift wird eine Gesetzgebungskompetenz des Bundes für Erwerb und Verlust des Kantons- und Gemeindebürgerrechts auf Grund familienrechtlicher Tatsachen aus Art. 64 BV abgeleitet, der eine umfassende Zuständigkeit des Bundes zur Gesetzgebung auf dem Gebiete des Zivilrechts begründet. Es wird dabei nicht verkannt, dass das Bürgerrecht eine Einrichtung des öffentlichen Rechts darstellt (so ausdrücklich auch Art. 22 Abs. 2 ZGB). Indessen wird geltend gemacht, dass die Zuständigkeit des Bundes zur Gesetzgebung auf dem Gebiet des Zivilrechts die Befugnis mitumfasse, öffentlichrechtliche Bestimmungen zu erlassen, soweit diese für die Verwirklichung des Bundesprivatrechts unerlässlich seien oder Voraussetzung für eine vernünftige Vereinheitlichung bildeten. Die mit dem Zivilgesetzbuch angestrebte Rechtsvereinheitlichung mache es notwendig, dass die bürgerrechtlichen Wirkungen familienrechtlicher Tatbestände für das ganze schweizerische Staatsgebiet gleich geregelt würden. Dies anerkenne grundsätzlich auch der Beklagte, der nur gerade für den besonderen Fall des Bürgerrechtsverlustes der Frau durch Heirat eine kantonale ![]() | 23 |
Die Gesetzgebungskompetenzen des Bundes lassen im allgemeinen die kantonale Zuständigkeit zur Legiferierung auf den entsprechenden Gebieten solange unberührt, bis der Bund von seiner Kompetenz Gebrauch macht und eine Ausführungsgesetzgebung erlässt (BGE 88 I 89 E. 3). In diesem Zeitpunkt wird dann aber die kantonale Zuständigkeit auf dem ganzen Gebiet, auf das sich das Bundesgesetz erstreckt, vernichtet. Es fragt sich nun hier, ob mit dem Erlass des Zivilgesetzbuches durch den Bundesgesetzgeber die Kantone in diesem Sinne die Zuständigkeit eingebüsst haben, über den Verlust des Kantons- und Gemeindebürgerrechts der Frau infolge Heirat zu legiferieren.
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Im Rahmen des Familienrechts hat der Zivilgesetzgeber zu regeln, welches die Wirkungen des Kindesverhältnisses und der Ehe sind. Dabei stellt sich zwangsläufig die Frage, ob familienrechtliche Tatbestände wie die Entstehung eines Kindesverhältnisses durch Abstammung oder Adoption sowie der Abschluss einer Ehe mit einem Bürgerrechtserwerb verbunden sind und ob die Beendigung dieser Verhältnisse zum Verlust des erworbenen Bürgerrechts führt. Nach den in der Schweiz herrschenden Rechtsvorstellungen ist es sachgerecht, dass diese Frage trotz ihrer öffentlichrechtlichen Natur durch die Zivilgesetzgebung geregelt wird. Das Zivilgesetzbuch enthält denn auch eine Reihe von Bestimmungen über den Erwerb und die Beibehaltung des Bürgerrechts bei familienrechtlichen Tatbeständen. Es sei hier auf die Art. 134 Abs. 1, 149 Abs. 1, 161 Abs. 1, 267a und 271 ZGB verwiesen (vgl. auch Art. 259 Abs. 1 ZGB in Verbindung mit Art. 271 Abs. 1 ZGB). Gebietet aber der enge Sachzusammenhang, dass der Bürgerrechtserwerb in diesen Fällen vom Zivilgesetzgeber geregelt wird, liegt es nahe, dass dem gleichen Gesetzgeber auch die Befugnis zuerkannt wird, zu bestimmen, ob mit dem Bürgerrechtserwerb gleichzeitig der Verlust des bisherigen Bürgerrechts verbunden ist. Dies ist denn auch kaum umstritten, was den Bürgerrechtsverlust kraft familienrechtlicher Tatsachen bei Kindern anbetrifft. Streitig ist hingegen, ob sich die Zuständigkeit des Zivilgesetzgebers auch auf die Frage beziehe, was mit dem bisherigen Bürgerrecht der Schweizerin geschehen soll, die durch Heirat ![]() | 25 |
"Das unmündige Kind erhält anstelle seines bisherigen das Bürgerrecht der Adoptiveltern" (vgl. dazu die bundesrätliche Botschaft vom 12. Mai 1971, BBl 1971 I S. 1233 f.).
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Bei der gegenwärtig in Gang befindlichen Beratung der Revision des Eherechts vor den eidgenössischen Räten wird ferner eine einheitliche Regelung angestrebt, die es der Schweizer Bürgerin bei der Heirat ermöglichen soll, ihr bisheriges Kantons- und Gemeindebürgerrecht zu behalten. So hat der Ständerat als Erstrat, allerdings nur mit der knappen Mehrheit von 21 zu 18 Stimmen, beschlossen, die Ehefrau erhalte das Bürgerrecht des Ehemannes, ohne ihr bisheriges Bürgerrecht zu verlieren (Amtl.Bull. S 1981, S. 71-74). Auch dabei wird offensichtlich vorausgesetzt, dass sich eine entsprechende Bundeskompetenz aus Art. 64 Abs. 2 BV ergibt; eine andere Verfassungsgrundlage besteht - jedenfalls zur Zeit - nicht.
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Diese Überlegungen führen zum Schluss, dass die Zivilgesetzgebungskompetenz des Bundes im Interesse der Einheitlichkeit der Regelung der persönlichen Wirkungen der Ehe auch die Zuständigkeit umfassen muss, über Verlust oder Beibehaltung des bisherigen Kantons- und Gemeindebürgerrechts der Schweizerin, die mit der Heirat ein anderes solches Bürgerrecht erwirbt, zu entscheiden. Wie in Erwägung 3b dargelegt wird, hat der Bund als Zivilgesetzgeber von dieser Zuständigkeit auch Gebrauch ![]() | 28 |
Der Ableitung einer stillschweigenden Bundeskompetenz aus Art. 64 Abs. 2 BV hinsichtlich der hier streitigen Frage kann nicht etwa entgegengehalten werden, dass auf Grund der bundesrätlichen Botschaft vom 7. April 1982 über die Revision der Bürgerrechtsregelung in der Bundesverfassung die Kompetenz des Bundes zur Regelung des Erwerbs und Verlustes der Bürgerrechte durch Heirat, Abstammung und Adoption nunmehr ausdrücklich in der Verfassung verankert werden soll. Das Bedürfnis nach Klarstellung der Rechtslage durch Aufnahme einer ausdrücklichen Zuständigkeit in die Verfassung bedeutet nicht, dass nicht schon vorher eine entsprechende stillschweigende Kompetenz des Bundes bestanden haben kann.
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c) Ist somit der Bund ausschliesslich zuständig, über die Auswirkungen der Heirat auf das Kantons- und Gemeindebürgerrecht der Frau zu legiferieren, so erweist sich die Klage grundsätzlich als begründet, da dem Kanton Basel-Stadt diesfalls die entsprechende Kompetenz abgeht.
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a) Aus der Bundesverfassung lässt sich freilich eine Regel über den Bürgerrechtsverlust der Frau infolge Heirat nicht zwingend ableiten. Als einzige Verfassungsbestimmung, der eine solche Regel entnommen werden könnte, fällt Art. 54 Abs. 4 BV in Betracht. Er lautet:
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"Durch den Abschluss der Ehe erwirbt die Frau das Heimatrecht des Mannes."
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In der schweizerischen Rechtslehre ist umstritten, ob in dieser Bestimmung stillschweigend der Satz enthalten sei, dass die Frau damit gleichzeitig ihr bisheriges Kantons- und Gemeindebürgerrecht verliere (Dafür: W. BURCKHARDT, Kommentar der ![]() | 34 |
Ob aus Art. 54 Abs. 4 BV auf dem Wege der Auslegung eine Bürgerrechtsverlustregel abgeleitet werden kann, erscheint mindestens als sehr zweifelhaft. Als dieser Artikel im Jahre 1874 in die Bundesverfassung aufgenommen wurde, lag die Zuständigkeit zur Zivilgesetzgebung bei den Kantonen. Sein Zweck bestand, wie sich vor allem aus Art. 54 Abs. 1 BV ergibt, im Schutz der Ehe gegenüber kantonalen Behinderungen. Dass die Frau mit der Heirat das Bürgerrecht des Mannes erwerbe, bildete Teil des angestrebten Schutzes; es sollte damit die Einheit des Bürgerrechts in der Familie erreicht und die Eheschliessung von unnötigen Formalitäten (förmliche Bürgerrechtszusicherung durch den Kanton des Bräutigams) befreit werden (GIACOMETTI, a.a.O., S. 88). Dieser Zweck verlangt indessen nicht, dass die Frau ihr bisheriges Bürgerrecht verliere. Wenn die Kantone ihren ausheiratenden Bürgerinnen das bisherige Bürgerrecht hätten belassen wollen, so wäre dadurch das von Art. 54 Abs. 4 BV verfolgte Ziel in keiner Weise beeinträchtigt worden. Seit die Eheschliessung und die Wirkungen der Ehe im Zivilgesetzbuch für die ganze Schweiz einheitlich geregelt worden sind, hat Art. 54 BV seine Bedeutung weitgehend eingebüsst. Es widerspräche unter diesen Umständen dem Entstehungsgrund dieser Bestimmung, daraus eine Bindung des Gesetzgebers an eine Verlustregel ableiten zu wollen, die im Verfassungswortlaut keinen Ausdruck gefunden hat und sich vom Zweck her nicht rechtfertigen lässt. Dazu kommt, dass sich die Anschauungen über die Wirkungen der Ehe seit 1874 grundlegend geändert haben. Diesem Umstand darf bei der Verfassungsinterpretation Rechnung getragen werden, nachdem die historische Auslegung eine extensive Deutung wie gesehen nicht aufdrängt und der Bundesgesetzgeber ![]() | 35 |
b) Hingegen vertritt die Klägerin die Auffassung, eine solche Bürgerrechtsverlustregel könne dem Zivilgesetzbuch entnommen werden. Dieses bestimmt in Art. 161 Abs. 1, die Ehefrau erhalte den Familiennamen und das Bürgerrecht des Ehemannes. Sowenig wie Art. 54 Abs. 4 BV schreibt somit Art. 161 Abs. 1 ZGB ausdrücklich vor, dass die Frau mit dem Erwerb des Bürgerrechts des Mannes gleichzeitig ihr bisheriges Bürgerrecht verliere. Es stellt sich die Frage, ob dieser Bestimmung trotzdem eine entsprechend weitreichende Bedeutung zukomme.
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Wie im Gutachten IMBODEN zutreffend ausgeführt wird, ergibt sich der Verlust des bisherigen Bürgerrechts der Frau nicht etwa aus Gründen der Logik zwingend daraus, dass diese mit der Heirat das Bürgerrecht des Ehemannes erwirbt. Die gegenteilige Folgerung ist vielmehr ebenso gut möglich. Damit ist jedoch die Frage nach der Tragweite des Art. 161 Abs. 1 ZGB noch nicht beantwortet. Entgegen dem Gutachten IMBODEN kommt es nicht einer (nur in Ausnahmefällen zulässigen) Interpretation gegen den Wortlaut gleich, wenn aus einer Gesetzesbestimmung durch Auslegung eine Regel abgeleitet wird, die im Wortlaut keinen Ausdruck gefunden hat und sich auch rein formallogisch nicht daraus ergibt. So verhält es sich jedenfalls auf dem Gebiet der Zivilgesetzgebung. Nach Art. 1 Abs. 1 ZGB findet das Gesetz auf alle Rechtsfragen Anwendung, für die es nach Wortlaut oder Auslegung eine Bestimmung enthält. Damit hat es der Zivilgesetzgeber ausdrücklich zugelassen, dass durch Auslegung aus dem Gesetz eine Regel abgeleitet wird, die über den Wortlaut hinausgeht. Dies trifft insbesondere da zu, wo etwas im Gesetz nur deshalb nicht geregelt worden ist, weil es als selbstverständlich betrachtet wurde.
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Ein solcher Fall liegt hier vor. Mit der Aufnahme der Regel, die Frau erhalte den Familiennamen und das Bürgerrecht des Ehemannes, ins Gesetz wollte der Gesetzgeber so wenig wie in bezug auf den Familiennamen offen lassen, ob die Ehefrau das bisherige Bürgerrecht verliere oder ob sie es allenfalls beibehalten könne. Auf Grund der zur Zeit des Gesetzeserlasses herrschenden Rechtsüberzeugung wurde Art. 161 Abs. 1 ZGB vielmehr so verstanden, dass das Bürgerrecht des Ehemannes mit der Heirat an die Stelle ![]() | 38 |
Zumeist wird angenommen - und auch die Klageantwort schliesst diese Annahme nicht aus -, dass der Verlust des angestammten Bürgerrechts der Schweizer Frau infolge Heirat ursprünglich auf kantonalem Gewohnheitsrecht beruht habe. Wie es sich damit auch immer verhält, von Bedeutung ist jedenfalls, dass bei Erlass des Zivilgesetzbuches als selbstverständlich vorausgesetzt wurde, mit dem Erwerb des Bürgerrechts des Ehemannes verliere die Frau gleichzeitig ihr bisheriges Bürgerrecht. Auch wenn diese Regel im Wortlaut des Gesetzes keinen Ausdruck gefunden hat, so floss sie doch in den Sinngehalt des Art. 161 Abs. 1 ZGB ein und wurde auf diese Weise Bestandteil des Bundeszivilrechts. Diese Annahme drängt sich auf, obwohl den Gesetzesmaterialien, soweit ersichtlich, hierüber nichts entnommen werden kann. Bezeichnenderweise wird in den Erläuterungen zum Vorentwurf des Zivilgesetzbuches lediglich ausgeführt, die Regeln betreffend Familiennamen, Bürgerrecht etc. der Ehefrau gäben zu keinen besonderen Bemerkungen Veranlassung (S. 144 der Ausgabe 1901). Offensichtlich wurde wie bis anhin davon ausgegangen, die Frau erwerbe durch die Heirat das Bürgerrecht des Mannes anstelle ihres bisherigen. Da das Zivilgesetzbuch hinsichtlich aller persönlichen Wirkungen der Ehe das bisherige kantonale Recht ersetzen wollte, kann nicht angenommen werden, dass nur gerade die Frage des Bürgerrechtsverlustes der Ehefrau davon ![]() | 39 |
Dass aus Art. 161 Abs. 1 ZGB sinngemäss abzuleiten ist, die mit der Heirat das Bürgerrecht des Ehemannes erwerbende Frau verliere gleichzeitig ihr bisheriges Bürgerrecht, entspricht denn auch verbreiteter Auffassung in Praxis und Lehre (vgl. BGE 90 I 131, ![]() ![]() | 40 |
Richtig ist hingegen, dass sich seit Erlass des Zivilgesetzbuches auch in bezug auf den innerstaatlichen Bereich die Anschauungen darüber grundlegend geändert haben, ob und inwiefern sich die Heirat auf das Bürgerrecht der Ehefrau auswirken soll. Der Grundsatz der Einheit des Bürgerrechts in der Familie geniesst heute nicht mehr allgemeine Anerkennung und wird jedenfalls nicht mehr wie früher in dem Sinne verstanden, dass die Frau mit der Heirat ihr angestammtes Bürgerrecht zwangsläufig verliere (vgl. dazu die Ausführungen in den Botschaften des Bundesrates zur Revision des Eherechts vom 11. Juli 1979 und über die Revision der Bürgerrechtsregelung in der Bundesverfassung vom 7. April 1982, BBl. 1979 II S. 1245 ff. und BBl 1982 II S. 133 f.). Es stellt sich deshalb die Frage, ob dieser Wechsel in den Anschauungen im Vergleich zur Zeit des Erlasses des Zivilgesetzbuches dazu Anlass geben könnte, Art. 161 Abs. 1 ZGB anders als bisher auszulegen. Ob es überhaupt möglich wäre, die bisher aus Art. 161 Abs. 1 ZGB abgeleitete Verlustregel auf dem Wege einer Auslegungsänderung aufzuheben und der Frau das angestammte Bürgerrecht bei der Heirat von Bundesrechts wegen zu belassen, braucht indessen nicht entschieden zu werden. Auch im Falle der Zulässigkeit einer solchen neuen Deutung des Gesetzes bliebe die streitige Frage bundesrechtlich geregelt, wenn auch im gegenteiligen Sinn als bis anhin. Die Kantone wären daher ebenfalls nicht zuständig, über den Verlust des bisherigen Bürgerrechts der Frau durch Heirat zu legiferieren. Der Grundsatz der derogatorischen Kraft des Bundesrechts findet auch da Anwendung, wo ein Kanton einen mit dem Bundesrecht inhaltlich übereinstimmenden Rechtssatz aufstellt; auch in einem solchen Fall überschreitet der betreffende Kanton die ihm zustehende Kompetenz, indem er eine Materie ordnet, die der Bundesgesetzgeber bereits geregelt hat (BGE 106 Ib 58; FLEINER/GIACOMETTI, a.a.O., S. 95 f.; H. HUBER, N. 20 zu Art. 6 ZGB).
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Auch die Anrufung des Gleichberechtigungsgrundsatzes in Art. 4 Abs. 2 BV durch die Klageantwort vermag am bisher Ausgeführten nichts zu ändern. Fällt die streitige Frage nicht in die Gesetzgebungskompetenz der Kantone, kann es nicht deren Aufgabe sein, auf dem Wege der Gesetzgebung für die bürgerrechtliche ![]() | 42 |
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Demgegenüber wird in der Klageantwort allerdings geltend gemacht, der Grosse Rat des Kantons Basel-Stadt habe sich nicht ![]() | 44 |
Die Klage ist somit in vollem Umfang gutzuheissen.
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Demnach erkennt das Bundesgericht:
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In Gutheissung der Klage werden folgende Bestimmungen des vom Grossen Rat des Kantons Basel-Stadt am 18. Februar 1982 erlassenen kantonalen Gesetzes über die Änderung des Bürgerrechtsgesetzes vom 19. März 1964 als bundesrechtswidrig aufgehoben:
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a) in § 5 der Passus "unter Vorbehalt von § 8";
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b) in § 8 Abs. 2 die Wendung "Heirat oder";
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