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49. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 31. Oktober 1984 i.S. Mac Charra gegen Bundesamt für Polizeiwesen (Verwaltungsgerichtsbeschwerde/erstinstanzlicher Entscheid) | |
Regeste |
Auslieferung. Europäisches Auslieferungsübereinkommen vom 13. Dezember 1957 (EAÜ). |
2. Einwand des politischen Delikts. Einwand für ein Sprengstoff-Delikt abgewiesen, weil sich das Vergehen nicht gegen den ersuchenden, sondern gegen einen Drittstaat richtete und die eingesetzten Mittel nicht in angemessenem Verhältnis zum verfolgten politischen Ziel standen (E. 6). | |
Sachverhalt | |
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Aus den Erwägungen: | |
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Das Bundesamt für Polizeiwesen (BAP) hat in seinem Entscheid vom 18. Juli 1984 ausgeführt, der "Special Criminal Court" in Dublin, der die Anklage gegen Seamus Mac Charra zu beurteilen haben werde, könne wohl hinsichtlich seiner staatsrechtlichen Stellung ![]() | 3 |
Nach dem Bericht der Irischen Botschaft vom 25. Juli 1984, auf den sich sowohl das BAP als auch der Verfolgte berufen und dessen Inhalt daher als unbestritten gelten kann, handelt es sich beim "Special Criminal Court" um ein durch Gesetz von 1972 eingesetztes, ständiges Gericht, das aus drei Berufsrichtern zusammengesetzt ist und ohne die Mitwirkung von Geschworenen urteilt. Dem Gericht steht die Beurteilung einer Reihe bestimmter, in einer speziellen Liste aufgezählter Tatbestände zu; es handelt sich dabei um Verbrechen und Vergehen gegen den Staat oder die öffentliche Sicherheit, die nach Auffassung des irischen Gesetzgebers durch die ordentlichen Gerichte nicht zweckmässig beurteilt werden können. Im weiteren können dem "Special Criminal Court" auch andere Straftaten zur Beurteilung zugewiesen werden, wenn die ordentlichen Gerichte im Hinblick auf eine wirksame Rechtspflege und auf die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung dafür als nicht geeignet erscheinen. Für Personen, die vor den "Special Criminal Court" gestellt werden, gelten die nämlichen Gesetze, die auch auf andere Angeschuldigte Anwendung finden, und die Urteile dieses Gerichtes können ebenso wie jene der ordentlichen Gerichte an das Strafappellationsgericht ("Court of Criminal Appeal") weitergezogen werden. Der Vollzug von Strafen, welche der "Special Criminal Court" ausgefällt hat, erfolgt häufig in Gefängnissen mit einem besonders hohen Sicherheitsgrad; doch können die Verurteilten auch in gewöhnliche Vollzugsanstalten oder in offene Institutionen eingewiesen werden.
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Aufgrund dieser tatsächlichen Feststellungen fällt der irische "Special Criminal Court" nicht unter den Begriff des Ausnahmegerichtes im Sinne der schweizerischen Rechtsprechung. Weder handelt es sich um ein erst nachträglich zur Beurteilung bereits begangener Straftaten eingesetztes Gericht, noch verfügt es über Kompetenzen, welche diejenigen eines ordentlichen Gerichtes ![]() | 5 |
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b) Während der Verfolgte in seiner Einsprache an das BAP lediglich in allgemeiner Form geltend machte, er sei "aktiver Sympathisant der nordirischen Katholiken", lässt er seinen erwähnten Standpunkt vor Bundesgericht einlässlicher begründen. Er macht zunächst geltend, Sprengstoffdelikte seien praktisch immer politisch motiviert; sie seien daher zwar nicht den absolut, wohl aber den relativ politischen Delikten zuzurechnen. Dies gelte insbesondere auch für das irische Recht, dessen Gesetzgebung im Bereich der Sprengstoffe im Jahre 1972 gerade im Zusammenhang mit der politischen Lage des Landes bzw. mit dem Wiederaufflammen der ![]() | 7 |
Zu seiner persönlichen Lage lässt der Verfolgte vorbringen, es gehe ihm weniger um seine Sympathien für den Katholizismus als um die Befreiung Nordirlands von Grossbritannien, das er als "Besetzer" bezeichnet. Davon abgesehen habe er sich immer für Gerechtigkeit, Unabhängigkeit und Freiheit nach sozialistischem Vorbild eingesetzt. Von 1937 bis 1955 sei er Mitglied der Kommunistischen Partei gewesen, und er habe im Zweiten Weltkrieg im antifaschistischen Widerstand gekämpft. Anfangs der Siebzigerjahre habe er sich der Sinn-Fein-Partei angeschlossen, welche die Unabhängigkeit Nordirlands von Grossbritannien und dessen Vereinigung mit der Irischen Republik unter einem sozialistischen Gesellschaftssystem anstrebe. Mit der legalen Sinn-Fein verbunden sei die illegale irisch-republikanische Armee (IRA), welche die nämlichen Ziele mit Waffengewalt erreichen wolle. Er, der Verfolgte, sei sogar Mitglied des Zentralkomitees der Sinn-Fein gewesen. Wegen ideologischer Meinungsverschiedenheiten sei er jedoch 1973 aus dieser Partei ausgetreten und habe zusammen mit anderen Personen eine neue Partei gegründet, die IRSP (Irisch-republikanisch-sozialistische Partei). Auch diese Partei besitze einen illegalen bewaffneten Flügel, nämlich die INLA (Irish national liberation army). Dieser kämpfe für dieselbe Sache wie die IRA. Mit dem Austritt aus der Sinn-Fein und der Gründung einer neuen Partei habe sich der Verfolgte viele politische Feindschaften zugezogen.
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Die Tatsache, dass die beiden Parteien, denen der Verfolgte angehört hat bzw. angehört, je eine eigene Armee besässen, zeige auf, dass es ihnen wirklich darum gehe, die Macht im Staat zu erkämpfen. Zu den dabei eingesetzten Waffen gehörten häufig auch Sprengstoffe. Wenn er somit entgegen dem irischen Gesetz Sprengstoffe aufbewahrt habe, dann hätten diese der Unterstützung des Kampfes der von ihm mitbegründeten Partei gedient. Die Tat sei deshalb als politisches Delikt zu werten. Da sie im übrigen keine Verletzung von Leib und Leben von Menschen oder von fremdem Eigentum zur Folge gehabt habe, sei die Voraussetzung der Verhältnismässigkeit erfüllt.
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c) Absolut politische Delikte stellen nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtes jene strafbaren Handlungen dar, die gegen die politische und soziale Organisation des Staates gerichtet sind und bei denen der Angriff auf den Staat und dessen grundlegende ![]() | 10 |
d) Als relativ politisches Delikt gilt eine Tat dann, wenn sie nach den Umständen, namentlich nach den Beweggründen und Zielen des Täters, einen vorwiegend politischen Charakter hat. Ein solcher wird dann angenommen, wenn die strafbare Handlung im Rahmen eines Kampfes um die Macht im Staate ausgeführt oder wenn sie verübt wurde, um jemanden dem Zwang eines jede Opposition ausschliessenden Staates zu entziehen. Zwischen solchen Taten und den angestrebten Zielen muss eine enge, direkte und klare Beziehung bestehen. Darüber hinaus ist erforderlich, dass die Verletzung fremder Rechtsgüter in einem angemessenen Verhältnis zum politischen Ziel steht und dass die auf dem Spiel stehenden politischen Interessen wichtig genug sind, um die Tat mindestens einigermassen verständlich erscheinen zu lassen.
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Im vorliegenden Falle steht kein gegen die Regierung des ersuchenden Staates gerichtetes Delikt in Frage. Indessen schliesst der Umstand, dass die Tat nicht gegen diesen, sondern gegen das Regime eines Drittstaates gerichtet ist, nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtes die Einrede des politischen Deliktes nicht aus. Allerdings kommt ihr nicht dasselbe Gewicht zu wie bei Angriffen gegen Persönlichkeiten oder Einrichtungen des ersuchenden Staates selbst, ist doch die Gefahr wesentlich geringer, dass sich die Gerichte bei der Beurteilung der Tat von politischen Erwägungen beeinflussen liessen bzw. der Verfolgte allgemein seiner politischen Anschauungen wegen einer Erschwerung seiner Lage ausgesetzt wäre (BGE 106 Ib 299 /300).
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Es ist verständlich, dass der Verfolgte seine Tat als eine politische betrachtet, und es liegen ihr auch zweifellos politische Motive zugrunde. Indessen genügt dies nach den vorstehenden Darlegungen nicht, um die Einrede des politischen Deliktes im Sinne des schweizerischen Auslieferungsrechtes als begründet anzuerkennen. Einzuräumen ist zwar, dass die dem Verfolgten zur Last gelegte Tat im Rahmen des Kampfes um die Macht in einem Nachbarstaate ![]() | 13 |
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