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5. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 19. Juni 1985 i.S. Angehrn und Mitbet. gegen Schweiz. Bundesbahnen, Kreisdirektion III, und Präsident der Eidg. Schätzungskommission, Kreis 10 (Verwaltungsgerichtsbeschwerde) | |
Regeste |
Planauflage und vorzeitige Besitzeinweisung im Enteignungsverfahren für Eisenbahnbauten. |
Das Enteignungsverfahren für ein neues Werk kann nur eröffnet werden, wenn ein Werkplan (Art. 27 Abs. 1 EntG) vorliegt, aus dem sich die Ausgestaltung des Werkes ergibt. Eine etappenweise Auflage des Werkplanes für eine neue SBB-Teilstrecke, die es den Enteignerinnen ermöglichen soll, die vorzeitige Besitzeinweisung schon vor dem Vorliegen des vollständigen Werkplanes zu verlangen, steht mit den Bestimmungen des Enteignungsgesetzes und der Planvorlagenverordnung vom 23. Dezember 1932 in Widerspruch (E. 4-6). |
Eine Besitzeinweisungverfügung im Sinne von Art. 76 EntG kann von Dritten, die durch das Projekt des Enteigners in ihren tatsächlichen Interessen oder allenfalls in ihren Nachbarrechten betroffen werden, nicht angefochten werden (E. 8). |
Aufsichtsrechtliches Eingreifen des Bundesgerichtes (Art. 63 EntG)? (E. 9). | |
Sachverhalt | |
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Gegen das Projekt erhoben Otto Angehrn und weitere Anwohner des "Föhrlibuck" in Dübendorf Einsprache. Sie stellten in erster Linie den Antrag, die öffentliche Planauflage sei formrichtig auszuschreiben und mit vollständigen Projektplänen und -beschrieben zu wiederholen; auf jeden Fall sei den Einsprechern die Möglichkeit zu geben, Rechtsmittel gegen die definitiven Projektpläne zu ergreifen. Im weiteren beantragten sie eine Verlegung, allenfalls Tieferlegung des Trasses, die bestmögliche Eingliederung des Werkes in die Landschaft, die Projektierung von Lärmschutzmassnahmen, Verkehrsumleitungen während der Bauzeit und behielten sich Entschädigungsforderungen für allfällige Entwertungen durch Immissionen vor. Schliesslich verlangten sie, dass die üblichen vorsorglichen Massnahmen zur Beweissicherung hinsichtlich Lärm, Erschütterungen usw. getroffen würden.
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Mit Verfügung vom 21. Januar 1985 wies der stellvertretende Präsident der Eidg. Schätzungskommission, Kreis 10, die Begehren der Einsprecher um Wiederholung der Planauflage und um weitergehende Beweissicherung ab und überwies die Akten zur Behandlung der übrigen Begehren dem Eidgenössischen Verkehrs- und Energiewirtschaftsdepartement. Am 12. Februar 1985 ermächtigte der Präsident die SBB insofern zur vorzeitigen Inbesitznahme ab 1. März bzw. 1. Juli 1985, als die Projektteile Gegenstand des bisherigen Enteignungsverfahrens bildeten. Mit Verfügung vom 14. Februar 1985 wurde die beschränkte vorzeitige Besitzeinweisung für die Teilprojekte 8 und 9 gegenüber Otto Angehrn und den Mitunterzeichnern der Kollektiveinsprache bestätigt.
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Gegen diese Verfügungen haben Angehrn und 51 Mitbeteiligte Verwaltungsgerichtsbeschwerde eingereicht und im wesentlichen verlangt, die Planauflage sei zu wiederholen und die vorzeitige Besitzeinweisung aufzuheben. Das Bundesgericht heisst die gegen die Verfügung vom 21. Januar 1985 gerichtete Beschwerde ![]() | 4 |
Aus den Erwägungen: | |
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Die Frage, ob die Beschwerdeführer zur Anfechtung der Präsidialverfügung vom 21. Januar 1985 befugt seien, deckt sich mit jener, ob sie im Enteignungsverfahren als Einsprecher auftreten können. Zu dieser Frage führt der Schätzungskommissions-Präsident unter anderem aus, es könne nicht ausgeschlossen werden, dass das projektierte Werk eine Schmälerung der Abwehrrechte gewisser Einsprecher zur Folge habe. Zudem haben die SBB im Verfahren betreffend die vorzeitige Besitzergreifung selbst eingeräumt, dass einzelnen Einsprechern Rechte an über das Bahntrasse führenden Flurwegen zustehen. Soweit die Beschwerdeführer zu diesen Enteigneten zählen, steht ihre Einsprachelegitimation ausser Frage. Sie ist aber auch den Nachbarn, die keine Flurwegrechte besitzen und die aller Voraussicht nach keine übermässigen Immissionen zu ertragen haben werden, für den Fall zuzugestehen, dass sie durch das projektierte Werk in ihren tatsächlichen Interessen berührt werden und diese nicht im Plangenehmigungsverfahren vertreten können. Wie das Bundesgericht im Entscheid Bircher (BGE 108 Ib 245 f.) dargelegt hat, kann den Privaten, die durch ein öffentliches Werk in ihren tatsächlichen Interessen betroffen werden, die Teilnahme am Plangenehmigungs- und Einspracheverfahren seit der Einführung von Art. 6 und 48 VwVG sowie von Art. 103 OG nicht mehr verweigert werden. Werden sie vom technischen Plangenehmigungsverfahren ausgeschlossen, so sind sie im Einspracheverfahren gemäss Enteignungsgesetz zuzulassen. Nun behaupten die SBB selbst nicht, dass die betroffenen Privaten im Plangenehmigungsverfahren, das noch vor dem Inkrafttreten der neuen eisenbahnrechtlichen Bestimmungen (1. Januar 1985) eingeleitet wurde, zu Worte gekommen seien oder noch kämen. Im weiteren ergibt sich aus den Akten, dass die Beschwerdeführer alle in unmittelbarer Nähe der projektierten Bahnanlage, zwischen den nach Dübendorf und nach Dietlikon führenden Schienensträngen wohnen. Sie werden zweifellos nach Inbetriebnahme des Werkes den Eisenbahnlärm ![]() | 6 |
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Über die Art der Ausführung des einzureichenden Werkplanes enthält das Enteignungsgesetz selbst keine Vorschriften, doch sind solche vereinzelt in der Spezialgesetzgebung, so auch jener betreffend die Eisenbahnbauten, zu finden. Nach Art. 19 der Verordnung über die Planvorlagen für Eisenbahnbauten vom 23. Dezember 1932 (EbPV) gelten als Werkplan im Sinne von Art. 27 Abs. 1 EntG grundsätzlich die in Art. 7 lit. a, b und Art. 8 lit. a, c, d, f genannten Pläne, nämlich der vollständige Situationsplan 1:1000 (Art. 7 lit. a, Art. 10), die Längenprofile (Art. 7 lit. b Art. 11), die Entwürfe zu den Kunstbauten, d.h. Brücken, Tunnels und besonderen Bauwerken, wobei Brücken von über 10 m Länge durch Detailzeichnungen im Minimalmassstab 1:200 darzustellen sind (Art. 8 lit. a, Art. 13), Entwürfe zu den Hochbauten (Art. 8 lit. a, Art. 15), die Stationspläne (Art. 8 lit. c) und die Vorlagen über die Einrichtungen für die elektrische Zugförderung (Art. 8 lit. f, Art. 17). Im Streitfalle entscheidet der Präsident der Schätzungskommission, welche dieser Vorlagen für die Durchführung des Enteignungsverfahrens notwendig sind (Art. 19 Abs. 2 EbPV); indessen kann er, da Art. 19 EbPV blosse Ausführungsvorschrift ist, den Enteigner nur insoweit von der Vorlagenpflicht befreien, als dadurch Art. 27 Abs. 1 EntG nicht in Frage gestellt wird.
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Diesen Ausführungen kann indessen nicht beigepflichtet werden.
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a) Klarzustellen ist zunächst nochmals, dass es sich bei der hier angestrebten gestaffelten Planauflage weder um eine zeitlich aufeinanderfolgende Vorlage der vollständigen Pläne für einzelne Streckenabschnitte noch um das Ausklammern von bestimmten Werkbestandteilen geht, die erst in einem späteren Zeitpunkt zu erstellen sind. Es handelt sich vielmehr darum, dass das Enteignungsverfahren schon im Anschluss an die Festlegung der Linienführung der Eisenbahnstrecke eröffnet werden soll.
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b) Dem Gesetzgeber ist das Problem, dass Enteignungsverfahren häufig lange dauern und die rasche Verwirklichung dringend benötigter öffentlicher Werke in Frage stellen, nicht entgangen. Er hat im Rahmen der Spezialgesetzgebung und bei der Revision des Enteignungsgesetzes vom 18. März 1971 verschiedene ![]() | 13 |
c) Die öffentliche Planauflage im Sinne von Art. 30 ff. EntG soll es den Enteigneten oder vom Werk Betroffenen ermöglichen, einerseits Entschädigungsforderungen anzumelden, andererseits Einsprachen gegen die Enteignung zu erheben und Planänderungsbegehren zu stellen, wobei, wie erwähnt, auch öffentliche Interessen vertreten werden können (Art. 30 Abs. 2 EntG). Die Planauflage muss daher den Privaten - zusammen mit der Aussteckung - sämtliche Informationen liefern, die zur Begründung der Forderungen und Einsprachen notwendig sind. Der Private soll sich anhand der Pläne und der Aussteckung ein Bild über das Werk und seine Auswirkungen machen können (vgl. BGE 109 Ib 137). Nur so ist er in der Lage, die richtigen Begehren und Einwendungen vorzubringen, sie konkret zu formulieren und nicht bloss auf Vermutungen zu stützen.
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d) Die gestaffelte Planauflage müsste schliesslich auch zu erheblichen prozessualen Schwierigkeiten führen. Unklar wäre insbesondere, wann das Schätzungsverfahren aufzunehmen und wann das Einspracheverfahren zu eröffnen wäre und ob dieses ebenfalls in Etappen oder erst nach Abschluss aller Planauflagen durchgeführt werden müsste. Indessen fiele ein gestaffeltes Einspracheverfahren schon aus Gründen der Prozessökonomie ausser Betracht. Im weiteren wären auch die Einsprachebehörden ausserstande, ohne den vollständigen Werkplan über die erhobenen Einsprachen ![]() | 16 |
Es ergibt sich, dass die für die Teilprojekte 8 und 9 der S-Bahn eingeleitete gestaffelte Planauflage mit den Bestimmungen des Enteignungsgesetzes und Art. 19 sowie Art. 30 Abs. 2 EbPV in Widerspruch steht.
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8. Mit Verfügungen vom 12. und 14. Februar 1985 hat der Präsident der Schätzungskommission den SBB in gewissem Umfange gestattet, die Grundstücke jener Enteigneten vorzeitig in Besitz zu nehmen, die der Besitzergreifung noch nicht ![]() | 19 |
Gehen von einem öffentlichen Werk unvermeidbare übermässige Einwirkungen aus und steht dem Werkeigentümer das Enteignungsrecht zu, so werden die nachbarlichen Abwehrrechte auf dem Enteignungswege unterdrückt und wird auf dem Nachbargrundstück zwangsweise eine Grunddienstbarkeit auf Duldung der Immissionen errichtet (BGE 106 Ib 241, 244 f.). Der Enteigner erwirbt die beanspruchte Dienstbarkeit wie andere Rechte durch Leistung der Enteignungsentschädigung oder der Anzahlung im Sinne von Art. 19bis Abs. 2 EntG. Da jedoch meistens im voraus nicht feststeht, ob die mit dem Bau oder Betrieb des Werkes verbundenen Einwirkungen ein Übermass erreichen, ist der Enteigner nicht in der Lage, schon anlässlich der Planauflage zu umschreiben, ob und welche Nachbarrechte er entziehen oder beschränken möchte. Er ist deshalb davon befreit, in der Grunderwerbstabelle diese Rechte zu bezeichnen (vgl. HESS, a.a.O., N. 4 zu Art. 5 EntG). Dementsprechend fällt, solange die Art der Beeinträchtigung nicht feststeht, eine Einweisung in den Besitz der Nachbarrechte ausser Betracht. In "Besitz" genommen werden die Abwehransprüche beim tatsächlichen Auftreten übermässiger Immissionen; von diesem Moment an ist die Entschädigung zu verzinsen (BGE 106 Ib 245 E. 3, 249). Dieser Zeitpunkt fällt aber kaum je mit der Inbesitznahme des für das Werk beanspruchten Bodens und dem Beginn der Bauarbeiten zusammen. Zwar können auch durch Bauarbeiten Lärm und Erschütterungen entstehen, doch müssen solche vorübergehende Störungen vom Nachbarn grundsätzlich hingenommen werden (BGE 93 I 295 ff., BGE 91 II 107 E. 3, BGE 83 II 383, nicht publ. Entscheid i.S. Staat Bern c. Lehmann vom 16. Juli 1984 E. 4). Auch im vorliegenden Fall ist nicht anzunehmen und behaupten die Beschwerdeführer selbst nicht, dass die vom Schätzungskommissions-Präsidenten bewilligte Besitzergreifung zu Auswirkungen auf die Nachbarparzellen führe, die im Lichte von Art. 684 ZGB nicht geduldet werden müssten. Die Beschwerdeführer werden daher durch die Besitzeinweisungsverfügung als (mögliche) Enteignete nicht betroffen.
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9. Es bleibt die Frage, ob das Bundesgericht aufsichtsrechtlich (Art. 63 EntG) einzugreifen habe, weil die vorzeitige Besitzergreifung frühestens an der Einigungsverhandlung (Art. 76 Abs. 2 EntG), also erst nach der Durchführung der Planauflage bewilligt werden kann und diese hier zu wiederholen ist. Wie oben im einzelnen dargelegt, sind wesentliche Verfahrensvorschriften missachtet worden und wäre das Bundesgericht insofern zur Aufhebung des bisherigen Verfahrens und insbesondere der Besitzeinweisung kraft Aufsichtsrecht befugt (BGE 97 I 10, BGE 100 Ib 98; für Enteignungen vgl. BGE 104 Ib 343 mit Hinweisen). Allerdings ist hier zu berücksichtigen, dass sich die Enteigneten mit dem Enteigner jederzeit, auch vor der Einigungsverhandlung, über den Baubeginn verständigen können und dass im vorliegenden Verfahren keine weiteren Beschwerden gegen die Besitzeinweisung eingegangen sind, sich die betroffenen Grundeigentümer also mit ihr abgefunden haben. Hinzu kommt, dass die Aufhebung der Verfügung vom 12. Februar 1985 zur Folge hätte, dass die Verzinsung für die endgültig geschuldete Entschädigung bis zum Erlass einer neuen Verfügung oder Vereinbarung aufgeschoben würde, obschon möglicherweise bestimmte Grundstücke bereits in Anspruch genommen worden sind. Unter diesen Umständen lässt sich eine aufsichtsrechtliche Massnahme nicht rechtfertigen.
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