BGE 110 Ib 117 | |||
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20. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 4. Juli 1984 i.S. Schweizerischer Bund für Naturschutz gegen Erbengemeinschaft Siegenthaler, Gemeinde Mosen und Regierungsrat des Kantons Luzern (Verwaltungsgerichtsbeschwerde) | |
Regeste |
Bundesgesetz über den Natur- und Heimatschutz (NHG, SR 451). Art. 21 NHG: Begriff der Ufervegetation. | |
Sachverhalt | |
Der Regierungsrat des Kantons Luzern erteilte den Erben von Adolf Siegenthaler die Bewilligung, auf ihrem in der Gemeinde Mosen am Hallwilersee gelegenen Grundstück für die Erstellung eines Ferienhauses die Ufervegetation zu beseitigen. Der Schweizerische Bund für Naturschutz reichte dagegen Verwaltungsgerichtsbeschwerde ein. Das Bundesgericht weist die Beschwerde im Sinne der Erwägungen ab.
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Auszug aus den Erwägungen: | |
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Es ist zu prüfen, ob der Pflanzenbestand, dessen Beseitigung der Regierungsrat zur Erstellung des Ferienhauses bewilligt hat, Ufervegetation im Sinne dieser Bestimmungen darstellt. Der Regierungsrat bejahte die Frage. Er führte aus, unter Ufervegetation sei die Gesamtheit der Pflanzen zu verstehen, welche im Schwankungsbereich des Wasserspiegels leben. Dazu gehörten auch die Pflanzengesellschaften der Verlandungszone. Entgegen der bundesgerichtlichen Praxis spiele die Distanz zum Ufer und die landwirtschaftliche Verwendbarkeit keine entscheidende Rolle. Es sei vielmehr darauf abzustellen, ob die Bestockung typisch für den Schwankungsbereich des Wasserspiegels sei und welches die Art des Pflanzenvorkommens sei. Ein von der kantonalen Natur- und Heimatschutzkommission eingeholtes pflanzensoziologisches Gutachten habe ergeben, dass eine Vielzahl von Feuchtigkeitsanzeigern und Sumpfpflanzen vorhanden sei. Aus diesen Gründen handle es sich beim Pflanzenbestand auf der Bauparzelle um Ufervegetation im Sinne des Natur- und Heimatschutzgesetzes.
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Art. 21 NHG stellt die Ufervegetation wie beispielsweise Schilf- und Binsenbestände in genereller Weise unter Schutz, umschreibt indessen nicht näher, in welchem Bereich welche Pflanzen geschützt werden sollen. Das Bundesgericht hat hierzu ausgeführt, dass die Bestimmung entsprechend dem Randtitel und dem Gesetzestext auf Pflanzen anwendbar ist, welche die Ufer bedecken oder im Wasser wachsen (BGE 98 Ib 18, BGE 96 I 692 E. 2a). Über den unmittelbaren Uferbereich hinaus werden auch Pflanzen der Verlandungszone geschützt, sofern sie sich im Schwankungsbereich des Spiegels eines stehenden oder fliessenden Gewässers befinden (nicht veröffentlichtes Urteil des Kassationshofes vom 19. September 1972 i.S. W., E. 3). Umgekehrt ginge es zu weit, die Schutzbestimmung ohne Rücksicht auf den Schwankungsbereich auf die Vegetation einer nahe beim Ufer liegenden Wiese anzuwenden, selbst wenn dort wegen der besondern Verhältnisse gewisse Pflanzen von spezifischer Art wachsen (BGE 98 Ib 18). Art. 21 NHG schützt die für den Uferbereich typischen Pflanzen; doch gehören dazu nicht irgendwelche weit vom Ufer- und Schwankungsbereich entfernte, für Feuchtgebiete typische Pflanzen, und es kann daher nicht allein auf die Arten abgestellt werden. Das Bundesgericht hat ferner angenommen, der Schutz beschränke sich auf die Vegetation der für die Landwirtschaft nicht verwendbaren Uferzone und schliesse die Pflanzen auf landwirtschaftlich genutzten Wiesen nicht ein (BGE 98 Ib 18); der im vorliegenden Fall durchgeführte Augenschein hat indessen gezeigt, dass auch Pflanzen auf Streuwiesen, die im Herbst regelmässig zur Gewinnung von Streue bis zum Ufer gemäht und demnach landwirtschaftlich genutzt werden, unter Umständen als Ufervegetation bezeichnet werden können (vgl. ROBERT IMHOLZ, Die Zuständigkeit des Bundes auf dem Gebiete des Natur- und Heimatschutzes, Diss. Zürich 1975, S. 124). Gesamthaft gesehen ist für die Anwendung von Art. 21 NHG massgebend, dass die Pflanzen im Uferbereich, d.h. im Übergangsbereich zwischen Wasser und Erde wachsen (IMHOLZ, a.a.O., S. 125). Die vorhandenen Pflanzen allein sind nicht entscheidend. Es ist darauf abzustellen, ob sie sich im Schwankungsbereich des Spiegels eines stehenden oder fliessenden Gewässers befinden (nicht veröffentlichtes Urteil des Kassationshofes vom 19. September 1972 i.S. W., E. 3). Dabei dürfen auch hohe Wasserstände berücksichtigt werden, wie sie in gewissen Abständen vorkommen; hingegen sind aussergewöhnliche, nur ganz selten vorkommende Hochwasserstände ausser acht zu lassen (vgl. IMHOLZ, a.a.O., S. 124). Aufgrund dieser Kriterien ist der vorliegende Fall zu prüfen.
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Aus den Akten ergibt sich, dass der Parzellenteil, auf dem das Ferienhaus erstellt werden soll, rund 75 m landeinwärts von der gegen den See hin gerichteten Nordspitze des Grundstückes entfernt liegt. Der Augenschein hat bestätigt, dass sich dieser Teil nicht im eigentlichen Uferbereich im oben umschriebenen Sinne befindet. Es ist unbestritten, dass darauf verschiedene für Feuchtgebiete typische Pflanzenarten wachsen, wie sich auch aus dem pflanzensoziologischen Gutachten ergibt; doch sind nach der vorstehenden Erwägung die Pflanzenvorkommen allein nicht ausschlaggebend. Es ist auch nicht von massgeblicher Bedeutung, dass die Wiese über den Standort der projektierten Baute hinaus bis nahe an das Ufer in die Sperrzone hinein regelmässig im Herbst zur Gewinnung von Streue gemäht wird. Es ist im vorliegenden Fall vielmehr entscheidend auf den Schwankungsbereich des Spiegels des Hallwilersees abzustellen. Die offiziellen Messresultate der Messstation Mosen aus den Jahren 1953-1981 ergeben, dass der Wasserspiegel in rund der Hälfte der Jahre stets unter der Quote von 9.00 blieb; lediglich fünfmal stieg der Wasserspiegel auf die Höhe zwischen 9.10 und 9.30 an; in zwei Fällen überstieg er die Quote 9.30 (25./27. Februar 1970 und 17./22. Dezember 1981). Die bei den Akten liegende Foto vom 17. Dezember 1981 zeigt, dass das Wasser mit einer Höhe von 9.30 bis an einige Meter an den Baustandort angestiegen ist, ohne diesen zu überschwemmen. Dabei ist zu berücksichtigen, dass es sich zu jenem Zeitpunkt um einen aussergewöhnlichen Hochwasserstand handelte, wie er während 28 Jahren nur zweimal vorgekommen ist. Der streitige Platz wird demnach kaum je überschwemmt. Würde auf die Quote zwischen 9.10 und 9.30 abgestellt, die etwa alle fünf Jahre erreicht worden ist, so ergäbe sich angesichts der weitgehend flachen Parzelle bereits eine grosse Distanz zwischen dem Baustandort und dem Wasserrand. Bei dieser Sachlage kann aber nicht gesagt werden, der eigentliche Bauplatz liege im Schwankungsbereich des Spiegels des Hallwilersees. An dieser Beurteilung ändert auch der Umstand nichts, dass der Seespiegel des Hallwilersees künstlich reguliert ist, ist doch auf die tatsächlichen Verhältnisse abzustellen. Demnach handelt es sich bei den Pflanzen auf dem Parzellenteil, auf dem das Ferienhaus erstellt werden soll, nicht um Ufervegetation im Sinne von Art. 21 NHG.
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